Das betrifft zwischenzeitlich wohl alle Messanger-Dienste. Egal ob Volkskammer, Patrioten, Enten oder wer auch immer, nachdem auf Facebook "zensiert" wird und man bei VK keine Reichweite hat, versucht man es eben darüber. Natürlich auch um schneller Aktionen planen und ausführen zu können.
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Montag, 14.10.2019 - 03:00
4 min
Telegram-Gruppe „Patrioten Wiesbaden“
In dem Messengerdienst Telegram lebt sich die Gruppe „Patrioten Wiesbaden“ seit einiger Zeit aus. Dabei handelt es sich um Rechte und Rechtspopulisten, verschrobene Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger.
Wolfgang Degen: Lokalredakteur Wiesbaden
Von Wolfgang Degen
Lokalredakteur Wiesbaden
WIESBADEN - Mit der Weltanschauung hält man nicht hinterm Berg, man fühlt sich in der Anonymität des Messengerdienstes Telegram sicher. Dort lebt sich die Gruppe „Patrioten Wiesbaden“ seit einiger Zeit aus, wie zum Beispiel das Mitglied, das sich „MaTze Idstein“ nennt: „vergesst nicht, wer uns in den bürgerkrieg treiben will. es sind die zionisten. denen gilt es, den kampf anzusagen“. Der Bezug zu Israel. Zum Judentum. So sehen sie aus – die Feindbilder. In einem anderen Kommentar legt er nach, da spricht er von „bestialischen zionisten“.
In der Gruppe „Patrioten Wiesbaden“ leben die Mitglieder das aus, was sie tatsächlich sind - Rechte und Rechtspopulisten, verschrobene Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger. Da findet sich ein „Felix“, der sich selbst als „Aktivist bei der Identitären Bewegung Hessen“ bezeichnet. Der hessische Verfassungsschutz beobachtet die „Identitären“ unter dem Stichwort „Rechtsextremismus“.
Gut gebaute Deutsche und rassisch rein
Gruppenmitglied „Bastian“ aus dem Rheingau wiederum gibt den politischen Propheten, der „Sturm auf Berlin“ werde kommen. „Unsere Welle wird das gesamte Land überrollen“, schreibt er, und endet mit „Deutschland Heil!“ Damit kein Zweifel bleibt: Die Welle, das sei die „patriotische und rechte Szene, die an Deutschland glauben und treu sind“. Das Computer-Männchen am Ende seines Kommentars hebt den rechten Arm.
Bastian“ bewegt sichtlich der Gedanke an eine Gemeinschaft aus gesunden deutschen Volkskörpern: Er könne mit seinen 15 Jahren „mit Stolz“ sagen, dass es bei ihm im Handballverein „überwiegend gut gebaute und vor allem Rechte“ gebe. „Und auch sonst besteht mein Umfeld aus gesunden Deutschen“.
Vom „gesunden Deutschen“ geht es zum „germanischen Erfindergeist“. Zitiert wird in der Gruppe dafür ein Auszug vom 29. Januar 1936 aus dem „Völkischen Beobachter“, dem Parteiorgan und Kampfblatt der Nationalsozialisten. Da wird über die „weißen Rassen“ und „ihre jahrhundertelange wirtschaftliche Vormacht“ schwadroniert. Man kommt zum Ergebnis, dass der „deutsche geist verstummen soll“, weil „die anderen (...) aus angst vor dem erfindergeist zerfressen“ seien.
Raum widmet man dem Gedenken an den früheren SS-Mann und Kriegsverbrecher Karl Münter, der mit knapp 97 Jahren Verstorbene wird in rechtsextremen Kreisen als Ikone verehrt. Kriegsverbrecher und Holocaust-Leugner. Das dokumentierte Kriegsverbrechen mit 86 ermordeten Zivilisten in Frankreich wird verharmlosend so abgetan: Es „entstand wohl aus einem Fluchtversuch heraus eine Schießerei, die 86 Menschen das Leben kostete“.
Thematisiert wird der „Bevölkerungsaustausch“, dem das deutsche Volk durch die Migrationspolitik zum Opfer fallen werde. Ein ständig wiederkehrendes Element in der Ideologie der Neuen Rechten. Zynisch lässt man sich über „Kulturbereicherer“ aus, der Begriff steht für Hetze gegenüber Flüchtlingen und Einwanderern. Ihnen wird mit einem solchen abwertenden Begriff das Menschsein abgesprochen. Sprachliche Entgrenzung als Nährboden.
Zur Abwertung gehört das verbreitete „Rechenbeispiel“ zur „erbesserung der deutschen Klimabilanz: Man könne leicht 18 487 700 Tonnen Kohlendioxid einsparen – man müsse halt nur die 1,6 Millionen Flüchtlinge ausweisen. „das sollte uns doch unsere Umwelt Wert sein!!“
Und besagtes Gruppenmitglied „MaTze Idstein“ findet „ohne Zweifel, dass Einrichtungen wie die hitler-jugend und die kraft durch -freude besser für das deutsche volk (waren) als die verblödungsmaschinerie der sog.(enannten) modernen demokratie! einzig die verbindung mit hitler, seinem größenwahn und der diktatur lasse sie böse und verboten erscheinen“.
Das Wort Größenwahnsinn macht an anderer Stelle Sinn, wenn es um den Anspruch der Gruppe geht, der da lautet: „Wir machen Wiesbaden wieder patriotisch!“ Tatsächlich ist es ein Häuflein, rund 50 Leute, das dann auch – im Glauben bei Telegram vor Identifizierung geschützt zu sein – intern seine eigene Bedeutungslosigkeit bejammert. Das treibt das Mitglied „Sandra“ um, in Wiesbaden ist Sandra Scheld als Organisatorin der Gelbwesten-Kundgebungen bekannt. Öffentlich bejubelt sie die Auftritte der fast ausschließlich von auswärts herbeigebrachten Teilnehmer als „Hammerveranstaltung“, wenn sich in Wiesbaden bislang maximal 100 Leute in Gelb verloren hatten. Im geschützten Raum beklagt Scheld, dass sich „immer die Gleichen hinstellen“, dass der Zuspruch ausbleibe, weil viele „keinen Arsch in der Hose haben“, und dass es so „keinen Sinn“ habe. „Über 100 Leute, die mal die Courage haben, lacht die Regierung“.
Verschwörungsideen ersetzen Fakten
Wessen Geistes Kinder da ihre Gesinnung zum Besten geben, zeigt Scheld am Donnerstag in einem Kommentar zum rechtsextremistisch motivierten Terroranschlag in Halle: „Ich gehe davon aus dass es inszeniert ist, um den Kampf gegen Rechts voran zu bringen“. Die Verdrängung von Fakten und Liebe zur Verschwörung eint die „Patrioten“. Gepflegt wird der Opfer-Mythos – weil man die Wahrheit auf die Straße trage, werde man von der „Lügenpresse“ diffamiert, als Meinung bei Facebook „unterdrückt“, von der Regierung verfolgt. Besagtes Mitglied „Sandra“ informiert, dass Regierungskritiker zur Verfolgung freigegeben seien und fragt: „wann werden Regierungskritiker vom System endgültig weggeschafft?“ Sie bezieht sich, und das spricht Bände für die ideologisch verzerrte Wahrnehmung, auf eine Meldung, wonach das Land Hessen ein Meldesystem gegen Hass im Internet aufbaut.
In der Gruppe befasst man sich auch mit der Recherche und der Berichterstattung dieser Zeitung, die das Treiben der Rechten dokumentiert. „Patrioten“, die so gerne als „überparteilich“ dargestellt werden wollen. „MaTze Idstein“ - einer, der dem Rest alles erklärt – bewertet das so: „es grenzt an ein Verbrechen, wenn angeblich neutrale journalisten (hier eher rückgratlose hoftrompeten) über bürger lügen, die die wahrheit öffentlich aussprechen. denen müssten die auflagenzahlen dermaßen in den keller rauschen, dass sie konkurs anmelden müßten. und dem degen gehört ein berufsverbot erteilt“.