In Eberbach gab es einen Vortrag zum Thema "Reichsbürger", im Artikel verlinkt ist ein Vortrag von Rathja aus 2016.
Spoiler
Vortrag in Eberbach
Wie Reichsbürger ticken
Politikwissenschaftler Jan Rathje nimmt beim DGB die rechtsextrem-antisemitische Gruppierung unter die Lupe
Von Elisabeth Murr-Brück
Eberbach. 19. Oktober 2016, Georgensgmünd in Franken: In den Morgenstunden stürmt die Polizei das Haus eines Mannes, der dort über 30 Waffen lagerte. Er eröffnete das Feuer und verletzte mehrere Beamte, einen von ihnen tödlich. Der Täter war Anhänger der "Reichsbürger-Bewegung". Sie bestreiten die Existenzberechtigung der Bundesrepublik, lehnen das Grundgesetz und alle darauf basierenden Gesetze und Verordnungen ab. Auch wenn sie zahlenmäßig kaum eine Rolle spielen, finden sich Elemente des von ihnen verbreiteten Gedankenguts in anderen gesellschaftlichen Gruppierungen.
Der Politikwissenschaftler Jan Rathje untersucht seit vielen Jahren Denkmodelle und Strukturen der Bewegung. Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des Deutschen Gewerkschaftsbunds informierte er am Montagabend in Eberbach vor rund 15 Zuhörern über dieses "sehr uneinheitliche" Milieu.
In ihrer Ideologie verbinden die Reichsbürger rechtsextremes und antisemitisches Gedankengut mit Verschwörungstheorien, wobei sich beide wechselseitig durchdringen. Im Hintergrund agierende Kräfte - "Juden" - würden demnach Regierung und Medien nutzen, um Deutschland zu manipulieren und letztlich zu vernichten.
Dabei berufen sie sich auf jahrhundertealte angebliche Dokumente wie die "Schriften der Weisen von Zion" oder eine "Neue Weltordnung", in der Helmut Kohl und Angela Merkel als "jüdische Zionisten" enttarnt werden. Eine geheime Elite wolle die Herrschaft über das Volk und die Welt mit Hilfe von ferngesteuerten Strippenziehern erringen.
Mit der Leugnung des Holocausts und revisionistischen Ansprüchen stellen sie eine Verbindung zu klassischen wie zu neuen rechten Gruppierungen her, auch wenn sich nur noch ausnahmsweise jemand offen als "Reichsbürger" bekennt: Auch innerhalb der Szene wolle man nicht Gefahr laufen, als "Spinner" abqualifiziert zu werden, sagt Jan Rathje.
Eine Gefahr sieht er dennoch. Eine immer unübersichtlicher werdende Welt mit einer Flut technischer Neuerungen, globaler Vernetzung und schwindenden individuellen Gestaltungsmöglichkeiten macht vielen Menschen Angst. Sie sehnen sich nach vermeintlicher Sicherheit und dem überschaubaren Leben vergangener Zeiten. Und glauben sie in Nischen zu finden, wo klare Strukturen Orientierung und Halt geben, wo komplizierte Zusammenhänge auf einfache Erklärungsmodelle reduziert werden: Esoterik, Maya-Kalender, Verschwörungs-Ideologien.
In einer völkischen Kapitalismus-Kritik wird der Kapitalismus nicht als System verstanden, sondern an einzelnen Personen festgemacht, Schulmedizin abgelehnt, weil gleichfalls von jüdischen Konzernen dominiert.
Dabei ergeben sich Berührungspunkte dort, wo Menschen versuchen, tatsächlich vorhandenen Missständen im persönlichen Umfeld gegenzusteuern: mit alternativer Lebensweise, in Tauschringen o.ä. Dann steht Gut gegen Böse, Licht gegen Finsternis, völkische Untergangs-Szenarien werden beschworen, ein dritter Weltkrieg, Islamisierung und Untergang des Abendlandes.
Feindbild ist alles, was nicht deutsch ist, in der Volkszugehörigkeit sieht man eine unabänderliche Eigenschaft; individuelle Besonderheiten zählen dabei nicht, das Kollektiv steht über allem. Was nicht in das Raster passt, wird als bedrohlich empfunden und bekämpft: Feminismus, Homosexualität, Parteien, Gewerkschaften…
Derlei abstruse Positionen im Detail zu diskutieren, führe in aller Regel nicht weit, sagt Rathje; nicht einfach darüber hinwegzusehen, sei gerade im privaten Umfeld zwar schwierig, aber wichtig.
Bei antisemitischen wie überhaupt rassischen und rechtsextremen Äußerungen solle klar Position bezogen werden, gegebenen Falles solle man auch Anzeige erstatten.
"Demokratie ist nicht Mehrheit, sondern organisierter Widerspruch", sagt der Referent.