Nun, glücklicherweise wird nur zur Pyrotechnik ermittelt, nicht zum urdeutschen Liedgut. Die Beamten sind unmusikalisch.
Der Rezensent ist mit der Ausstellung über Verschwörungen im NRW-Forum nicht zufrieden:
Spoiler
Verschwörungstheorien möchte sie sich widmen, Unsicherheit, Glaubensfragen. Allein die Ankündigung schraubte die Erwartungen in die Höhe. Nur: Wer „Im Zweifel für den Zweifel“ besucht, könnte enttäuscht werden.
Das liegt vor allem an der Konzeption der Schau, die die Erwartungen unterläuft. Wer glaubt, etwas über die Konstruktion oder Faszination von Verschwörungstheorien zu erfahren, liegt falsch. Man habe eben keine illustrative Ausstellung entwickeln wollen, sagt Kurator Florian Waldvogel, sondern eine Atmosphäre. „Die Grundtendenz in unserer Gesellschaft ist Angst“, sagt er. So betritt man die Ausstellung und findet sich zunächst einmal in einem schwarzen Tunnel wieder.
Sirenen sind zu hören, eine Blaskapelle, Sprechchöre – man ist gleich mittendrin. Eine Einstimmung auf das, was noch kommen mag, denkt man. Nur verlässt man den Tunnel, findet man sich mir nichts, dir nichts in einer gewöhnlichen Ausstellungssituation wieder. Licht, weiße Wände. Atmosphäre – null. Da hilft auch der Suchscheinwerfer von Ólafur Elíasson im kargen Eingangsbereich des gegenüberliegenden Ausstellungstrakts nicht. Planlos strahlt er Boden und Wände an. Verfolgt fühlt man sich nicht.
Spannender sind da schon die Fotografien von Juliane Herrmann, die Freimaurer-Logen auf der ganzen Welt besuchte. Den Freimaurern werden seit Jahrhunderten Strippenzieher-Qualitäten nachgesagt. Hermann, so erzählt sie es, traf dann auf „ganz normale, nette Leute“.
Nebenan ist die Serie „Bye. Bye“ des Künstlers und Werbefachmanns Michael Schirner ausgebreitet. Der hat ikonografische Bilder manipuliert, ihnen ihren vermeintlichen Mittelpunkt genommen. Das legt die Sicht frei, auf das was sonst noch ist. Willy Brandts Kniefall von Warschau ist ohne Brandt zu sehen, Robert Capas Foto eines fallenden Soldaten ohne Soldat. Man sieht nur noch Steppe, und das ist auch deshalb interessant, weil es seit Jahren heißt, dass Capa das berühmte Foto gestellt habe. Über Schirners Bild ohne Soldat behauptet Kurator Waldvogel denn auch: „Es zeigt die Wahrheit.“
Für Waldvogel ist die Ausstellung übrigens nur eine Komponente des Gesamtprojekts „Im Zweifel“. Dazu gehören für ihn außerdem Veranstaltungen und ein Buch, das man unmöglich einen Katalog nennen kann. Es ist vielmehr ein umfangreicher Reader, der sich erst im letzten Teil den Kunstwerken der Schau widmet. Auf den ersten 309 Seiten sind Texte zum Thema versammelt – von Hannah Arendt, Umberto Eco, Michel Foucault, den Kuratoren, Wissenschaftlern, Journalisten. Das Buch ist so umfangreich, sie könnten dafür im NRW-Forum Lesekreise organisieren. Platz für einen Stuhlkreis wäre in den luftig eingerichteten Ausstellungsräumen jedenfalls noch.
Raumfüllend ist allein die Installation von Forensic Architecture, einer Gruppe von Künstlern und Wissenschaftlern, die akribisch Ungereimtheiten bei staatlichen Ermittlungen recherchiert. Als sich während der NSU-Ermittlungen herausstellte, dass ein Verfassungsschutzmitarbeiter während der Ermordung von Halit Yozgat am Tatort gewesen sein soll, baute die interdisziplinäre Gruppe das Kasseler Internetcafé nach, um die Anwesenheit des Mannes zu beweisen. Im NRW-Forum wird diese Arbeit nun dokumentiert, mit einem großen Zeitstrahl, Videos und einem begehbaren Grundriss vom Tatort.
Bei Forensic Architecture holt die Ausstellung ihr Thema übrigens dann auch noch ein. Der Leiter der Künstler- und Wissenschaftler-Gruppe nämlich unterstützt die israelfeindliche Boykott-Bewegung BDS. Deren treibende Kraft heißt Omar Barghouti und der glaubt, dass Israel den amerikanischen Kongress kontrolliert und damit auch die EU. Ein klassisches Verschwörungs-Szenario.