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Denn, erzählen mehrere der jungen Leute, dass der Mann gegen Flüchtlinge und Juden sei, das habe er ganz offen gesagt. In dieser Nacht, vor einigen Wochen auf dem Gelände des Campingplatzes am Bergsee Ratscher (Landkreis Hildburghausen). Der Mann und seine Begleiter seien ihnen schon vor diesem Gespräch nach und nach aufgefallen, weil sie T-Shirts mit Aufdrucken wie „HKN-KRZ“ – das steht für Hakenkreuz – oder „Kategorie C“ – eine Neonazi-Band – trugen. Und weil sie vor der Bühne eines dort an dem Wochenende stattfindenden Festivals mit Hitlergruß provoziert hätten.
Gespräch dauert bis 5 Uhr am Morgen
In der Nacht, als sich Einzelne aus der Gruppe der jungen Leute mit dem Mann unterhalten hätten, habe der ihnen ins Gesicht gesagt, er sei dafür, „dass die alle getötet, also vergast werden“. Also die Juden und die Flüchtlinge. „Er hat sogar gesagt“, erzählt eine junge Frau, „wenn er feststellen würde, dass seine eigene Mutter jüdische Vorfahren hätte, dann müsse auch sie getötet werden“. Dass er nach dieser Denkweise auch nicht mehr lange leben dürfte, habe er dabei offenbar nicht bemerkt. Etwa um 5 Uhr morgens, an einem Samstag, habe dieses Gespräch dann sein Ende gefunden, sagen die jungen Menschen.
Obwohl inzwischen mehrere Wochen seit diesem Wochenende vergangen sind, ist den jungen Menschen noch immer anzumerken, wie sehr sie das bewegt, was sie damals im Süden Thüringens erlebt haben. Sie alle studieren an der Technischen Universität Ilmenau und sind umso erschütterter von dem Erlebten, weil sie eigentlich eine schöne Zeit an dem Bergsee verbringen, dort einen Geburtstag feiern wollten. Etwa zwanzig Männer und Frauen seien sie gewesen, sagen sie. Ihre Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen. Freilich aus Furcht davor, diejenigen, die ihnen damals begegneten, könnten sie erneut heimsuchen.
Heute wissen mehrere von ihnen, was eine zweite junge Frau mit solchen Sätzen erklärt: „Ich habe gemerkt, dass ich nicht aufgeklärt darüber war, wie die Situation mit Rechtsextremen in Thüringen ist.“ Oder: „Wir haben uns gefühlt wie in einer RTL-Reportage mit dem Titel ‚Rechtsextreme auf dem Vormarsch in Thüringen‘.“ Und weil das so ist, wollen sie unbedingt öffentlich über den Vorfall sprechen. Um andere wachzurütteln. Und um mit sich selbst ins Reine zu kommen.
Was viele der Studenten nicht für möglich gehalten haben, war neben dem Gespräch in der Nacht vor allem das, was sich ihren Angaben zufolge am Samstagvor- und -mittag auf dem Gelände des Bergsees abspielt hat: Drei bis vier Männer, erzählen mehrere der jungen Leute, hätten sie und andere Camping-Gäste mit lauten „Hitler“- und „Heil Hitler!“-Rufen mehr oder weniger aus dem Schlaf gerissen. Anschließend seien die Männer über Teile des Camping-Platzes gelaufen, hätten dort mehrere andere Gäste „besucht“ und sie mit erhobenen rechtem Arm sowie dem Ruf „Heil Hitler“ begrüßt. Bei mindestens zwei dieser Zwischenstopps hätten die Besuchten den Hitler-Gruß erwidert.
Das, erzählen die Studenten, sei für sie der Punkt gewesen, an dem sie sich zusammengesetzt hätten, um zu überlegen, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen – der Punkt, an dem ihnen klar geworden sei, „dass wir eigentlich ziemlich hilflos waren“.
Anruf bei der Polizei gescheut
Sollten sie das rechtsextreme Geschrei ignorieren, womit sie vor den Neonazis allerdings irgendwie kapituliert hätten?
Sollten sie nach Hause fahren, womit sie vor den Neonazis allerdings ebenfalls irgendwie kapituliert hätten?
Sollten sie die Polizei rufen und damit mindestens indirekt die Konfrontation mit den Neonazis suchen?
„Alle unsere Optionen“, sagt einer der Studenten, „erschienen uns irgendwie falsch.“ Den Anruf bei der Polizei hätten sie deshalb gescheut, weil sie Angst gehabt hätten, dass dann „zwei Dorfpolizisten“ kommen und sie schnell mit den Rechtsextremen wieder alleine lassen würden. Insgesamt habe deren Kerngruppe aus etwa zehn Männern und einigen Frauen bestanden. „Wir hatten da schon Angst, dass das richtig eskalieren könnte.“
An diesem Punkt wird diese Geschichte unübersichtlich. Weil die Schilderungen vor allem zu dem, was nach den Besuchen der Neonazis bei anderen Camping-Gästen folgte, in wesentlichen Details voneinander abweichen. Nicht innerhalb der Schilderungen der Studenten. Die sind präzise, detailreich und passen zueinander. Wohl aber gibt es Unterschiede in den Details dazu, wie die Studenten auf der einen und der Geschäftsführer des Erholungsgebiets am Bergsee, Frank Fischer, auf der anderen Seite den Vorfall darstellen.
Fischer sagt nämlich, er habe das alles zwar nicht selbst gesehen. Aber er habe „gehört“, bei dem Vorfall sei es darum gegangen, dass „ein Betrunkener den Hitlergruß gezeigt“ habe. Schließlich habe der Platzwart die Polizei gerufen. Der unterstütze die Ermittlungen der Kriminalpolizei in dieser Sache auch. Drei Polizisten hätten den Betrunkenen festgenommen, der „sich wohl im betrunkenen Zustand gewehrt“ habe. „Bei uns im Gelände war es eine kurze und nicht sehr große Sache“, sagt Fischer. Man dulde derartiges Verhalten auf dem Gelände des Bergsees nicht. Dass solche Straftaten auf dem Platz vorfielen, sei ohnehin „die absolute Ausnahme“.
Kapitulieren im Angesicht der rechtsextremen Gefahr?
Was die Studenten nicht nur deshalb ganz anders schildern, weil sie eben von mehrfachen rechtsextremen Provokationen am Freitagabend und am Samstagmorgen erzählen, von denen Fischer nach eigenen Angaben nichts weiß. Vor allem sagen die Studenten aber eben auch, dass einzelne von ihnen nach ihrer Zusammenkunft noch beim Platzwart Hilfe gesucht hätten, der ihnen aber nicht nur nicht habe helfen wollen, sondern einen von ihnen sogar rassistisch beleidigt habe. Danach habe es für sie keinen Zweifel mehr daran gegeben, dass es für sie an der Zeit sei, das Areal sofort zu verlassen. Von einer Konfrontation mit dem Platzwart weiß Fischer nach eigenen Angaben auch nichts.
Also doch kapitulieren, im Angesicht der rechtsextremen Gefahr? Folgt man den Schilderungen der Studenten, dann ist es eine weitere Provokation, die dieser Geschichte dann doch noch eine andere Wendung gibt: Während sie ihre Zelte abbauten, hätten die Rechtsextremen sie permanent mit weiteren Hitler-Grüßen provoziert, sagen die jungen Leute. Und schließlich habe einer der Neonazis einer jungen Frau unter ihnen mit einer Vergewaltigung gedroht.
Damit, sagen die Studenten übereinstimmend, habe für sie kein Weg an einem Anruf bei der Polizei vorbeigeführt. Deshalb seien sie es gewesen, die schließlich die Beamten gerufen hätten. Nicht der Platzwart. Das bestätigt die Polizei auch so. Eine Sprecherin der für Südthüringen zuständigen Landespolizeiinspektion (LPI) Suhl sagt, die Studenten hätten den Notruf gewählt und um Hilfe gebeten. Und in Folge des darauf folgenden Polizeieinsatzes werde nun auch nicht nur wegen eines einzelnen Hitler-Grußes eines einzelnen Betrunken ermittelt.
Polizei postiert sich um die Rechtsextremen
Nach dem bisherigen Stand der Erkenntnisse hätten auf dem Gelände zwei 27-jährige Männer mehrfach den Hitlergruß gezeigt, Bekleidung mit verbotenen Zeichen getragen und einen Mann rassistisch beleidigt, sagt die Polizeisprecherin. Zudem sei eine Frau von einem noch unbekannten Mann bedroht worden. Was sich also eher mit der Darstellung der Studenten als mit der Fischers deckt. „Im Rahmen des Einsatzes sprachen die Beamten den beiden namentlich bekannten Männern einen Platzverweis aus“, sagt die LPI-Sprecherin weiter. „Einer der beiden kam diesem umgehend nach. Der Zweite wurde, als er dem nicht nachkam, in Gewahrsam genommen.“
Der Polizeieinsatz selbst war nach übereinstimmenden Schilderungen der Polizeisprecherin und der Studenten deutlich größer, als der von den jungen Menschen erwartete Einsatz von zwei Dorfpolizisten.
Etwa fünf Mannschaftswagen der Polizei, besetzt mit jeweils mehreren Polizisten, seien auf dem Gelände und in dessen Umfeld aufgetaucht, sagen die Studenten. Sie hätten den Bus durchsucht, mit dem die Rechtsextremen auf dem Platz gewesen seien, ihre Personalien aufgenommen. „Das hat auf uns sehr professionell gewirkt“, sagt einer der jungen Menschen. Die Beamten hätten sich im Halbkreis um den Bus postiert – den Studenten damit gleichzeitig die Gelegenheit gegeben, ihre Sachen fertig zu packen – und sich trotz weiterer Provokationen der Rechtsextremen ihnen gegenüber nicht aus der Ruhe bringen lassen.
Am Ende haben die Studenten also doch nicht gekuscht vor den Rechtsextremen, sondern sind ihnen mit den Mitteln des Rechtsstaates entgegen getreten.
Man sollte etwas machen
Was vielleicht noch wichtiger ist, als all die offenen Fragen nach den ungeklärten Details des Vorfalls, die Polizei und Staatsanwaltschaft nun aufklären müssen.
Was ähnlich wichtig ist: Offenbar ist es vor allem das robuste Auftreten der Polizei, dass die Studenten letztlich davon überzeugt hat, dass sie richtig gehandelt haben; dass es falsch gewesen wäre, im Angesicht der rechtsextremen Gefahr aufzugeben. Etwas, das einmal mehr unterstreicht, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus nur dann erfolgreich sein kann, wenn die Staatsmacht und demokratische Bürger ihn gemeinsam führen. Weil weder der Staat noch die Demokraten ihn alleine gewinnen können.
„Für mich“, sagt eine der jungen Frauen, „ist jetzt ganz klar, dass ich offensiv dagegen vorgehen werde.“ Sie meint damit all die rechten Umtriebe, denen sie in ihrem Leben noch begegnen wird; nicht nur, aber eben auch in Thüringen. „Man kann das ja nicht dulden.“ Ihre Kommilitonin sagt: „Ich hoffe, dass wir zeigen konnten, dass man was machen sollte.“
Sebastian Haak / 20.09.18