Kreymeier zu „Sack Reis“:
https://youtu.be/hueQZaZjUvw Massenmord relativiert: SWR-Podcast vergaloppiert sich völlig
26.013 Aufrufe 01.09.2022 ► Ganze Folge (47 Min): https://massengeschmack.tv/clip/mt204 - per Einzelkauf oder kostenlosem Probe-Abo.
Der SWR-Podcast "Sack Reis" hat den Genozid an Bosniaken im Jahr 1995 verharmlost. Mit der Kritik daran gingen die Macher ungeschickt um. Auch ein klärendes Gespräch mit der Kritikerin Melina Borcak geriet zum Eklat.
Die FAZ vor drei Wochen:
Kritik an Podcast „Sack Reis“ : Den Genozid von Srebrenica zu leugnen, ist keine Meinung
Von Lara Kirschbaum
-Aktualisiert am 11.08.2022-08:44
Spoiler
In dem SWR-Podcast „Sack Reis – Was geht dich die Welt an?“ kam eine junge Frau zu Wort, die vom Völkermord im Bosnienkrieg nichts wissen will. Das kann die Journalistin Melina Borčak nicht einfach stehen lassen.
Ende März veröffentlichte der SWR in seinem Podcast-Format „Sack Reis – Was geht dich die Welt an?“ die Folge „Kurz vor Krieg? Der zerbrechliche Frieden in Bosnien-Herzegowina“. Die Folge sollte die politische Situation in Bosnien und die Ursachen des aufkeimenden serbischen Nationalismus in der Region thematisieren. Wie sie das tat, der Selbstbeschreibung folgend, dass hier „junge Menschen aus anderen Ländern im Gespräch mit SWR Hosts zu Wort kommen“ und „subjektive Einblicke in den Alltag junger Menschen aus dem Ausland“ geboten werden, ist bemerkenswert – eine Gesprächspartnerin leugnete den von serbischen Truppen im Juli 1995 in Srebrenica begangenen Genozid an muslimischen Bosniaken und verdrehte die historischen Fakten des Krieges im ehemaligen Jugoslawien.
Die Hosts des Podcasts sind Malcolm Ohanwe und Merve Kayikci. Ohanwe war bei der besagten Folge nicht beteiligt, dafür übernahm Kayikci die Moderation und lud die 22 Jahre alte, ethnisch serbische Milica als Gast ein. Die Politikstudentin kam 1999, vier Jahre nach dem Ende des Bosnienkriegs, zur Welt. Im Podcast der ARD sagt sie, sie wisse nicht, ob es wirklich einen Genozid in Bosnien gegeben habe – denn als es geschehen sei, sei sie nicht persönlich „vor Ort“ gewesen. Der von serbischen Truppen an Bosniaken begangene Genozid – die Ermordung von 8000 muslimischen Männern und Jungen im Juli 1995 – gilt als eines der schwersten Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und der Internationale Gerichtshof haben das Verbrechen als Genozid eingestuft. Insgesamt verloren im Krieg im ehemaligen Jugoslawien mehr als 100.000 Menschen ihr Leben. Die Gräueltaten prägen das Land und werden bis heute stetig thematisiert.
Überarbeitete Podcast-Beschreibung enthält Falschaussagen
Die aus Bosnien stammende Journalistin und Filmautorin Melina Borčak, die unter anderem für CNN, die Deutsche Welle und die ARD arbeitet, fragte beim Südwestrundfunk, der den Podcast „Sack Reis“ verantwortet, zu der Sache an. Der Sender habe ihre Bemühungen zuerst ignoriert, sagt sie. Erst nach mehreren Tagen und wiederholtem Nachsetzen habe der Sender eine überarbeitete Version des Podcasts vorgestellt.
Doch auch in der überarbeiteten Podcast-Beschreibung hätten sich, wie Borčak beobachtet hat, generalisierende und verfälschende Aussagen gefunden wie: „Damals haben sich Menschen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit bekämpft.“ Borčak korrigierte: „Menschen aller Ethnien und Religionen kämpften in der bosnischen Armee gemeinsam gegen die Völkermörder.“ In der Fachzeitschrift „journalist“ berichtet Borčak ausführlich, wie sie versuchte, beim SWR Gehör zu finden. Ihr Eindruck von der Aufbereitung des Podcasts: „Es gab keine Primärquellen, keine Recherche vor Ort, keinen Faktencheck der abgeschriebenen Inhalte, keine thematische Expertise. Sondern: Die Redakteure lasen ein paar Texte anderer deutscher Journalisten und schusterten etwas zusammen. Meiner Einschätzung nach sind solche Methoden für ein Schulreferat genügend, nicht aber für öffentlich-rechtlichen Journalismus.“
Borčak nennt ein Beispiel: In einem Post zu dem Podcast sei ein Foto der Ferhadija-Moschee in der Stadt Banja Luka gezeigt worden – „eines der Symbole des Genozids und Angriffskriegs. Alle Muslime und Katholiken der Stadt wurden ermordet, vertrieben oder ins Konzentrationslager Manjača deportiert – ein Schlachthof für Tiere, der zum Schlachthof für Menschen umfunktioniert wurde. Alle Moscheen und katholischen Kirchen wurden zerstört, darunter auch die jahrhundertealte Unesco-Welterbe-Moschee Ferhadija. Als Vertriebene nach dem Krieg versuchten, die Ferhadija wieder zu erbauen, wurden sie von einem Mob hunderter lokaler Serben gejagt und angegriffen, bis ein Mann, Murat Badić, durch Steinigung starb.“ Der SWR habe über die Ferhadija und andere zerstörte Moscheen und katholische Kirchen der Stadt geschrieben: „In Banja Luka stehen orthodoxe Kirchen, katholische Kirchen und Moscheen nah beieinander.“ Das, meint Borčak, sei „ungefähr so, als hätten US-Medien ein Stasi-Foltergefängnis oder ein Konzentrationslager als ,schönes Museum, in dem sich Menschen aus aller Welt treffen‘, beschrieben, ohne dabei ein Wort zur Realität dieses Ortes des Grauens zu verlieren.“
Einstellung der Studentin Milica sei durchaus verbreitet
Im Umgang mit der Kritik zeigte sich, nach Borčaks Darstellung, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Verantwortung diffundiert: Die Podcast-Moderatorin Merve Kayikci zog sich auf die Position zurück, sie habe weder Einfluss auf Zwischenmoderationen noch auf die Auswahl der Protagonisten. Zuständig seien die Redakteurinnen Paula Kersten und Karin Feltes. Diese hätten sich kritikresistent gezeigt.
Auf Nachfrage der F.A.Z., wie die Auswahl der Gesprächspartner für den „Sack Reis“-Podcast vonstatten geht, sagte die SWR-Sprecherin Hannah Basten, die Gesprächspartner würden in Zusammenarbeit der Auslandsredaktion des SWR und des ARD-Korrespondentennetzwerks ausgewählt. Es würden ausführliche Vorgespräche mit den Gesprächspartnern geführt und „auf dieser Basis Dossiers für die Hosts erstellt, die sie zur Vorbereitung auf das Gespräch bekommen“. Die im Podcast wiedergegebene Einstellung der Studentin Milica sei durchaus verbreitet: „Auch von anderer Expertenseite wurde uns im Rahmen der Recherche bestätigt, dass diese Haltung keine Einzelmeinung darstellt.“
Wäre es nicht angezeigt gewesen, den Podcast vom Netz zu nehmen? „Nach Rücksprache mit externen Experten und unserem Justiziariat haben wir entschieden, dass eine Depublizierung nicht geboten ist“, sagt Hannah Basten. Die Aussagen der Studentin Milica seien befremdlich, doch berge die Folge einen „Erkenntnisgewinn: dass die Ursache von Nationalismus auch in einer nicht ausreichend aufgearbeiteten Vergangenheit der eigenen Geschichte liegt . . . und dies im besten Fall zu Diskussionen anregen könne“, so Basten.
Neue Podcastfolge mit Melina Borčak
Genozidleugnung, könnte man daraus schlussfolgern, gilt im Südwestrundfunk nicht als Verneinung der Tatsachen, sondern als „Meinung“. Wie wäre es mit einer journalistischen Einordnung? Die könnte der Podcast „Sack Reis“ in seiner neuen Folge vornehmen. Sie soll am Donnerstag aufgenommen und direkt freigeschaltet werden. Zu Gast ist – die Journalistin Melina Borčak.
Somit ist ihre Kritik – mit Verzögerung – doch noch angekommen. „Gerade weil wir mit ihr darin übereinstimmen, dass dieser Genozid ein historischer Fakt ist und deshalb nicht als Meinungsäußerung gelten darf“, werde die Redaktion „mit Frau Borčak das Gespräch suchen“, schreibt Fritz Frey, der Erste Chefredakteur des SWR. „Dieser Punkt ist uns insbesondere mit Blick auf die Opfer sehr wichtig und deshalb können wir die Kritik an der Berichterstattung so nicht stehen lassen.“ Die Moderatorin Merve Kayikci habe die Aussagen der Interviewpartnerin eingeordnet und ihr im Gesprächsverlauf mehrfach widersprochen, so der SWR. „Somit wurde über eine subjektive Ansicht berichtet, aber der SWR hat sich mit diesen Aussagen zum Genozid in Srebrenica zu keinem Zeitpunkt gemein gemacht.“
Die Moderatorin Kayikci hätte freilich etwas nachdrücklicher auf die Aussagen ihrer Gesprächspartnerin eingehen können, schließlich kommen da Sätze wie: „Ich kann mich dazu äußern, was ich im Internet (über den Völkermord, d. Red.) gesehen habe. Aber ich kann mir nicht sicher sein, ob das auch die Wahrheit ist“ oder „Ich war nicht dort, und die Geschichte hat immer zwei Seiten.“ Im Vorspann der Podcast-Folge zu sagen: „Mich haben manche Dinge, die Milica erzählt hat, echt ein bisschen umgehauen“, reicht kaum aus.
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/kritik-an-podcast-sack-reis-ueber-den-genozid-von-srebrenica-18234820.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2SWR-Podcast „Sack Reis“ : Genozid, und wie man ihn leugnet
Von Michael Hanfeld
-Aktualisiert am 19.08.2022-17:11
Im SWR-Podcast „Sack Reis“ kam eine junge Frau zu Wort, die den Völkermord im Bosnienkrieg leugnet. Nun lud die Redaktion die Journalistin Melina Borčak ein, die dies heftig kritisiert hatte. Ergebnis: ein Desaster.
Spoiler
Der Kommunikationsunfall dauert 84 Minuten. In dieser Zeit versuchen die Journalistin Melina Borčak, die SWR-Moderatorin Stephanie Haiber und die Redakteurin Karin Feltes darüber zu sprechen, was in der Ende März gesendeten Folge „Kurz vor Krieg? Der zerbrechliche Frieden in Bosnien-Herzegowina“ des Podcasts „Sack Reis“ schiefgelaufen ist. Doch das gelingt nicht.
Es wird vielmehr, was schon im Argen lag, noch schlimmer. Man kann sich kaum anhören, wie die drei durcheinanderreden, sich ins Wort fallen und angiften, wie die Kritikerin Borčak Mal um Mal ansetzt, ihr Anliegen zu formulieren, sie die ebenso parteiische wie peinlich-überforderte Moderatorin Haiber permanent bittet, ihre Ausführungen „zu straffen“, und die Redakteurin Feltes sprachlos ist. Sie hat den Vorhaltungen Borčaks schlicht nichts entgegenzusetzen.
Ein Offenbarungseid
Und diese haben es in sich: Der Podcast „Sack Reis“ hatte eine junge Gesprächspartnerin namens Milica zu Gast, die von dem von serbischen Truppen begangenen Völkermord im Bosnienkrieg nichts wissen will beziehungsweise: Sie leugnet den international anerkannten Genozid. Sie war halt nicht „vor Ort“, konnte sie auch nicht, schließlich war sie, als das Verbrechen geschah – der Bosnienkrieg ereignete sich von 1992 bis 1995 –, noch gar nicht auf der Welt.
Im Podcast „Sack Reis“ stand das als O-Ton für sich. Die Moderatorin widersprach – zaghaft. Die Redaktion machte klar, dass sie die Ansicht ihres Gastes zurückweise. Aber das ist im Fall von Genozid-Leugnung, um es zurückhaltend zu sagen, zu wenig. Man könnte auch sagen: Es ist ein Offenbarungseid, das Ende von verantwortungsvollem Journalismus. Würde man, ginge es darum, einen deutschen Neonazi vorzuführen, diesem erlauben, den Holocaust zu leugnen, das dann auch noch senden?
Damit hat die freie Journalistin Melina Borčak den SWR seit vier Monaten konfrontiert, wie es ihr dabei erging, schrieb sie für das Fachblatt „journalist“ auf (F.A.Z. vom 11. August): Sie wurde abgewimmelt, von ihr angemahnte Korrekturen gab es nur ansatzweise, falsch Verharmlosendes findet sich bis heute, etwa der Satz „Damals haben sich Menschen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit bekämpft“, der so klingt, als seien die verschiedenen ethnischen Gruppen im ehemaligen Jugoslawien nach dem Motto „Jeder gegen jeden“ aufeinander losgegangen und als hätte es die rassistisch-nationalistischen Massenverbrechen der serbischen Armee (wie sie Putins Armee zurzeit in der Ukraine verübt) nicht gegeben.
70 Faktenfehler will Melina Borčak in der Podcastfolge gefunden haben, zu Gehör brachte sie in der vor vier Tagen aufgenommenen Sonderfolge mit ihr gerade Mal einen. Sie war – verständlicherweise – zu aufgeregt, sie blieb daran hängen, die SWR-Redaktion mit Vorwürfen zu überhäufen, wurde unterbrochen und redete viel zu lang. Die Moderatorin Haiber fiel ihr in kurzen Abständen ins Wort, war zwischendurch auf brutale Weise unernst und schredderte den Dialog, die Redakteurin Feltes verwahrte sich gegen Unterstellungen und war auf einen inhaltlichen Disput nicht eingestellt. So kam es zum Super-GAU, von dem Melina Borčaks Satz hängenbleibt, der SWR sei „nicht mehr zu retten“ und verspiele das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zustimmung an dieser Stelle.
Die Redakteurin Feltes kommt am Ende dieser irrwitzigen 84 Minuten zu dem Schluss, das Format des Podcasts „Sack Reis“ sei „an die Grenzen gekommen“. Da müsste die Redaktion nicht angelangt sein, wäre sie früher und anders mit der Kritik umgegangen. Nach der Sonderfolge mit Melina Borčak teilte der SWR in der Audiothek und per Twitter mit: „Es war ein Fehler, die Podcast-Folge ‚Kurz vor Krieg? Der zerbrechliche Frieden in Bosnien-Herzegowina‘ zu veröffentlichen. Wir hätten erkennen müssen, dass diese die Gefühle von Menschen verletzt, schlimmer noch, sie retraumatisiert hat. Der Genozid von Srebrenica ist ein furchtbares Kriegsverbrechen, mithin ein historischer Fakt. Unsere Einordnung der Aussagen unserer Gesprächspartnerin dazu war unzureichend. Dafür bitten wir ausdrücklich um Entschuldigung. Wir bedauern auch, dass das Gespräch mit Melina Borčak so unversöhnlich endete. Sie hatte die Ausgabe dieses Podcasts bereits im April kritisiert. Wir nehmen ihre und Eure Kritik sehr ernst und setzen uns nochmals intensiv mit den Vorwürfen und damit, was sie für unsere Arbeit bedeuten, auseinander. Bis wir das alles aufgearbeitet haben, wollen wir mit unserem Podcast ,Sack Reis‘ pausieren.“ Unser Vorschlag: Die Pause darf gern länger dauern.
Quelle: F.A.Z.
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/swr-podcast-sack-reis-zu-bosnienkrieg-ist-desastroes-18253492.htmlWas ist denn da los bei den Öffis?
Die Position „Es müssen alle Seiten gleichberechtigt zu Wort kommen!“ ist doch typisch afd und wenn jemand kommt und sagt: „Ich weiß nicht, ob das so war, ich war ja nicht dabei!“, dann sollte doch jemand, der damit sein Geld verdient, wissen, was das bedeutet?
Wofür kriegen die Sender denn so viel Geld?