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Die Flutkatastrophe jährt sich bald. Nach einem Jahr könnten auch Spenden ankommen, die "Querdenker" Bodo Schiffmann zur schnellen Hilfe gesammelt hatte.
Eine unendliche Geschichte um fast 700.000 Euro für Opfer der Flut im Ahrtal könnte jetzt ein überraschendes Ende finden: "Querdenker"-Geld, mit dem schnell geholfen werden sollte, weil der Staat das ja nicht könne, soll jetzt beim Staat landen. Spenden-Initiator Bodo Schiffmann zieht mit den von ihm oft geschmähten Behörden an einem Strang, damit die Summe fließt und das Geld endlich an der Ahr ankommt. Der nach Tansania ausgewanderte Arzt kann dann auch mit Unterstellungen aufräumen, er habe dieses Geld selbst eingesteckt.
t-online liegt ein Schreiben vor, das dem Zahlungsdienstleister PayPal in Luxemburg in dieser Woche zugestellt wurde: Schiffmanns Anwalt Ivan Künnemann fordert Paypal auf, bis Dienstag kommender Woche den Betrag von 697.659,63 Euro auf das Spendenkonto des Landes Rheinland-Pfalz mit dem Verwendungszweck "Katastrophenhilfe Hochwasser" zu übertragen.
"PayPal sollte auch Interesse haben"
Damit ist PayPal am Zug, und wenn es nicht zeitnah reagiert, droht der Gang vors Gericht. Anwalt Künnemann hofft, dass PayPal vorher einlenkt: "Es wäre absurd, diese unschöne Situation weiter aufrechtzuerhalten und hierüber jetzt zulasten der Flutopferhilfe noch einen aufwendigen Rechtsstreit zu führen. Auch PayPal sollte ein Interesse haben, diesen Vorgang nun endlich abzuschließen."
Am kommenden Donnerstag ist die katastrophalen Flut nach Starkregen ein Jahr her, die 134 Menschen das Leben kostete und Tausende Häuser zerstörte. An Tag 1 danach, am 15. Juli 2021, wurde das Ausmaß allmählich deutlich, Menschen wollten spenden. Um elf Uhr abends startete Schiffmann seine Spendenaktion in seinem Telegram-Kanal mit 150.000 Abonnenten. "Weil es immer sehr lange dauert, bis staatliche Hilfen ankommt", sammelte er privat über einen sogenannten Moneypool – "100 Prozent für die Flutopfer!".
Das Versprechen sollte ihm noch Probleme bereiten. Diskussionen darum waren möglicherweise ein Grund, warum er plötzlich nicht mehr an das Geld kam: Nach 17 Tagen des Sammelns, fast 700.000 Euro waren eingegangen, hatte PayPal den Moneypool und Schiffmanns Account gesperrt. Die aus Sicht vieler Juristen fragwürdigen AGB gaben dem Unternehmen die Möglichkeit: Den Schritt behält Paypal sich vor, wenn jemand "Geschäfte in einer Weise führt, die zu Beschwerden führt".
Er wurde das Geld nicht los
Beschwerden gab es, und viel Wirbel. Schiffmann hatte zunächst einem Bauunternehmen Geld geben wollen, das eine fortgerissene Straße erneuerte und angesichts unklarer Bezahlung abbrechen wollte. Doch daraus und aus seiner Vorstellung, dass auf den Baufahrzeugen dann Werbung für "Querdenken" gemacht werden sollte, wurde nichts: Das Unternehmen sagte mit Geld vom Staat ab.
Schiffmann hatte auch "zwei, drei besonders schwer getroffene Familien" an der Ahr vor Augen, die das Geld bekommen sollten. Dann bot er Gemeinden das Geld unter Auflagen an und forderte Unterstützer auf, Bürgermeister unter Druck zu setzen, das Geld anzunehmen. Er wurde es nicht los. Und schließlich war der Zugriff gesperrt.
Land erhielt 18,78 Mio. Euro Spenden
Die 700.000 Euro dürften die bisher größte Einzahlung auf das Spendenkonto des Landes sein. Nach Angaben des rheinland-pfälzischen Innenministeriums sind dort bis zum 31. Mai mehr als 94.000 Einzelspenden in Höhe von insgesamt rund 18,8 Millionen Euro eingegangen. Zu dem Tag seien 99 Prozent des Geldes an die betroffenen Kommunen weitergeleitet worden, die die Spenden im eigenen Ermessen an die Bedürftigen auszahlen könnten. Dieses Geld sei zusätzlich zu Fluthilfezahlungen aus den Mitteln des Landes verteilt worden. Es gingen weiterhin täglich Spenden ein.
Nach dieser PayPal-Entscheidung verbreitete Schiffmann einen Fahndungsaufruf weiter: Für Hinweise, wer bei PayPal für die Sperrung verantwortlich gewesen sei, wurden 10.000 Euro ausgelobt. "Das war aus meiner Sicht nicht angemessen", erklärt Anwalt Künnemann. "Aber aus emotionaler Sicht meines Mandanten zumindest nachvollziehbar, er wollte mit den Spendengeldern schnell und unbürokratisch helfen." Allerdings wollte er damit auch PR für "Querdenken" machen.
Neuer Verein sollte Geld nehmen
Als das Geld für zunächst 180 Tage eingefroren wurde, wurde im Taunus in Abstimmung mit Schiffmann ein Verein gegründet, der das Geld erhalten und an der Ahr einsetzen wollte. Doch bei allem Engagement fehlte den Verantwortlichen jegliche Erfahrung, zudem hatte t-online öffentlich gemacht, dass die Vorsitzende unter anderem esoterischen Hokuspokus als Hilfe verteilte. Eine Abtretungserklärung an den Verein kam nicht zum Tragen, die Vorsitzende teilte t-online mit, dass der Verein das Geld nicht annehme. Schiffmann hat es bis heute am Bein.
Und damit ist er auch in sozialen Netzwerken ständigen Verdächtigungen ausgesetzt, er habe Spendenbetrug begangen. Laut Anwalt Künnemann hat das Schiffmann "massiv belastet." Er sei "immer wieder erstaunt, wie Menschen bar jeder Kenntnis nicht mal vor den schlimmsten strafrechtlichen Vorwürfen und Spekulationen haltmachen".
Gerade war eine neue Welle entsprechender Unterstellungen aufgekommen, als der "Querdenken"-Gründer Michael Ballweg wegen Betrugsverdachts im Zusammenhang mit Schenkungen verhaftet worden war, als er sich mutmaßlich ins Ausland absetzen wollte. Schiffmann hat sich bedingungslos hinter Ballweg gestellt und zur Demonstration aufgerufen. Dabei sei es auch egal, wenn – von Reichsbürgern genutzte – schwarz-weiß-rote Fahnen dabei seien. Gegen ihn selbst gibt es eine Anklage wegen des Verdachts der Volksverhetzung und des Ausstellens falscher Maskenatteste.
Schiffmann hat angekündigt, dass es zu einem Prozess kommen werde. In Tansania hat sich Schiffmann ein neues Leben aufgebaut. Er postete vor kurzer Zeit ein Video, das zeigt, wie er dort ein Hotel aufwendig renoviert hat. Auch das hatten Kritiker in sozialen Netzwerken mit den Flutspenden in Verbindung gebracht. Schiffmann wirbt allerdings auch privat um Schenkungen an ihn.
Die Frage nach dem Verbleib der Flutspenden hat sich auch zugespitzt, weil PayPal das Geld für Schiffmann in dessen Account Ende Juni freigegeben hatte. Zugleich kann er es von dort nur auf sein Referenzkonto bei einer Bank transferieren – "die Maske auf der Seite bietet technisch keine andere Möglichkeit", erläutert Künnemann.
Wenn Schiffmann aber 700.000 Euro aus der Sammlung auf sein eigenes Bankkonto überwiesen hätte, hätte das gleich eine Reihe weiterer juristischer Probleme aufgeworfen. Deshalb soll PayPal das Geld auf das Konto des Landes transferieren.
Wenn PayPal nicht reagiert, kann es zur bizarren Situation kommen: Einer, der permanent den Staat verunglimpft, nimmt Hilfe der Justiz in Anspruch, um dem Staat Geld geben zu können. Der Geldfluss ist auch mit der für die Überwachung von Spendensammlungen zuständigen Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) so besprochen, wie eine ADD-Sprecherin t-online bestätigte. Die ADD habe das Vorgehen vorgeschlagen.
Die Behörde lieferte Schiffmann als Beleg für PayPal eine Bescheinigung, dass das Vorgehen auch in ihrem Sinne ist: Das stelle "sammlungsrechtlich eine einwandfreie und zweckentsprechende Verwendung der Sammlungserträge dar".
Schiffmanns Anwalt Künnemann lobt, die Mitarbeiter der ADD handelten "zügig, lösungsorientiert und respektvoll. Ich bin von der Behörde und den verantwortlichen Mitarbeitern tatsächlich begeistert." Und Schiffmanns ursprüngliche Überlegungen hätten sich ja erledigt: "Inzwischen sind die staatlichen Strukturen da, und aufgrund der Kontosperrung ist das jetzt auch der schnellere Weg zur Verteilung der Gelder."
Wenn PayPal mitspielt, kommt das im Juli 2021 gespendete Geld auch tatsächlich noch absehbar an der Ahr an. Paypal wollte dsa unter Verweis auf das Bankgeheimnis nicht kommentieren. Das Angebot von Moneypools, die zum Sammeln unter Freunden gedacht gewesen seien, wurde zum Jahresende 2021 eingestellt.