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Dietrich Brüggemann ist seit vielen Jahren im Filmbusiness tätig, führte unter anderem bei mehreren "Tatort"-Folgen Regie. Er war es auch, der einen Teil der an der #allesdichtmachen-Aktion beteiligten Schauspieler - viele unter anderem ebenfalls aus dem "Tatort" bekannt - für die Idee begeistern konnte. Brüggemann führte bei einigen #allesdichtmachen-Videos Regie und entwickelte die Ideen zu den einzelnen Clips gemeinsam mit anderen Mitwirkenden.
Während unter anderem Heike Makatsch, Richy Müller, Meret Becker und Ulrike Folkerts inzwischen zurückgerudert sind, stehen vor allem Jan Josef Liefers und Dietrich Brüggemann weiter hinter #allesdichtmachen und versuchen zu relativieren, was in den Augen vieler bei dem Projekt gründlich schiefgelaufen ist. Ist das wirklich Satire oder nicht doch nur Zynismus pur?
ntv.de: Fühlen Sie sich momentan von aller Welt missverstanden?
Dietrich Brüggemann: Die Aktion wurde tatsächlich missverstanden, aber ich persönlich fühle mich nicht missverstanden. Ich habe damit gerechnet, dass sie missverstanden wird. Vielleicht ist es auch notwendig. Unser Land ist momentan so zwiegespalten, dass die Aktion von einem Teil der Leute überhaupt nicht verstanden werden kann. Sie fühlen sich davon ungeheuer vor den Kopf gestoßen, ins Gesicht geschlagen und so weiter. Es ist für sie unbegreiflich, wie
man sowas machen kann. Wir leben in zwei völlig voneinander getrennten Sphären in diesem Land. Und der andere Teil hat uns sehr, sehr gut verstanden. Die E-Mail-Adresse der Seite wird überschüttet mit Nachrichten, 98 Prozent davon sagen "Danke". Die andere Seite kennen Sie ja.
Vielen ist sauer aufgestoßen, dass sich ausgerechnet privilegierte Schauspieler wie Jan Josef Liefers oder auch Ulrike Folkerts und Richy Müller vor eine Kamera setzen, um mit viel Zynismus die Corona-Maßnahmen zu kritisieren.
Erstmal: Es sind zu einem Drittel Promis, zu einem Drittel Leute, die zwar noch arbeiten, die aber keine Stars sind, und zu einem Drittel Schauspieler, die kein Schwein kennt, die noch am Anfang stehen. Die meisten von ihnen kommen gerade so durch. Und was ist daran sauer aufgestoßen? Was machen die Personen denn? Das muss ja erstmal decodiert werden. Kritik an den Maßnahmen - zu welchem Zweck? Was machen diese Videos überhaupt? Das muss man erstmal analysieren. Was wird durch den Kakao gezogen? Das ist eine komplexe Sache. Ein Beispiel: Wenn eine Schauspielerin sagt: "Ich bin zu Hause, kann ich mir leisten, denn es gibt ja viele Leute, die mir Sachen bringen. Die krempeln die Ärmel hoch, damit ich hier sitzen und mich schützen kann. Nicht gut finde ich, wenn diese Leute dann am Wochenende rausgehen aus ihren kleinen, dunklen Wohnungen und in den Parks sitzen. Davon mache ich dann Fotos und sage, dass ich die egoistisch finde." Was wird hier kritisiert?
Nun, das bezieht sich auf das Video von Heike Makatsch, und für mein Dafürhalten wird hier kritisiert, dass sich eben Superpriviligierte über die erheben, die ihnen ihr Priviligiertenleben in dieser Zeit überhaupt weiter ermöglichen.
Genau. Was wird also kritisiert? Eine privilegierte Situation, oder?
In dem Fall könnte man das so sehen, aber das gilt ja nicht für alle 53 Clips.
Gut, aber das haben wir jetzt schon mal einigermaßen decodiert, würde ich sagen. Das ist ein Einzelfall, und den möchte ich nennen, um den Vorwurf auszuhebeln, dass das alles von oben herab und menschenverachtend sei. Mit diesem Video habe ich bewiesen, dass das Umgekehrte der Fall ist. Dass hier eine privilegierte Situation kritisiert wird, indem wir sie spielerisch einnehmen und satirisch so überhöhen, damit jeder merkt, dass das bescheuert ist.
Wenn es so ist, wie Sie sagen, wie erklären Sie sich dann, dass es so viele Menschen "missverstehen"? Sind die, die es kritisieren, also einfach nur zu doof?
Dafür muss ich ein bisschen ausholen. Es heißt: "Jeder Covid-Tote ist einer zu viel", diesen Satz können wir alle unterschreiben, oder? Das impliziert aber auch, dass wir gleichzeitig sagen, jeder andere Tote ist nicht einer zu viel. Wir haben eine gewisse Anzahl an Toten, die akzeptieren wir, nur Corona-Tote akzeptieren wir nicht.
Aber Covid-Tote lassen sich durch eine - kurzfristige - Anpassung unseres Verhaltens vermeiden, während wir den Tod durch Krebs, Herzinfarkt, Alkoholismus oder auch Altersschwäche als Gesellschaft ja akut weniger beeinflussen können.
Das, was wir mit Corona machen, können wir mit allem machen. Wir können den Autoverkehr komplett einstellen, dann haben wir keine Verkehrstoten mehr. Wir könnten alle möglichen drakonischen Maßnahmen treffen, damit niemand mehr Krebs kriegt. Die Art, wie wir mit Corona umgehen, ist eine andere, als die, mit der wir mit dem Tod in unserer Gesellschaft generell umgehen. Natürlich müssten wir eigentlich sagen: Jeder Tote ist einer zu viel. Punkt. Niemand soll sterben. Aber wir sterben alle irgendwann, also haben wir als Gesellschaft einen Modus gefunden, uns durch diesen Widerspruch so durchzulavieren. Wir gehen gewisse Risiken ein. Wir fahren Auto, aber wir haben ein Tempolimit. Wir trinken Schnaps, aber nicht jeden Tag. Und jetzt kommt Covid, und da spielen wir auf einmal nach anderen Regeln. Da heißt es auf einmal: Jeder Corona-Tote ist einer zu viel. Wir haben ein neues System. Wir müssen um jeden Preis Corona-Tote verhindern. Das ist das neue Paradigma unserer Gesellschaft. Gleichzeitig läuft das alte Paradigma aber weiter. An anderen Sachen darf man weiter sterben. Wir haben ein schizophrenes System aus zwei Regelwerken, und das führt dazu, dass wir uns absurden Regeln unterwerfen und uns etwas vorlügen und uns als Gesellschaft in eine Zwangsjacke stecken, was zu psychischen Verrenkungen führt. Wenn wir sagen, jeder Corona-Tote ist einer zu viel, dann können die Maßnahmen nie genug sein, und das kritisieren wir mit dieser Aktion. Das führt dann irgendwann zum Exzess, den übersteigern wir, indem wir es nochmal viel weiter drehen. Die Message, die dabei rauskommen könnte, und das ist die bittere Wahrheit, ist: Dass es uns als Gesellschaft irgendwann gelingen muss, dass wir auch Corona in unser etabliertes, erprobtes Verhältnis zum Tod einbauen.
Nun gibt es den Autoverkehr schon eine Weile, Corona aber gerade mal etwas mehr als ein Jahr. Wir sind in einer Findungsphase. Der Mensch, die Politik, die Wissenschaft. Lösungsansätze bietet die Aktion #allesdichtmachen ja nun auch nicht. Oder haben Sie welche?
Es ist nicht die Aufgabe von Schauspielern, Musikern, Künstlern, Lösungen zu präsentieren. Es ist unsere Aufgabe, das Problem beim Namen zu nennen. Für Lösungen sind andere zuständig. Und Lösungsvorschläge gibt es doch zuhauf. Seit einem Jahr sind lauter kluge Leute dabei, der Politik zu sagen, es ginge auch alles ganz anders. Es gibt eine Gruppe von alten, erprobten Medizinern um einen gewissen Matthias
Schrappe. Die schreiben ein Thesenpapier nach dem anderen, wie man das alles anders und deutlich besser machen könnte. Die werden komplett ignoriert. Sie kommen manchmal in den Medien vor, das war's dann aber auch. All das wird ignoriert. In den Medien gibt es schon ein bisschen Widerspruch, aber es bleibt vollkommen wirkungslos. Ein Widerspruch bis zum gewissen Grad ist vollkommen okay, aber wenn man dann zu laut wird oder zu grell, dann wird aufgeheult. Dann gibt es einen unglaublichen Shitstorm. Deswegen ist es tatsächlich so, dass sich Leute nicht trauen, ihre Meinung zu sagen. Diese Aktion war natürlich auch ein Versuch, diesen verengten Diskursraum zu sprengen.
Aber Sie sind dennoch das Risiko eingegangen, von gewissen Leuten und Organisationen - darunter Ken Jebsen, Roland Tichy und die AfD - Applaus zu erhalten. Das muss Ihnen doch vorher bewusst gewesen sein. Haben Sie das billigend in Kauf genommen oder sogar einkalkuliert?
Man musste damit rechnen, egal ist mir das nicht. Ich bin kein Freund der AfD. Das überrascht Sie jetzt vielleicht, ich finde diese Partei schrecklich. Ich habe mein ganzes Leben lang gehandelt und gedacht auf Pfaden, die ich richtig fand. Nach meinem eigenen Urteil das getan, was ich richtig fand und nicht geschaut, was die anderen machen oder ob ich damit links oder rechts bin. Das, was ich für sinnvoll hielt, war fast immer eher links. Auch in dieser Situation tue ich, was ich für richtig halte, und auf einmal sehe ich mich in Gesellschaft mit der AfD und Teilen der FDP und Sahra Wagenknecht. Warum wird mir deren Zuspruch nicht vorgeworfen?
Weil die meisten Menschen die AfD als gefährlicher einstufen würden als Frau Wagenknecht vermutlich.
Wenn sich in der politischen Sphäre nur die AfD für sowas zuständig fühlt, ist das nicht mein Problem, sondern das Problem unserer Öffentlichkeit. Das heißt doch, dass wir dieses Thema der AfD dringend wieder wegnehmen müssen. Die Diskussion, wie viel Lockdown verhältnismäßig ist und wie viel wir kaputt machen in unserer Gesellschaft - das kann man doch nicht der AfD überlassen. Und den Prozess dann stigmatisieren und jedem, der protestiert, sagen: "Du vertrittst jetzt hier AfD-Positionen." Das ist doch totalitär. Damit ist das ganze Thema im Keim erstickt.
Sehen Ihre Mitstreiter das anders? Viele von denen rudern ja gerade zurück, haben sich von der Aktion #allesdichtmachen und natürlich den die Aktion feiernden Querdenkern, Rechten und der AfD distanziert ...
Ich äußere mich prinzipiell nicht zum Verhalten von anderen Leuten, das sollen sie selber machen. Aber generell und in der Gruppe kann ich Ihnen sagen, dass so ein Shitstorm gar nicht so leicht auszuhalten ist. Das macht die Leute wirklich fertig. Teilweise kriegen sie Morddrohungen. Von einigen Leuten, deren Videos nicht mehr online sind, weiß ich, dass die komplett hinter der Aktion stehen und das wahnsinnig wichtig finden, aber die Kinder werden bedroht und sie möchten das Video deswegen erstmal nicht mehr online haben.
Glauben Sie, dass diese Aktion mit dem öffentlichen Diskurs noch in eine brauchbare Richtung gelenkt werden kann oder ist das Kind in den Brunnen gefallen und die Sache in Ihrem Sinne gescheitert?
Unser Ansatz war, dass wir den Diskursraum wieder aufmachen, und das ist geglückt, es wird drüber geredet. Wir wollten das Thema in die Mitte holen. Jens Spahn hat in der Pressekonferenz gesagt, dass er mit denen reden würde. Armin Laschet hat ein bisschen rumgedruckst (Im Gespräch mit Liefers bei "3nach9" - Anm.d.Red.), aber er hat Verständnis signalisiert. Warum machen diese Leute das? Die haben politischen Instinkt. Die haben gemerkt, dass ein großer Teil der Bevölkerung dahinter steht. Dass viele Millionen Menschen in diesem Land die Welt nicht nicht mehr verstehen und die Maßnahmen in dem Ausmaß auch nicht mehr mittragen wollen. Dass wir damit auch eine Wahrheit ausgesprochen haben. Dass jede Menge Heuchelei und Selbstbetrug im Spiel sind, auch von Seiten der bessergestellten Klasse, die auf Twitter die Lufthoheit hat.
Aber warum sind unter anderem Sie der Richtige, um für diese vielen Millionen Menschen in die Bresche zu springen?
Film wird immer identifiziert mit roter Teppich und Glamour. Das ist völliger Quatsch. Wenn man Filme macht, kommt man vor allem rum, und zwar auch an die obersten und untersten Ecken der Republik. Wenn man in einem Keller drehen will, steht man vorher in fünf Kellern auf Motivbesichtigung, lernt den Hausmeister kennen, den Typ, der die Halle aufsperrt oder den Hund dressiert. Man ist auf eine andere Weise volksnah als das ein Journalist oder ein Politiker ist, die immer nur unter ihresgleichen sind. Ich habe über die Jahre schon mitbekommen, wie die Leute ticken. Es ist nur ein Gefühl, aber das sagt mir, dass wir in diesem Land eine ganz große Gruppe von Menschen abgehängt haben und deren Leben kaputt machen auf eine Art, die eigentlich nicht mehr zu vermitteln ist. Und die vielen E-Mails, die da kommen, die geben mir Recht.
Prallt die Kritik, der sogenannte Shitstorm, an Ihnen weitgehend ab? Immerhin kann sowas in Zeiten von "Cancel Culture" auch ganz schnell berufliche Probleme mit sich bringen.
Ich finde es nicht angenehm, ich hätte lieber eine Welt, in der sich alle lieb haben. Aber diese Hassattacken auf Leute, wie man auch bei Hendrik Streeck seit einem Jahr beobachten kann - die Schärfe, der Tonfall, der totalitäre, einseitige Vernichtungsfuror, der sich ihm gegenüber breit macht - der drängt das ganze Land in eine Richtung, in der ich nicht sein möchte. Wenn sich unser Land jetzt in einen Staat verwandelt, wo man für seine Meinung so derartig berufliche Nachteile zu befürchten hat, dann möchte ich diese Position hier auch nicht mehr haben. Wenn ich vorher noch daran mitwirken kann, dass sich das vielleicht wieder ändert, setze ich auch gern alles auf Spiel, was ich habe. Und setze auch gerne diese durchaus privilegierte Situation ein, um meine Stimme zu erheben. Natürlich tue ich das auch für die, die keine Stimme haben. Kinder, die ein Jahr ihres Lebens versäumen, die durchdrehen mit dieser ganzen Maskengeschichte. Das ist millionenfach der Fall. Der Blick in andere Länder zeigt, dass da auch nicht die riesen Katastrophe eingetreten ist.
An welche Länder denken Sie da?
Teile von Amerika haben schon im Herbst wieder aufgemacht. Schweden hatte die ganze Zeit keinen Lockdown. Schweden hatte am Anfang hohe Zahlen, steht aber in der zweiten Welle besser da als Deutschland. Die Maßnahmen dort sind moderat und vor allem zivil.
Portugal, Italien, Frankreich ...
Da ist es auch mit Maßnahmen explodiert. Wir sagen immer nur: Modellrechnung Riesenwelle. Die Riesenwelle kommt nicht, die Maßnahmen haben funktioniert. Das ist ja wohl eine logisch eingeschränkte Denkweise. Wenn wir uns die ganze Welt anschauen, sehen wir keine großartige Korrelation zwischen Maßnahmen und Pandemieverlauf. Da kommen immer mehr Studien, die sagen, Lockdown bringt wenig bis gar nichts. In der Presse steht wenig davon, aber wenn man ein paar internationalen Wissenschaftlern auf Twitter folgt, dann sieht man da schon einiges. Wenn man das in Deutschland sagt, wird man wieder gleich als Querdenker beschimpft. Und das ist ein bisschen schwierig.
Würden Sie eine solche Aktion noch einmal genauso machen oder doch eher ganz anders? Vielleicht mit weniger Sarkasmus beziehungsweise Zynismus und eher mit deutlichen, klaren Worten?
Hätten wir etwas mit klaren Worten gemacht, sowas wie: "Ich bin Jan Josef Liefers, ich bin Schauspieler und gegen die Maßnahmen, denn sie sind unverhältnismäßig", dann hätten wir genau denselben Shitstorm gehabt.
Als sich Till Brönner im vergangenen Jahr in einem Video mit deutlichen Worten zum Umgang mit der Kunst- und Kulturszene geäußert hat, gab es keinen Shitstorm.
Der hat für die Verantstaltungszenen gesprochen. Hat das irgendwas gebracht? Hat das irgendwen interessiert? Niemanden, der etwas zu sagen hat. Und wenn wir diese Aktion unironisch gemacht hätten, das hätte vielleicht einen etwas kleineres Shitstorm gegeben, es hätte aber auf jeden Fall weniger Unterhaltungswert gehabt und wäre nicht so auf breiter Front geteilt worden. Die Videos stehen weiter bei Youtube und werden beschimpft als menschenverachtend, zynisch und Verhöhnung der Opfer. Aber ist das wirklich eine Verhöhnung der Opfer? Eher doch nicht.
Vor allem das Video von Richy Müller, in dem er in zwei Tüten spricht und atmet, kam nicht gut an. Die Leute sahen darin die Darstellung eines Beatmungsgeräts und fanden es pietätlos.
Es hat nichts mit Beatmung zu tun. Es persifliert eindeutig die vielen Gedanken, die wir uns machen um Raumluft und Aerosole. Da muss man schon sehr böswillig sein, um etwas anderes zu unterstellen. Wenn man aber natürlich von vornherein der Meinung ist, dass wir zynische, menschenverachtende Arschlöcher sind, dann braucht man nicht mal Phantasie, um das darin zu sehen, klar.
Mit Dietrich Brüggemann sprach Nicole Ankelmann
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Die Aktion „#allesdichtmachen“ sollte wohl den Eindruck erwecken, dass lauter bekannte Schauspieler:innen Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus ablehnen. Doch in den zwei Tagen seit der Veröffentlichung der Clips auf YouTube ist dieses Bild ins Wanken geraten. Fast jeder dritte Beitrag wurde offenbar zurückgezogen, in den sozialen Netzwerken und Interviews gehen Teilnehmende auf Distanz, sie relativieren, sprechen von einem Missverständnis und bitten um Verzeihung.
Überraschend ist dabei vor allem, wie überrascht sich manche:r über die deutliche Kritik an der Aktion zeigt. Wieso würden 53 Schauspieler:innen praktisch mit Anlauf in einen Shitstorm springen?
Die Antwort auf diese Frage könnte mit Dietrich Brüggemann zu tun haben. Der Regisseur und Drehbuchautor ist in der deutschen Film- und Fernsehszene hoch angesehen, 2019 durfte er sogar beim Europäischen Filmpreis Regie führen. Zugleich ist er bestens vernetzt. Mit einer Reihe von Schauspieler:innen, die an „#allesdichtmachen“ mitgewirkt haben, drehte er zuvor eigene Filme, Richy Müller und Ulrich Tukur etwa spielten Hauptrollen in seinen „Tatort“-Produktionen.
Brüggemanns Anteil an der Aktion ist undurchsichtig, aber in der Geschichte über den Shitstorm ist der Filmemacher womöglich eine Schlüsselfigur. Auffällig ist: Wo andere zurückrudern, teilt der 45-Jährige jetzt erst so richtig aus. Am Freitagnachmittag beklagt er gegenüber netzpolitik.org am Telefon ein „alleiniges Regime des Coronavirus“, aus seiner pauschalen Ablehnung der Schutzmaßnahmen macht er keinen Hehl. Mehrere Beteiligte sehen ihn im Zentrum der Kampagne, er selbst hingegen spielt seine Rolle herunter.
„Diese Aktion besteht aus 50 Einzelstimmen und ich bin eine dieser Einzelstimmen.“ Er sei nicht derjenige, der sich das alles ausgedacht habe, auch nicht der Urheber oder der Rädelsführer. Als wir ihn fragen, wer die Fäden zusammengeführt habe, spricht er bloß von einer „starken Gruppe“. Ob das heiße, dass die rund 50 Beteiligten über Entscheidungen abgestimmt hätten? „Ungefähr so, müssen Sie sich das vorstellen, strengen Sie Ihre Fantasie an!“
Unterschiedliche Vorzeichen
Aussagen von Beteiligten wecken Zweifel daran. Die Clips mögen allesamt unter der Überschrift „#allesdichtmachen“ erschienen sein, doch die Vorzeichen, unter denen Einzelne an der Aktion mitgewirkt haben, unterschieden sich zum Teil offenbar deutlich.
So meldete sich am Morgen nach der Veröffentlichung der Wiener Schauspieler Manuel Rubey zu Wort. Eine nicht näher benannte Person, die er sehr schätze, habe ihn gefragt, ob er einen Beitrag über die Bedeutung der Kunst machen wolle – die übrigen Videos von „#allesdichtmachen“ habe er gar nicht gekannt, sagt er in einem Video, das er auf Twitter veröffentlicht hat.
„Tatort“-Kommissar Richy Müller berichtete dem Fernsehsender ntv hingegen, er sei gefragt worden, ob er bei einer Aktion für jene Menschen mitwirken wolle, die „beim Lockdown durchs Raster fallen, die man nicht wahrnimmt“.
Der Schauspieler Kida Khodr Ramadan („4 Blocks“) war an „#allesdichtmachen“ nicht beteiligt, nach eigenen Angaben aber angefragt worden, erzählt er in einem Video auf Instagram. Er habe dabei jedoch kein gutes Gefühl gehabt, weil ihn die Erfinder der Aktion nie richtig aufgeklärt hätten. Ramadan zufolge hätten sie verschwiegen, „um was es geht und was es soll“.
Autor, Regisseur, Cutter
Es ist nicht bekannt, wer genau Ramadan kontaktiert haben soll. Richy Müller sagte ntv, er sei von Brüggemann angesprochen worden, mit dem er sehr gern und sehr vertraut zusammenarbeite. „Ich dachte eigentlich, das er der Kopf der Aktion ist, deshalb habe ich das nicht weiter hinterfragt.“
Der Filmproduzent Bernd Katzmarczyk Wunder, der von München aus arbeitet, erzählte dem NDR-Magazin ZAPP, Brüggemann sei einer von drei Initiatoren gewesen, gemeinsam mit den Schauspielern Jan Josef Liefers und Volker Bruch. Wunder müsste wissen, wovon er spricht – mit seiner Firma steht er im Impressum der offiziellen Website. ZAPP zitiert ihn auch mit der Aussage, er selbst und Brüggemann hätten die Videos in Berlin, München und Wien gedreht und schließlich geschnitten.
Das RedaktionsNetzwerk Deutschland schreibt, der Regisseur habe die meisten der Clips gedreht. Rund zwei Dutzend der Videos, in denen vorwiegend in Berlin lebende Schauspieler:innen auftreten, wurden nachvollziehbar im selben Raum gedreht.
Der Wahlberliner Brüggemann räumt grundsätzlich ein, Schauspieler:innen ermuntert zu haben, bei „#allesdichtmachen“ mitzumachen, auch gibt er zu, mehr als nur sein eigenes Video gedreht zu haben – auch wenn nicht sämtliche in Berlin entstandene Videos von ihm gedreht worden seien, etwa weil manche sich selbst mit dem Handy aufgenommen hätten.
Auch die Texte, welche die Schauspieler:innen vortragen, stammen teilweise aus seiner Feder. „Irgendwelche Leute haben Textfetzen in die Runde geworfen, dann haben andere Leute was dazu geschrieben“, sagt Brüggemann. Er habe nicht Buch geführt, welchen Text er geschrieben habe und welchen nicht, betont aber: „Ich als Autor und Regisseur bin natürlich in der Lage, etwas dazu beizutragen.“
Auch inhaltlich, könnte man sagen, ist Brüggemann durchaus erfahren darin, die Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus zu kritisieren. „#allesdichtmachen“ ist nur eine Form, die seine Pauschalkritik in den vergangenen Monaten angenommen hat. Er hat noch weitaus mehr geschrieben als Texte für Videos, die nun einen Shitstorm ausgelöst haben.
„Steckt euch eure Hygienemaßnahmen in den Arsch“
Auf dem Soundcloud-Profil mit dem Namen „Noisy Nancy“ fand sich ein Song, der mit den folgenden Zeilen beginnt: „Steckt euch euren Polizeistaat in den Arsch, steckt euch eure Maskenpflicht in den Arsch, steckt eure Abstandsregeln in den Arsch, steckt euch eure Hygienemaßnahmen in den Arsch.“
„Noisy Nancy“ ist ein kaum bekanntes Projekt, hinter dem niemand sonst steckt als Dietrich Brüggemann. Bei der Musik handelt es sich offenbar um ein auf „Querdenken“-Demos beliebtes Lied, das er neu aufgelegt hat. Seit seine Autorenschaft bekannt wurde, hat jemand den Track von der Musikplattform Soundcloud entfernt.
Auf seinem Blog, wo Brüggemann vor allem oberflächliche Gesellschaftskritik veröffentlicht, stehen noch immer Texte, in denen er pauschal die Schutzmaßnahmen in Frage stellt. Schon im März 2020, als die Pandemie mit inzwischen mehr als drei Millionen Toten erst ganz am Anfang stand, beklagte er demnach „gelegentlich totalitäre Züge“.
Im vergangenen Monat erschien auf dem Blog ein wohl satirisch gemeinter Ausblick auf eine mögliche Zukunft. Darin beschreibt er eine fiktive Chronologie mit einem noch lange andauernden Lockdown und neuen Gesetzen, wie man sie höchstens aus autoritären Staaten kennt.
Im Gespräch mit netzpolitik.org sagt der Filmemacher, er würde niemals leugnen, dass das Coronavirus etwas sei, das weit über eine saisonale Atemwegserkrankung hinausgehe. Aber er sagt auch Dinge wie: „Ich möchte mal eine klare Untersuchung sehen, ob die Maskenpflicht überhaupt etwas bringt oder nicht.“ Dabei gibt es solche Untersuchungen längst, Forscher:innen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz etwa kamen in einer Studie zu dem Schluss, dass ein Mund-Nasen-Schutz das Risiko einer Infektion mit dem Coronavirus um fast die Hälfte senkt.
Der Regisseur gibt an, er lese eigentlich lieber die Süddeutsche Zeitung, müsse sich Nachrichten zu „alternativen Ansätzen ohne Lockdown“ nun aber „irgendwie in alternativen Medien zusammensuchen“.
Ganz allgemein könnte man wohl sagen: Mancher, der sich sogenannten Alternativmedien zuwendet, tut dies auch, um sich die Wahrheit auszusuchen, an die er glauben möchte.
Dass es Auswirkungen auf eine Aktion wie „#allesdichtmachen“ hat, wenn jemand die Maßnahmen pauschal ablehnt, wie Brüggemann das tut, und dann auch noch an den Texten mitwirkt und viele der Videos inszeniert, scheint vorstellbar. Mit dem, was dabei am Ende herausgekommen ist, sind nicht mehr alle Beteiligten zufrieden.
Brüggemann erwartete einen Shitstorm – andere wohl nicht
Auf der Website von „#allesdichtmachen“ ist an diesem Samstag ein langer Text erschienen. „Dies ist kein offizielles Statement von sämtlichen Teilnehmer:innen der Aktion“, steht darunter. Diffus bleibt damit, wessen Sichtweise es tatsächlich entsprechen soll. Die Verfasser:innen schreiben aber: „Einige aus der Gruppe sind erschrocken über den Shitstorm.“
Die Meinungen darüber, inwiefern „#allesdichtmachen“ sein Ziel erreicht hat, gehen auseinander. Für die zahlreichen Schauspieler:innen, die ihre Beiträge zurückgezogen haben – darunter dem Anschein nach auch Manuel Rubey und Richy Müller – dürfte die Einschätzung eher negativ ausfallen. Heike Makatsch, die als Erste einen Rückzieher gemacht hat, versah ihre Bitte um Entschuldigung auf Instagram zunächst mit dem Hashtag „#womöglichgescheitert“.
Dietrich Brüggemann, der maßgeblich zu der Kampagne beigetragen hat, wertet die „überschäumenden Reaktionen“ indes als Erfolg. Die Aktion habe eine Wirkung erzielt, etwas ausgelöst, sagt er. Den Shitstorm, räumt er ein, habe er erwartet. Damit scheint er sich von einigen Schauspieler:innen zu unterscheiden, die bloß ihren Text eingesprochen haben wollen und nun in den sozialen Medien und in Interviews Schadensbegrenzung betreiben.
Brüggemann dagegen teilt gegen Kritiker:innen weiter aus. Er schimpft, die Leute verlören jedes Maß, im Prinzip sei es ein Lynchmob, der sich da zusammenrotte, und Leute privat und beruflich fertigmachen wolle. „Das ist in der Struktur faschistoid.“ Auf Twitter teilte er die Behauptung, „#allesdichtmachen“ sei viel weniger Kritik an den Maßnahmen und der Regierung, als an denen, die laut und entrüstet bellten.
Es gibt einen alten Artikel über Brüggemann, ausgerechnet in der Süddeutschen Zeitung, der er heute Alternativmedien vorzieht. Der Text handelt von seiner Band mit dem Namen „Theodor Shitstorm“, was wohl eher Zufall ist. Aber der Regisseur verrät auch eines seiner „Lieblingsthemen“, das rückblickend viel mit dem zu tun haben könnte, wozu sich nun „#allesdichtmachen“ entwickelt hat: „Auf die Fresse.“
Korrekturhinweis: Wir hatten zunächst geschrieben, der „Noisy Nancy“-Song sei auf einer „Querdenken“-Demo gespielt worden. Offenbar handelte es sich dabei um eine andere Fassung des Liedes, die nicht von Brüggemann stammt. Wir haben das korrigiert.