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„200. Abendspaziergang“: Höcke redet von PommesStand: 06:01 Uhr | Lesedauer: 7 Minuten
Von Frédéric Schwilden
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Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD in Thüringen, hatte ein bestimmendes Thema in Dresden: Pommes
Quelle: pa/dpa/Robert Michael
Zum 200. Mal demonstrierte Pegida in Dresden und gekommen war die Crème de la Crème der deutschsprachigen Verfassungsfeinde. Eine Reportage aus dem „Irrenhaus Deutschland“.Zwischen den paar Tausend Menschen der „patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ am Neumarkt in Dresden stehen zwei Typen mit Akkordeon und Trommel. Und da hängt noch so ein Wimpel an einem Stab, den einer hält. Und da steht „Volksliedertafel Dresden“ drauf. Auf ihren Köpfen tragen sie alte NVA- und Pudel-Mützen. Sie verteilen Blätter mit Liedtexten. 20 Rentner und Rentnerinnen singen das Lied „Märkische Heide“ von Gustav Büchsenschütz. Das ist ein Dichter, der Anfang des 20. Jahrhunderts der Wandervogelbewegung angehörte.
„Steige hoch, du roter Adler / Hoch über Sumpf und Sand / Hoch über dunkle Kiefernwälder / Heil dir mein Brandenburger Land“, singen die sächsischen Rentner. „Heil“ rufen einige dabei extralaut. Ihre Stimmen überschlagen sich regelrecht. Und der wegen Volksverhetzung verurteilte ehemalige Lehrer und Holocaust-Leugner Nikolai Nerling filmt das Ganze für seine Internetseite und grinst dabei.
Pegida-Demonstranten laufen am Fürstenzug vorbei, schwenken Flaggen. Das islam- und ausländerfeindliche Bündnis hatte zum "200. Dresdner Abendspaziergang" aufgerufen
Quelle: pa/dpa/Robert Michael
„Ist er es wirklich“, fragen zwei Männer mit Glatze und Bart. Sie rauchen und dann sagen sie: „Krass, der ist ja echt da.“ Vor ihnen steht Martin Sellner, ein junger Österreicher, der als Anführer der Identitären Bewegung gilt, einer vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Vereinigung. Sellner macht einige Selfies mit Demonstranten. Auch er grinst.
Die Crème de la Crème deutschsprachiger Verfassungsfeinde
Die Crème de la Crème der deutschsprachigen Verfassungsfeinde ist sichtlich gut gelaunt auf der 200. Demonstration von Pegida. Organisator Lutz Bachmann ist natürlich auch wegen Volksverhetzung vorbestraft. Irritierenderweise versichert Bachmann mehrfach an diesem Abend, kein Nazi zu sein. Als Star-Redner hat Bachmann Björn Höcke für diesen Abend eingeladen. Der wiederum ist ja wenigstens Faschist.
Lutz Bachmann, Pegida-Anführer und wegen Volksverhetzung vorbestraft, betont an diesem Abend mehrfach, kein Nazi zu sein
Quelle: pa/dpa/Robert Michael
4.000 Menschen sollen an diesem Abend auf dem Dresdner Neumarkt stehen. Die Polizei will dazu keine genauen Angaben machen. „Die einen sagen so, die anderen so. Eine offizielle Zahl werden sie von mir nicht bekommen“, sagt ein Beamter aus dem Lagezentrum nach der Veranstaltung am Telefon. Die Zahl der Gegendemonstranten schätzt man auf 2.500 bis 3.000.
Gegendemonstranten halten ein Plakat mit der Aufschrift "Wenn man sonst nichts hat...ekelhAFD"
Quelle: pa/dpa/Robert Michael
Pegida wurde am 19. Dezember 2014 gegründet. Vor der Flüchtlingskrise also. Und mit heute mitgerechnet haben sie jetzt schon 200 Mal gegen die Islamisierung des Abendlandes demonstriert. Zum 200. Mal gegen die Islamisierung des Abendlandes zu demonstrieren, ist in etwa so, wie 200 Mal dagegen zu demonstrieren, dass China der EU beitritt – kann man machen, ist aber auch irgendwie sinnlos. Weil es ja überhaupt nicht zur Debatte steht.
„Gleich kommt Höcke. Stimmung gut.“
Es wird sehr viel geraucht auf der Demonstration. Vor allem Selbstgedrehte. Dieser Rauch mischt sich dann mit den Parfürms älterer Herren zum charakteristischen Pegida-Fragrance. Die Polizei wird später in ihrer Pressemitteilung von einer Geruchsbelästigung „unbekannter Herkunft“ schreiben.
Einer der älteren Pegida-Herren erzählt einem anderen, dass sie sein Konto gepfändet hätten, weil er den Rundfunkbeitrag nicht mehr bezahlen wollte. „Die haben dann Amtshilfe beantragt. Dabei ist die GEZ doch gar kein Amt.“ Ein Gerichtsvollzieher sei dann auch mal vor seiner Tür gestanden. Er hätte aber weiter nicht bezahlt. Die Bank würde ihm deswegen keinen Dispo mehr geben. „Aber die GEZ hat nicht gewonnen“, sagt er.
Demonstranten halten vor der Frauenkirche auf dem Dresdner Neumarkt ein Schild mit der Aufschrift "Bravo B. Höcke! 200. Spaziergang, Dresden steht!"
Quelle: pa/dpa/Robert Michael
Daneben schreibt eine Frau mit vielen Ringen an ihren Fingern in ihr Tablet in eine Telegram-Gruppe: „Gleich kommt Höcke. Stimmung gut.“ Eine andere Nutzerin in der Telegramgruppe schreibt, dass sie Österreicherin sei, aber Dresden aus der Ferne unterstütze. „Österreich gehört zu Deutschland. Du bist auch Deutsche“, antwortet jemand darauf. Darunter postet ein anderer das Foto eines grinsenden Hais. Und wieder ein anderer erzählt davon, wie er NVA-Wachdienst an der deutsch-deutschen Grenze gehabt hätte. „Wir mussten nicht schießen. Wir haben die, die in die Minen getreten waren, da rausgeholt. Die sind meistens verblutet, und wir haben dann drei Tage frei gekriegt nach so einem Vorfall.“
Sämtliche Logik gilt hier nicht mehr
Und während das alles passiert, steht vorne Lutz Bachmann auf der Bühne und sagt, dass der Green Deal nach dem Migrationspakt das nächste Ding wird, „was die Identitäten der Nationen zerstören wird.“ Er kommt dann auf Angela Merkel zu sprechen. Jemand ruft: „die alte Dreckssau“, der Rest stimmt mit „Pfui“- und „Genau“-Rufen ein, die sich in einem mehrfachen „Merkel muss weg“ verdichten. Dazu werden allerlei Schilder mit Slogans wie „Mobilfunk macht krank!“ oder „Keine 3. Diktatur in Deutschland“ hochgehalten. Dazu noch Fahnen. Ich meine, eine Reichskriegsflagge zu sehen.
Bei Pegida in Dresden hält man die Bundesrepbulik Deutschland für eine Diktatur
Quelle: Frédéric Schwilden
Die Polizei wird an diesem Abend zwei Fahnen konfiszieren und Strafverfahren einleiten. Ein Mann drückt mir eine schwarz-weiß-Kopie eines Screenshots von einem Smartphone in die Hand. Darauf steht „ZUSCHAUERBETREUUNG VOM FEINSTEN. ANDREAS KYNAST IST KORRESPONDENT IM HAUPTSTADTSTUDIO DES ZDF.“ Der Akku des Telefons hatte zum Zeitpunkt des Screenshots 56 Prozent. Es war 12:26 Uhr. Und dann steht da noch „Hey Schranze, ich zahle Rundfunkbeitrag, also lassen Sie sich gefälligst beleidigen, Sie arroganter Kinderschänder:“ Dazu ist noch ein Impressum des Zettel-Verteilers aufgeführt. „Jürgen Schmidt äußert sich mit diesem Flugblatt in seiner Eigenschaft als Privatperson und ist Verantwortlicher im Sinne des Presserechts.“ Weiter heißt es: „Nachdruck / Vervielfältigung ist ausdrücklich gestattet.“
Und ich halte diesen Zettel in der Hand. Und ich weiß absolut nicht, wie ich damit umgehen soll. Diese Menschen hier sehen absolut normal aus. Sie tragen Jacken. Sie haben Schuhe an und Hosen. Sie haben Köpfe. Hände. Ohren. Und Augen. Und Haare. Ich will damit sagen, sie sehen ganz normal aus, sie bluten nicht aus dem Kopf und sie stehen auch, so weit ich das beurteilen kann, nicht unter irgendwelchen neuartigen Drogen. Ich will damit sagen: Ich bin sprachlos. Sämtliche Logik gilt hier nicht mehr. Im Prinzip könnte hier auch ein Mann auf einem Krokodil einreiten und ganz laut „Freiheit für Clint Eastwood“ auf kroatisch rufen, so absurd ist das alles hier.
Nicht das hellste Licht: Eine Laterne auf der Pegida-Demonstration
Quelle: Frédéric Schwilden
Die Pegida-Leute laufen dann einen Kreis um den Platz. Sie nennen das „Spaziergang“. Die Gegen-Demonstranten pfeifen sie aus. Frauen Mitte 50, Typ SPD-Stadträtin, zeigen ihnen dabei ihre Mittelfinger. Rastagirls tanzen in zerrissenen Strumpfhosen und rufen „ihr Süßen Nazis“. Und natürlich kiffen einige. Und zwischen Pegida und den Gegendemonstranten stehen 445 Polizisten und Polizistinnen.
Björn Höcke ist jetzt Achtsamkeits-Faschist
Um kurz nach acht betritt AfD-Politiker Björn Höcke die Bühne, die mit dem Schriftzug eines rechtsextremen Blogs verziert ist. Auf der offiziellen Pegida-Seite steht zu Höckes Besuch: „Der Zeitpunkt, an dem das scheindemokratische Gebilde, das seit 30 Jahren Stein für Stein errichtet wurde, ins Wanken gerät, könnte besser nicht sein.“ Weiter heißt es: „Das Fass ist voll, dieser letzte Tropfen müsste nun herausschwappen.“ Liest sich irgendwie wie die Ankündigung eines Bürgerkrieges.
AfD-Politiker Björn Höcke sprach an diesem Abend unter anderem über Pommes
Quelle: Frédéric Schwilden
Höcke berichtet davon, dass sein Sohn ihm von einem Youtuber erzählt hätte, der immerzu „Pommes“ sagen würde, „auch wenn er in ein Sushi-Lokal geht“, wie Höcke sagt. Dann sagt Höcke: „Pommes. Pommes. Pommes.“ Das ist wirklich nicht ausgedacht. Das alles passiert in Dresden in Deutschland im Februar 2020. Kurz darauf sagt Höcke: „Deutschland ist ein Irrenhaus.“
Es folgen typische Höcke-Sätze wie „Frau Merkel arbeitet an einer neuen SED“. Oder: „Eine moralinsaure Elite hebelt das Prinzip der Mehrheit nicht aus. Das dürfen wir, die aufrechten Demokraten im Land, nicht durchgehen lassen.“
Und dann offenbart Höcke eine ganz neue Seite. Höcke ist jetzt Achtsamkeits-Faschist. „Lasst euch das kleine Glück nicht nehmen“, sagt er. „Dann werdet ihr den großen Kampf durchstehen. Wir werden ihn siegreich beenden.“
Gegen 21 Uhr ist alles vorbei. Höcke fährt wieder nach Hause. Und ein Mann mit bayerischem Akzent verkündet von der Bühne: „Ich sag‘s nochmal kurz durch. Eine AOK-Karte wurde gefunden.“ Wer immer die auch verloren hat, holt sie sich bestimmt gleich ab. Und vielleicht ist ja das das kleine Glück von dem Björn Höcke sprach.