Eine zweite Situation dieser Art folgte nur kurze Zeit später: Im Interview mit AfD-Mann Jörg Urban rechtfertigte sich die Moderatorin, man habe ja in letzter Zeit "viel über die AfD berichtet. Da war schon viel zu erzählen, und auch viel ... Unterschiedliches", so Binder. Urban ergänzt den Satz: "Positives". Binder stimmt zu: "Positives, auf jeden Fall!".
Jörg Urban beklagt „mediale Kampagne“ gegen AfD.
MDR-Moderatorin Binder: „Ich denke, wir haben sehr viel über die AfD berichtet, da war schon viel zu erzählen, und auch viel … Unterschiedliches.“
Urban (grinsend): „Positives.“
Binder: Positives, auf jeden Fall!
— Stefan Niggemeier (@niggi) September 1, 2019
Zuschauer und Medienmacher zeigten sich fassungslos über das Einknicken der Moderatorin vor der AfD. Der MDR hatte dafür am Abend eine knappe Erklärung parat: "Unter dem enormen Stress einer Live-Sendung bei einer solchen Doppelwahl mit ständig neuen Ergebnissen und wechselnden Konstellationen kann es zu Missverständnissen kommen und können Unschärfen passieren", hieß es vom Sender.
Anders sieht das WDR-Journalist Arnd Henze. Er hält Vorfälle wie diese für ein generelles Problem beim Mitteldeutschen Rundfunk. Henze twitterte am Abend: "Beim #MDR verwischen nicht zum ersten Mal die Grenzen nach ganz rechts!"
Nein: nicht „DIE ARD“. Viele Mitarbeitende werden über diese Aussage der MDR?src=hash&ref_src=twsrc%5Etfw">#MDR-Moderatorin genauso irritiert sein wie Sie! Aber beim MDR?src=hash&ref_src=twsrc%5Etfw">#MDR verwischen nicht zum ersten Mal die Grenzen nach ganz rechts!
https://t.co/X88iwTjrOY— Arnd Henze (@arndhenze) September 1, 2019
Vorfälle dieser Art häufen sich
Was ist nun das Problem beim MDR? Gibt es innerhalb der Redaktionen tatsächlich ein fragwürdiges Verständnis für Rechtspopulisten und Rechtsextremisten? Oder handelt es sich um reine Ausrutscher? Fakt ist: Vorfälle dieser Art häufen sich beim Sender. Schon mehrfach stellte sich der MDR im Umgang mit Rechts maximal ungeschickt an.
Erst vor wenigen Wochen hatte der Sender beispielsweise den bekannten Chemnitzer Neonazi Arthur Österle zu einer Podiumsdiskussion eingeladen. Anlass war die Premiere einer Doku über die Ausschreitungen von Chemnitz. Die Begründung: Man habe alle Protagonisten des Films eingeladen, "um dem Publikum einen unmittelbaren Eindruck zu vermitteln und den Austausch zu ermöglichen." Die Meinung vieler Zuschauer: Nie, nie, niemals darf ein Rechtsextremist in eine Talkrunde des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eingeladen werden. Die übrigen Gäste der Runde sagten ihre Teilnahme ab.
Im vergangenen Jahr gab es einen ähnlichen Fall beim Radioprogramm des MDR Sachsen. Der Sender hatte zu einer Talksendung geladen und die Ankündigung mit folgenden Worten beschrieben: "Darf man heute noch 'Neger' sagen?" Eingeladen wurde zu diesem Thema die ehemalige AfD-Frau Frauke Petry - aber kein einziger Betroffener. Alle Teilnehmer außer Petry sagten ab. Das Thema sei in eine Richtung gedreht worden, die vollends indiskutabel sei, sagte beispielsweise die sächsische Landtagsabgeordnete der Linken, Kerstin Köditz.
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Auch andere Öffentlich-rechtliche haben ein Problem
Betrachtet man die Vorfälle genauer, zeigt sich ein ungewöhnliches Verständnis für das Aufkommen der neuen Rechten und ihrer Themen innerhalb des Senders. Frei nach dem Motto: Nazis gehören jetzt dazu, also laden wir sie auch ein. Und wenn nicht, dann diskutieren wir wenigstens ihre Themen - so rassistisch und schwachsinnig sie auch sein mögen.
Einen "Austausch" mit Rechtsextremisten oder Nazis, organisiert vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk, halten Sie also grundsätzlich für kein Problem? Verstehe ich Sie da richtig? Und wo liegt für Sie die Grenze?
— Georg Restle (@georgrestle) August 14, 2019
Fakt ist aber auch: All das ist kein spezifisches Problem des MDR. Denn auch die übrigen öffentlich-rechtlichen Sender haben sich in der Vergangenheit beim Umgang mit Rechts nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Statt klare Kante zu zeigen, knicken Redaktionen immer wieder vor rechten Entrüstungsstürmen ein, diskutieren mit fragwürdigen Rechtsaußen-Politikern in Talkshows oder holen ehemalige AfD-Leute gleich als Moderatoren mit ins Boot.
Einige Vorfälle dieser Art im Überblick:
Im August 2018 löschte der WDR einen Beitrag aus der Mediathek, nachdem sich Rechtsextreme in den sozialen Netzwerken über einen Gast im Morgenmagazin aufgeregt hatten. Der Barista Carlo Graf Bülow hatte ein harmloses Gag-T-Shirt getragen mit der Aufschrift "Barista, Barista! Antifascista!" Der Spruch ist angelehnt an ein Internet-Meme. Später entschuldigte sich der Sender: "Die Löschung war ein Fehler, den wir bedauern."
Im November 2018 entfernte der NDR mehrere Antifa-Aufkleber aus einer Szene des Rostocker Polizeirufs - ebenfalls nach einem Shitstorm von Rechts. Dort beschwerte man sich lautstark über "linke Propaganda". Die Drehbuchautoren hatten damit eigentlich nur das linke Weltbild der LKA-Mitarbeiterin Katrin König darstellen wollen.
Für den öffentlich-rechtlichen Jugendkanal "funk" bloggt seit März 2019 die ehemalige AfD-Politikerin Franziska Schreiber. Sie hatte während ihrer Amtszeit beispielsweise gegen das Gesetz zur Holocaustleugnung argumentiert und den Film "Bibi und Tina" kritisiert - wegen zu viel "Multi-Kulti-Schmalz". Heute video-bloggt sie für das öffentlich-rechtliche Angebot über Nationalstolz, Atomkraftwerke und "linke Doppelmoral".
Im Oktober 2018 hatten sich die beiden Chefredakteure von ARD und ZDF, Kai Gniffke und Peter Frey, einem "Austausch" mit der AfD gestellt. Andere Journalisten hatten das Gespräch von vornherein abgelehnt. Uwe Vetterick, Chefredakteur der Sächsischen Zeitung, sagte beispielsweise: Reporter der Zeitung seien immer wieder bei Pegida-Demonstrationen verbalen Drohungen und körperlichen Übergriffen ausgesetzt gewesen. Er könne sich nicht vorstellen, "mit der AfD auf dem Podium zu sitzen, um 'in sachlicher und nüchterner Atmosphäre gegenseitiger Wertschätzung‘ zu diskutieren, während zugleich unsere Journalisten in inakzeptabler Weise bedroht werden auf Veranstaltungen, die diese Partei inhaltlich und personell mitträgt".
Immer wieder sind auch die Auftritte der AfD in öffentlich-rechtlichen Talkshows Thema. Nur kurze Zeit nachdem AfD-Chef Alexander Gauland mit seinem bekannten "Vogelschiss"-Zitat die Verbrachen der Nazis relativiert hatte, saß dieser schon wieder bei Maybrit Illner und kurz darauf bei Sandra Maischberger. Zuvor hatte Moderator Frank Plasberg noch angekündigt, den AfD-Chef nicht mehr einladen zu wollen. Auch Anne Will verkündete, dass man an Gauland zunächst "keine Fragen" mehr hätte. Zuvor hatten Twitter-Nutzer mit dem Hashtag #Gaulandpause gegen weitere Talkshowauftritte protestiert. Im Jahr 2019 war Gauland aber der gefragteste AfD-Politiker in Talkshows.
Übertriebenes Neutralitätsverständnis
Werden die Sender auf Vorfälle dieser Art angesprochen, so argumentieren sie ähnlich: Man sei verpflichtet, neutral zu sein, "politische Vielfalt" abzubilden und alle Stimmen zu Wort kommen zu lassen - das sei schließlich der öffentlich-rechtliche Auftrag.
Und das ist auch gar nicht falsch. Jedoch tragen die Öffentlich-rechtlichen mit einem übertriebenen Neutralitätsverständnis ganz entschieden zum Aufstieg der neuen Rechten bei - und zur Normalisierung rechten Gedankenguts innerhalb der Gesellschaft.
Wer AfD-Politiker noch immer in Talkshows einlädt, auch wenn sie zuvor Nazi-Verbrechen als "Vogelschiss" bezeichnet hatten, der zeigt, dass so etwas heute keine Folgen mehr hat. Wer sich immer wieder vom Agenda-Setting der Rechtspopulisten treiben lässt und ihre Themen in Talkshows aufgreift, der suggeriert, dass der größte rassistische Quatsch diskutierenswert sei.
Und wer AfD-Politiker des völkischen Partei-Flügels mit rechtsextremem Hintergrund vor laufender Fernsehkamera als "bürgerlich" bezeichnet, der verharmlost ihre Politik, die auf völkischem Denken und Rassismus basiert.
Klar kann man das machen. Aber die Folgen der Diskursverschiebung sind schon jetzt spürbar. Die Redaktionen der Öffentlich-rechtlichen sollten sich also schnellstens überlegen, ob sie daran weiter mitarbeiten wollen.
Von Matthias Schwarzer/RND