In seinem Plädoyer sagte Nerlings Anwalt, für ihn persönlich sei es moralisch nicht vertretbar, was sein Mandant gemacht habe.
Wenn dich selbst dein Anwalt sch.... findet!
Klar, damit wollte er sich von seinem Mandanten distanzieren. Öffentlich.
Das war die Funktion der Aussage.
Aber vom Inhalt her: Gibt es in einem Rechtsstaat ein einziges Gesetz, das der Moral widerspricht?
Für mich (als Nichtjuristen) sind das GG und die Gesetze doch nichts anderes als die schriftlich fixierte Moral? Gültig für Christen, Nichtchristen, Atheisten, Inländer, Ausländer, whoever.
Selbst als Bayern noch ein Gottesstaat war (also vor 1803, Juden durften nicht in Bayern wohnen, Evangelische auch nicht, der Kurfürst war ein von Gott legitimierter Fürst, der den Gesalbten des Herrn, den Deutschen König, in Frankfurt zu wählen hatte), bedurfte es in den Landes- und Policeyordnungen von 1516 und 1616 schriftlicher Fixierung dessen, was Recht war, da die Angeklagten sich zunehmend darauf berufen konnten, was schriftlich festgelegt war.
Die moralischen Vorstellungen der Bevölkerung sind an sich ja nicht falsch, verändern sich aber ganz plötzlich, wenn es um ein Mitglied der eigenen Sippe, des eigenen Landes, des eigenen Volkes etc geht.
Im Prinzip ist Mord stets mit dem Tod zu bestrafen, aber ... wenn ihn ein Ausländer begangen hat, dann natürlich härter! Auf jeden Fall.
Im Prinzip ist es schon richtig, an Jugendlichen zunächst mit pädagogisch milderem Jugendstrafrecht heranzugehen, aber ... wenn in Augsburg ein deutscher (!) Feuerwehrmann (also ein Uniformträger!) von einem Jugendlichen erschlagen worden ist, der einen zwei oder sogar drei (!) Pässe hat, dann ist es „natürlich“ etwas anderes ...
Wenn also die Mehrheit der Bevölkerung der Meinung ist, die Würde eines jeden Menschen sei unantastbar, dann ist es auch die Würde eines Deutschen jüdischen Glaubens und das auch über den Tod hinaus.
Wenn das so ist, dann muß Holocaustleugnung bestraft werden, weil damit die Würde des Menschen angetastet wurde.
Wenn die Mehrheit der Bevölkerung der Meinung ist, Kinder seien noch nicht so verkehrserfahren wie Erwachsene und deshalb solle vor Schulen und Kindergärten langsamer gefahren werden, dann ist es doch nur richtig, zum Schutz der Schwächeren eine Tempobegrenzung anzuordnen?
Dann kann es doch keine „Wegelagerei“ sein, wenn das entsprechend sanktioniert wird?
Und wenn Steuerhinterziehung gegen die Gemeinschaft gerichtet ist, dann ist es doch richtig, dieses Fehlverhalten zu sanktionieren?
Und so weiter.
Wenn Einbruch und Diebstahl zu bestrafen sind, dann ist doch auch der Whistleblower zu bestrafen, der einbricht und Daten klaut?
Kann ja sein, daß dieser Einbruch mal gerade von bestimmten Kreisen als ausnahmsweise moralisch legitimiert angesehen wird. Aber dann ist es das Vernichten von Menschen doch auch?
Wenn eine Mehrheit von Menschen gerade der Meinung ist, Menschenleben sei zwar grundsätzlich erst einmal wertvoll und zu schützen, aber in Ausnahmefällen dürfe man auch mal ein paar Millionen Menschen umbringen, weil der Zweck die Mittel heiligt?
Gibt es denn in einem Rechtsstaat irgendein Gesetz, das gegen moralische Grundsätze verstößt?
Sicher, das Rechtsempfinden (vor allem das „gesunde“!) weicht oft ganz erheblich von dem ab, was im Gesetz sanktioniert wird und was als Sanktion vorgegeben ist (und was zuvor von einer Mehrheit als richtig angesehen wurde), aber ist die Anwendung der Gesetze in einem Rechtsstaat nicht einfach die praktische (und logische) Umsetzung der Moral?