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Im Machtkampf zwischen dem völkischen Flügel und den Rechtskonservativen um AfD-Chef Jörg Meuthen hat Andreas Kalbitz einen politischen Etappensieg mit Symbolwert errungen. Obwohl der Bundesvorstand ihm die AfD-Zugehörigkeit wegen verschwiegener Mitgliedschaften im rechtsextremem Milieu entzogen hat, kann Kalbitz in der Brandenburger AfD-Landtagsfraktion bleiben.
Die Fraktion hat am Montag in einer Sondersitzung eigens ihre Geschäftsordnung geändert, damit Kalbitz trotz fehlender Parteimitgliedschaft in der Fraktion bleiben kann. Noch offen ist, ob er auch Vorsitzender der Fraktion bleibt. Kalbitz hatte angekündigt, sich am Dienstag erneut zur Wahl zu stellen.
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Der AfD-Bundesvorstand hat am Freitag die Mitgliedschaft des Brandenburger Landes- und Fraktionsvorsitzenden Andreas Kalbitz per Mehrheitsbeschluss für nichtig erklärt. Hintergrund sind frühere Kontakte im rechtsextremen Milieu.
Das Ende einer Parteimitgliedschaft hat im Regelfall einen von drei Auslösern: Tod des Parteimitglieds, eine Austrittserklärung desselben oder, deutlich seltener, den Parteiausschluss. Dieser ist in § 10 Abs. 4, 5 Parteiengesetz (PartG) abschließend geregelt. Dort wird die Entscheidungskompetenz allein dem Schiedsgericht zugewiesen, entschieden hat im Fall Kalbitz allerdings der Bundesvorstand.
Allein auf diese Begebenheit zu verweisen und damit den Beschluss für rechtlich unhaltbar zu erklären, ist aber vorschnell. Denn auch wenn ein Parteiausschluss im Sinne von § 10 Abs. 4 PartG außerhalb der Kompetenz des Parteivorstandes liegt und ein solcher als ultra vires-Handlung im parteienrechtlichen Gefüge nichtig wäre, verbleiben andere Varianten.
Obwohl der Parteiausschluss in § 10 Abs. 4, 5 PartG abschließend geregelt ist, bleibt er nicht der einzige Weg, eine Parteimitgliedschaft von Seite der Partei aus einseitig zu beenden. Vereinzelte Stimmen halten etwa die Streichung der Parteimitgliedschaft wegen Beitragsnichtzahlung durch den Vorstand für möglich, wenn dies von der Satzung vorgesehen ist. Schon der Wortlaut des § 10 Abs. 2 S. 2 PartG, der lediglich die Möglichkeit des Stimmrechtsentzuges an die Beitragsnichtzahlung knüpft, spricht allerdings klar gegen diese Auffassung.
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung?
Eine weitere Möglichkeit könnte jedoch eine Anfechtung der Aufnahmeerklärung als Parteimitglied darstellen. Dann wäre gemäß § 142 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Parteimitgliedschaft nichtig. Und tatsächlich lesen sich die öffentlichen Begründungen des Ausschlusses passend zu einer Anfechtung. Der Anfechtungsgrund: Arglistige Täuschung. Die Nichtigerklärung der Parteimitgliedschaft soll sich darauf stützen, dass Kalbitz seine frühere Mitgliedschaft in verschiedenen neonazistischen Vereinigungen und Teilnahme an derartigen Veranstaltungen gegenüber der AfD verschwiegen habe. Impliziert wird dabei, dass Kalbitz andernfalls von der AfD nicht aufgenommen worden wäre.
Grundsätzlich scheinen die Rahmenbedingungen für eine solche Anwendung des § 123 BGB nicht gänzlich abwegig: Eine Parteimitgliedschaft ist immerhin ein durch Willenserklärung zustande gekommenes Verhältnis des bürgerlichen Rechts. Auch wenn die Parteien stark in den Staat hineinwirken, sind sie Organisationen der Zivilgesellschaft. Daher richtet sich ihr Verhältnis zu ihren Mitgliedern nach dem Recht der nicht eingetragenen Vereine, modifiziert durch die Vorschriften des PartG.
Mitgliedschaft in der "Heimattreuen Deutschen Jugend"?
Als Anfechtungsgrund tragen könnte der Vorwurf der Nichtinformation über die Mitgliedschaft in der "Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ)". Wenn Medienberichte zutreffen, wonach das Formular zum Parteieintritt, in dem Kalbitz möglicherweise eine Mitgliedschaft in der HDJ hätte angeben müssen, verloren gegangen ist, dürften sich allerdings Beweisstreitigkeiten ergeben.
Ein weiteres Beweisthema ist die Anfechtungsfrist nach § 124 Abs. 1, 2 BGB. Die Jahresfrist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem die AfD eine Täuschung durch Kalbitz entdeckt hatte. Dieser hatte seine Mitgliedschaft in der HDJ immer wieder bestritten. Daher könnte sich das Ende der Täuschung durch tatsächliche Kenntnis der AfD erst später ergeben.
Auch hinsichtlich der Teilnahme von Kalbitz am Sommerlager der "Heimattreuen Jugend" 1993 dürfte die einjährige Frist des § 124 Abs. 1, 2 BGB noch nicht abgelaufen sein. Denn zumindest in der breiten Öffentlichkeit wurde diese erst im August 2019 durch die Berichterstattung des ARD-Politikmagazins Kontraste sowie des rbb-Magazins Brandenburg aktuell bekannt. Eine frühere Kenntnis des AfD-Bundesvorstandes ist nicht bekannt. Anders liegt es hingegen etwa bezüglich seiner Teilnahme am Sommerlager 2007 der damals bereits umbenannten "Heimattreuen Deutschen Jugend" , zu welcher er sich bereits 2018 öffentlich bekannte.
Auf die Frist des § 124 Abs. 3 BGB, die eine Anfechtung nach zehn Jahren gänzlich ausschließt, kommt es hier nicht an. Diese bezieht sich auf das Unterlassen der Angabe der Information gegenüber der AfD und nicht die Teilnahme selbst. Die Relevanz der Angabe derartiger politischer Aktivitäten dürfte für die Aufnahme in einer politischen Partei gegeben sein. Entsprechend könnte die Unterlassung eine Täuschung im Sinne des § 123 BGB darstellen. Ob Kalbitz diese arglistig beging, also mit Vorsatz, wäre von der AfD zu beweisen. Kalbitz behauptete jedenfalls schon 2018 bezüglich der Teilnahme am Sommerlager 2007, dass er sich an diese nicht mehr erinnere.
Parteiausschluss nur durch das Parteischiedsgericht?
Allerdings wäre die uneingeschränkte Anwendbarkeit der zivilrechtlichen Anfechtung auf die Parteimitgliedschaft problematisch. Die Regelungen des § 10 Abs. 4, 5 PartG sollen gerade sicherstellen, dass ein Parteivorstand nicht missliebige Mitglieder entfernt und so seine Macht sichert. Zwar könnte man darauf abstellen, dass das Verhalten, an das angeknüpft wird, im Falle der Anfechtung gerade zeitlich vor Beginn der Mitgliedschaft liegt und der Wortlaut des § 10 Abs. 4 PartG eine Beschränkung auf Verhalten während der Dauer der Parteimitgliedschaft ermöglicht. Dies würde auf den ersten Blick eine saubere Abgrenzung der Instrumente ermöglichen.
Allerdings wäre eine solche Beschränkung spätestens in solchen Fällen problematisch, in denen die Ausschlussfrist des § 124 Abs. 3 BGB erfüllt ist. Politische Parteien haben aber gerade ein Interesse daran, Mitglieder auch wegen Verhaltens vor der Aufnahme, das erst weit nach dieser bekannt wird, auszuschließen. Der politische Betrieb kennt keine zehnjährige Verjährungsfrist und ein entsprechend schwerer Schaden kann daher auch in diesen Fällen eintreten. Die feinere Abwägungsmechanik des § 10 Abs. 4 PartG bietet in solchen Fällen eine interessengerechtere Lösung und ist daher auch auf Verhalten vor dem Parteieintritt erstreckbar.
Dann würde allerdings die parallele Anwendung der zivilrechtlichen Anfechtungsregeln ein Unterlaufen der Parteiausschlussregelungen ermöglichen: Anstelle der parteipolitisch unmittelbar nicht abhängigen Richter entschiede der Parteivorstand. Eine parallele Anwendung von Anfechtung der Mitgliedschaft und Parteiausschluss muss daher zumindest auf die Fälle beschränkt werden, in denen keine Missbrauchsgefahr gegeben ist. In allen anderen Fällen muss zwingend der Weg des ordentlichen Parteiausschlusses über das Parteischiedsgericht begangen werden.
Kalbitz nur ein "Bauernopfer"?
Im Fall Kalbitz liegt die Missbrauchsgefahr auf der Hand: Denkbar ist, dass der Bundesvorstand mit dem Parteiausschluss lediglich ein öffentlichkeitswirksames Bauernopfer tätigen will, nach dem Motto: "Mit Rechtsextremisten will die AfD nichts zu tun haben."
Kalbitz selbst hat angekündigt, juristische Mittel gegen die Entscheidung einzulegen. Gut möglich, dass das zuständige Gericht ihn dann einstweilig wieder zum Parteimitglied macht, ihn in seine bisherigen Parteiämter wiedereinsetzt und weiter die Partei zwingt, den "Pfad des Rechts" zu beschreiten. Ob dieser dann am Ende erfolgreich ist und Kalbitz rechtsradikale Aktivitäten einen Verstoß mit ausreichend schwerem Schaden für die Partei darstellen, wie es § 10 Abs. 4 PartG erfordert, muss dann das Parteischiedsgericht entscheiden und im Hinblick auf eine Überprüfung auch durch staatliche Gerichte gut begründen.
Angesichts der Vielzahl von Mitgliedern der AfD, die ins rechtsradikale Milieu vernetzt sind beziehungsweise selbst mit rechtsradikalen und revisionistischen Äußerungen aufgefallen sind, ist dies allerdings alles andere als eine einfache Aufgabe.
Der Autor Dipl.-Jur. Florian Zumkeller-Quast war früher Richter am Bundes- sowie hessischem Landeschiedsgericht der Piratenpartei. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er selbst über zahlreiche Anträge auf Parteiausschluss mitentschieden. Die Entwicklungen des Parteienrechts verfolgt der Unternehmensjurist auch weiterhin aktiv.