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"Wir werden rote Linien zu Rechtsextremen ziehen." Der Satz klang gut vor fünf Jahren in Karlsruhe. Schon damals herrschte beim Mitgliedertreffen die bis heute bestehende Gefechtslage: rechtspopulistisch gegen rechtsnational und rechtsextrem. Ein Trio rief zur Geschlossenheit auf, weil die Partei eine große Zukunft vor sich habe, wenn sie sich nicht selber zerstöre. Zwei der drei – der AfD-Gründer Bernd Lucke und der damalige Landeschef Bernd Kölmel – sind Geschichte, einer ist geblieben: Jörg Meuthen. Und rote Linien will er noch immer ziehen. Sagt er jedenfalls. Bisher war die Abgrenzung allerdings nur wenig erfolgreich.
Die Entwicklung am rechten Rand differenziert zu beleuchten, ist immer eine journalistische Herausforderung: Jeder Versuch, sachgerecht abzustufen, birgt beträchtliche Verharmlosungsrisiken. Da ist praktisch, wenn sich Betroffene selber wehren. Nein, er sei nicht das liberale Feigenblatt, meinte Meuthen mehrfach richtig stellen zu müssen, nachdem er 2015 als neuer stellvertretender Bundesvorsitzender, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Da kündigte sich die erste Spaltung schon an. Lucke hatte den "Weckruf 2015" gegründet und wollte damit festschreiben, dass seine AfD einen klaren Trennungsstrich zieht zu "ausländerfeindlichen, rassistischen, nationalistischen, antisemitischen, islamfeindlichen, islamistischen, homophoben, rechts- und linksradikalen Positionen".
Wendehals, der mit Rechtsextremen paktiert
Mehrere der GründerInnen waren an seiner Seite, darunter Kölmel und Hans-Olaf Henkel. Meuthen hielt sich fern, im sicheren Wissen, dass solche Formulierungen nie mehrheitsfähig sein würden. Lucke und die Seinen mussten gehen, auch Kölmel verließ die Partei ("Mit diesem Stil und diesen politischen Schwerpunkten möchte ich mich so nicht identifizieren"). Der gebürtige Essener bleibt und startet in eine klassische Karriere als Chamäleon.
Viele sehen ihn als Wendehals, der seine eigenen Interessen verfolgt. Etwa durch jahrelanges Paktieren mit dem ganz rechtsaußen positionierten "Flügel", der ihm nützlich war beim Duell mit der schließlich ausgetretenen Frauke Petry, die – wie Lucke – ebenfalls an roten Linien scheiterte. Zugleich wird Meuthen Durchhaltevermögen attestiert. In der vergangenen Woche brachte er jedenfalls diese hauchdünne Mehrheit im Bundesvorstand zusammen, um dem brandenburgischen Ultra und früheren Fallschirmjäger Andreas Kalbitz die Mitgliedschaft abzuerkennen.
Eine Kampfansage, denn jetzt wird‘s ernst. Ein weiterer, wenn nicht der Showdown zwischen den Lagern naht. Meuthen wolle eine andere Partei, schäumt Björn Höcke per Video. Deutschland brauche eine "schwarz-rot-goldene FDP" aber ebenso wenig wie eine zweite "Werte-Union", sagt der Landes- und Fraktionsvorsitzende der Thüringer AfD. Und Kalbitz selbst, ein Befürworter der These, dass am deutschen Volk ein "Ethnozid" (Völkermord) stattfindet, spricht ganz offen von einem Parteitag, der schon bald den amtierenden Bundesvorstand in die Wüste schicken soll. Dann spätestens dürfte die nächste Spaltung kaum mehr zu vermeiden sein.
Bisher immerhin surfte Meuthen, anders als Lucke und Petry, ziemlich erfolgreich zwischen Flügeln und Strömungen, zwischen Kehl, Stuttgart, Berlin und seit 2017 auch Brüssel und Straßburg, und sogar zwischen den Kreisverbänden. Nachdem ihn sein eigener in der Ortenau nicht als Delegierten zum Bundesparteitag 2019 schicken wollte, sondern den inzwischen auch schon ausgeschlossenen Gegenspieler Stefan Räpple vorzog, wechselte er nach Baden-Baden/Rastatt. Da habe er eben sein Büro, spielt er den Vorgang herunter.
Typisch ist die Gabe, demonstrative Gelassenheit zu kombinieren mit Aussagen, die fassungslos machen würden, wenn beim Publikum nicht schon ein gewisser Gewöhnungseffekt eingetreten wäre. Dazu tragen auch Outfit und Mimik bei. Meuthens Erfolg basiere darauf, "dass Teile der Öffentlichkeit und wohl auch der Partei seinen Professorentitel und sein bäriges Grinsen als Hinweis auf eine irgendwie gemäßigte Gesinnung fehldeuten", schrieb "Die Zeit" 2017.
Meuthens Versagen, rote Linien zu ziehen
Wie richtig das ist, hatte sich ein Jahr zuvor schon durch Spaltung und Wiedervereinigung der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag gezeigt. Keinen Monat nach der ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode wollte die AfD-Fraktion mehrheitlich, damals noch mit 23 Mitgliedern, den neuen Singener Abgeordneten Wolfgang Gedeon nach Antisemitismus-Vorwürfen aus der Fraktion ausschließen. Der bot im Gegenzug an, seine Mitgliedschaft vorerst ruhen zu lassen. Das reichte Meuthen nicht, er pokerte und verlor.
Kurz darauf zogen er und zwölf Getreue aus und gründeten die Fraktion der "Alternative für Baden-Württemberg": Es war eine heterogene Truppe, bestehend aus Anton Baron, Lars-Patrick Berg, Heinrich Fiechtner, Stefan Herre, Heinrich Kuhn, Claudia Martin, Thomas Palka, Rainer Podeswa, Daniel Rottmann, Udo Stein, Klaus-Günther Voigtmann und Carola Wolle. Die Ansage damals war deutlich: "Wer nicht in der Lage ist, rassistische oder antisemitische Äußerungen zu erkennen und zu unterlassen, schädigt seine Partei (…) Wir sind uns bewusst, dass dieser Schritt für die gesamte AfD eine höchst belastende Situation darstellt. Er ist jedoch von existentieller Bedeutung, da wir eine alternative Politik zum Wohle unseres Volkes nicht auf faulen Wurzeln begründen können."
Das Hin und Her der folgenden Wochen ist viel beschrieben, der weitere Fortgang steht für Meuthens Versagen, rote Linien zu ziehen. Denn zwar wird der alte Vorsitzende im September 2016 auch der neue, erst aber eingehaust von neuem Personal, allen voran Emil Sänze, der nach Angaben der damals schon freiwillig aus der AfD ausgetretenen Abgeordneten Claudia Martin vorgeschlagen hatte, "Asylbewerber in Sonderlagern zu kasernieren und sie dort als Aufbauhelfer für die Rückkehr in ihre Heimat vorzubereiten". Der Chef lässt die KollegInnen gewähren.
Wie wendig Jörg Meuthen bis heute ist, lässt sich am besten mit Zitaten belegen. Aktuell von besonderer Bedeutung ist seine Einschätzung von Kalbitz. Inzwischen lautet die Sprachregelung der knappen Bundesvorstandsmehrheit, er habe "eine verfestigte rechtsextreme Vorgeschichte". Die Töne waren aber auch schon mal ganz andere. Früher gab es Lob für den "hochintelligenten feinsinnigen Mann". Etwa in jener Zeit, wie Claus Kleber im "heute-journal" sagt, in der Kalbitz schon mal "auf den Gräbern der Deutschland-Abschaffer tanzen wollte", ein Ausdruck, mit dem er gern so vaterlandslose GesellInnen wie Angela Merkel belegt. Wird Meuthen auf solche Widersprüche hingewiesen, setzt er eben jenes "bärige Lächeln" oder einen Dackelblick auf und versucht, sich rauszureden.
Er hält sich für "standfest" und "konservativ"
Es gibt viele Zäsuren im Leben des Verwaltungswissenschaftlers, der als Beamter im hessischen Finanzministerium startete und heute an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl beurlaubt ist. Er habe sich nie vorstellen können, Berufspolitiker zu werden, sagt er in den ersten Monaten im Landtag immer wieder. Dann wollte er doch irgendwie dazugehören, wie viele seiner Reden belegen. Nicht in seinem damaligen Wahlkreis Backnang, in dem die Alteingesessenen bis heute darauf bestehen, den AfD-Abgeordneten nicht einmal gesehen zu haben. Aber zur PolitikerInnenkaste will er gehören, erst recht seit er im Europaparlament sitzt. Es zeugt von Verwirrung, einerseits die Altparteien zu verachten oder der EU mit einem Umbau zu drohen, der einer Zerschlagung gleichkommt, und andererseits mit anderen PopulistInnen im Parlamentscafé zu sitzen. Brüssel verändere ihn, sagte er einmal im Gespräch mit JournalistInnen aus Baden-Württemberg, weil es schwieriger sei, Allianzen zu schmieden. Aber er verändere auch Brüssel.
Einmal wird er in einem der vielen Interviews nach hervorstechenden Vorzügen gefragt und nennt: Standfestigkeit. Mal sehen, wie sie ihn durch die nächsten Tage trägt. Die ganze AfD ist in den vergangenen Jahren permanent weiter nach rechts gerückt. Und der Bundesvorsitzende hat in allen Funktionen viel zu oft wacker mitgemacht. Daran ändert nicht, wenn er mit der Selbstetikettierung als "Konservativer" punkten will. Und erst recht nicht, wenn er – noch so eine Eigenschaft – in die Realitätsverweigerung flieht. Nicht nur in Karlsruhe ging es 2015 hoch her, sondern auch auf dem Horber Parteitag zur Landtagswahl: krude Thesen, schräge Analysen, rechte Parolen, das ganze Programm eben. Und wie reagiert der Spitzenkandidat? "In diesem Saal gibt es keine Hassbotschaften, und in diesem Saal gibt es keine Ausländerfeindlichkeit", verkündete Meuthen. Und er ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er wirklich glaubt, was er da sagt.