Martin Beglinger heute in der NZZ über den «Totengräber der amerikanischen Demokratie»:
Spoiler
Martin Beglinger
03.12.2020, 05.30 Uhr
Senator Mitch McConnell an einer Pressekonferenz. Aufgenommen am 1. Dezember im Kapitol, Washington, D.C.
Senator Mitch McConnell an einer Pressekonferenz. Aufgenommen am 1. Dezember im Kapitol, Washington, D.C.
Tom Williams / EPA
«Schildkröte», «Schlange», «Wurm» – das sind noch die harmloseren Vergleiche seiner vielen Gegner. Thomas Friedman, Starkolumnist der «New York Times», nennt seine Partei ein «politisches Bordell» und ihn die «Puffmutter», weil er Donald Trump bei jeder Schamlosigkeit zu Diensten war. Aber auch dies scheint ihn wenig zu kümmern. Hauptsache, keiner zweifelt an seinem Einfluss, und das tun nicht einmal seine ärgsten politischen Feinde.
Mitch McConnell, der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, liess Barack Obama die letzten beiden Jahre im Amt versauern, dann hielt er die Steigbügel für Donald Trump, und auch der künftige Präsident Joe Biden wird nicht um ihn herumkommen, wenn er politisch etwas erreichen will. Wer also ist dieser Mann, der selber selten ins Scheinwerferlicht tritt und doch als einer der mächtigsten Männer in der amerikanischen Politik gilt?
Strippenzieher im Hintergrund
Addison Mitchel McConnell Jr., 78, in Alabama geboren und in Kentucky aufgewachsen, gehört zum Inventar in Washington. Obwohl nicht aus einer Politikerfamilie stammend, hat er nie etwas anderes gemacht als Politik. Richard Nixon hatte gerade die Wahlen gewonnen, als der junge McConnell 1968 in der Hauptstadt aufkreuzte, damals noch als juristischer Gehilfe. 1984 wurde er erstmals als Senator von Kentucky gewählt, und diesen Sitz hält McConnell nunmehr seit einer politischen Ewigkeit von 36 Jahren, soeben hat er ihn zum siebten Mal gewonnen.
Zugleich zieht er seit mehr als zwanzig Jahren die Fäden in der Republikanischen Partei, wohl niemand hat dort ein grösseres Netzwerk als er. Mitch, wie sie ihn meistens nennen, kennt alle.
McConnell konnte auch deshalb so hoch aufsteigen und so lange oben bleiben, weil er selber nie nach ganz oben wollte. Das Weisse Haus hat ihn offenbar nie gelockt, lieber lenkt er die Politik vom Kapitol aus. Das Ohr der republikanischen Präsidenten ist ihm auch so gewiss, nicht zuletzt über seine zweite Ehefrau, Elaine Chao, die aus einer schwerreichen Industriellenfamilie mit chinesischen Wurzeln und besten Beziehungen stammt. Chao war bereits unter George W. Bush Arbeitsministerin, jetzt ist sie noch ein paar Wochen lang die Verkehrsministerin von Donald Trump.
Barack Obama und Mitch McConnell hingegen, das ging nie. Das war keine politische Gegnerschaft, sondern die reine Feindschaft. Sein oberstes Ziel, erklärte McConnell 2010 noch als Minderheitsführer ganz offen, sei Obamas Abwahl nach nur einer Amtszeit. Als das misslang, betrieb er umso gnadenloser Obstruktion und schob die Verantwortung für die Blockade den Demokraten in die Schuhe. Kaum hatten die Republikaner 2015 die Mehrheit im Senat gewonnen, konnte McConnell die Tagesordnung diktieren und Obamas Gesetzesvorhaben fortan reihenweise mit Verfahrenstricks und Filibustern aushebeln.
Das Wichtigste: konservative Richter
«Wissen Sie, was für Mitch das Wichtigste auf der ganzen Welt ist?», fragte Donald Trump den Buchautor Bob Woodward und gab die Antwort gleich selber: «Seine Richter. Er bekniet mich: Setzen wir lieber den Richter ein und nicht zehn Botschafter.» Tatsächlich hat es der schlaue Senator geschafft, in den letzten Jahren mehr als 200 republikanische Richter zu installieren, drei von ihnen an oberster Stelle, dem Supreme Court, womit er auf Jahrzehnte hinaus eine konservative Mehrheit am obersten Gericht des Landes abgesichert hat. «Mein wichtigster politischer Erfolg», wie der Mehrheitsführer stolz bekennt.
Am meisten trieb die Demokraten dabei zur Weissglut, dass McConnell sich 2016 schlicht geweigert hatte, Obamas progressiven Kandidaten für den Obersten Gerichtshof auch nur anzuhören, mit der Begründung, das «amerikanische Volk» solle bei dieser Wahl ein Mitspracherecht haben, obwohl der Präsident zu jenem Zeitpunkt noch für fast ein Jahr gewählt war. Vier Jahre später interessierte McConnell der künftige Wille des Volkes nicht mehr. Denn diesmal war die Kandidatin von Donald Trump wie gewünscht eine Konservative, und McConnell drückte sie eine Woche vor den Präsidentschaftswahlen durch. Kaum je hat ein Mehrheitsführer seine Macht so kaltschnäuzig für die eigene Partei ausgenutzt wie Mitch McConnell. Es sind solche skrupellosen Manöver, die ihm beim bekannten Historiker Christopher Browning den Ruf als «Totengräber der amerikanischen Demokratie» eintrugen.
Bei den letzten Senatswahlen versuchten die Demokraten in Kentucky alles, um ihn endlich loszuwerden. Amy McGrath, eine frühere Kampfpilotin und McConnells Gegenkandidatin, sagte in einem TV-Spot über ihn: «Mitch McConnell hat Washington in etwas verwandelt, das wir alle verachten. In einen Ort, wo das Budget, die Gesundheitsfürsorge oder der Supreme Court von einer Partei in Geiselhaft genommen werden. Und in einen Ort, wo die Ideale sterben.» McConnell lächelte die Kritik einfach weg und verwies auf die jüngste Ernennung von Trumps Kandidatin in den Supreme Court. Er gewann auch die siebte Wahl, diesmal mit fast 20 Prozentpunkten Vorsprung.
Noch in den achtziger Jahren galt McConnell als pragmatisch-moderater Republikaner, der sogar das Recht auf Abtreibung befürwortet habe. Er sei damals falsch verstanden worden, erklärte er später dazu; reiner Opportunismus, finden hingegen frühere Gefährten in Kentucky. Die Journalistin Jane Mayer, die McConnell für den «New Yorker» durchleuchtet und seinen innersten Antrieb gesucht hat, zitiert einen Vertrauten von Mitch: «Sie können noch lange nach irgendeinem Geheimnis in ihm suchen, aber da kommt nichts mehr.» Am Ende des Tages will er einfach nur gewinnen.
Das Charisma einer Bettsocke
Doch wie schafft er das? An seiner Ausstrahlung kann es nicht liegen. Wer sein Genuschel vor den Mikrofonen hört, wechselt sogleich den Kanal. Der Mann verströmt das Charisma einer Bettsocke. Aber: Er ist schlau. Und erfahren. Auf die Frage, worauf es in der Politik und bei Wahlkämpfen ankomme, kritzelte er einmal drei Worte auf eine Wandtafel: «Money, Money, Money».
Mitch gilt als der leidenschaftlichste und hemmungsloseste Geldeintreiber in seiner Partei. Niemand hat sich heftiger gegen alle Versuche der Demokraten gewehrt, die Geldflüsse aus der Wirtschaft in die Kassen von Politikern zu limitieren. Mit Erfolg. «Wir wüssten gar nicht, wo wir ohne euch wären», rief er zum Beispiel 2014 an einer Spendengala den beiden Milliardären Charles und David Koch zu, die vor allem die Tea Party finanzierten und dadurch die Grand Old Party weiter nach rechts drückten. Und Mitch McConnell, dieser Mechaniker der Macht mit einem ausgeprägten Sensorium für das Machbare, rückte geschmeidig mit.
Er selber ist vor allem durch seine Heirat mit Elaine Chao reich geworden, im Laufe der Jahre hat er aber auch Millionen insbesondere von der Tabak- und der Kohleindustrie erhalten, um in Washington schärfere Gesetze in der Gesundheits- und Umweltpolitik zu verhindern. Was für viele Kritiker nach einem Freipass für Korruption riecht, verkaufte McConnell mit dem Argument, Wahlkampfspenden seien gleichbedeutend mit Meinungsfreiheit, und Letztere dürfe man nicht einschränken. Die Richter, die er einzusetzen half, geben ihm recht.
Noch weit wichtiger als die Gebrüder Koch war für die Republikanische Partei der Aufstieg von Donald Trump. McConnell soll ihn persönlich so wenig mögen wie umgekehrt, aber die beiden arrangierten sich bald. Trump, der überall versprach, dass er den «Sumpf in Washington trockenlegen» werde, merkte rasch, dass er eine der grössten Blüten darin brauchte: Mitch. Ob der Mehrheitsführer eine kräftige Steuersenkung im Senat durchbrachte oder das Verfahren gegen eine Amtsenthebung des Präsidenten abbügelte, auf Mitch war stets Verlass. Im Gegenzug warb Trump, der in Kentucky sehr viel populärer ist als McConnell, für dessen Wiederwahl als Senator.
Nach Trumps Abwahl war wieder der Machiavelli McConnell an der Reihe. Indem er kurzerhand abtauchte. Auch nach Wochen unhaltbarer Betrugsvorwürfe kein Wort der Distanzierung. Denn der Mehrheitsführer braucht Trump weiterhin, diesmal als Zugpferd, damit die Partei am 5. Januar mindestens einen der beiden Senatssitze in Georgia ergattert. Andernfalls verlieren die Republikaner ihre Mehrheit – und McConnell seine dominante Stellung im Kapitol.
Mitch und Joe – das neue «power couple»?
Und jetzt also kommt Präsident Nummer sechs, mit dem es der Langzeitsenator zu tun bekommt: Joe Biden. Die beiden sassen 25 Jahre lang gemeinsam im Senat, man kennt sich bestens. Als Biden Obamas Vize wurde, schickte der Präsident bald nur noch ihn vor, um mit Mitch im Senat zu verhandeln, «weil ich wusste», wie Obama in seinen Memoiren schreibt, «dass in McConnells Augen Verhandlungen mit dem Vizepräsidenten die republikanische Basis nicht in der gleichen Weise erzürnten, wie es der blosse Anschein einer Zusammenarbeit mit diesem schwarzen, muslimischen Sozialisten Obama tun würde».
McConnell wiederum beschrieb es einmal so: «Mit Biden hat man nicht viel Zeit vergeudet, Dinge zu besprechen, über die wir uns sowieso nie einigen konnten. Ich hielt ihm keine Vorträge und er mir nicht. Wir kamen zu den Punkten, wo eine Einigung möglich war, und wir konnten eine Einigung finden. Das war eine ganz andere Erfahrung beim Verhandeln als mit dem Präsidenten.»
Joe nannte Mitch auch schon «meinen alten Freund», dem er nicht vergessen wird, dass er – als einziger Republikaner – an der Beerdigung seines Sohns Beau erschien, der 2015 an einem Krebsleiden verstorben war. McConnell hat auch auffällig geschwiegen, als Trump im Wahlkampf auf Bidens anderen Sohn Hunter wegen angeblich problematischer Geschäfte in der Ukraine losging.
«Mitch und Joe», schrieb jüngst das Online-Magazin «Politico», könnten das neue «power couple» in Amerika werden, und nicht nur hier wird heftig spekuliert, wie gut die beiden künftig miteinander können. Vielleicht sogar verdächtig gut, wie insbesondere die jungen linken Frauen in der Partei wie Alexandria Ocasio-Cortez vermuten. AOC, so ihr geläufiges Kürzel, befürchtet schon jetzt, die zwei alten Männer könnten bald faule Kompromisse schliessen, bei denen es den progressiven Demokraten den Magen umdrehen würde.
Fast täglich twittert AOC scharf gegen McConnell, dabei heftig unterstützt von Porter McConnell, einer der drei Töchter aus der ersten Ehe des Senators. Porter twitterte am Wahltag: «Auch wenn Biden gewinnt, müssen wir auf den Strassen bleiben. Die weisse Vorherrschaft, das Patriarchat und die Oligarchie werden nicht einfach still abtreten, denn sie können sich gut anpassen. Deshalb müssen wir ihn dazu zwingen.»
Aber auch Mitch McConnell bleibt unter Druck. Sollten in den nächsten Zwischenwahlen 2022 auch nur ein oder zwei republikanische Senatoren abgewählt werden, wäre es vorbei mit dem mächtigen Mehrheitsführer McConnell. Und dann wacht noch ein anderer über ihn: der abgewählte Präsident, der längst an seinem eigenen Mythos im republikanischen Amerika baut, wo laut Umfragen 70 Prozent seiner 70 Millionen Wähler glauben, er sei durch Betrug um seinen Sieg geprellt worden. Erst recht dürfte Trump genüsslich in der Schwebe lassen, ob er 2024 wieder antreten wird – und so die Partei zu seinem politischen Gefangenen machen. Es dürfte eng werden für Machiavelli-Mitch.