Autor Thema: Die AfD hat sich endgültig für eine Aufnahme in unseren Kundenkreis qualifiziert  (Gelesen 411951 mal)

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Offline KarlKlammer

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Also, da gibt es zwei Missverstaendnisse:

a) Den Vorbeitrag habe ich insofern falsch eingeordnet, als ich den Begriff abstrakte Normenkontrolle 'überlesen' habe, da ich die AfD nicht für so doof hielt, eine solche, selbst wenn sie in den Bundestag mit > 5% einzöge, für erreichbar zu halten. Ich ging einfach davon aus, sowas passiert mir öfter, dass die Mööönschen im Lande das nächst-erreichbare Rechtsmittel meinen, auch wenn sie sich falsch ausdrücken. D.h. "Widerspruch" sagen, wenn "Einspruch" gemein ist oder umgekehrt, "Klage" sagen, wenn (Verfassungs-) "Beschwerde" gemeint ist oder umgekehrt oder "(Einstweilige) "Anordnung" sagen, wenn "Verfügung" gemeint ist oder umgekehrt.

DENN:

b) Das oben Gesagte im Zitat ist so nicht richtig. Eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Gesetz setzt eben voraus, dass jeder in jedem Falle betroffen ist (klassische Beispiele: Volkszählungen, die jeden [auch den 'Illegalen'] zählen sollen, Haushaltsabgaben wie der Rundfunkbeitrag, die jeden Haushalt treffen sollen - Befreiungs-/Minderungsvorschriften aussen vor gelassen). D.h. entweder ein Gesetz betrifft jeden, dann ist eine Verfassungsbeschwerde stets zulässig, weil die abstrakte Betroffenheit ja deren Voraussetzung ohne vorgängige Erschöpfung des Rechtsweges ist.

Ansonsten ist stets die konkrete Betroffenheit erforderlich, etwa, wenn die Bauordnung geändert wird, die Änderungen aber nur Garagenbesitzer betreffen. Und die Behöden und Instanzgerichte sind gehalten, vor einer Anrufung des BVerfG, zu schauen, ob sie den Willen des Gesetzgebers nicht doch noch verfassungskonform auslegen können, ohne (siehe mein Pseudonym) gegen den expliziten Wortlaut zu verstossen.

Ob sie begründet ist, wollte ich nicht diskutieren, das steht ja hintenan. Zudem halte ich das Netzwerkzersetzungsgesetz für so gravierend teilnichtig, dass daraus regelmässig in der Verfassungsrechtssprechung Gesamtnichtigkeit folgen dürfte, wenn das BVerfG nicht mittlerweile zur Abnicker-Riege verkommen sein sollte, aufgrund Kooptierens von abgehalfterten Ministerpräsidenten, die man nicht an BGH, BSG, BAG, BVerwG oder BFH sich zu berufen getraut hätte.

Und dass das Netzwerkzersetzungsgesetz jeden betrifft, selbst den Obdachlosen, der im Internetcafe surft, halte ich für unmittelbar offensichtlich.

Ich bin etwas irritiert. Wenn ich mich richtig an mein Jurastudium erinnere, ist die Rechtslage wie folgt:

Die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz sieht nicht vor, dass jeder in jedem Fall betroffen ist, sondern sie richtet sich nach dem BVerfGG (akademische Diskussionen darüber, dass ein einfaches Gesetz selbstverständlich nicht verbindlich den Anwendungsbereich der verfassungsrechtlich normierten Verfassungsbeschwerde definieren kann, mal außen vor). Dieses sieht in § 90 Abs. 1 BVerfGG vor:

Zitat von: § 90 Abs. 1 BVerfGG
Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

Auch bei der Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz ist damit eine konkrete Betroffenheit zwingend erforderlich. Diese muss zumindest schlüssig dargelegt werden, was bedeutet: Der Beschwerdeführer muss zumindest darlegen, unter den Anwendungsbereich des Gesetzes zu fallen.

Der Unterschied bei Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen Gesetze zu Verfassungsbeschwerden gegen anderes staatliches Handeln (etwa Verwaltungsakte) liegt darin, dass bei Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen Gesetze vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde die Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 BVerfGG nicht gefordert wird, weil gegen legislatives Handeln der Rechtsweg grundsätzlich nicht zulässig ist.

Zu beachten ist darüber hinaus die Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG:

Zitat von: § 93 Abs. 3 BVerfGG
Richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz oder gegen einen sonstigen Hoheitsakt, gegen den ein Rechtsweg nicht offensteht, so kann die Verfassungsbeschwerde nur binnen eines Jahres seit dem Inkrafttreten des Gesetzes oder dem Erlaß des Hoheitsaktes erhoben werden.

Bedeutet: Selbst wenn ich von einem Gesetz unmittelbar betroffen bin und es für verfassungswidrig halte, kann ich nur binnen eines Jahres unmittelbar gegen dieses Gesetz Verfassungsbeschwerde erheben.
Bekennender Reisburger
 

Offline contra legem

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Zitat von: § 90 Abs. 1 BVerfGG
Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.

Auch bei der Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz ist damit eine konkrete Betroffenheit zwingend erforderlich. Diese muss zumindest schlüssig dargelegt werden, was bedeutet: Der Beschwerdeführer muss zumindest darlegen, unter den Anwendungsbereich des Gesetzes zu fallen.

Genau das hatte ich doch geschrieben, aber: ...

Der Unterschied bei Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen Gesetze zu Verfassungsbeschwerden gegen anderes staatliches Handeln (etwa Verwaltungsakte) liegt darin, dass bei Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen Gesetze vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde die Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 BVerfGG nicht gefordert wird, weil gegen legislatives Handeln der Rechtsweg grundsätzlich nicht zulässig ist.
Bedeutet: Selbst wenn ich von einem Gesetz unmittelbar betroffen bin und es für verfassungswidrig halte, kann ich nur binnen eines Jahres unmittelbar gegen dieses Gesetz Verfassungsbeschwerde erheben.

... das ist so nicht vollständig:

Natürlich, siehe meine Bezugnahme auf das Wort "zulässig", muss eine wie auch immer geartete Betroffenheit im Sinne einer Grundrechtseinschränkung vorliegen.

Aber keine konkrete.

Konkretisiert wird (mit wenigen Ausnahmen, etwa der 'Abschaffung der Staatsangehörigkeit', ob nun technisch möglich oder nicht - fiktives Beispiel, weil konkrete echt kaum vorstellbar sind) ein Gesetz stets nur durch einen Verwaltungsakt (oder meinetwegen eine Allgemeinverfügung).

Auch das Volkszählungsgesetz 1983 wirkte nie "konkret" und "unmittelbar" gegen irgendeinen Bürger oder illegal sich im Inland aufhaltenden Ausländer (Stichworte u.a.: 'Melderegisterabgleich'), sondern erst mit der Aufforderung durch Auftauchen des Volkszählungsbeauftragten bzw. Übersendung/Bekanntgabe des Erfassungsbogens. Danach hätte nun jeder, der sich beschwert fühlte, erst Widerspruch einlegen müssen, dann evtl. klagen durch mehere (VG-) Instanzen, die das Gesetz womöglich für verfassungskonform befunden hätten (also keine Vorlage) und erst dann hätte derjenige beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde erheben können.

Das hätte aber bedeutet: die Daten sind bereits erhoben und verarbeitet (wegen der parallelen Zwangsgeldandrohung und Ersatzvornahme) und der Erfolg der Verfassungsbeschwerde hätte diese nur noch in eine Art Feststellungsklage münden lassen.

Nun wäre das gleiche auch denkbar, wenn nur Garagenbesitzer gezählt worden wären und nicht die gesamte Bevölkerung. In diesem Falle wäre aber nicht schlichtweg "jeder" zu erfassen gewesen, sondern nur der, der eine Garage besitzt zum Erfassungsstichtag. Zum Tag des Inkraftretens wären aber Herr Meier und Herr Müller Garagenbesitzer gewesen, Herr Schulze noch nicht. Am Stichtag der Garagenbesitzer-Zählung hätten aber Herr Schulze und Herr Meier Garagen besessen, Herr Müller aber nicht mehr.

Weder hätte Herr Schulze "auf Vorrat" Verfassungsbeschwerde erheben können noch wäre Herr Müller aktiv legitimiert gewesen, hätte er doch nach Inkrafttreten binnen der Jahresfrist Verfassungsbeschwerde erhoben, zu deren Behandlung bzw. beim Urteil oder Beschluss seitens des BVerfG aber keine Garage mehr besessen, also wäre er von dem Gesetz nicht mehr erfasst worden und nicht mehr beschwert/aktivlegitimiert gewesen.

Auch eine Strassenverkehrszulassungsordnung in heutiger Form, wiewohl sie jeden betrifft, betrifft konkret doch nicht jeden, da nicht jeder einen Führerschein erwerben will. Würde diese StVZO aber novelliert, so dass jeder, der sich in den öffentlichen Raum wagt, künftig einen 'Füherschein', auch als Fussgänger, bräuchte, wäre die Bedingung erfüllt und der Beschwerdeweg unmittelbar gegen diese StVZO-Novelle eröffnet. Ähnliches ist denkbar bei der Bargeldabschaffung, nicht aber bei der Beschränkung auf Zahlungen unter 10.000 pro Transaktion, da ja immer noch viele Bürger nie davon betroffen sein dürften.

Vermutlich ist nicht mal eine Wehrpflicht, die nur Männer betrifft, aber davon alle bestimmter Jahrgänge, unmittelbar mit Verfassungsbeschwerde angreifbar. Schon da wird nicht jeder 'gezogen', anders als bei einer allgemeinen Volkszählung oder einer allgemeinen Haushaltsabgabe (für die ja alle Haushaltsmitglieder potentiell haften).

Darum hat der Gesetzgeber -weiter ausgestaltet durch Rspr. des BVerfG- vorgesehen, nur dann, wenn unzweifelhaft jeder Gesetzesaddressat ist und nicht eine zu keinem Zeitpunkt während des Beschwerdeverfahrens abstrakt bestimmbare (Unter-) Menge derselben potentiellen Adressaten, dass nur dann eine Beschwerde unmittelbar (also nicht durch intermediäre Erschöpfung des Rechtsweges 'vermittelt') gegen das Gesetz zulässig sein soll.

Als einer, der dieses Verfahren zweimal durchxerziert hat, mit vollem und einmal mit Teilerfolg, glaube ich, mich auszukennen. Die Zahl der nicht unmittelbar gegen ein Gesetz gerichteten, nach Erschöpfung des Rechtsweges betreuten Verfassungsbeschwerden, teils zur Entscheidung angenommen, teils nicht angenommen, lässt sich dagegen nicht mehr an zwei Händen abzählen.

Also: bei Beschwerde unmittelbar gegen das Gesetz ist niemand konkret betroffen (jedenfalls ist mir von der überschaubaren Zahl solcher seit ca. 1953 zur Entscheidung angenommenen Verfahren keine Konstellation bekannt, die nicht ohne einen noch erst zu erlassenden Verwaltungsakt/Steuerbescheid ausgekommen wäre), sondern 'abstrakt' (meine Diktion).
« Letzte Änderung: 24. August 2017, 17:25:13 von contra legem »
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Das ist so nicht vollständig:

Natürlich, siehe meine Bezugnahme auf das Wort "zulässig", muss eine wie auch immer geartete Betroffenheit im Sinne einer Grundrechtseinschränkung vorliegen.

Aber keine konkrete.

Konkretisiert wird (mit wenigen Ausnahmen, etwa der 'Abschaffung der Staatsangehörigkeit', ob nun technisch möglich oder nicht - fiktives Beispiel, weil konkrete echt kaum vorstellbar sind) ein Gesetz stets nur durch einen Verwaltungsakt (oder meinetwegen eine Allgemeinverfügung).

Auch das Volkszählungsgesetz 1983 wirkte nie "konkret" und "unmittelbar" gegen irgendeinen Bürger oder illegal sich im Inland aufhaltenden Ausländer (Stichworte u.a.: 'Melderegisterabgleich'), sondern erst mit der Aufforderung durch Auftauchen des Volkszählungsbeauftragten bzw. Übersendung/Bekanntgabe des Erfassungsbogens. Danach hätte nun jeder, der sich beschwert fühlte, erst Widerspruch einlegen müssen, dann evtl. klagen durch mehere (VG-) Instanzen, die das Gesetz womöglich für verfassungskonform befunden hätten (also keine Vorlage) und erst dann hätte derjenige beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde erheben können.

Das hätte aber bedeutet: die Daten sind bereits erhoben und verarbeitet (wegen der parallelen Zwangsgeldandrohung und Ersatzvornahme) und der Erfolg der Verfassungsbeschwerde hätte diese nur noch in eine Art Feststellungsklage münden lassen.

Nun wäre das gleiche auch denkbar, wenn nur Garagenbesitzer gezählt worden wären und nicht die gesamte Bevölkerung. In diesem Falle wäre aber nicht schlichtweg "jeder" zu erfassen gewesen, sondern nur der, der eine Garage besitzt zum Erfassungsstichtag. Zum Tag des Inkraftretens wären aber Herr Meier und Herr Müller Garagenbesitzer gewesen, Herr Schulze noch nicht. Am Stichtag der Garagenbesitzer-Zählung hätten aber Herr Schulze und Herr Meier Garagen besessen, Herr Müller aber nicht mehr.

Weder hätte Herr Schulze "auf Vorrat" Verfassungsbeschwerde erheben können noch wäre Herr Müller aktiv legitimiert gewesen, hätte er doch nach Inkrafttreten binnen der Jahresfrist Verfassungsbeschwerde erhoben, zu deren Behandlung bzw. beim Urteil oder Beschluss seitens des BVerfG aber keine Garage mehr besessen, also wäre er von dem Gesetz nicht mehr erfasst worden und nicht mehr beschwert/aktivlegitimiert gewesen.

Auch eine Strassenverkehrszulassungsordnung in heutiger Form, wiewohl sie jeden betrifft, betrifft konkret doch nicht jeden, da nicht jeder einen Führerschein erwerben will. Würde diese StVZO aber novelliert, so dass jeder, der sich in den öffentlichen Raum wagt, künftig einen 'Füherschein' auch als Fussgänger, bräuchte, wäre die Bedingung erfüllt und der Beschwerdeweg unmittelbar gegen diese StVZO-Novelle eröffnet. Ähnliches ist denkbar bei der Bargeldabschaffung, nicht aber bei der Beschränkung auf Zahlungen unter 10.000 pro Transkation, da ja immer noch viele Bürger nie davon betroffen sein dürften.

Vermutlich ist nicht mal eine Wehrpflicht, die nur Männer betrifft, aber davon alle bestimmter Jahrgänge, unmittelbar mit Verfassungsbeschwerde angreifbar. Schon da wird nicht jeder 'gezogen', anders als bei einer allgemeinen Volkszählung oder einer allgemeinen Haushaltsabgabe (für die ja alle Haushaltsmitglieder potentiell haften).

Darum hat der Gesetzgeber -weiter ausgestaltet durch Rspr. des BVerfG- vorgesehen, nur dann, wenn unzweifelhaft jeder Gesetzesaddressat ist und nicht eine zu keinem Zeitpunkt während des Beschwerdeverfahrens abstrakt bestimmbare (Unter-) Menge derselben potentiellen Adressaten, dass nur dann eine Beschwerde unmittelbar (also nicht durch intermediäre Erschöpfung des Rechtsweges 'vermittelt') gegen das Gesetz zulässig sein soll.

Als einer, der dieses Verfahren zweimal durchxerziert hat, mit vollem und einmal mit Teilerfolg, glaube ich, mich auszukennen. Die Zahl der nicht unmittelbar gegen ein Gesetz gerichteten, nach Erschöpfung des Rechtsweges betreuten Verfassungsbeschwerden, teils zur Entscheidung angenommen, teils nicht angenommen, lässt sich dagegen nicht mehr an zwei Händen abzählen.

Also: bei Beschwerde unmittelbar gegen das Gesetz ist niemand konkret betroffen (jedenfalls ist mir von der überschaubaren Zahl solcher seit ca. 1953 zur Entscheidung angenommenen Verfahren keine Konstellation bekannt, die nicht ohne einen noch erst zu erlassenden Verwaltungsakt/Steuerbescheid ausgekommen wäre), sondern 'abstrakt' (meine Diktion).

Ich verstehe die Ausführungen nicht. Auch bei einer Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze muss der Beschwerdeführer grundsätzlich selber, unmittelbar und gegenwärtig betroffen sein. Richtig ist zwar, dass beim Volkszählungsurteil eine Aufforderung zur Auskunftserteilung notwendig ist; allerdings darf das Bundesverfassungsgericht in bestimmten Fällen schon vor Erlass eines Vollziehungsaktes bei unmittelbar gegen das Gesetz gerichtete Verfassungsbeschwerden entscheiden, wenn den Beschwerdeführern schwere Nachteile durch eine spätere Entscheidung drohen. Die Beschwerdeführer müssen jedoch immer darlegen, dass sie Normadressaten und damit vom Gesetz (potentiell) betroffen sind. Die Ausführungen dazu, dass jeder betroffen sein muss, sind äußerst fragwürdig; wie viele Personen von einem Gesetz betroffen sind, ist für eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz irrelevant, solange der Beschwerdeführer darlegen kann, dass zumindest er selbst von dem Gesetz unmittelbar und gegenwärtig betroffen ist.

Zu der unmittelbaren Betroffenheit durch Gesetz gibt es gleich drei relativ aktuelle Beispiele: Einmal die Verfassungsbeschwerde gegen das VSG NRW (BVerfG, Urt. v. 27.02.2008, Az. 1 BvR 370/07 und 1 BvR 595/07): In diesem Urteil wurde das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme erstmalig erwähnt. Dann das Urteil gegen die Vorratsdatenspeicherung (BVerfG, Urt. v. 02.03.2010, Az. 1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08 und 1 BvR 586/08). Und drittens das Urteil gegen das Luftsicherheitsgesetz (BVerfG, Urt. v. 15.02.2006, Az. BvR 357/05), in dem das BVerfG zur eigenen, unmittelbaren und gegenwärtigen Betroffenheit ausführt:

Zitat
Die Voraussetzung der eigenen und gegenwärtigen Betroffenheit ist grundsätzlich erfüllt, wenn der Beschwerdeführer darlegt, dass er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die auf den angegriffenen Vorschriften beruhenden Maßnahmen in seinen Grundrechten berührt wird (vgl. BVerfGE 100, 313 <354>; 109, 279 <307 f.>). Unmittelbare Betroffenheit ist schließlich gegeben, wenn die angegriffenen Bestimmungen, ohne eines weiteren Vollzugsakts zu bedürfen, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers verändern (vgl. BVerfGE 97, 157 <164>; 102, 197 <207>). Das ist auch dann anzunehmen, wenn dieser gegen einen denkbaren Vollzugsakt nicht oder nicht in zumutbarer Weise vorgehen kann (vgl. BVerfGE 100, 313 <354>; 109, 279 <306 f.>).

Zu dem "durchexerzieren" der Verfassungsbeschwerde: Wie warst du in diese involviert? Hast du die Beschwerde geschrieben oder war es eines dieser Massenverfahren, bei denen man eine Vollmacht abgeben konnte und bei denen dann medientauglich die Verfassungsbeschwerde im Namen von x tausend Personen gegen ein Gesetz eingereicht wurde wie bei der Vorratsdatenspeicherung?
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Offline contra legem

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Ich verstehe die Ausführungen nicht. Auch bei einer Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze muss der Beschwerdeführer grundsätzlich selber, unmittelbar und gegenwärtig betroffen sein. Richtig ist zwar, dass beim Volkszählungsurteil eine Aufforderung zur Auskunftserteilung notwendig ist; allerdings darf das Bundesverfassungsgericht in bestimmten Fällen schon vor Erlass eines Vollziehungsaktes bei unmittelbar gegen das Gesetz gerichtete Verfassungsbeschwerden entscheiden, wenn den Beschwerdeführern schwere Nachteile durch eine spätere Entscheidung drohen. Die Beschwerdeführer müssen jedoch immer darlegen, dass sie Normadressaten und damit vom Gesetz (potentiell) betroffen sind.

Aber da widersprichst Du Dir doch gerade!

"... selber, unmittelbar und gegenwärtig betroffen ..."

"... schwere Nachteile durch eine spätere Entscheidung ..."

Sehe nur ich den Widerspruch nicht?

Eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz hat zwei engere Voraussetzungen, als eine nach Erschöpfung des Rechtsweges:

a) Es muss nicht nur potentiell jeder betroffen sein. Notabene: nicht nur jeder Normadressat, das gilt ja bei jedem Gesetz, dass 'irgendwer' Normadressat ist, sondern umgekehrt jeder muss Normadressat sein.

Beim Beamtengesetz sind nur Beamte Normadressat, bei der Bauordnung nur Bauherren (i.W.) usw., beim Einkommensteuergesetz nur jeder, der steuerbare Einkünfte erzielt ...

b) Und jeder dieser Betroffenen muss auch noch in seinen Grundrechten eingeschränkt sein.

Dies ist ein seltener Fall und trifft nur bei sehr wenigen Gesetzen zu, beim Netzwerkersetzungsgesetz theoretisch auch nur auf Menschen, die sich im "Netzwerk" betätigen, aber dennoch sind das soviele, dass man davon ausgehen darf, während der Geltungsdauer des Gesetzes über mehrere Jahre wird jeder (Inländer) einmal mindestens betroffen sein, auch wenn er sich nicht persönlich damit unzufrieden fühlt.

Ich bleibe dabei: bei der normalen Erschöpfung des Rechtsweges stammt die Betroffenheit aus einem konkreten vorgefallenen Grundrechtseingriff, bei der Beschwerde unmittelbar gegen das Gesetz besteht nur ein möglicher, aber in Zukunft gewisser Grundrechtseingriff (dem man sich z.B. durch Auslandsaufenthalt entziehen könnte), und das ist nicht meine Definition von "konkret"!

Bei allen anderen Gesetzen ist der Eingriff in die Grundrechte ungewiss.
« Letzte Änderung: 24. August 2017, 18:35:10 von contra legem »
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Offline Rima882

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@contra legem

Ich glaube, wir reden hier von zwei verschiedenen Dingen. @kairo und ich behandeln die abstrakte Normenkontrolle. Da die AfD den Gang zum Bundesverfassungsgericht erst für die Zeit nach dem Einzug in den Bundestag angekündigt hat, spricht viel dafür, dass damit eben diese Klageart gemeint ist. Denn eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz ware ja schon jetzt möglich und wegen des absehbaren Ablaufs der einjährigen Klagefrist (§ 93 Abs.3 BVerfGG), auf die @KarlKlammer schon zutreffend hingewiesen hat, auch bald nötig. Die abstrakte Normenkontrolle kennt dagegen keine Klagefrist.

Und sehr spitzfindig gesagt, wird der Internetbenutzer durch das Gesetz selbst eigentlich noch gar nicht unmittelbar betroffen, sondern erst dadurch, dass der Internetplattform-Betreiber eine Äußerung des Benutzers unterbindet (über diesen Punkt können die Meinungen aber in der Tat auseinandergehen; beim Volkszählungsgesetz, wo die Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zulässig war, lag der Fall ja ähnlich).

Für die Verfassungsbeschwerde, auf Du Dich als weitere mögliche Klageart beziehst, sehe ich aber ein ganz anderes, gravierendes Hindernis. Da die Richter des Bundesverfassungsgerichts bekanntlich von denselben Illuminaten, Bilderbergern und Reptiloiden bestimmt (wenn auch durch andere formell ernannt) werden wie die Regierungsmitglieder, wird das Gericht auf die Ausschöpfung des Rechtsweges (§ 90 Abs.2 BVerfGG) besonderen Wert legen. Solange man im Zusammenhang mit dem fraglichen Gesetz irgendwie anderswo klagen kann, kann man üblicherweise beim Bundesverfassungsgericht nicht gegen das Gesetz klagen. D.h. wenn einem eine regierungskritische Äußerung ein angeblicher Hasskommentar gelöscht wurde, darf man sich als einfacher Bürger erst bis hoch zum BGH mit milliardenschweren Unternehmen wie Facebook, Youtube, Google usw. herumstreiten, bevor die Damen und Herren Verfassungsrichter in Karlsruhe sich bequemen, den aus Anlass einer Verfassungsbeschwerde entstandenen Aktenstapel an ihre wissenschaftlichen Mitarbeiter zur weiteren Bearbeitung durchzureichen. Bis es dann zu einer Entscheidung kommt, ist das kritisierte Regierungsmitglied wahrscheinlich schon längst nicht mehr im Amt. Immerhin hat man dann für sich selbst wenig, für die Netzgemeinschaft aber sehr viel erreicht.

 
« Letzte Änderung: 25. August 2017, 03:11:42 von Rima882 »
Seinlassen ist das Sicheinlassen auf das Seiende.

(Martin Heidegger)
 
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Offline Rima882

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Zitat
D.h. wenn einem eine regierungskritische Äußerung ein angeblicher Hasskommentar gelöscht wurde, darf man sich als einfacher Bürger erst bis hoch zum BGH mit milliardenschweren Unternehmen wie Facebook, Youtube, Google usw. herumstreiten, ...

Vielleicht hat man auf dem Weg zum BGH ja auch Glück und findet im Instanzenzug ein Gericht, welches die eigenen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes teilt, das Verfahren aussetzt und eine konkrete Normenkontrolle (Art. 100 Abs.1 GG, §§ 80 ff. BVerfGG) ins Rollen bringt. Wobei das den Grundrechtsträgern aber auch nicht unbedingt hilft, denn dem Vernehmen nach sind erstaunlich viele konkrete Normenkontroll-Anträge unzulässig, weil viele Gerichte offenbar daran scheitern, die dabei einzuhaltenden Formalien einzuhalten.
« Letzte Änderung: 25. August 2017, 08:30:17 von Rima882 »
Seinlassen ist das Sicheinlassen auf das Seiende.

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Offline KarlKlammer

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"... selber, unmittelbar und gegenwärtig betroffen ..."

"... schwere Nachteile durch eine spätere Entscheidung ..."

Sehe nur ich den Widerspruch nicht?

Ich sehe da keinen Widerspruch. Die gegenwärtige Betroffenheit bezieht sich auf die Betroffenheit durch die hoheitliche Maßnahme, die gerügt wird. Mit der späteren Entscheidung ist die Gerichtsentscheidung gemeint: Wenn diese nicht jetzt, sondern später (nach weiteren hoheitlichen Akten, die als Anknüpfungspunkt für eine Klage oder Verfassungsbeschwerde ebenfalls in Frage kämen) erfolgt, müssen schwere Nachteile drohen.

Eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz hat zwei engere Voraussetzungen, als eine nach Erschöpfung des Rechtsweges:

a) Es muss nicht nur potentiell jeder betroffen sein. Notabene: nicht nur jeder Normadressat, das gilt ja bei jedem Gesetz, dass 'irgendwer' Normadressat ist, sondern umgekehrt jeder muss Normadressat sein.

Beim Beamtengesetz sind nur Beamte Normadressat, bei der Bauordnung nur Bauherren (i.W.) usw., beim Einkommensteuergesetz nur jeder, der steuerbare Einkünfte erzielt ...

b) Und jeder dieser Betroffenen muss auch noch in seinen Grundrechten eingeschränkt sein.

Dies ist ein seltener Fall und trifft nur bei sehr wenigen Gesetzen zu, beim Netzwerkersetzungsgesetz theoretisch auch nur auf Menschen, die sich im "Netzwerk" betätigen, aber dennoch sind das soviele, dass man davon ausgehen darf, während der Geltungsdauer des Gesetzes über mehrere Jahre wird jeder (Inländer) einmal mindestens betroffen sein, auch wenn er sich nicht persönlich damit unzufrieden fühlt.

Ich bleibe dabei: bei der normalen Erschöpfung des Rechtsweges stammt die Betroffenheit aus einem konkreten vorgefallenen Grundrechtseingriff, bei der Beschwerde unmittelbar gegen das Gesetz besteht nur ein möglicher, aber in Zukunft gewisser Grundrechtseingriff (dem man sich z.B. durch Auslandsaufenthalt entziehen könnte), und das ist nicht meine Definition von "konkret"!

Bei allen anderen Gesetzen ist der Eingriff in die Grundrechte ungewiss.

Lassen wir mal das "konkret" beiseite, weil es sich in der Form weder aus den maßgeblichen Gesetzen noch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt. Woraus ziehst du eigentlich die Erkenntnis, dass das Bundesverfassungsgericht diese engen Voraussetzungen aufstellt? Hast du hierzu eine Quelle, etwa eine Bundesverfassungsgerichtsentscheidung? In den von mir genannten Entscheidungen steht hierzu nichts. Das Gesetz gibt die Rechtsauffassung, dass für eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz jeder betroffen sein muss, auch nichts her. Ich habe den Beck-Onlinekommentar sowie den Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge zum BVerfGG herangezogen: Auch diese nennen die angeblich engen Voraussetzungen nicht. Schließlich hat auch ein Check bei Juris diese Voraussetzungen nicht ergeben: Überall ist lediglich die Rede davon, dass der Beschwerdeführer darlegen muss, selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen zu sein und es wird auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze hingewiesen.

Vor diesem Hintergrund halte ich die Aussage, jeder müsse Normadressat sein, weiterhin nicht für stichhaltig.

[edit]

Mir fällt auf: Bei den von dir aufgestellten Voraussetzungen wäre eine Verfassungsbeschwerde gegen das Luftsicherheitsgesetz unzulässig gewesen. Normadressat war nicht "jeder", sondern Personen, die fliegen. Ein Grundrechtseingriff durch ein weiteres Handeln war auch nicht gewiss, weil völlig unklar war, ob diese Norm jemals zur Anwendung gekommen wäre. In dem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht bei den Beschwerdeführern genügen lassen, dass sie als Vielflieger potentiell betroffen wären. Hätte allerdings jemand geklagt, der nicht fliegt - etwa wegen Flugangst - wäre seine Verfassungsbeschwerde unproblematisch als unzulässig verworfen worden.
« Letzte Änderung: 25. August 2017, 09:52:16 von KarlKlammer »
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Ja, das hatte ich ja schon mehrfach eingeräumt, dass ich einfach immer (bei Laien - und Weidel ist Nicht-Juristin) davon ausgehe, dass sie den falschen Begriff wählen, stets aber das nächsterreichbare zulässige Rechtsmittel meinen (bis auf die OPPTler etc. - die erfinden welche).

Und sehr spitzfindig gesagt, wird der Internetbenutzer durch das Gesetz selbst eigentlich noch gar nicht unmittelbar betroffen, sondern erst dadurch, dass der Internetplattform-Betreiber eine Äußerung des Benutzers unterbindet ...

Das sehe ich nicht ganz so, denn wenn eine Art Zensur eingeführt wird, auf welchem Wege auch immer, ist, und das sieht m.E. das Verfassungsgericht seit seiner Geburt so, jeder betroffen ("die Rechtsordnung ist eine Einheit" and all that). (Grundgesetzwidrige) Betroffenheit entsteht schon dadurch, dass ich mich nicht mehr traue, z.B. am Kiosk nach 'Junge Freiheit' oder 'Junge Welt' zu fragen!

... wird das Gericht auf die Ausschöpfung des Rechtsweges (§ 90 Abs.2 BVerfGG) besonderen Wert legen. Solange man im Zusammenhang mit dem fraglichen Gesetz irgendwie anderswo klagen kann, kann man üblicherweise beim Bundesverfassungsgericht nicht gegen das Gesetz klagen.

Und da habe ich, auch wenn ich gegen einen abgehalfterten Ministerpräsidenten dort gelästert habe, noch ein stückweit Hoffnung: als das Bundesverfassungsgericht, erster Senat, unter Ernst Benda über das Volkszählungsgesetz zu Gericht sass, war ich ja unmittelbar beteiligt. Auf einer von wenigen Diskussionsveranstaltungen zuvor, auf denen ich als (Mit-) Redner geladen war, fragte der Moderator, wie denn das Bundesverfassungsgericht entscheiden werde und ich sagte als einziger der 'Talkrunde' "Es wird eine einstweilige Anordnung erlassen und wir werden auf Jahre keine Volkszählung haben, und wenn die Bundesregierung schlau ist, wird sie, da diese Zählungen dekadisch von der EG angeordnet sind, um sie auf europäischer Ebene konsolidieren zu können, wohl erst 1990 wieder eine durchführen.".

Mit dem ersten Teil hatte ich recht behalten, obwohl die Bundesregierung von Prof. Badura als ihrem Prozessvertreter (der übrigens eine sagenhaft schlechte Figur abgab, wie ein Jurastudent in den unteren Semestern, mit Stottern und scheinbarer Gesetzesunkenntnis, trotz seiner Herausgeberschaft des Readers "Besonderes Verwaltungsrecht" im de Gruyter-Verlag) die Meinung vertrat, man könne die alten Zählbogen weiter nutzen und nächstes Jahr (1984) weitermachen, bloss vielleicht ohne Melderegisterabgleich.

Das wurde bekanntlich nichts. Man hat dann die Zählung völlig 'ausser Takt' 1986 'wiederholt'. Da man die Richtigkeit nicht überprüfen kann (Statistikgeheimnis) und der alte Unwille in der Bevölkerung noch da war, waren die Daten aufgrund passiven Widerstands extrem unzuverlässig.

Da ich dem Ernst Benda, der für die Notstandsgesetze verantwortlich war (und die Studentenrevolte wesentlich dadurch mit losgetreten hatte), in der mündlichen Verhandlung (auch das eine Seltenheit) nah genug gegenüber sass, um ihm 'ins Weisse seiner Augen' zu sehen, und seine Mimik zu studieren, war ich einigermassen überrascht, mit welcher Kaltschnäuzigkeit er als ehemaliger law-and-order-Scharfmacher die Bundesregierung etc. abkanzelte bzw. in die Schranken (des Grundgesetzes) verwies.

Im Anschluss wohnte ich einem Kurzinterview eines der Prozessvertreter, mit dem ich befreundet war, bei, das dieser mit dem damaligen Bundesinnenminister führte ('Old Schwurhand' Zimmermann) und zwischen dem und seinem Amtsvorgänger lagen Welten, was Kenntnisse und Souveränität anging (aber Benda war da ja schon habilitiert und machte Druck, das Verfahren im Oktober abzuschliessen, da er seine Professur antreten wollte).

So gibt es bei dem Ministerpäsidenten Müller zwei Möglichkeiten: er legt sich auf die faule Haut oder er wird eine Art Benda, der, und das scheint beim BVerfG eher die Regel zu sein, durch Eintritt in die oberste Judikative auch deren Sichtweise annimmt und zum Liberalen mutiert. wer weiss.

Dass, wie im Folgebeitrag erwähnt, oberste Bundesgerichte regelmässig daran scheitern, eine formell korrekte Vorlage ans BVerfG zu verfassen, verleitet mich, zu denken, dass, wenn selbst oberste Bundesrichter das nicht schaffen, dann auch auf unterer Ebene das 'Ticken' des BVerfG vielleicht erklärungsbedürftig sein könnte.
« Letzte Änderung: 25. August 2017, 10:20:47 von contra legem »
UCC und CIC - des Souveränen gute Fee!
 
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@contra legem

Zitat
Und da habe ich, auch wenn ich gegen einen abgehalfterten Ministerpräsidenten dort gelästert habe, noch ein stückweit Hoffnung...

Die habe ich - anders als Du - leider nicht. Das Volkszählungsurteil stammt aus einer anderen Epoche. Heute sind nach meiner - zugegeben nicht wissenschaftlich überprüften - Einschätzung die Richter am Bundesverfassungsgericht "regierungskonformer" und "bürgerfreundliche" Entscheidungen des allerhöchsten Gerichts seltener geworden. Das liegt zum Teil sicher auch daran, dass die Anzahl komplett schwachsinniger Verfassungsbeschwerden in den letzten Jahren erheblich zugenommen haben dürfte. Will sagen, dass das Gericht einen Beschwerdeführer im Zweifel erst auf den Rechtsweg gegen die betreffende Internetplattform schicken wird, bevor es selbst interveniert - wenn überhaupt. Ohne jetzt in den VT-Wahn unserer Kundschaft abgleiten zu wollen, könnte ich mir in meinen düsteren Grübelminuten sogar vorstellen, dass diese rechtliche Unsicherheit des Gesetzes seitens des "Systems" mehr als bewusst in Kauf genommen wurde, um noch schwerer angreifbar zu sein.

Ach ja: ich bin absolut kein Kleinigkeitskrämer, aber die tatsächlich durchgeführte Volkszählung war 1987 (da sie mit einem ziemlich blöden Ereignis in meinem privaten Umfeld zusammentraf, prägte sich das Datum bei mir ein). 
« Letzte Änderung: 25. August 2017, 11:40:21 von Rima882 »
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Offline Ranz

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Das Jo Conrad Double Hagen ruft die AfD Lemminge auf gegen den Wahlbetrug in Deutschland vorzugehen, Motto "Werdet Wahlhelfer" .
« Letzte Änderung: 25. August 2017, 15:06:39 von Ranz »
 

Offline Gast aus dem Off

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Da sollte man die zuständige Behörde doch mal über Arnos Grund, zur freiwilligen Meldung, informieren.

Der dusselige Grell hat keine Ahnung! War der überhaupt jemals selbst bei einer Wahl? Man könnte vermuten: Nein!
« Letzte Änderung: 25. August 2017, 15:30:23 von Gast aus dem Off »
 

Offline KarlKlammer

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Das Jo Conrad Double Hagen ruft die AfD Lemminge auf gegen den Wahlbetrug in Deutschland vorzugehen, Motto "Werdet Wahlhelfer" .
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Das Rechenbeispiel ist super. Wer das Video nicht gesehen hat: Etwa ab Minute 2 geht Grell auf die Unregelmäßigkeiten bei der Landtagswahl NRW ein. Dort gab es in 50 von 15.000 Stimmbezirken Unregelmäßigkeiten zu Lasten der AfD, so dass das Ergebnis um 2.200 Stimmen mehr zu Gunsten der AfD korrigiert werden musste. In dem Video wird gerechnet, dass es bei 15.000 Stimmbezirken theoretisch 660.000 Stimmen mehr für die AfD geben könnte. Dass es sich dabei um eine Milchmädchenrechnung handelt, fällt ihm offenbar nicht auf. Dabei gibt er bei Minute 3:30 offen zu, dass er den Fall in NRW nicht genau kennt ("Die überprüften Stimmbezirke waren nur 50, offensichtlich... Ich hab' jetzt die Geschichte gar nicht weiter verfolgt"), was ihn aber nicht daran hindert, völlig bescheuerte Schlussfolgerungen zu ziehen.
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Offline rtk

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Offline contra legem

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Lassen wir mal das "konkret" beiseite, weil es sich in der Form weder aus den maßgeblichen Gesetzen noch aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt. Woraus ziehst du eigentlich die Erkenntnis, dass das Bundesverfassungsgericht diese engen Voraussetzungen aufstellt? Hast du hierzu eine Quelle, etwa eine Bundesverfassungsgerichtsentscheidung? In den von mir genannten Entscheidungen steht hierzu nichts. Das Gesetz gibt die Rechtsauffassung, dass für eine Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz jeder betroffen sein muss, auch nichts her. Ich habe den Beck-Onlinekommentar sowie den Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge zum BVerfGG herangezogen: Auch diese nennen die angeblich engen Voraussetzungen nicht. Schließlich hat auch ein Check bei Juris diese Voraussetzungen nicht ergeben: Überall ist lediglich die Rede davon, dass der Beschwerdeführer darlegen muss, selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen zu sein und es wird auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze hingewiesen.

Schauen wir uns mal die einschlägigen Bundesverfassungsgerichts-Entscheidungen, auch und gerade in den Nichtannahmenentscheidungen, an (alle fetten Hervorhebungen von mir):

- 1 BvR 840/08 - 1. Juli 2008

"Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz, so setzt die Beschwerdebefugnis voraus, dass der Beschwerdeführer durch die angegriffene Norm nicht nur selbst und gegenwärtig, sondern auch unmittelbar in seinen Grundrechten betroffen ist (vgl. BVerfGE 115, 118 <137>; stRspr). Eine unmittelbare Betroffenheit liegt vor, wenn die angegriffene Bestimmung, ohne eines weiteren Vollzugsaktes zu bedürfen, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers verändert (vgl. BVerfGE 115, 118 <137>; m.w.N.) ... muss also geltend machen, dass er gerade durch die Norm und nicht erst durch ihren Vollzug in seinen Grundrechten betroffen ist. Setzt das Gesetz zu seiner Durchführung rechtsnotwendig oder auch nur nach der tatsächlichen staatlichen Praxis einen besonderen, vom Willen der vollziehenden Stelle beeinflussten Vollziehungsakt voraus, muss der Beschwerdeführer grundsätzlich zunächst diesen Akt angreifen und den gegen ihn eröffneten Rechtsweg beschreiten, ... Eine unmittelbare Betroffenheit wird ausnahmsweise aber dann bejaht, wenn die Norm ihren Adressaten bereits vor konkreten Vollzugsakten zu später nicht mehr korrigierbaren Dispositionen veranlasst (vgl. BVerfGE 97, 157 <164>; m.w.N.). Auch kann sich die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein vollziehungsbedürftiges Gesetz richten, wenn der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht beschreiten kann, weil es ihn nicht gibt (vgl. BVerfGE 67, 157 <170>) oder weil er keine Kenntnis von der Maßnahme erlangen kann (vgl. BVerfGE 100, 313 <354>)."

Das klingt doch verdächtig nach dem, was ich geschrieben hatte.

Beim Rundfunkbeitrag als Haushaltsabgabe jedes Haushaltes ist zwar ein Beitragsbescheid zu erteilen, aber dieser setzt keinen "besonderen, vom Willen der vollziehenden Stelle beeinflussten Vollziehungsakt" voraus, d.h. jeder Haushalt, und damit jeder Mensch, denn jeder führt mit vernachlässigbaren Ausnahmen einen Haushalt, ist unmittelbar betroffen; dass die Behörde sich weigern könnte, einen Haushalt zur Rundfunkabgabe heranzuziehen, ist rechtlich nicht vorgesehen.

Beim Luftsicherheitsgesetz lag die Sache komplizierter, aber auch hier schwingt mit, dass jeder (mind. einmal im Leben) in die Lage kommen könnte und er dann, einmal in die Lage gekommen, nicht mehr die Möglichkeit hat, vor Abschuss seines Flugzeuges ein Verwaltungsgericht um einstweiligen oder vorläufigen Rechtsschutz zu bemühen. Noch mehr gilt das für den Grundrechteträger, der am Boden dann von dem ohne das Gesetz nicht ausgerechnet über ihm abgeschossenen Flugzeug in Mitleidenschaft (treffendes Wort!) gezogen wird::

- 1 BvR 357/05 - 15. Februar 2006

"2. Hinsichtlich der auf diese Weise angegriffenen Regelung sind die Beschwerdeführer insbesondere beschwerdebefugt.
a) Die Beschwerdebefugnis setzt, wenn sich eine Verfassungsbeschwerde - wie hier - unmittelbar gegen ein Gesetz richtet, voraus, dass der Beschwerdeführer durch die angegriffenen Normen selbst, gegenwärtig und unmittelbar in seinen Grundrechten betroffen ist (vgl. BVerfGE 1, 97 <101 ff.>; 109, 279 <305>; stRspr). Die Voraussetzung der eigenen und gegenwärtigen Betroffenheit ist grundsätzlich erfüllt, wenn der Beschwerdeführer darlegt, dass er mit einiger Wahrscheinlichkeit durch die auf den angegriffenen Vorschriften beruhenden Maßnahmen in seinen Grundrechten berührt wird (vgl. BVerfGE 100, 313 <354>; 109, 279 <307 f.>). Unmittelbare Betroffenheit ist schließlich gegeben, wenn die angegriffenen Bestimmungen, ohne eines weiteren Vollzugsakts zu bedürfen, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers verändern (vgl. BVerfGE 97, 157 <164>; 102, 197 <207>). Das ist auch dann anzunehmen, wenn dieser gegen einen denkbaren Vollzugsakt nicht oder nicht in zumutbarer Weise vorgehen kann (vgl. BVerfGE 100, 313 <354>; 109, 279 <306 f.>).
b) Nach diesen Grundsätzen ist die Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer gegeben. Sie haben glaubhaft dargelegt, dass sie aus privaten und beruflichen Gründen häufig zivile Luftfahrzeuge benutzen."


Die Betroffenheit muss absehbar sein, d.h. anders, als bei einer vielleicht nie zu bauenden Garage, quasi "sicher" eintreten:

- 1 BvR 3570/13 -  1 BvR 3570/13

"Von einer gegenwärtigen Betroffenheit geht das Bundesverfassungsgericht zwar auch dann aus, wenn klar abzusehen ist, dass und wie der Beschwerdeführer in der Zukunft von der Regelung betroffen sein wird (vgl. BVerfGE 74, 297 <320>; 97, 157 <164>; 101, 54 <73 f.>). Eine solche Absehbarkeit ergibt sich aus dem Vortrag der Beschwerdeführerin aber nicht."

Sonderfall mit gleichem Ergebnis: betroffen, und Rechtsweg aus irgendwelchen Gründen faktisch nicht erschöpfbar:

- 1 BvR 630/93 - 29. November 2000

"Ein Rechtsschutzbedürfnis für eine unmittelbar gegen ein Gesetz gerichtete Verfassungsbeschwerde besteht nur, wenn der mit dem Grundsatz der Subsidiarität verfolgte Zweck, eine fachgerichtliche Klärung der Sach- und Rechtsfragen herbeizuführen, nicht erreichbar ist (vgl. BVerfGE 65, 1 <37 f.>)."

- 1 BvR 1970/95 - 10. Oktober 2001

"a) Das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit bedeutet, dass das Gesetz unmittelbar, also ohne einen weiteren vermittelnden Akt, in den Rechtskreis des Beschwerdeführers einwirken muss (vgl. BVerfGE 72, 39 <43> m.w.N.). Setzt die Durchführung der angegriffenen Vorschriften rechtsnotwendig oder auch nur nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis einen besonderen Vollzugsakt voraus, muss der Beschwerdeführer grundsätzlich zunächst diesen Akt angreifen und den gegen ihn eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor er die Verfassungsbeschwerde erhebt (vgl. BVerfGE 1, 97 <102 f.>; 58, 81 <104 f.>; 68, 376 <379 f.>). Diese besonderen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde beruhen auf dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden und dieser Vorschrift zu Grunde liegenden Gedanken der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. BVerfGE 68, 376 <379>)."

- 1 BvR 1362/98 - . August 1998

"Unmittelbarkeit bedeutet, daß das Gesetz ohne einen weiteren vermittelnden Akt, insbesondere ohne besonderen Vollzugsakt der Verwaltung, in den Rechtskreis des Beschwerdeführers einwirkt (vgl. BVerfGE 90, 128 <135 f.>)."

Der Hauptunterschied zur subsidiären Verfassungsbeschwerde ist, dass ein "Jeder" betroffen sein können muss, auch wenn das schwer aus den Entscheidungen herauslesbar ist. Aber abgesehen davon, dass Einzelfallgesetze verfassungswidrig sind, muss diese "Jeder"-Eigenschaft, wenn sie nicht auf schlichtweg jeden (zumindest volljährigen) Bürger zutrifft, doch zumindest auf einer gewisse Dauerhaftigkeit des "Jeder"-Seins aufbauen.

Zwei Beispiele aus der eigenen Praxis:

Gegen das Volkszählungsgesetz 1983 waren tausende, wenn nicht zehntausende, meist aber formularmässig erhobene, Verfassungsbeschwerden anhängig, selbst wenn man die formal unzulässigen mit AR-Nummer aussen vorlässt.

Das Bundesverfassungsgericht hat aber nur sieben daraus über den Zwölfmonatszeitraum zur Entscheidung angenommen, und zwar buchstäblich bis auf den letzten Tag der Jahresfrist. Darunter eine von mir verfasste.

Warum sieben und nicht bloss eine? Weil das Bundesverfassungsgericht sich aus einer dem 'judicial restraint' des US-Supreme-Counte ähnelnden Zurückhaltung gehindert sieht, über Vorschriften oder mögliche Beschwernisse zu entscheiden, die nicht explizit angegriffen und substantiiert vorgetragen werden.

So waren z.B. alle bis dahin vorgetragenen Beschwerden von deutschen Staatsbürgern eingelegt. Eine verhandelte wurde dagegen von einer Ausländerin eingelegt, die besondere Betroffenheiten hatte, u.a. hätte eine Weigerung, den Fragebogen auszufüllen, zu Sanktionen nach dem Ausländergesetz bis hin zur Nichtverlängerung einer Aufenthaltserlaubnis führen können. Während der Deutsche nur mit Buss- und Zwangsgeld (zwei Verfahren) zu rechnen hatte, waren es bei Ausländern mindestens vier Verfahren. Da die Ausländereigenschaft mit einiger Sicherheit über den Zeitpunkt der Volkszählung, ja bis zur Erschöpfung des Rechtsweges, unverändert erhalten bleiben dürfte, war hier auch davon auszugehen, dass diese Betroffenheit zu jedem zu betrachtenden Zeitpunkt real und unumgänglich sei.

In einer weiteren Beschwerdeschrift, bei der ich aufgrund einer ebenfalls eigentümlichen, bisher vor dem BVerfG in dem Zusammenhang noch nicht vorgetragenen Betroffenheit eigentlich sicher von einer 'Annahme' ausging, handelte es sich um die lauthals in allen Medien diskutierte Frage, ob es verfassungswidrig sei, die 'Insasseneigenschaft' in einer Justizvollzugsanstalt zu erfragen (was ja über eine reine Zählung hinausgeht und Persönlichkeitsrechte tangiert; da keine Zahl aus öffentlichen Registern so genau und zuverlässig bekannt ist, wie die der aktuell einsitzenden Häftlinge, gab es auch kein begründbares statistisches Erhebungsinteresse für die Bundesregierung, diese Eigenschaft individuell abzufragen).

Der 'Klient' für dieses 'Musterverfahren' hatte also (mutwillig natürlich) eine verhängte Ersatzfreiheitsstrafe von vier Tagen herbeigeführt, um diese noch fehlende spezielle Aktivlegitimation auch noch abzudecken und so dem BVerfG zwanglos die Möglichkeit zu geben, auch diese Vorschrift zu prüfen und (mit Wirkung auch für die Zukunft!) für nichtig zu erklären.

Jedoch: ob die Freiheitsstrafe genau dann abgessessen würde, wenn die Fragebögen im Knast verteilt werden, ob sie überhaupt angetreten werden müsste, und nicht durch Zahlung (damals 100 DMark) abgewendet würde und -zwischentretender Wille und Akt einer Behörde- ob sie überhapt je vollstreckt würde oder nicht etwa verjährte etc., steht bei Bagatellstrafen ja in den Sternen.

Ich hätte also einen Verbrecher, einen Langstrafer, der auch ohne realistische Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung bis zum Abschluss der Volkszählung betroffen geblieben wäre, am besten einen lebenslänglichen, animieren müssen, Verfassungsbeschwerde mit meiner Hilfe einzulegen. Aber an die kommt man ja als 'Aussenstehender' bekanntlich schwer heran ...

Ich denke, dass man all diese Feinheiten nicht in den Kommentaren, auch nicht in den Grosskommentaren, findet. Ich hatte jedenfalls, als das Bundesverfassungsgericht dann in mündlicher Verhandlung weiterzumachen die Absicht hatte, einen befreundeten Star-Anwalt gebeten, die Vertretung der verbliebenen Beschwerde zu übernehmen (Vertretungszwang in Verfassungsbeschwerdeverfahren gilt nur für die mündliche Verhandlung), der sich dann zierte, sich dem Gericht gegenüber als Bevollmächtigter zu erkennen zu geben, weil er die "Annahmeentscheidung" sehen wollte. Eine solche gibt es aber nicht - jedenfalls wird diese nur implizite kommuniziert, d.h. nicht, anders als Nicht-Annahmeentscheidungen, nicht zugestellt oder den Parteien überhaupt kommuniziert. Vielmehr erfährt man das daraus, dass das BVerfG die Beschwerdeschrift der gegnerischen Partei zustellt (und in dem Falle um vierzig zusätzliche Überstücke bat, um sie u.a. an alle Bundes- und Landesdatenschutzbeauftragten bzw. -kommissionen zuzustellen).

Ich hatte meine liebe Mühe, den Anwalt ebenso wie einige 'Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule' [für öffentliches bzw. Verfassungsrecht!], die ich für das Mandat pro bono zu interessieren versuchte, davon zu überzeugen, dass ich recht hatte, wiewohl die Kommentare sich zu dieser Fragestellung damals ausschwiegen.

Ich setze daher bei meinen meist erfolgreichen Schriftsätzen nicht auf Kommentarliteratur auf (nur zur groben Übersicht), sondern, wenn ich mich überhaupt breitschlagen lasse, an so etwas mitzutun, ich untersuche minutiös sämtliche (einschlägigen) Entscheidungen des anzurufenden Gerichts seit Beginn seiner Existenz, in dem Falle 1953, und baue die Schriftsätze dann so auf, dass das Gericht gezwungen wäre, von seiner langjährigen Entscheidungspraxis selbst abzuweichen, wollte es meine -zufällig scheinbar deckungsgleiche- Rechtsmeinung abservieren. Da, insbes. beim Bundesverfassungsgericht, die Hauptarbeit von ans BVerfG zwecks späterer Karrieresprünge abgeordneten Amtsrichtern und anderen Mitarbeitern durchgeführt wird, die kaum je denselben historischen Überblick haben, ja, sich lieber, tadaaaa, auf diese Kommentare mit ihren Lücken verlassen, hat das -gemessen an den sonstigen Verfassungsbeschwerden insgesamt- überdurchschnittlichen Erfolg. (Natürlich leihe ich meine Hand nicht für unsinnige Beschwerden oder Bagatellen.)

Im übrigen ist mir dabei noch ein Phänomen aufgefallen: wenn es zu einer Nichtannahmeentscheidung kommt, dann erfolgt die in diesen Fällen ohne Begründung, da ja eine Begründung in meinem Falle eine Abweichung von der ständigen Rechtsprechung erfordern würde. Wer aber die Nichtannahmeentscheidungen seit Beginn dieses Instituts der Nichtannahme nachvollzieht, stellt fest, dass sie so gut wie immer mehrere Absätze Begründung, und wenn auch nur formularmässig mit Bezug auf frühere Entscheidungen, enthalten.

Das erinnert an das US Supreme Court, das jahrhundertlang eine Sorte Beschwerden begründungslos nie zur Entscheidung annahm: die Beschwerden von Einwohnern von Washington D.C., die nicht wahlberechtigt waren, weil Washington D.C. -bewusst- keinem Bundesstaat angehört, das Wahlrecht zu den Bundesinstitutionen (Kongress und Präsident) jedoch an der Bundesstaaten-Angehörigkeit hing (seit ein paar Jahren ist das wohl geändert) und das Supreme Court mit einer Entscheidung dazu das Gefüge der 'Union' grundsätzlich in Gefahr gebracht hätte.
« Letzte Änderung: 27. August 2017, 20:35:39 von contra legem »
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