Wir dürfen nicht vergessen, dass Meta (Facebook) ein US-amerikanischer Konzern ist.
Das praktische und kulturelle Verständnis von Meinungsfreiheit ist in den USA etwas anders als in Europa und v.a. als in Deutschland.
Ich habe die letzten Jahre die Erfahrung gemacht, dass hier mehr das Prinzip der Redefreiheit gilt, sprich das jeder sagen darf was er will und man dem dann zuhören kann oder auch nicht.
Dies umfasst weniger stark die Debatte als festen Teil einer Meinungsäußerung, sprich man widerspricht hier nicht direkt als Reaktion auf eine Meinung sondern in einer eigenen "Rede".
Hört sich nicht sehr unterschiedlich an? das dachte ich anfangs auch, aber es sind Welten zwischen der Redefreiheit und der Meinungsfreiheit.
Meinungsfreiheit bedeutet die Debatte zu fördern, jeder hat das Recht selbst seine Meinung auch zu anderen Meinungen zu äußern und jeder der eine Meinung äußert muss genau das ertragen können.
Hier dringen andere Meinungen aktiv und bewusst auch in die Wahrnehmungsräume jener die sich eine Meinung äußern oder sich anhören, da die Debatte eigentlich das zentrale Element der Meinungsfreiheit ist.
Sprich wenn hier wer Mist verzapft muss er und seine Zuhörer damit klar kommen, dass jeder offen und direkt widersprechen kann.
Kurz: Jede Meinung muss sich der Debatte stellen.
Redefreiheit ist weniger direkt, denn eine direkte Reaktion auf eine Meinungsäußerung ist eben nicht erwünscht.
Hier läuft es mehr indirekt ab, indem ich über dasselbe Thema wie jemand anders meine Meinung äußere allerdings ohne hier wirklich direkt eine andere Meinung anzugreifen.
Das primäre Problem hier ist, dass sich jeder selbst aussuchen kann wem er zuhört so entstehen dann sehr schnell Filterblasen deren Durchdringung durch das Konzept der Redefreiheit nicht erwünscht ist.
Ein Twitter wie Elon Musk es sich vorstellt ist ein gutes Beispiel was Redefreiheit bedeutet.
Kurz: Jede Meinung steht unwidersprochen für sich selbst, die Debatte erfolgt nur indirekt.
Welches Konzept in Zeiten der starken Vernetzung, kaufbarer Reichweiten und der Möglichkeit technisch zu filtern besser ist kann sich jeder selbst eine Meinung bilden.
Aber, wenn wir Vorgänge in den USA oder von US-amerikanischen Konzernen um das Thema der Meinungsfreiheit bewerten, dann müssen wir diesen kulturellen Aspekt berücksichtigen.
Sprich beachten was große Teile der dortigen Bevölkerung unter Meinungsfreiheit verstehen.
Edit: Da mir beim Lesen aufgefallen ist, dass das Ganze doch etwas abstrakt wirkt, möchte ich ein Beispiel nachreichen.
Beispiel
Situation: Jemand steht auf einer Bühne und leugnet den Holocaust. Dazu führt er die üblichen verschwörungsideologischen Argumente samt falscher Zahlen, aus dem Zusammenhang gerissener Aussagen und unvollständiger historischer Fakten auf.
Umgang bei Meinungsfreiheit: Ich stelle mich auf die Bühne und reagiere vor demselben Publikum direkt mit meiner eigenen Meinung, samt Richtigstellung von Zahlen, Aussagen und Fakten. Was ich idealerweise auch gleich wissenschaftlich belege.
Umgang bei Redefreiheit: Ich gehe in einen anderen Raum und halte dort selbst eine Rede darüber wie der Holocaust abgelaufen ist samt, idealerweise wissenschaftlich belegbarer Zahlen, Aussagen und Fakten.