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Das ist die globale Perspektive. Um wiedergewählt zu werden, muss ein US-Präsident aber vor allem innenpolitisch überzeugen.
Außenpolitik spielt im Wahlkampf fast keine Rolle. Aber Biden ist es überparteilich gelungen, 1,2 Billionen US-Dollar in die Infrastruktur zu stecken. Damit wurde ein gigantisches Unternehmen in Gang gesetzt. Elektrifizierung, Internetausbau, Straßen, Brücken und dergleichen werden erneuert. Zum ersten Mal seit langer Zeit hat er ein Waffengesetz durchbekommen. Alles nicht einfach. Er hat es aber geschafft. Dazu kommt noch der "Chips and Science Act". Das ist eine industriepolitische Maßnahme, die bisher eigentlich kein Präsident geschafft hat, außer im Kriegsfall. Das wird den Europäern noch einige Probleme machen.
Die Republikanischen Partei ist viel gespaltener und radikalisierter als früher. Wie ist ihm das überparteilich gelungen?
Die Radikalisierung und Spaltung hat sich in der Tat immer stärker vertieft. Biden ist es als langjährigem Senator gelungen, dass die Republikaner mitgemacht haben. Genau das zeigt sein politisches Geschick, weil er gegen den Trend der Zeit gearbeitet hat. Das macht ihn zu einem großen Präsidenten. Denn das gelingt nur wenigen.
Trotz erfolgreicher Midterms für Biden halten jetzt die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus. Wird das den Präsidenten nicht zur berühmten Lame Duck machen?
Das hängt von der Führungsfähigkeit des Mehrheitsführers der Republikaner ab. Ihm muss gelingen, die extreme Fraktion innerhalb der eigenen Fraktion zu zügeln. Wenn er den Extremen freien Lauf lässt, diskreditiert er die Republikaner in einem solchen Ausmaß, dass damit auch die Präsidentenwahl 2024 negativ beeinflusst wird. Eines ist aber sicher: Die Republikaner werden Maßnahmen ergreifen, die die Spaltung Amerikas vertiefen werden. Die Frage ist nur, wie weit das gehen wird.
Extremisten wie die Abgeordnete Marjorie Taylor Greene wollen keinen Penny von amerikanischem Steuergeld mehr für die Ukraine einsetzen. Droht die Unterstützung einzubrechen?
Die Mehrheit der Republikaner im Senat und Repräsentantenhaus unterstützt die bisherige Politik der Regierung zur Unterstützung der Ukraine. Es wird vielleicht hie und da kleine Einschränkungen geben. Im Grundsatz wird sich daran aber nichts ändern. Die Unterstützung ist im Land außerordentlich populär. Trotzdem sind die Europäer gefordert, alles zu tun, um es der US-Regierung leichter zu machen und die Ukraine weiterhin zu unterstützen. Das gilt gerade auch für Deutschland.
Die Republikaner drohen auch mit Amtsenthebungsverfahren gegen Biden, seine Vize-Präsidentin Kamala Harris und den Justizminister Merrick Garland. Der ganz normale Wahnsinn oder kann ihm das gefährlich werden?
Das wird eine Störung sein, aber die Politik nicht wesentlich behindern, besonders nicht die Außenpolitik. Derart extrem vorzugehen, könnte sich aber, wie gesagt, als strategischer Fehler der Republikaner für die Präsidentschaftswahlen 2024 erweisen.
ANTWORTEN
Donald Trumps neuer Widersacher heißt Ron DeSantis. Parteifreunde fordern öffentlich die Kandidatur des Gouverneurs aus Florida. Was sagen Sie: Wagt DeSantis den Kampf gegen Trump?
Ich glaube nicht, dass DeSantis antreten wird. Warum sollte er, der noch jung ist, sich zerfleischen lassen in einer Auseinandersetzung mit Donald Trump? Es ist eher in seinem Interesse, Trump verlieren zu lassen. Das ist sehr wahrscheinlich, bei der jetzigen Lage des Landes. Mit Trump kann man in der Mitte der Gesellschaft keine Stimmen mehr holen. Die Unabhängigen und ein Teil der Republikaner haben klar gegen die extremen Trumpisten gestimmt. DeSantis stellt sich besser, wenn er vier Jahre wartet.
DeSantis könnte aber sein Momentum verpassen, wenn er es jetzt nicht wagt.
Er hat sich hochgearbeitet mit Trumps Unterstützung, ohne explizit gegen ihn anzutreten. Implizit spielt er aber die alternative Rolle eines Politikers, der viele seiner politischen Auffassungen vertritt, aber gleichzeitig nicht so extrem ist. Darum ist er für viele Republikaner attraktiv. Er hat augenblicklich großen Aufwind. Aber er wird kalkulieren und sich überlegen, ob es sich lohnt. Denn in vier Jahren hat er wahrscheinlich viel größere Aussichten.
DeSantis ist aber doch extremer als Trump. Vielleicht nicht mit Worten, aber seine Gesetze in Florida zeigen, wie reaktionär er vorgehen kann. Gewinnt man damit die Mitte?
Sicher, gerade in der Bildungspolitik ist DeSantis de facto jemand, der extreme Politik in die Tat umgesetzt hat. Er ist ein Kulturkämpfer. Er ist in einigen Politikfeldern sehr weit gegangen und hat damit an die Trump'sche Basis appelliert. Trotzdem bleibt er für viele die attraktivere Alternative, auch in der Mitte.
Sollte DeSantis antreten, hätte Joe Biden eine Chance?
Unter den Demokraten gibt es eine Reihe von Gouverneuren und Senatoren, die gestandene politische Persönlichkeiten sind. Sollte Biden nicht mehr antreten, gäbe es sehr erfahrene Alternativen. Dann wird sich zeigen, ob es der frühere amerikanische Botschafter in Berlin und heutige Gouverneur von New Jersey, Phil Murphy, wird, Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom oder die gerade wiedergewählte Gouverneurin von Michigan Gretchen Whitmer. Aber wenn Biden will, wird die Partei ihm folgen. Daran habe ich gar keinen Zweifel.
Aber ein US-Präsident braucht neben großer Erfahrung auch dynamisches Auftreten. Ist das überbewertet?
Man muss zugeben, Bidens Erscheinung ist manchmal greisenhaft. Aber am Ende zählt, was er den amerikanischen Wählern bringt. Dabei hilft es, die Alternative zu betrachten: Die Republikanische Partei stellt viele sozialen Errungenschaften aus den letzten Jahrzehnten infrage. Darunter die Altersvorsorge, die Gesundheitsversorgung oder wie jetzt die erfolgreichen Verhandlungen mit den Pharmaunternehmen über günstigere Diabetes-Medikamente. Die haben vor Biden Tausende von Dollar im Monat gekostet. Daran wollen die Republikaner die Axt anlegen. Das wird Bidens entscheidender Vorteil, wenn er antritt. Er kann nachweisen, dass er während seines gesamten politischen Lebens die jetzige Struktur mit erschaffen hat.
Karl Kaiser
arbeitet als emeritierter Professor beim Forschungsprojekt "Europa und die transatlantischen Beziehungen" an der Harvard Kennedy School. Bereits in den Sechzigerjahren arbeitete der heute 87-Jährige unter dem späteren US-Außenminister Henry Kissinger (99) in Harvard zur Theorie internationaler Beziehungen und zum transatlantischen Verhältnis. Der gebürtige Deutsche hat zahlreiche Bücher und Artikel über die deutsche, britische, französische und amerikanische Außenpolitik, die transatlantischen und Ost-West-Beziehungen, die europäische Integration und die asiatisch-europäischen Beziehungen veröffentlicht.