Autor Thema: Der Mord an Walter Lübcke  (Gelesen 41135 mal)

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Offline Gutemine

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #360 am: 14. August 2020, 07:41:54 »
Ich hatte ja den "Staranwalt" Hannig in Verdacht bezüglich der Weitergabe der Videos an "STRG", wie es scheint, dürften es aber mal wieder (AfD-/NPD-nahe?) "Gerichtsmitarbeiter" gewesen sein.

Es scheint aber gar nicht so leicht zu sein die Widersprüche in Ernsts Aussage zu klären. Unklar scheint zu sein, ob der "Mittäter" und "Waffenlieferant" überhaupt dabei war.  :o

Auch der Angriff auf einen Flüchtling in Köln durch Ernst war gestern wohl Thema.

Spoiler
Tag 11: Im Dunkeln

Als Jan-Hendrik Lübcke in der Nacht auf den 2. Juni 2019 zu seinem Elternhaus zurückkehrte, konnte er nicht einmal erahnen, dass sein Vater tot auf einem Stuhl auf der heimischen Terrasse saß. Zwei Baustellenstrahler, die der heute 30-Jährige selbst am Balkon angebracht hatte, leuchteten die Einfahrt und ein Stück der angrenzenden Wiese aus. Eine Vorsichtsmaßnahme gegen Wildpinkler. Nur wenige hundert Meter entfernt fand an diesem Tag die Isthaer Kirmes statt. Der Lieblingssitzplatz von Walter Lübcke aber lag im Dunkeln, unterhalb der Strahler. Dort starb der Kasseler Regierungspräsident.

Etwas überraschend muss Jan-Hendrik Lübcke an diesem Donnerstag noch einmal in den Zeugenstand treten. Auf dem Programm des 5. Strafsenats am Oberlandesgericht Frankfurt steht eigentlich die weitere Befragung des Hauptangeklagten Stephan Ernst durch die Bundesanwaltschaft. Doch deren Vertreter Dieter Kilmer will zuvor noch einmal erläutert haben, wie gut der Tatort beleuchtet war.

Jan-Hendrik Lübcke gibt detailliert Auskunft, zeichnet auf einem Luftbild zwei Lichtkegel ein, die einen Großteil der Auffahrt und des Gartens der Lübckes abdecken. Für die Bundesanwaltschaft steht am 11. Prozesstag eine Frage im Mittelpunkt: Was genau geschah im Licht und was im Dunkeln?

Aus dem Schatten in Lübckes Blickfeld

In zwei seiner drei bisherigen Einlassungen zum Tatgeschehen hat Ernst behauptet, gemeinsam mit dem Mitangeklagten Markus H. gehandelt zu haben. Auch in der letzten, in der er die Verantwortung für den tödlichen Schuss auf Lübcke wieder übernahm. Gemeinsam habe man im Dunkeln gewartet, bis Lübcke auf der Terrasse erschienen sei. Dann habe man sich getrennt, um von zwei Seiten zuschlagen zu können. Ernst selbst will außerhalb des Lichtkegels auf einer angrenzenden Pferdekoppel gelauert haben, Markus H. im Schatten eines Gebüschs schräg gegenüber von Lübckes Sitzplatz. "Er sagte, dass er sich am Gebüsch aufstellt und halt guckt, ob jemand kommt", erinnert sich Ernst an die Absprache in der Tatnacht.

Abgesprochen sei auch gewesen, dass H. das Signal zum Losschlagen geben soll. Tatsächlich habe H. sich dann als erster in Bewegung gesetzt. Auf einer weiteren Luftaufnahme, auf denen die Ermittler "augenscheinliche Laufspuren" auf der Pferdekoppel markiert haben, identifiziert Ernst seinen Weg und den von Markus H. Letzterer allerdings hätte durch den Lichtkegel eines der Strahler geführt - und ins direkte Blickfeld von Walter Lübcke.

Björn Clemens, einer der Verteidiger H.s, weist als erster darauf hin, dass sich sein Mandant auf diese Weise selbst "präsentiert" hätte. "Das ist nicht im Sinne eines Täterplans", betont Clemens. Auch Oberstaatsanwalt Kilmer hat seine Zweifel. Warum sich H. nicht über die zwar auch ausgeleuchtete, aber für Walter Lübcke nicht einsehbare Einfahrt genähert habe, will er von Ernst wissen. Man sei eben von der Pferdekoppel gekommen. Der direkte Weg auf die Terasse sei "das Naheliegendste" gewesen.

Ernst bringt sich in Position - Lübcke sieht zu

Die Anklage scheint diese Antwort wenig zu überzeugen. Seit zwei Verhandlungstagen befragt sie Stephan Ernst mittlerweile. Und es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass es aus ihrer Sicht wenig bis keine Hinweise auf eine Anwesenheit von Markus H. am Tatort gibt. Und zahlreiche Ungereimtheiten vermag Ernst auch an diesem Prozesstag nicht überzeugend aufzuklären.

Warum etwa hatte H. keine Handschuhe dabei, wenn er doch ebenfalls geplant haben soll, Lübcke körperlich anzugreifen? Sein Handy soll H. ebenso wie Ernst zu Hause gelassen haben, um eine nachträgliche Ortung zu verhindern. Für Ernsts Wagen, mit dem man angeblich zum Tatort fuhr, soll H. falsche Nummernschilder organisiert haben. Derselbe H. aber traf angeblich keine Vorkehrungen, um zu verhindern, dass seine DNA-Spuren am Tatort zurückbleiben.

Auch Ernsts Schilderung des eigentlichen Tatgeschehens auf der Terrasse wirft weitere Fragen auf. Auf einer Visualisierung des Tatorts, die an diesem Donnerstag gezeigt wird, ist die Sitzposition Walter Lübckes durch einen gelben Umriss in Menschenform dargestellt, der in einem Stuhl sitzt. Ernst behauptet, dass H. etwa anderthalb Meter vor Lübcke gestanden hätte. Er selbst habe sich aus Lübckes Sicht von rechts genähert. Lübcke habe Anstalten gemacht, sich aufzurichten, woraufhin Ernst ihn in den Stuhl zurück gedrückt hätte. Dann sei er einige Schritte zurückgewichen. Als Lübcke ihn und H. anschrie, habe er geschossen.

Das Problem dieser Version: Auf der Visualisierung stehen rechts von Lübcke, wo Ernst bei der Schussabgabe gestanden haben will, eine kleiner Tisch und ein weiterer Stuhl. Ernst hätte erst um diese herumgehen und sich wieder in Position bringen müssen. Und Walter Lübcke hätte in dieser Zeit nichts getan als abzuwarten.

Mysteriöses Wärmebild

Man muss Ernst allerdings zugute halten, dass er noch bevor dieser Punkt zu Sprache kommt, erklärt, sich an Stuhl und Tisch nicht erinnern zu können. Wie die Möbel auf der Terrasse zum Tatzeitpunkt tatsächlich aufgestellt waren, lässt sich kaum mehr rekonstruieren. Jan-Hendrik Lübcke hatte bei seiner Befragung erklärt, dass er selbst und später auch die Besatzung des herbeigerufenen Rettungswagens Möbel verrückt hätten, um Wiederbelebungsmaßnahmen durchzuführen.

Eine mögliche Erklärung. Für andere Widersprüche jedoch fehlen diese in Gänze. Auf einer Wärmebildkamera Ernsts etwa wurde eine Aufnahme von Lübckes Haus gefunden. Laut Ernsts Aussage entstand sie erst am Tatabend - versehentlich. Eigentlich habe er nur durch den Sucher gucken wollen, um Personen im Dunkeln ausmachen zu können. Ein Gutachter allerdings kommt zu dem Schluss, dass das Bild bereits am Abend des 31. Mai 2019 entstand - 24 Stunden vor der Tat.

Ein Tag im Januar

Schließlich ist da noch eine Aussage Ernsts, die nicht den Anschlag auf Lübcke, sondern den versuchten Mord an dem Flüchtling Ahmed I. im Januar 2016 betrifft. I. war in Lohfelden von einem Unbekannten mit einem Messer in den Rücken gestochen und lebensgefährlich verletzt worden. Der Fall schien unaufgeklärt zu bleiben, bis Ermittler in Stephan Ernsts Wohnung ein Messer mit DNA-Spuren faden, die möglicherweise zu Ahmed I. passen. Näheres muss ein Gutachten klären.

Ernst bestreitet die Tat. In seiner ersten Vernehmung vom Juni 2019 allerdings berichtet er von einem anderen Geschehnis. Nach den massenhaften sexualisierten Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof in der Neujahrsnacht 2016 will er so in Rage gewesen sein, dass er einen Mann, den er als Ausländer identifizierte, wüst beschimpft und bedroht haben will. Zudem habe er Wahlplakate von SPD und Grünen zertreten. In der ersten Vernehmung konnte Ernst sich sogar noch an das genaue Datum erinnern: 6. Januar 2016 - der Tag des Anschlags auf Ahmed I.

Bereits am 10. Prozesstag hatte die Bundesanwaltschaft wissen wollen, wie er ausgerechnet auf dieses Datum gekommen sei. Ernst behauptete, es sei "aus der Luft" gegriffen. Und dass er eigentlich "1.6." statt "6.1." habe sagen wollen. Der Vorfall hätte sich demnach erst ein halbes Jahr nach den Übergriffen von Köln ereignet. "Sechs Monate später regt sich doch niemand mehr darüber auf", fasst der Vorsitzende des Senats, Thomas Sagebiel, seine Zweifel zusammen. Zudem dürften im Sommer 2016 nicht mehr all zu viele Wahlplakate in der Öffentlichkeit gehangen haben. Die einzigen Wahlen, die 2016 in Hessen stattfanden, waren die Kommunalwahlen - im März.

Dreieinhalb Prozesstage steht Stephan Ernst mittlerweile Rede und Antwort. Erst dem Gericht, dann der Anklage. Mit jedem Tag verfestigt sich der Eindruck, dass noch zahlreiche Details im Dunkeln sind - und dort wohl auch bleiben sollen. Fragen der Vertreter von Ahmed I. will Ernst ebenso wenig beantworten, wie die der Verteidiger von Markus H. Letztere stellen diese am Donnerstag dennoch - pro forma. Die einzige Antwort, die sie erhalten, ist Schweigen. Ein "Teilschweigen", wie die zweite Verteidigerin von Markus H., Nicole Schneiders, einordnet: "Und ein Teilschweigen kann gewertet werden."

Erneut Aufregung um Fernsehbeitrag

Der Verhandlungstag endet schließlich mit der Vorführung des umstrittenen Fernsehbeitrags des Magazins "STRG_F", in dem Teile aus Ernsts erster Vernehmung vom Juni 2019 gezeigt wurden. Richter Sagebiel lässt es sich nicht nehmen, seine persönliche Meinung zum Vorgehen der Redaktion kundzutun: "Das war die Befriedigung öffentlichen Voyeurismus auf Regenbogenniveau." Manche Urteile werden eben schon vor Ende des Prozesses gefällt. Auch Ernsts Verteidiger Mustafa Kaplan verurteilt die Veröffentlichung. Er spricht von einer "dauerhaften Prangerwirkung", die von dem Video ausgehe.

Seit der Veröffentlichung vor zwei Wochen ist viel darüber spekuliert worden, wer die Vernehmungsvideos an die Journalisten weitergeleitet hat. Kaplan hat einen Verdacht: Seine Recherchen hätten ergeben, dass Teile der Ermittlungsakte im Fall Ernst an Anwälte eines anderen Verfahrens weitergegeben wurden. Von der Bundesanwaltschaft erwartet er nun eine dienstliche Erklärung. Diese soll am nächsten Verhandlungstag, kommenden Mittwoch, folgen. Seine Quelle verrät Kaplan allerdings nicht - auch sie bleibt vorerst im Dunkeln.
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #361 am: 19. August 2020, 19:37:53 »
Verteidiger von Ernst und Anwalt der Nebenkläger haben sich wohl irgendwie "geeinigt". Man scheint Ernsts aktueller Aussage und "schlechtem Gewissen" wohl zu glauben.

Der Aussage, dass Hannig und Waldschmidt die tolle Idee hatten Märchen zu erzählen, glaube ich sofort.  ::)

Die beiden Ex-Anwälte sollen jetzt wohl auch aussagen (müssen).


Spoiler
Mi. 19.08.20, 19:04 Uhr
Tag 12: Die Nebenklage glaubt Stephan Ernst

Die einzig überraschende Nachricht dieses zwölften Verhandlunsgtages erreicht die Öffentlichkeit, noch bevor die Prozessbeteiligten den Gerichtssaal verlassen haben. Am frühen Nachmittag, als am Oberlandesgericht Frankfurt noch die letzten Erklärungen abgegeben und Terminabsprachen getroffen werden, landet ein schriftliches Statement des Pressesprechers der Familie Lübcke in den Mailboxen diverser Medien.

Der Anwalt der Familie, Holger Matt, heißt es darin, habe mit seinen Fragen "für den Prozess wichtige Erkenntnisse aus den Ausführungen des Hauptangeklagten" gewonnen. Welche genau das sind, wird nicht weiter ausgeführt. Auch den 5. Strafsenat hat Matt an diesem Mittwoch nicht an seinen Erkenntnissen teilhaben lassen. Und auch nicht an der Schlussfolgerung, die er daraus zieht. Nämlich, "dass die beiden Angeklagten die Tat aus ihrem Hass heraus seit langem gemeinsam geplant und sie auch am 1. Juni letzten Jahres gemeinsam in Wolfhagen-Istha durchgeführt haben".
Zurückhaltende Befragung

Beide Angeklagte. Gemeinsam. Die Nebenklage hat sich somit festgelegt: Sie glaubt dem jüngsten Geständnis von Stephan Ernst, das dieser am 8. Prozesstag abgelegt hat. Demnach hat er Walter Lübcke in der Nacht zum 2. Juni 2019 erschossen. Geplant und ausgeführt habe er die Tat aber gemeinsam mit dem Mitangeklagten Markus H. Mehr als ein Jahr Ermittlungsarbeit, zwei Anwaltswechsel und drei unterschiedliche Schilderungen des Tathergangs bedurfte es, bevor Stephan Ernst und seine Verteidigung eine Version gefunden hatten, die ihnen zumindest von einer der anderen Prozessparteien abgenommen wird.

Bereits bevor Ernst sein vermutlich letztgültiges Geständnis ablegte, hatte sein Verteidiger Mustafa Kaplan erklärt, im Kontakt mit den Rechtsvertretern der Familie Lübcke zu stehen. Sein Mandant wolle die offenen Fragen der Familie beantworten - und zumindest in diesem Sinne etwas Abbitte leisten.

Ob es zwischen Verteidigung und Nebenklage eine Absprache gab und welchen Inhalt sie hatte, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Auffällig aber ist, dass Holger Matt an diesem Prozesstag betont höflich, beinahe zurückhalten nachfragt. Der hagere Strafrechtler aus Frankfurt hat auch in diesem Prozess schon das eine oder andere Mal klare Worte gefunden. Bei der Befragung von Ernst hält er sich zurück - zumindest im Ton.
Ernst will aussteigen - aber woraus?

Es sind meist kurze Dialoge ohne Nachhaken, die sich zwischen Matt und Ernst entspinnen. Ob Ernst seine Tat nach wie vor als "für immer unentschuldbar, falsch, feige und grausam" ansehe, will Matt wissen. "Ja", antwortet Ernst. Ob er sich vor der Tat Gedanken darüber gemacht habe, dass der Tod Lübckes einen schweren Verlust für die Angehörigen darstelle? "Nein, habe ich nicht getan." Ob er daran gedacht habe, dass Walter Lübcke noch leben, den Ruhestand genießen wollte? Ernst bittet darum, sich mit seinem Anwalt besprechen zu dürfen. "Also, ich habe mir darüber keine Gedanken gemacht", antwortet er schließlich.

Was folgt sind Detailfragen zum Tatablauf, zum Weg auf die Terrasse, zur Rolle des Mitangeklagten Markus H. bei seiner Radikalisierung. Die meisten Antworten kennt das Gericht bereits. Einige durchaus kritische Fragen Matts bleiben vorerst unbeantwortet.

So hatte Ernst angekündigt, an einem Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten teilnehmen zu wollen. Das Gericht selbst hat bereits einen entsprechenden Kontakt zum Landesprojekt "Ikarus" vermittelt. Zugleich hatte Ernst aber betont, schon seit mindestens 2009 nicht mehr in der rechtsextremen Szene aktiv gewesen zu sein. Woraus genau er dann eigentlich aussteigen möchte, will Matt nun wissen. Ernst bespricht sich mit seinem Anwalt. Kaplan erklärt, dass dies keine Frage sei, die vor Gericht beantwortet werden solle. Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel hingegen gibt zu verstehen, dass er die Frage für relevant hält. "Machen Sie sich nochmal Gedanken", regt er an. Die Antwort wird vertagt. Von der Nebenklage kommen keine Einwände.
Nazi-Propaganda und Rechtsrock auf der Festplatte

Danach verschiebt sich der Fokus der Verhandlung. Im Mittelpunkt steht nun der Mitangeklagte Markus H., von dem die Nebenklage überzeugt ist, dass er Mittäter beim Mord an Walter Lübcke war. Als Zeugen werden zwei Beamtinnen und ein Beamter des Landeskriminalamts vernommen, die Daten von mehreren Computern, Handys und Tablets ausgewertet haben. Teilweise waren diese gelöscht worden und mussten von den Daten-Forensikern des LKA wieder hergestellt werden.

"Der politische Hintergrund, in dem Herr H. stand oder steht, ist nicht Gegenstand des Verfahrens", erklärt Verteidiger Björn Clemens am Ende der Beweisaufnahme. Von diesem "Hintergrund" zeichnet der Inhalt mehrerer Festplatten aus H.s Besitz ein recht eindeutiges Bild.

Hitlers "Mein Kampf" im PDF-Format findet sich ebenso darunter wie weitere NS-Schriften. Dazu antisemitische Propagandabilder, Aufnahmen von H. in Uniform, wie er den Arm zum Hitlergruß hebt, ein mit ASCII-Zeichen gezeichneter Zug, auf dessen Waggons die Ortsnamen "Auschwitz", "Dachau" und "Buchenwald" prangen. "Wir sind mit dem Sonderzug unterwegs und machen bei jedem Volksverräter halt", steht darunter. Auch Musikdateien von Rechtsrock-Bands fanden sich auf H.s Rechnern - darunter Lieder von Noie Werte. Deren ehemaliger Sänger, Steffen Hammer, ist inzwischen Rechtsanwalt und Partner von H.s zweiter Verteidigerin Nicole Schneiders.

Was sich in den zahlreichen Daten nicht findet, sind Hinweise auf eine Kommunikation zwischen H. und Stephan Ernst. Keine Emails, keine Chatverläufe und zumindest für den Zeitraum vom 26. April bis 26. Juni 2019 keine Anrufe oder SMS zwischen den beiden Angeklagten. Eine Funkzellenabfrage hat zudem ergeben, dass sich das Mobiltelefon von H. im gleichen Zeitraum nicht in der Nähe von Walter Lübckes Wohnort Wolfhagen-Istha ins Netz eingeloggt hat. Was nichts bedeuten muss. Stephan Ernst hatte angegeben, dass er und H. ihre Handys am Tatabend bewusst nicht mitgenommen haben. Allerdings wurde laut Auswertung des LKA am Tatabend um 22.54 Uhr eine WhatsApp-Nachricht von H.s Handy aus verschickt - eine gute halbe Stunde vor dem tödlichen Schuss auf Walter Lübcke.
Ex-Anwälte sollen aussagen

Während Stephan Ernst die Fragen zum Tatgeschehen also zumindest aus Sicht der Nebenklage zufriedenstellend beantwortet zu haben scheint, tun sich für den Senat weitere Fragen auf. Insbesondere zum Aussageverhalten des Angeklagten. Ernst hatte dies damit begründet, dass seine vormaligen Anwältige, Dirk Waldschmidt und Frank Hannig, ihn dazu verleitet hätten. Waldschmidt sei darauf bedacht gewesen, Markus H. aus der ganzen Geschichte rauszuhalten. Hannig hingegen habe ihn überredet, H. die Verantwortung für den Schuss auf Lübcke zuzuschieben, um diesen zu einer Aussage zu drängen.

Nach längerer Überlegung hat Verteidiger Mustafa Kaplan nun angekündigt, dass sein Mandant beide Anwälte "sehr eingeschränkt" von der Schweigepflicht entbinden werde. Das Gericht will nun beide Juristen nach Möglichkeit im September in den Zeugenstand rufen.

Der Prozess wird am kommenden Donnerstag, 27. August, fortgesetzt.
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Offline Rabenaas

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #362 am: 20. August 2020, 09:32:14 »
Der Aussage, dass Hannig und Waldschmidt die tolle Idee hatten Märchen zu erzählen, glaube ich sofort.

Ich nicht. Jeder, wirklich jeder Anwalt weiß, daß er mit sowas seine Existenz riskiert. Und dann sollen gleich zwei nacheinander so dämlich gewesen sein?
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
 
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Offline dieda

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #363 am: 20. August 2020, 11:56:33 »
Definiere "Märchen".

Also ich sehe einmal ein volles Geständnis der Tat gegenüber den Ermittlern, jedoch ohne ausdrückliche Erwähnung des Markus H.. Eventuell war das Verschweigen eines möglichen Mittäters ja "nur" die "Halbwahrheit", vielleicht ja auch eine versteckte Botschaft an die Kameraden in Richtung "Ehre" und "Heldenruhm" oder reine Angst vor Rache bei "Verrat". Selbst wenn der Anwalt ihm geraten hätte, einen möglichen nicht bekannten möglichen Mittäter nicht zu erwähnen, dann doch sicher nicht, um die Tat selbst zu bestreiten. Außerdem wird das Geständnis auch seitens der Ermittler noch mit einem Fragezeichen versehen und weiter nach möglichen Mittätern, Hintermännern und nach Verbindungen in rechtsextremistische Kreise gesucht.

Dann sehe ich den erstaunlichen "Widerruf" des Geständnisses und der Tat selbst verbunden mit einem vorn bis hinten unrunden neuen Tatgeschehen mit Schuldabwehr, aber voller Schuldzuweisung an den Markus H. und mit weiteren Schuldzuweisungen in alle sonstigen Richtungen wie vorheriger Anwalt, die Ermittler, den Richter und sogar mit indirekter Schuldzuweisung an das Opfer und seine Familie selbst- vollkrass. Das Ganze ist auch noch verbunden mit viel medialem Seifenopern- Klimbim und mit geschmackloser Selbstinszenierungsshow des Anwalts selbst. Das alles verfolgt offenbar das Ziel, dass diese neue "Version" möglichst vielen weiteren Zuschauern in der Öffentlichkeit allein durch die Art der Propaganda ganz oder teilweise als irgendwie doch wahrscheinlich erscheint.

Und nun sehe ich wieder ein volles Geständnis der Tat, nun auch vor Gericht und gegenüber den Opferangehörigen, zudem mit Reue und mit Erwähnung des wegen Beihilfe Mitangeklagten Markus H, wo eben nur die notwendigen Beweise fehlen. Vielleicht kommt das ja der Wahrheit noch am nächsten. Wissen wir alle nicht.


Aber Frage: Wieviele der bisher beteiligten Anwälte könnten bisher so auf den Angeklagten eingewirkt haben, dass der zuerst und jetzt wieder geständige Täter plötzlich "Schuldabwehr" betreibt und dabei Dinge erzählt, die er später selbst als "Märchen" bezeichnet?

Bei wie vielen der bisher beteiligten Anwälte scheint so etwas auch nach Betrachtung "aller sonstigen Umstände" wahrscheinlich?

Wieviele der bisher beteiligten Anwälte haben irgendwelche Aussagen des Stephan Ernst dazu benutzt, um sich damit selbst als Person und als Anwalt in Szene zu setzen?

Dass ein Anwalt sich völlig verrennt oder aus ideologischen Gründen seine berufliche Existenz auf Spiel setzt und die am Ende verliert, ist ja nicht so ganz selten. Es gibt da ja einige prominente Beispiele, die mit ihrem "Kampf gegen das "System" auch nach dem Entzug der Anwaltszulassung nie abgelegt haben. Ein bekannter Name hat durchaus gewisse Verbindungen zum Millieu, in dem sich auch Ex- PEGIDA- Fördervereins- Anwalt Hannig zu bewegen scheint, Stichwort "Wirmer- Flagge" und "Deutsches Kolleg". Aber was weiß ich.
https://www.belltower.news/service-was-ist-das-eigentlich-immer-fuer-eine-fahne-mit-kreuz-bei-pegida-und-co-38692/
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #364 am: 28. August 2020, 20:17:35 »
Der Bericht vom letzten Prozesstag. Ohne "Kommissar Zufall" hätte mal wohl die nächsten 100 Jahre ermittelt...oder auch nicht.

Spoiler
Tag 13: Um eine Hautschuppe davongekommen

Daniel Muth ist noch keine fünf Tage im Amt, als er feststellen muss, dass in seinem Team "eine gewisse Resignation" eingetreten ist. Alle Spuren, welche die Sonderkommission "Liemecke" in der ersten Woche nach dem Mord an Walter Lübcke verfolgt hat, haben sich an diesem 9. Juni 2019 als Sackgassen erwiesen. Einen Tag zuvor hatten Spezialkräfte einen Tatverdächtigen auf einer Nordseefähre festgenommen. Doch dessen Vernehmung hat die Ermittler überzeugt, dass sie den Falschen erwischt hatten.

Fünf Tage zuvor war Muth zum Leiter der Sonderkommission bestellt worden. 50 Ermittler stehen ihm zu diesem Zeitpunkt zu Verfügung. Nun muss der 45-Jährige sie motivieren, weiter zu machen. Fünf Tage sind eine lange Zeit in einer Mordermittlung. Täter können sich abgesetzt haben, Spuren verwischt, Beweismaterial vernichtet worden sein. Es wird weitere fünf Tage dauern, bis die Soko "Liemecke" den entscheidenden Hinweis erhält, der sie zu Walter Lübckes mutmaßlichem Mörder führt. Eine Spur, die um ein Haar im Krankenhausmüll gelandet wäre.
Kein Szenario erscheint abwegig

Mit streng gegelten Haaren und Dreitagebart rekonstruiert der hochgewachsene Mittvierziger 15 Monate später vor dem Oberlandesgericht Frankfurt die ersten Tage der Soko "Liemecke". Es ist der 13. Verhandlungstag im Lübcke-Prozess. Daniel Muth ist inzwischen zum Abteilungsleiter Staatschutz und Terrorismusbekämpfung beim hessischen Landeskriminalamt aufgestiegen. Es ist ein weitestgehend flüssiger und unaufgeregter Vortrag - und damit das Gegenteil der ersten Tage der Soko "Liemecke".

Als Muth am 4. Juni 2019 die Leitung der Soko übernimmt, haben die Ermittler noch keinerlei Vorstellung davon, was sich zwei Nächte zuvor auf der Terrasse des Wohnhauses von Walter Lübcke in Wolfhagen-Istha abgespielt hat. Erst im Krankenhaus von Wolfhagen war überhaupt festgestellt worden, dass sich "ein Gegenstand" im Kopf des Kasseler Regierungspräsidenten befindet. Die Terrasse sei im eigentlichen Sinne "kein polizeilicher Tatort" gewesen, so Muth.

Lübckes Familie und andere Ersthelfer hatten Möbel verrückt, um Wiederbelebungsmaßnahmen durchzuführen. Videoaufnahmen von Überwachungskameras, wie man sie in größeren Städten fast immer findet, existierten nicht. "Zu diesem Zeitpunkt war für die Einsatzkräfte nicht ersichtlich, was passiert war", fasst Muth die Ausgangssituation zusammen.

In dieser Situation erscheint kaum ein Szenario abwegig. Ein Suizid wird in Betracht gezogen. Doch an Lübckes Händen und Kleidung finden sich keine Schmauchspuren. Ein Mord durch ein Familienmitglied erscheint den Ermittlern nach der Vernehmung der Angehörigen schnell unwahrscheinlich. Sogar die Möglichkeit eines Unfalls wird erwogen: "Dass beispielsweise Jugendliche aus großer Entfernung auf ein Schild schießen wollten", erklärt Muth. Doch keine der Arbeitshypothesen bestätigt sich.
Festnahme eines Ersthelfers

Dann rückt einer der Ersthelfer ins Visier der Ermittler: Florian A. Der Freund eines der Lübcke-Söhne war zum Tatort geeilt, nachdem die Familie den leblosen Körper des CDU-Politikers aufgefunden hatte. Als die Angehörigen den Rettungskräften ins Krankenhaus nachgefahren waren, hatte er den Tatort von Blutspuren gereinigt. Zu diesem Zeitpunkt gingen alle noch von einem medizinischen Notfall aus. Florian A. wird später zu Protokoll geben, dass er der Familie den Anblick ersparen wollte. Eine ebenso gut gemeinte wie unbedachte Geste, die den Ermittlern die Arbeit erschwert und ihn zeitweise zum Verdächtigen macht. Zumal Florian A. einen Waffenschein besitzt.

Am 8. Juni klingeln bei der Soko "Liemecke" sämtliche Alarmglocken. Florian A. ist auf dem Weg in den Urlaub - auf einer Nordsee-Insel. Die Überfahrt auf einer Fähre könnte die perfekte Gelegenheit bieten, sich der Tatwaffe zu entledigen. Die Soko fordert Spezialkräfte an und lässt Florian A. festnehmen. Eine "umfangreiche Vernehmung" folgt, erinnert sich Muth. An deren Ende sind sowohl der Soko-Leiter als auch die Staatsanwaltschaft davon überzeugt, dass Florian A. nicht der Mörder von Walter Lübcke ist.

Es folgen die Ernüchterung und weitere Ansätze. Die Soko arbeitet weiter nach dem Ausschlussverfahren. Man habe sich an einem Punkt befunden, an dem "eine politische Motivation einfach mathematisch wahrscheinlich geworden ist", so Muth. Die Ermittler kennen das Video von der Bürgerversammlung in Lohfelden, das Lübcke zum Hassobjekt der Rechten in Deutschland gemacht hat. Man geht von einem Täter aus der Region aus. "Denn warum sollte sich ein überregionaler Täter ausgerechnet Walter Lübcke aussuchen?", fragt sich Muth.

Am 14. Juni schließlich läutet um 13.30 Uhr bei Muth in Kassel das Telefon. Am anderen der Leitung ist das kriminaltechnische Institut des LKA. Es gibt einen DNA-Spuren-Personentreffer: Stephan Ernst.
Entscheidendes Beweisstück im Müll

"Als Polizeiführer war ich froh, überhaupt erst mal ein Ermittlungsindiz zu haben", berichtet Muth. Umso mehr als die Spur beinahe vernichtet worden wäre. Eine einzelne Hautschuppe von Stephan Ernst befand sich am Hemd, das Walter Lübcke zum Zeitpunkt seines Todes trug. In der Klinik in Wolfhagen, war das Kleidungsstück in den Mülleimer geworfen worden, als Familie und Ärzte noch von einem Herzversagen oder einem Schlaganfall ausgingen. Wer das Hemd aus dem Müll zog und damit möglicherweise die Überführung von Stephan Ernst überhaupt erst ermöglichte, ist unklar.

Auf einmal haben die Ermittler einen Hauptverdächtigen: "Einen ortsansässigen, polizeibekannten Straftäter, den wir der politisch motivierten Kriminalität rechts zuordnen", fasst Muth zusammen. Noch am gleichen Tag erfolgt der Zugriff. Ernst wird in seinem Haus in Kassel verhaftet. Schnell finden sich weitere Hinweise auf die rechtsextremistische Gesinnung des Tatverdächtigen.

Eine Überprüfung seiner Bankbewegungen belegt etwa Überweisungen an die "Identitäre Bewegung". Seine Rundfunkbeiträge zahlt er regelmäßig. Als Empfänger trägt er jedoch "BRD-♥♥♥nsöhne" oder "Volkverräter-Behörde" ein, als Verwendungszweck "BRD-Zwangsabgabe" oder "An die Wand mit Euch." Zwölf Tage später legt Ernst sein erstes Geständnis ab.
Vom Hinweis zum Geständnis

Aus Muths Schilderungen an diesem Donnerstag wird ersichtlich: Es gab keine Schlinge, die von den Ermittlern immer enger gezogen worden wäre. Letztlich war es eine einzelne Hautschuppe, die sie auf Ernsts Fährte setzte.

Ernst ist es dann, der den Mitangeklagten Markus H. belastet und damit weitere Ermittlungen in Gang setzt. Er verrät schließlich auch sein Waffenversteck, in dem sich auch der Revolver befindet, mit dem er auf Lübcke schoss. Ein großer Ermittlungskomplex, der an einem einzigen Hinweis hängt - der beinahe auf dem Müll gelandet wäre.
Keine Spuren von Markus H.

All das mündet schließlich in die laufende Hauptverhandlung, in der Ernst weiterhin an seiner dritten Tatversion festhält, wonach er und Markus H. Lübcke gemeinsam überfielen. An dieser Version allerdings hat Daniel Muth offenkundig Zweifel. Vor allem an dem Laufweg, den Markus H. in der Tatnacht laut Ernsts Aussage genommen haben soll.

"Wir haben dort keine Fussspuren gefunden", berichtet Muth. Zudem hätte H. auf dem von Ernst beschriebenen Weg mehrere Hindernisse überwinden und in den vollen Lichtschein eines Baustellenstrahlers treten müssen. Lübcke, so Muths Überzeugung, hätte H. in diesem Fall sehen und "seelenruhig zugucken" müssen, wie dieser an ihn herantritt. Eine Steilvorlage für den Verteidiger von Markus H., Björn Clemens, der wenig Zweifel daran lässt, was er von der Aussage des Hauptangeklagten hält: "Es wird Zeit, dass er sich die nächste Version ausdenkt und hier präsentiert."

Der Prozess wird am kommenden Dienstag, 1. September, fortgesetzt.
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #365 am: 2. September 2020, 12:36:31 »
Die Ehefrau und ein Freund sagen aus...oder auch nicht.

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Tag 14: Die Ehefrau und der beste Freund

Um klare Worte ist Thomas Sagebiel selten verlegen. Von Natur aus nicht unbedingt diplomatisch hat der Vorsitzende des 5. Strafsenats im Lübcke-Prozess selten einen Konflikt mit den Verteidigern der Angeklagten gescheut, ist ihnen ins Wort gefallen oder hat unverhohlen Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihres Vorgehens erkennen lassen.

Aber es gibt auch einen anderen, zurückhaltenden Thomas Sagebiel. Einen Richter, der sich in ruhigem und empathischem Ton an Angeklagte und Zeugen richtet und ihnen klar zu machen versucht, dass er sie nicht als Gegner ansieht. Als die Ehefrau des Hauptangeklagten an diesem Dienstag in den Zeugenstand tritt, ist Sagebiel merklich darum bemüht, ihr die Angst zu nehmen. "Ich verstehe, dass es nicht leicht ist für Sie, hier zu sprechen", sagt er.

Ernsts Ehefrau ist ein Mensch, den man schon ob seines Äußeren, nicht hart angehen möchte. Klein, von zierlicher beinahe zerbrechlicher Statur, lange braune Haare und Brille. Ein allem Anschein nach leiser Mensch - optisch das glatte Gegenteil ihres Mannes mit dem sie seit 2001 verheiratet ist.
"Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen"

Verwandten von Angeklagten steht vor deutschen Gerichten ein beinahe uneingeschränktes Zeugnisverweigerungsrecht zu. Die Ehefrau von Ernst und ihr Rechtsbeistand, der mit ihr im Zeugenstand Platz nimmt, haben sich entschieden, davon "partiell" Gebrauch zu machen. Tatsächlich bedeutet dies, dass sie nur zu sehr wenigen Themenkomplexen überhaupt Fragen beantwortet. Die Biographie ihres Mannes, das Zusammenleben, seine politische Einstellungen sind tabu. "Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen", ist die häufigste Antwort, die sie zu Protokoll gibt. Sie muss sie oft wiederholen - weil sie sehr leise spricht.

Wo sie Fragen beantwortet, scheint sie einige Teile der Aussage ihres Ehemannes zu stützen. So will sie am späten Abend des 1. Juni 2019 - dem Tag an dem ihr Mann Walter Lübcke erschossen haben will - gehört haben, wie zwei Autos vor dem Wohnhaus der Ernsts in Kassel gehalten haben. Eines sei sehr schnell herangefahren und habe stark abgebremst. Das zweite sei kurz darauf in deutlich langsamerem Tempo gefolgt.

Gesehen hat sie keines der Fahrzeuge. Fünf Minuten später, sei Stephan Ernst dann in die Wohnung gekommen. Ernst, der seinen ehemaligen Freund Markus H. bezichtigt, Komplize bei der Ermordung Walter Lübckes gewesen zu sein, hatte ausgesagt, dass beide nach der Tat in ihren jeweiligen Autos noch einmal zu ihm nach Hause gefahren seien, damit H. eine bei Ernst deponierte Waffe mitnehmen könne.

Zudem bestätigt die Ehefrau, dass Ernst seitens seines ersten Anwalts, Dirk Waldschmidt, finanzielle Hilfe in Aussicht gestellt worden sei. Waldschmidt habe auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht hinterlassen. Sie solle sich keine Sorgen machen. "Die Kameraden" würden helfen. "Kameraden habe ich so verstanden, dass die von der rechten Szene sind." Ernst behauptet, Waldschmidt habe ihm, Unterstützung versprochen, wenn er im Gegenzug Markus H. nicht belaste.

Nach gut anderthalb Stunden verlässt die leise Ehefrau von Stephan Ernst den Zeugenstand. "Ich möchte jetzt überhaupt nichts mehr sagen", hatte sie kurz zuvor erklärt. Es ist ihr gutes Recht, das niemand in Abrede stellt.
Habil A. sieht in Stephan Ernst keinen Rassisten

Dem zweiten Zeugen des Tages steht kein Zeugnisverweigerungsrecht zu - auch wenn man während seiner zähen dreieinhalbstündigen Befragung des Öfteren den Eindruck gewinnt, dass er davon zumindest ab und an gerne Gebrauch machen würde. Habil A. ist ein guter Freund von Stephan Ernst, vielleicht der beste. Jedenfalls so gut, dass er bereit war, ihm für die Tatnacht ein falsches Alibi zu verschaffen - allerdings ohne zu wissen, dass es um Mord geht. Der 35-Jährige stammt ursprünglich aus dem Iran - eine Tatsache, die dem einen oder anderen Boulevardmedium bereits eine Schlagzeile wert war.

Seinen Freund Stephan Ernst beschreibt Habil A. als freundlich und hilfsbereit. Keinesfalls als rassistisch. Beide arbeiten im selben Betrieb, schießen im selben Schützenverein. Beide sehen die Zuwanderungspolitik der Regierung Merkel - freundlich gesagt - kritisch. Beide glauben, dass Homosexualität "nicht normal" sei. Zusammen besuchen sie eine Demo des Kasseler Pegida-Ablegers. "Du kennst mich besser als meine Frau", soll Ernst irgendwann zu Habil A. gesagt haben.
Mehr Freund als Zeuge

Als Stephan Ernst ihn am 3. Juni 2019 beim Schichtwechsel abfängt, hört Habil A. aufmerksam zu. "Stephan meinte, jemand will ihm Probleme machen." Habil A. erklärt sich bereit, gegenüber der Polizei zu erklären, dass sie den Abend des 1. Juni gemeinsam in Kassel verbracht hätten. Es wird nie zu der abgesprochenen Aussage kommen. Zwölf Tage später wird Ernst festgenommen. Habil A. glaubt da immer noch an die Unschuld seines Freundes. "Ich kann nicht glauben, dass Stephan das getan hat."

Habil A. hat eine weiche Stimme und spricht mit einem leichten Singsang. Seine Aussagen, so scheint es manchmal, tänzeln in eben diesem Rhythmus hin und her. Große Erinnerungslücken, lassen sich an diesem Prozesstag immer wieder nur dadurch beheben, dass ihm seine detailreichen Aussagen bei der Vernehmung durch die Polizei vorgehalten werden. Und selbst darin wimmelt es von Widersprüchen.

Mal soll Ernst keine Freunde gehabt haben, dann aber doch Kumpel von Markus H. und anderen Zeugen, die im Prozess noch aussagen werden, gewesen sein. Mal behauptet er, dass er und Ernst nie mit scharfen Schusswaffen trainiert hätten, dann will er sich erinnern, alleine trainiert zu haben - ohne Ernst.

In der Schießkladde ihres Schützenvereins deuten entsprechende Einträge darauf hin, dass sie doch gemeinsam mit Handfeuerwaffen geübt haben. Habil A.s Aussage bleibt bis zum Schluss ein buntes Wirrwarr. Meist freundlich vorgetragen aber ohne eindeutig erkennbares Faktenfundament. Habil A. ist auch an diesem Verhandlunsgtag mehr Stephan Ernsts Freund als Zeuge.

Der Prozess wird am 3. September fortgesetzt.
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https://www.hessenschau.de/panorama/luebcke-prozess-die-ehefrau-und-der-beste-freund,prozess-blog-mordfall-luebcke-104.html
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Offline Morris

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #366 am: 3. September 2020, 14:25:06 »
Geht das um den Hannig?




Nr. 117/2020 vom 03.09.2020

Bundesgerichtshof verwirft Beschwerde gegen die Aufhebung  einer Pflichtverteidigerbestellung im
Verfahren betreffend die Ermordung des Dr. Lübcke


Beschluss vom 18. August 2020 – StB 25/20

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die sofortige Beschwerde eines Rechtsanwalts gegen die Aufhebung seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger im Verfahren betreffend die Ermordung des ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke verworfen. 

Der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt hat auf Antrag eines Angeklagten einen diesem bereits im Ermittlungsverfahren bestellten Pflichtverteidiger abberufen, weil das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem genannten Rechtsanwalt zerstört sei. 

Hiergegen hat sich der entpflichtete Verteidiger im Wege der sofortigen Beschwerde an den Bundesgerichtshof gewandt.  Nach der Entscheidung des 3. Strafsenats ist der Beschwerdeführer nicht in eigenen Rechten betroffen und somit nicht beschwerdebefugt. Der Senat hat deshalb das Rechtsmittel als unzulässig verworfen. 

Vorinstanz: 

OLG Frankfurt - 5 - 2 StE 1/20-5a - 3/05 - Beschluss vom 28. Juli 2020

Karlsruhe, den 3. September 2020

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Offline Rabenaas

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #367 am: 3. September 2020, 15:04:12 »
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
 
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Offline hair mess

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #368 am: 3. September 2020, 15:12:02 »
Geht das um den Hannig?

Ja.
Seit wann beantworten wir rhetorische Fragen?
Fällt Dir nur Unsinn ein und immer,
erzähle nichts, sonst wird es schlimmer.
 

Offline Rabenaas

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #369 am: 3. September 2020, 16:06:38 »
Off-Topic:
Seit heute.
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Offline echt?

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #370 am: 3. September 2020, 18:44:28 »
Zitat
Nach der Entscheidung des 3. Strafsenats ist der Beschwerdeführer nicht in eigenen Rechten betroffen und somit nicht beschwerdebefugt.

Lernen Anwälte so etwas nicht im Studium oder war er da Kreide holen?
Ich bremse nicht für Nazis!
 

Offline Rabenaas

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #371 am: 3. September 2020, 20:14:14 »
Im Studium lernt man die Hauptfächer - Zivil-, Straf-, Verfassungs-, Verwaltungsrecht sowie ein Wahlfach.

Die Prozeßordnungen werden im Referendariat angerissen, nach dem 2. Examen ist noch 'ne Menge "learning by doing" angesagt.
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Offline Rechtsfinder

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #372 am: 4. September 2020, 10:41:36 »
Die Prozeßordnungen werden im Referendariat angerissen, nach dem 2. Examen ist noch 'ne Menge "learning by doing" angesagt.
Ganz abgesehen davon, dass das auch so eine diffizile Frage ist. Ich werfe da einfach nochmal Thomas Fischer in den Raum.

Rechtsanwälte sind selbstständige Organe der Rechtspflege. Sie sind nicht die Sprechpuppen ihrer Mandanten (Fischer), sondern stellen ihre Beweisanträge etc. aus eigenem Recht. Es wäre m.E. durchaus vertretbar zu argumentieren, dass diese Rechtsposition im Verfahren durchaus ein eigenes Recht sein kann, das zu schützen wäre. Der BGH hat aber anders entschieden. An dieser Stelle: Ich bin wirklich kein Experte. Aber ich bin nicht sicher, ob das nicht systematisch etwas unangenehm ist. Denn natürlich kann das in der Revision überprüft werden. Ob es aber dazu in der Praxis kommen würde, darn habe ich meine Zweifel.

Ich sehe die Entscheidung mit gemischten Gefühlen.
Eine von VRiBGH Prof. Dr. Thomas Fischer erfundene Statistik besagt, dass 90% der Prozessgewinner die fragliche Entscheidung für beispielhaft rechtstreu halten, 20% der Unterlegenen ihnen zustimmen, hingegen von den Verlierern 30% sie für grob fehlerhaft und 40% für glatt strafbar halten.
 

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #373 am: 5. September 2020, 14:45:56 »
Beim letzten Verhandlungstermin kamen die "JVA-Genossen" zu Wort mit denen Markus H. während der U-Haft Kontakt hatte.

Spoiler
Do. 03.09.20, 19:12 Uhr
Tag 15: Gespräche unter Mitgefangenen

Auch in einem Strafprozess gibt es Momente der Heiterkeit. Selbst dann wenn es um Mord geht. An diesem Donnerstag ist es Zeuge Hasan E., der in Saal 165 C des Frankfurter Oberlandesgerichts für leises Gelächter sorgt. "In Untersuchungshaft sind natürlich 90 Prozent unschuldig", gibt der 46-Jährige ironisch zu Protokoll. Hasan E. weiß wovon er spricht. Wegen Beihilfe zu Steuerhinterziehung sitzt er eine dreijährige Freiheitsstrafe ab. Davor befand er sich in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt I in Untersuchungshaft. Zur selben Zeit wie einer der Angeklagten im Lübcke-Prozess: Markus H.

"Als Hausarbeiter habe ich mich mit allen unterhalten", sagt Hasan E. Zellen reinigen, Bettwäsche wechseln, Essen ausgeben. Die Tätigkeit ist eine Abwechslung im monotonen Haftalltag. Fast zwangsläufig komme man da ins Gespräch. Auch mit Markus H., der ab Juni 2019 in derselben JVA auf seinen Prozess wartet. Dass er etwas mit dem Mord an Walter Lübcke zu tun haben soll, hat sich bereits rumgesprochen. Den Kontakt zu seinem Mitgefangenen scheut Hasan E. dennoch nicht. Und der 5. Strafsenat interessiert sich sehr dafür, was Markus H. seinerzeit zu erzählen hatte.
Stephan Ernst die Tat nicht zugetraut

Würde man erst an diesem 15. Verhandlungstag in den Lübcke-Prozess einsteigen, könnte man leicht den Eindruck gewinnen, dass nicht Stephan Ernst, der bereits eingeräumt hat, den tödlichen Schuss auf Lübcke abgefeuert zu haben, der Hauptangeklagte ist, sondern sein angeblicher Mittäter Markus H. Die Zeugenbefragungen an diesem Tag drehen sich ausschließlich darum, ob H. in der Untersuchungshaft etwas preisgegeben hat, das darauf hindeuten könnte, dass er direkt an der Tat beteiligt war - so wie es Stephan Ernst behauptet.

Hasan E. ist einer von zwei Mithäftlingen, die darüber Auskunft geben können. "Eigentlich über alles", hätten er, der zweite Zeuge des Tages Yusef E. und Markus H. gesprochen. Auch über die Ermittlungen im Mordfall Lübcke.

Was Hasan E. zu berichten hat, ist für den Mitangeklagten H. teils ent- und teils belastend. Je nachdem wie man das Gesagte auslegen will. Markus H. habe stets beteuert, an der Tat nicht beteiligt gewesen zu sein. Vom Tod Lübckes will er aus dem Fernsehen erfahren haben, nachdem er von einer Motorradtour zurückgekommen sei. Seinem Freund Stephan E., habe er so eine Tat eigentlich gar nicht zugetraut. Eine Aussage, die nach Einschätzung von H.s Anwalt Björn Clemens, gegen einen Beihilfe-Vorsatz spricht.

Auf der anderen Seite soll Markus H. Sorgen gehabt haben, weil er Stephan Ernst "eine Waffe" beschafft habe, berichtet Hasan E. Allerdings hätte H. nicht gewusst, was Stephan Ernst damit vorhabe.
Ausführliche Notizen - schwächelnde Erinnerungen

Was unter dem "Beschaffen" der Waffe zu verstehen ist, wird auch nach der Vernehmung von Yusef E. nicht klar. Der 36-Jährige spricht zunächst von "Vermitteln" später von "Verkauf". Ihm gegenüber soll H. auch die Befürchtung geäußert haben, dass man auf dem Beifahrersitz von Ernsts Pkw DNA-Spuren von ihm finden und das gegen ihn verwenden könnte. Auch vor der Entdeckung eines verschlüsselten Chats zwischen ihm und Ernst habe H. Angst gehabt, erinnert sich Yusef E.

Yusef E. erweist sich indes als schwieriger Zeuge. Der 36-Jährige verbüßt eine Haftstrafe wegen eines nicht näher genannten Drogendelikts. Den Ermittlern fiel er ins Auge, weil er in einem Brief an seine Frau vom Mordfall Lübcke und H. berichtete - und dass dieser ihm gegenüber "alles gestanden" habe. Wie üblich bei Gefängnispost wurde der Brief kontrolliert.

Danach wurde Yusef E. vernommen. Er ist ein bereitwilliger Zeuge, der sich umfangreiche Notizen zu seinen Gesprächen mit Markus H. machte, die mittlerweile Teil der Ermittlungsakten im Mordfall Lübcke sind. Yusef E. gibt zu, dass er sich von seiner Kooperation mit den Ermittlungsbehörden Hafterleichterungen erhoffte.

Doch inzwischen fällt es ihm schwer, sich an Details seiner Gespräche zu erinnern oder diese verständlich zu formulieren. Selbst mit Hilfe eines Dolmetschers, der für ihn ins Niederländische übersetzt, fallen seine Antworten oft unverständlich aus. Die unausgesprochene Frage, die im Raum steht, ist, wie sich die Kommunikation zwischen Yusef E. und Markus H. abgespielt haben soll. Auf Deutsch und Englisch, behauptet Yusuf E. Gespräche an deren Ende er zu dem Schluss gekommen sein will, dass es sich bei Markus H. um ein "Kind, das einen Knacks hat", handle. Aber auch, dass Markus H. "voller Hass" sei.
3D-Animationen des Tatgeschehens

Für die Wahrheitsfindung dürften die Aussagen der einstigen Mithäftlinge von Markus H. nur von eingeschränktem Wert sein. Im Gegensatz dazu eröffnen die am Nachmittag in die Verhandlung eingeführten 3D-Aufnahmen und Animationen vom Tatort zumindest neue Perspektiven. Mittels 3D-Scans haben Spezialisten des hessischen LKA den Tatablauf am 1. Juni 2019 gemäß den Angaben Stephan Ernsts in seinem ersten und seinem zweiten Geständnis nachgestellt. Ein aufwendiges Verfahren, bei dem Computerprogramme auch die Lichtverhältnisse rund um das Haus der Lübckes berechnet haben.

In der 3D-Animation erscheint der Weg auf die Terrasse, den Markus H. nach Aussage von Stephan Ernst genommen haben soll, nicht mehr so unrealistisch, wie es die Verteidigung den Mitangeklagten behauptet. Nicht nur, dass er weniger ausgeleuchtet erscheint, als bisher angenommen, nach Aussage eines Vermessungsingenieurs des LKA sei es "problemlos möglich" gewesen, ein stufenförmiges Beet, auf der Hälfte des Weges zu überwinden. Die Verteidigung von Markus H. hatte behauptet, dass dies nicht möglich gewesen sei.

Markus H. nimmt ent- wie belastende Indizien mit dem immer gleichen abschätzigen Grinsen eines Mannes zur Kenntnis, der sich sicher zu sein scheint, dass man ihm nichts nachweisen kann. Der Prozess wird am kommenden Montag, 7. September fortgesetzt.
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