Autor Thema: Der Mord an Walter Lübcke  (Gelesen 41133 mal)

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #390 am: 22. September 2020, 15:50:01 »
Ex-Verteidiger Hannig verweigert die Aussage.
Alles andere wäre auch extrem dämlich gewesen.
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #391 am: 22. September 2020, 16:06:56 »
In der Tat. Aber nach den Angaben insbesondere seiner Kollegen Kaplan und Pfläging (Ernst allein dürfte, da notorischer Lügner, nicht reichen) wird es wohl eng für ihn.

Mal sehen, wie lange er noch Anwalt bleibt.
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
 

Offline Gutemine

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #392 am: 23. September 2020, 08:53:03 »
Wieder der sehr ausführliche Bericht in der Hessenschau. Nicht nur Hannig war geladen, es gab auch noch andere Zeugen.

Zitat
Es verwundert daher nicht, dass Hannig sich inzwischen selbst einen Anwalt besorgt hat. Dem Wiesbadener Juristen Alfred Dierlamm gelingt an diesem Verhandlungstag ein echtes Kunststück: Er bringt den sonst so sendungsbewussten Hannig zum Schweigen. "Eine Verfolgungsgefahr liegt ohne Zweifel vor", erklärt Dierlamm. Daher werde sein Mandant von einem vollumfänglichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.
Von JVA-Bedienstetem kontaktiert

Die Strafprozessordnung gewährt Zeugen dieses Recht. Und auch im Falle des Ex-Verteidigers wird es von keinem der Prozessbeteiligten grundsätzlich in Frage gestellt - mit einer Ausnahme. Weder der Staatsanwaltschaft noch der Nebenklage will einleuchten, wie sich Hannig selbst belasten könnte, wenn er offenlegt, wie es zur Übernahme des Mandats kam. Es ist eine kurze Verhandlung über das rechte Maß an Schweigen. Dierlamm gibt ohne größeren Widerstand nach. Hannig darf sprechen.

Und was er zu berichten hat, ist durchaus interessant. Es sei ein Bediensteter der Justizvollzugsanstalt Kassel gewesen, der ihn bezüglich der Verteidigung von Stephan Ernst im Juni 2019 kontaktiert habe. Einen Namen habe er nicht genannt, nur berichtet, dass Ernst bei ihm in der JVA sitze und "dringend" einen Verteidiger brauche. "Und zwar einen wie mich", erinnert sich Hannig. Seine Verwunderung über diese Art der Kontaktaufnahme scheint sich in Grenzen gehalten zu haben. "Ich bin unter Justizvollzugsbediensteten bekannt."

Zitat
Auch den beiden anderen Zeugen an diesem Prozesstag hätte theoretisch ein Zeugnisverweigerungsricht zugestanden. Timo A. und Jens L. sind ehemalige Arbeitskollegen von Stephan Ernst. Gegen beide wurde beziehungsweise wird wegen illegalen Waffenbesitzes ermittelt, weil sie von Ernst Schusswaffen gekauft haben. Gegen Jens L. hat die Staatsanwaltschaft Kassel unlängst Anklage erhoben. Beide haben infolge der Ermittlungen ihre Anstellung verloren. Beide könnten schweigen, ziehen es aber vor zu reden.

Zitat
Auch diese beiden Zeugen werden unvereidigt entlassen. Der Prozess wird am 1. Oktober fortgesetzt. Bis dahin wird sich das Gericht möglicherweise mit der Frage befassen müssen, ob der Mitangeklagte Markus H. weiter in Untersuchungshaft verbleibt. Nach Ansicht seines Verteidigers Björn Clemens, ist diese nicht mehr gerechtfertigt, nachdem sich am letzten Prozesstag eine der Hauptbelastungszeuginnen - H.s ehemalige Lebensgefährtin - unglaubwürdig gemacht habe.

Er sei der Überzeugung, dass "sich die Zeit unseres Mandanten in der JVA dem Ende nähert", so Clemens. Richter Sagebiel bestätigt zumindest, dass diese Frage "in Kürze auf dem Tisch" liegen werde.

Spoiler
Tag 20: Das rechte Maß an Schweigen

Den Kern der Beweisaufnahme im Strafprozess bilden mündliche Aussagen. Forensische Expertisen, die Inaugenscheinnahme von physischen Beweisstücken, das Verlesen von Gutachten - all das nimmt nicht ansatzweise so viel Raum ein wie das gesprochene Wort von Zeugen. Manchmal aber muss erst abgewogen werden, ob ein Zeuge überhaupt sprechen darf. Und wenn er es darf, ob er es auch wirklich sollte.

Frank Hannig ist so ein Zeuge. Im Vorfeld des 20. Verhandlungstages im Lübcke-Prozess musste dem ehemaligen Verteidiger des Hauptangeklagten Stephan Ernst von seinem Ex-Mandanten zunächst das Recht eingeräumt werden, seine anwaltliche Verschwiegenheitspflicht in einem gewissen Rahmen zu durchbrechen. Ernst und seine Verteidigung haben zugestimmt. Hannig darf über einige wenige Punkte, die das erloschene Mandatsverhältnis zu Ernst betreffen, Auskunft geben. Über die Mandatsanbahnung etwa oder über das, was Ernst ihm ursprünglich über den Tatablauf am 1. Juni 2019 berichtet hat. Die Frage, ob es aus Hannigs Sicht klug ist, darüber Auskunft zu geben, muss der Dresdner Anwalt aber mit sich selbst klären - und mit seinem Rechtsbeistand.
Aussage als Selbstanklage

Es ist eine heikle Situation, in der sich der Ex-Verteidiger am Dienstag wiederfindet. Sein ehemaliger Mandant behauptet, von ihm zu einer falschen Tatdarstellung angestiftet worden zu sein. Im Januar und Februar 2020 hatte Ernst bei einer richterlichen Vernehmung erklärt, den Anschlag auf Walter Lübcke gemeinsam mit dem Mitangeklagten Markus H. begangen zu haben. Dabei hätte Markus H. "versehentlich" den tödlichen Schuss abgefeuert. Eine Tatversion, an der Ernst und seine Verteidigung noch zu Beginn des Prozesses festhielten - bis es zum Bruch mit Hannig kam.

Inzwischen behauptet Ernst, von Hannig zu dieser Einlassung gedrängt worden zu sein. Der Anwalt habe damit Markus H. zu einer Aussage "provozieren" wollen. Bereits im Februar 2020 soll Ernst dies einem anderen ehemaligen Verteidiger berichtet haben. Ernsts aktueller Anwalt, Mustafa Kaplan, hatte zudem ausgesagt, dass Hannig ihm gegenüber dies im Juli bestätigt habe.

Hannig muss an diesem Dienstag also quasi in eigener Sache aussagen. Im Raum steht der Verdacht der Anstiftung zu einer falschen Verdächtigung. Und mit einer unbedachten Äußerung könnte Hannig sich selbst belasten.

Es verwundert daher nicht, dass Hannig sich inzwischen selbst einen Anwalt besorgt hat. Dem Wiesbadener Juristen Alfred Dierlamm gelingt an diesem Verhandlungstag ein echtes Kunststück: Er bringt den sonst so sendungsbewussten Hannig zum Schweigen. "Eine Verfolgungsgefahr liegt ohne Zweifel vor", erklärt Dierlamm. Daher werde sein Mandant von einem vollumfänglichen Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.
Von JVA-Bedienstetem kontaktiert

Die Strafprozessordnung gewährt Zeugen dieses Recht. Und auch im Falle des Ex-Verteidigers wird es von keinem der Prozessbeteiligten grundsätzlich in Frage gestellt - mit einer Ausnahme. Weder der Staatsanwaltschaft noch der Nebenklage will einleuchten, wie sich Hannig selbst belasten könnte, wenn er offenlegt, wie es zur Übernahme des Mandats kam. Es ist eine kurze Verhandlung über das rechte Maß an Schweigen. Dierlamm gibt ohne größeren Widerstand nach. Hannig darf sprechen.

Und was er zu berichten hat, ist durchaus interessant. Es sei ein Bediensteter der Justizvollzugsanstalt Kassel gewesen, der ihn bezüglich der Verteidigung von Stephan Ernst im Juni 2019 kontaktiert habe. Einen Namen habe er nicht genannt, nur berichtet, dass Ernst bei ihm in der JVA sitze und "dringend" einen Verteidiger brauche. "Und zwar einen wie mich", erinnert sich Hannig. Seine Verwunderung über diese Art der Kontaktaufnahme scheint sich in Grenzen gehalten zu haben. "Ich bin unter Justizvollzugsbediensteten bekannt."

Sein Bekanntheitsgrad unter Justizvollzugsbeamten dürfte mit einem früheren Mandat zusammenhängen. 2019 vertrat er den Dresdner JVA-Beamten Daniel Z., der im September 2018 im Zusammenhang mit einem Tötungsdelikt in Chemnitz einen Haftbefehl mit persönlichen Daten eines der Tatverdächtigen veröffentlicht hatte. Die Tat in Chemnitz hatte zu tagelangen Protesten und gewalttätigen Ausschreitungen geführt, die von rechten und rechtsextremen Gruppen organisiert wurden. Zu den Teilnehmern einer dieser Demonstrationen zählten auch die beiden Angeklagten im Lübcke Prozess: Stephan Ernst und Markus H.

Hannigs Schilderung der Mandatsanbahnung erinnert an den Ausspruch, wonach jeder Mensch auf der Welt über sieben Ecken mit jedem anderen Menschen in irgendeiner Form von Beziehung steht. Bei Ernst und Hannig scheint allerdings ein kurzer Blick ums rechte Eck genügt zu haben. Für den Dresdner Anwalt jedenfalls endet seine Rolle in diesem Prozess am Dienstag endgültig. Er wird unvereidigt entlassen.
Arbeitskollegen mit Waffen versorgt

Auch den beiden anderen Zeugen an diesem Prozesstag hätte theoretisch ein Zeugnisverweigerungsricht zugestanden. Timo A. und Jens L. sind ehemalige Arbeitskollegen von Stephan Ernst. Gegen beide wurde beziehungsweise wird wegen illegalen Waffenbesitzes ermittelt, weil sie von Ernst Schusswaffen gekauft haben. Gegen Jens L. hat die Staatsanwaltschaft Kassel unlängst Anklage erhoben. Beide haben infolge der Ermittlungen ihre Anstellung verloren. Beide könnten schweigen, ziehen es aber vor zu reden.

Timo A.s Aussage fällt kurz aus. In den Jahren 2013 oder 2014 hat er einen Revolver von Ernst erworben. Er habe seinerzeit an Depressionen gelitten und mit dem Gedanken gespielt, Selbstmord zu begehen. Zwischen 500 bis 700 Euro habe er für die Waffe gezahlt. Vielmehr kann er über den langjährigen Kollegen nicht berichten. Ein privates Verhältnis außerhalb der Firma habe nicht existiert.

Timo A. spricht deutlich. Auf die meisten Nachfragen antwortet er mit einem schneidenden "Nein", das wenig Zweifel daran lässt, dass er keine detailliertere Auskunft geben wird.

Jens L. ist das glatte Gegenteil. Ein untersetzter Mann, der vor Nervosität bei jedem Wort nach Luft schnappt, als würde er jeden Moment hyperventilieren. "Ich bin wirklich nervlich...", setzt er in einem Moment an, schafft es aber nicht, den Satz zu Ende zu bringen. "Zerrüttet", ergänzt schließlich der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel.
Seinem Umfeld erschien Ernst nicht radikal

Zwischen 3.000 und 4.000 Euro will Jens L. über die Jahre für allerlei Waffen ausgegeben haben. Teilweise habe er sie auf Flohmärkten erworben, teilweise von Stephan Ernst gekauft. Er habe ein rein historisches Interesse daran. "Ich hatte nie was Böses vor. Ich wollte niemandem was tun", beteuert er. Warum er dann auch moderne Waffen und Munition erwarb, kann er allerdings nicht so recht erklären.

Jens L. soll im Nachgang zum Mord an Walter Lübcke noch eine wichtige Rolle gespielt haben. Stephan Ernst behauptet, dass L. Schmiere stand, während er seine Waffensammlung - darunter die Tatwaffe - auf dem Gelände des gemeinsamen Arbeitgebers vergrub. L. bestreitet das. L. bestreitet auch "rechtsgerichtet oder rechtsradikal" zu sein - trotz zahlreicher NS-Schriften und Devotionalien, die in seiner Wohnung gefunden wurden. L. bestreitet zunächst auch die Waffen, die ihm Ernst verkauft hat, abgefeuert zu haben, gesteht dann aber doch einen "Probeschuss" auf dem Firmengelände - nachdem ihn Ernsts Verteidiger daran erinnert hat, dass eine Falschaussage vor Gericht strafbar ist.

Timo A. und Jens L. sind nicht die ersten Arbeitskollegen von Stephan Ernst, die in diesem Prozess aussagen. Zur Tataufklärung konnte keiner von ihnen wirklich etwas beitragen. Ihre Aussagen stimmen jedoch in einem Punkt überein: Ernst soll am Arbeitsplatz nie durch sonderlich radikale Ansichten aufgefallen sein. Besser gesagt: Seine Aussagen erschienen in seinem Arbeitsumfeld niemandem als sonderlich radikal.
Frage nach Ende der U-Haft

Auch diese beiden Zeugen werden unvereidigt entlassen. Der Prozess wird am 1. Oktober fortgesetzt. Bis dahin wird sich das Gericht möglicherweise mit der Frage befassen müssen, ob der Mitangeklagte Markus H. weiter in Untersuchungshaft verbleibt. Nach Ansicht seines Verteidigers Björn Clemens, ist diese nicht mehr gerechtfertigt, nachdem sich am letzten Prozesstag eine der Hauptbelastungszeuginnen - H.s ehemalige Lebensgefährtin - unglaubwürdig gemacht habe.

Er sei der Überzeugung, dass "sich die Zeit unseres Mandanten in der JVA dem Ende nähert", so Clemens. Richter Sagebiel bestätigt zumindest, dass diese Frage "in Kürze auf dem Tisch" liegen werde.
[close]
https://www.hessenschau.de/panorama/luebcke-prozess-das-rechte-mass-an-schweigen,prozess-blog-mordfall-luebcke-104.html
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #393 am: 23. September 2020, 20:28:44 »
Im Gesprächsfaden über die Quarkdenker wurde ein Netzpolitik-Artikel verlinkt, der die undurchsichtigen Spenden-Konstrukte und deren Hintermänner thematisiert - unter anderem auch die "Anwälte für Aufklärung". In deren Mitgliederliste findet sich auch ...*Trommelwirbel*... RA Frank Hannig.
« Letzte Änderung: 23. September 2020, 20:32:03 von Fragender »
 
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #394 am: 1. Oktober 2020, 10:45:58 »
Aha:


Zitat
MARKUS H. AUF FREIEM FUS:
Mitangeklagter in Lübcke-Prozess wird aus Untersuchungshaft entlassen

AKTUALISIERT AM 01.10.2020-10:30
Im Prozess um die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke standen bisher zwei Männer im Fokus der Ermittlungen. Der wegen Beihilfe angeklagte Markus H. wird nun aus der Untersuchungshaft entlassen.
Spoiler
m Prozess um die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke kommt es zu einer ersten Entscheidung: Der mitangeklagte Markus H. wird aus der Untersuchungshaft entlassen. H. sei "nicht mehr verdächtig, sich der Beihilfe strafbar gemacht zu haben",  teilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main am Donnerstag mit. Es bestehe "keine hohe Wahrscheinlichkeit mehr" für eine Beihilfe.

Als Grundlage der Entscheidung nannte das Gericht die jüngste Einlassung des Hauptangeklagten Stephan E., der sich zusammen mit H. seit Juni in dem Mordprozess verantworten muss. H. wurde angeklagt, "psychologische Beihilfe" geleistet zu haben.

E. gestand zuletzt den tödlichen Schuss auf Lübcke. Er gab zudem an, dass H. auch am Tatort gewesen sei. Spuren von H. wurden dort allerdings nicht gefunden.

Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni 2019 tot auf der Terrasse seines Wohnhauses im nordhessischen Wolfhagen-Istha gefunden worden. E. soll ihn aus rechtsextremen Motiven getötet haben.

Mehr in Kürze auf FAZ.NET
[close]
https://www.faz.net/aktuell/luebcke-prozess-mitangeklagter-aus-untersuchungshaft-entlassen-16980739.html
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #395 am: 1. Oktober 2020, 11:08:54 »
Ich übersetze mal, was die Presse wieder etwas dümmlich wiedergekäut hat:

[imho]Der Angeklagte ist zumindest nicht mehr dringend tatverdächtig, was zwingend Voraussetzung für Untersuchungshaft ist (§ 112 StPO). Die Entlassung aus der Untersuchungshaft bedeutet nicht, dass das Gericht von der Unschuld überzeugt ist. Wäre auch kein hinreichender Tatverdacht mehr gegeben, wäre das Verfahren einzustellen. Oder der Angeklagte ist noch einer weiteren Straftat beschuldigt, deren Straferwartung in anbetracht der bereits abgesessenen U-Haft für eine Fortdauer ebendieser in keinem Verhältnis stünde. [/imho]

Soweit also vollkommen normaler Justizalltag. Irgendwo findet sich sicherlich auch eine Pressemitteilung des Gerichts.
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #396 am: 1. Oktober 2020, 11:17:41 »
Irgendwo findet sich sicherlich auch eine Pressemitteilung des Gerichts.


Inzwischen ja:

Spoiler
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN
Aufhebung des Haftbefehls gegen Markus H. im Prozess um die Ermordung von Dr. Lübcke
01.10.2020Pressestelle: OLG Frankfurt am Main
Nr. 75/2020

In dem Strafverfahren gegen Stephan E. und Markus H. hat der 5. Strafsenat (Staatsschutzsenat) des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG) heute den Haftbefehl gegen Markus H. aufgehoben.

Markus H. wird vorgeworfen, dem Mitangeklagten Stephan E. Beihilfe zum Mord an dem damaligen Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke geleistet zu haben. Wegen dieses Vorwurfs war Markus H. am 26.6.2019 festgenommen worden und befand sich seitdem in Untersuchungshaft.

Der Senat begründet die Aufhebung des Haftbefehls mit dem bisherigen Ergebnis der seit dem 16.6.2020 durchgeführten Hauptverhandlung. Die Beweisaufnahme habe ergeben, dass Markus H. nicht mehr dringend verdächtig sei, sich der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht zu haben. Beihilfe setze in subjektiver Hinsicht voraus, dass Markus H. eine Tötung von Dr. Lübcke durch Stephan E. zumindest für möglich gehalten habe. Dies sei nicht mehr in hohem Maße wahrscheinlich. Bislang sei der entsprechende Verdacht von den Angaben getragen gewesen, die Stephan E. und die als Zeugin vernommene ehemalige Lebensgefährtin von Markus H. im Ermittlungsverfahren gemacht hatten. Diese Beweismittel trügen den Verdacht nun nicht mehr. Der Senat habe erhebliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben von Stephan E. Die ehemalige Lebensgefährtin von Markus H. habe ihre bisherigen Angaben bei ihrer Vernehmung durch den Senat nicht nur relativiert; die Vernehmung der Zeugin habe auch ergeben, dass erhebliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben im Ermittlungsverfahren angezeigt seien. Die weiteren bisher in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse ließen nicht den Schluss zu, Markus H. habe die Tat für möglich gehalten.

Der Haftbefehl sei auch nicht dahin abzuändern, dass Markus H. nunmehr der Mittäterschaft an der Tötung des Dr. Lübcke dringend verdächtig sei. Die entsprechende Einlassung des Mitangeklagten Stephan E. in der Hauptverhandlung sei nicht glaubhaft. Dies folge vor allem daraus, dass Stephan E. während des Ermittlungsverfahrens zwei verschiedene Versionen des Tatgeschehens geschildert und in der Hauptverhandlung eine weitere Variante beschrieben habe. Dabei habe er die Beteiligung von Markus H. jeweils völlig unterschiedlich geschildert. Die Aussagekonstanz fehle auch innerhalb der Einlassung in der Hauptverhandlung. So habe sich Stephan E. zum gemeinsamen Tatplan wechselhaft eingelassen, in einigen Punkten seien die Einlassungen widersprüchlich. Die Einlassung des Angeklagten E. sei überdies äußerst detailarm geblieben; dieser sei nicht dazu in der Lage gewesen, seine Schilderungen auf Nachfragen unter Beschreibung weiterer Details stimmig zu erweitern. Dies betreffe die Schilderung der Entwicklung des gemeinsamen Tatplans vom ursprünglich geplanten Einschüchterungsversuch zum vorsätzlichen Tötungsdelikt. Des Weiteren habe er auch auf mehrfache Nachfrage nicht anschaulich angeben können, wie es zu der Entscheidung gekommen sein solle, dass er und nicht Markus H. auf Dr.Lübcke schießen werde. Auffällig sei auch, dass Stephan E. stets sehr kontrolliert geantwortet habe und der Eindruck entstanden sei, er wolle nur solche Antworten geben, die für ihn günstig seien. Seine Einlassung sei darüber hinaus in mehreren Punkten unplausibel und stehe nicht mit der bisherigen Beweislage in Einklang. Hinzu komme, dass das Mobiltelefon des Angeklagten Markus H. zur Tatzeit in einem weit vom Tatort entfernten Funkmast eingeloggt gewesen sei.

Zwar sei der Angeklagte Markus H. weiterhin dringend verdächtig, an einer nicht schussfähigen Maschinenpistole ein Griffstück befestigt zu haben, für das er nicht über die erforderliche Erlaubnis verfügte. Die Straferwartung wegen des dadurch wahrscheinlich verwirklichten Waffendelikts sei jedoch so gering, dass nach einer Untersuchungshaft von einem Jahr und drei Monaten die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft zu der im Verurteilungsfalle zu erwartenden Strafe außer Verhältnis stehe.

Gegen den Beschluss ist die Beschwerde zulässig, über die der BGH zu entscheiden hätte.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 1.10.2020, Az 5 – 2 StE 1/20-5a – 3/20
[close]
https://ordentliche-gerichtsbarkeit.hessen.de/pressemitteilungen/Aufhebung_Haftbefehl_Markus_H
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #397 am: 1. Oktober 2020, 11:22:21 »
Wäre auch kein hinreichender Tatverdacht mehr gegeben, wäre das Verfahren einzustellen.

Nach Eröffnung des Hauptverfahrens gibt es nur noch die Möglichkeit einer Einstellung nach Opportunitätsvorschriften (z.B. wegen geringer Schuld); wenn sich eine angeklagte Tat in der Hauptverhandlung nicht nachweisen läßt ist freizusprechen.
« Letzte Änderung: 1. Oktober 2020, 11:27:36 von Rabenaas »
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #398 am: 16. Oktober 2020, 18:17:04 »
Der Papa hat den Sohn zu einem "echt arischen Herrenmenschen" erzogen (so viel zum Thema er hatte mit dem Gedankengut nichts mehr am Hut und die Gattin/Kinder haben niemals nie nicht was bemerkt) und darf deshalb jetzt nicht zur Bundeswehr. Dabei wäre er doch so ein aufrechter Patriot....

Spoiler
Stephan Ernst Sohn von mutmaßlichem Lübcke-Attentäter darf nicht zur Bundeswehr
Der Sohn des mutmaßlichen Mörders von Walter Lübcke darf nicht bei der Bundeswehr antreten. Grund ist nach SPIEGEL-Informationen seine politische Gesinnung.
16.10.2020, 18.00 Uhr

Der Sohn des mutmaßlichen Mörders des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke wurde nach SPIEGEL-Informationen wegen seiner politischen Gesinnung von der Bundeswehr abgelehnt. Ursprünglich wollte der Sohn des tatverdächtigen hessischen Rechtsextremisten Stephan Ernst im Juli seinen Freiwilligen Wehrdienst beginnen.

Kurz zuvor allerdings hatte der Militärische Abschirmdienst (MAD) den 18-Jährigen zu einem Sicherheitsgespräch geladen und ihm Hinweise auf seine rechtsextreme Gesinnung vorgehalten. So hatten Polizeifahnder bei der Festnahme von Ernst im Juni 2019 auch ein Samsung-Mobiltelefon seines Sohnes in der Wohnung der Familie in Kassel sichergestellt.
Hitler-Video auf dem Handy

Im Speicher fanden die Ermittler eine WhatsApp-Gruppe mit dem Titel "Ehrenbande", die der Sohn administrierte. Profilbild: Ein Eisernes Kreuz mit der Aufschrift "Vaterland, Ehre und Stärke". In dem Chat tauschte sich der Administrator mit weiteren jungen Männern unter anderem über ein mit Technomusik unterlegtes Hitler-Video aus und relativierte den Holocaust.

In der Gruppe kursierte auch das unter Rechtsextremen beliebte "Alphabet für Fortgeschrittene", das die Buchstaben mit Wörtern wie "Gaskammer", "Judenhass" oder "Sieg Heil" verknüpft. In einem weiteren Chat sprach der Sohn mit seinem Vater über Besuche bei AfD-Veranstaltungen und das Verteilen von Flyern für die rechtspopulistische Partei.
"Politische Richtung durch den Vater vorgegeben"

Das Landeskriminalamt geht davon aus, dass dem jungen Mann die "politische Richtung durch den Vater vorgegeben worden" sei, heißt es in einem internen Ermittlungsbericht. Beim MAD hieß es, die gefundenen Indizien seien zwar nicht ausreichend für ein Strafverfahren. Allerdings belegen sie aus Sicht des Geheimdienstes, dass der Sohn nicht auf dem Boden der Verfassung steht.
[close]
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/stephan-ernst-sohn-von-mutmasslichem-luebcke-attentaeter-darf-nicht-zur-bundeswehr-a-00000000-0002-0001-0000-000173548916
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #399 am: 23. Oktober 2020, 11:29:54 »
Ich weiß nicht mehr wer von unserer (weiteren) Kundschaft das war. Liebich? Einer der "AfD-Spitzenpolitiker"? Donatus?

Auf jeden Fall kostet es jetzt erst mal.

Spoiler
Hetze auf Youtube: 5400 Euro Strafzahlung

22. Oktober 2020 - 16:13 Uhr

Ein 33-Jähriger muss wegen Volksverhetzung auf YouTube 5400 Euro zahlen. Der Strafbefehl sei nicht mehr anfechtbar, teilte die Berliner Staatsanwaltschaft am Donnerstag zu dem Gerichtsurteil mit. Der Mann habe auf seinem Kanal den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke heroisiert. Zudem habe der 33-Jährige unter Bezug auf NS-Verbrechen zu tödlicher Gewalt gegen türkischstämmige Bürger in Deutschland aufgefordert.

Derzeit läuft der Prozess um den Mord an Lübcke vor dem Oberlandesgericht Frankfurt. Dort ist der 47-jährige Deutsche Stephan Ernst angeklagt. Ihm wird vorgeworfen, im vergangenen Jahr den CDU-Politiker aus rechtsextremistischen Motiven auf der Terrasse von dessen Wohnhaus erschossen zu haben
[close]
https://www.rtl.de/cms/hetze-auf-youtube-5400-euro-strafzahlung-4636126.html
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #400 am: 26. Oktober 2020, 16:43:54 »
Alles schaut gebannt auf Berlin und auf die erbärmlichen Aufführungen der "Opas gegen Maskenpflicht", dabei passiert gerade Großes im Hintergrund tun sich gleich die nächsten Abgründe am OLG FFM auf. Heise weiß natürlich und ganz szenetypsich von nichts und/ oder kann sich an nichts erinnern.

https://www.welt.de/politik/deutschland/article218442702/Verfassungsschutz-Luebcke-Moerder-mit-Kontakten-zu-NPD-Kader-Heise.html

Zitat

Geheimakten verraten Nähe zwischen Lübcke-Mörder und prominentem Neonazi


Stand: 25.10.2020 | Lesedauer: 2 Minuten
Von Uwe Müller, Christian Schweppe

Unter Verschluss gehaltene Papiere des Verfassungsschutzes zeigen, dass der Neonazi Stephan Ernst und der Rechtsextremist Thorsten Heise immer wieder aufeinandertrafen. Dem hessischen Landtag wird das brisante Material vorenthalten.

Der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan Ernst hatte über ein Jahrzehnt hinweg immer wieder Kontakt zu dem einflussreichen Rechtsextremisten und heutigem NPD-Bundesvizechef Thorsten Heise. Die Beziehung von Ernst und Heise ist in Unterlagen des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) dokumentiert, die WELT exklusiv vorliegen.

Das geheime Material ist laut der Redaktion Teil der mehr als 56.000 Seiten umfassenden Ermittlungsakte des Generalbundesanwaltes (GBA) zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU). Zu den 240 Bänden hat das LfV Hessen 18 Bände zugeliefert.

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Sowohl der GBA als auch das für den Fall zuständige Oberlandesgericht Frankfurt/Main weigern sich, das Konvolut einem vom hessischen Landtag eingesetzten Untersuchungsausschuss auszuhändigen. Deshalb hat das Gremium Ende September angekündigt, Rechtsmittel einzulegen.

Thorsten Heise, Bundesvizechef der NPD
Quelle: dpa-infocom GmbH

In den Verfassungsschutzpapieren sind zahlreiche Begegnungen von Ernst und Heise beschrieben. Die beiden trafen etwa in Kassel bei Stammtischen der NPD und von Kameradschaften aufeinander, fuhren zusammen im Bus zu einer Berliner Großdemonstration und besuchten Kundgebungen.

An der Seite des Neonazi-Kaders Heise nahm Ernst auch an einer Winter- und einer Sommersonnenwendfeier in Hessen und Thüringen teil. Die erste in den Akten erwähnte Zusammenkunft der beiden fand nach Angaben von WELT im April 2001 statt, die letzte im Juni 2011. Mit dem Sachverhalt konfrontiert, sagte Heise, er glaube sich an Ernsts „Physiognomie zu erinnern, an persönliche Gespräche indes nicht.“ Ernst ließ eine Anfrage der Redaktion unbeantwortet.
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D adaistische I lluminatinnen für die E rleuchtung D es A bendlandes

Tolereranzparadoxon: "Denn wenn wir die uneingeschränkte Toleranz sogar auf die Intoleranten ausdehnen, (...) dann werden die Toleranten vernichtet werden und die Toleranz mit ihnen.“ Karl Popper
 
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Offline Fragender

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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #401 am: 22. November 2020, 22:29:32 »
Der derzeit anvisierte Termin für das Urteil am 1.12. wird wohl erschoben werden, damit noch zusätzliche Beweismittel vorgestellt werden können. Demnach sollen von RA Hannig in der Haft aufgezeichnete Gespräche mit Ernst die Anwesenheit des Mitangeklagten Hartmann zeigen. Gegen Hannig ist derweil selbst ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, so dass er zwar bei diesem Thema gerade keinen auf dicke Hose machen kann, dafür auf seinem YT-Kanal [mit] den Quarkdenkern neue Geschäftsfelder erschließt juristischen Mut zuspricht.
Ein Gutachter hat Zweifel an Ernst' Behauptung, er sei kein Rassist mehr, sieht ihn darüber hinaus als Hangtäter und hält daher eine Strafe mit Sicherheitsverwahrung für angebracht.
« Letzte Änderung: 22. November 2020, 22:33:18 von Fragender »
 
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #402 am: 2. Dezember 2020, 19:22:42 »
Das Gericht hat die Akten von Hannig beschlagnahmen lassen und sichtet sie nun.

https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/olg-frankfurt-dokumente-ehemaliger-verteidiger-stephan-ernst-frank-hannig-ermittlungen/
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    HomeNachrichten

Mordfall Lübcke Gericht lässt Akten von Ex-Ver­tei­diger sicher­s­tellen

Ein Urteil gegen den Hauptangeklagten im Lübcke-Prozess könnte noch dieses Jahr ergehen. Doch auch der ehemalige Verteidiger von Stephan Ernst steht nun im Fokus der Staatsanwaltschaft und spielt für den Prozess eine wichtige Rolle.

Im Prozess um den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat das Oberlandesgericht Frankfurt (OLG) Akten des früheren Rechtsanwaltes des Hauptangeklagten Stephan Ernst sicherstellen lassen. Diese seien mittlerweile vom zuständigen Senat gesichtet worden, sagte eine OLG-Sprecherin am Mittwoch. Es handelt sich dabei um Dokumente des
Dresdner Rechtsanwalts Frank Hannig, der im Juli als Verteidiger des mutmaßlichen Lübcke-Mörders abberufen wurde. Zuvor hatte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) über das Thema berichtet.

Welche Erkenntnisse sich das Gericht erhofft, sagte die Sprecherin zunächst nicht. Das weitere Verfahren bezüglich der Akten werde am Donnerstag in der Verhandlung erörtert. Hannig spielt in dem Prozess eine besondere Rolle, weil er für seinen Mandanten Ernst Teile eines Geständnisses erfunden haben soll. Deswegen ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Kassel gegen ihn.

Ernst wird vorgeworfen, im Juni 2019 den CDU-Politiker Lübcke auf dessen Terrasse im Kreis Kassel aus einem rechtsextremen Motiv erschossen heraus zu haben. Er hatte verschiedene Geständnisse zur Tat abgegeben. So beschuldigte er zeitweise den Mitangeklagten Markus H., den Schuss abgefeuert zu haben. Dies hat Ernst inzwischen widerrufen und erklärt, Ex-Verteidiger Hannig habe ihn zu der falschen Aussage gedrängt. Ernst hatte sich wegen eines zerrütteten Vertrauensverhältnisses von Hannig im laufenden Prozess getrennt.

dpa/vbr/LTO-Redaktion
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #403 am: 15. Januar 2021, 10:17:07 »
Der Verfassungsschutz will lieber nicht sehen, gleiches gilt auch für "Ermittlungsbehörden" und/oder Staatsanwaltschaft. Ein "durchgeknallter Einzeltäter" bedeutet ja auch wesentlich weniger Arbeit. Aus dem NSU hat man noch immer nichts gelernt. Wäre aber ja auch zuviel verlangt, immerhin stehen Verfassungsschutz und/oder Politik ja sowieso eher für eine "mitte-rechts liegende politische Gesinnung", da ist ein "bisschen rechter" nicht gar so schlimm als nur ein Hauch von Links oder gar mal die Rechtsblindheit aufzugeben.
Wie immer ist auch der Weg zur bekanntlich ja auch "eher mitte-rechts liegenden" dunkelbraunblauen Bewegungspartei nicht weit. Aber, egal.... ::)

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Neue Rechte
Lübcke-Mord: Kontakte zu NSU-Umfeld weitreichender als bisher angenommen

Der geständige Mörder des Kasseler CDU-Politikers Walter Lübcke ist nicht nur ein langjähriger Gewalttäter und Rechtsextremist, er hatte auch persönliche Bekanntschaften im NSU-Umfeld. Zudem gab es auffällige Verbindungen zu Personen rund um den NSU-Mord in Kassel, wie interne Dokumente zeigen.

von Nathan Niedermeier
14. Januar 2021

Gegen Mitternacht, am 1. Juni 2019, sackt der frühere Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke in einem Stuhl auf der Terrasse seines Wohnhauses zusammen, getötet durch einen Kopfschuss aus nächster Nähe. Ermordet hat ihn der langjährige Rechtsextremist Stephan Ernst, das gilt inzwischen als sicher. Wegen psychischer Beihilfe ist zudem der Neonazi Markus H. angeklagt. Ernst behauptet, gemeinsam mit H. gehandelt zu haben und so sehen es auch die Bundesanwaltschaft und die Familie Lübcke. „Ohne H. hätte es den Mord nicht gegeben“ sagte der Anwalt der Familie, Holger Matt, in seinem Schlussplädoyer. Das Gericht wird das Urteil im Fall Lübcke voraussichtlich am 28. Januar fällen.

Stephan Ernst steht auch wegen eines weiteren Tatvorwurfs vor Gericht: Gegen 22 Uhr am 6. Januar 2016 fällt Ahmed I. auf einem Bürgersteig in Kassel zu Boden. Ein Radfahrer hatte ihm von hinten ein Messer vier Zentimeter tief in den Rücken gerammt. Versuchter Mord, so lautet die Anklage gegen Ernst.

Verhandelt werden diese beiden Fälle seit Juni in einem Prozess vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt. Die Bundesanwaltschaft fordert lebenslange Haft und anschließende Sicherungsverwahrung für Stephan Ernst und für Markus H. neun Jahre und acht Monate Haft. In dem Plädoyer hatte die Bundesanwaltschaft Ende Dezember vor dem Oberlandesgericht auch ausgeführt, dass die Ermordung Lübckes in der Tradition des von Rechtsextremisten propagierten „führerlosen Widerstands“ stehe. Auf diesem Prinzip beruhte auch der Terror des Nationalsozialistischen Untergrunds, kurz NSU.

Ernst ist deutschen Ermittlungsbehörden schon lange bekannt, aber bisher haben die Sicherheitsbehörden keine besondere Nähe zum NSU festgestellt. Interne Dokumente belegen, dass die persönlichen Verbindungen des Lübcke-Attentäters aus Kassel zu NSU-Netzwerken im nahe gelegenen Thüringen intensiver waren als bisher bekannt. Die Angeklagten wollten sich auf Nachfrage von CORRECTIV nicht äußern.
Ein Umfeld mit vielen gemeinsamen Bekannten

Allein bis zum Jahr 2009 gab es im polizeilichen Informationssystem POLAS 37 Einträge über Stephan Ernst. Der hessische Verfassungsschutz zählt über 60 Rechtsradikale zum Personenkreis um Ernst und seinen mutmaßlichen Helfer Markus H., wie CORRECTIV aus dem Lübcke-Untersuchungsausschuss in Hessen erfuhr. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz war durch Quellenmeldungen über Stephan Ernst informiert. Insgesamt 13 solcher Meldungen mit Bezug zu Ernst lagen dem Amt vor dem Mord an Lübcke vor.

Für Beobachter liegt nahe, dass Ernst in all den Jahren als aktiver Rechtsextremist auch in Kontakt mit dem NSU-Umfeld kommen musste. Die terroristische Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“, kurz NSU, hatte von 2000 bis 2007 aus rassistischen Motiven neun Menschen und eine Polizistin ermordet, Sprengstoffanschläge verübt und Banken ausgeraubt. Unter den Opfern waren Menschen türkischer, kurdischer, griechischer und iranischer Herkunft. Das Kerntrio, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hatte in dieser Zeit unterstützt durch ein Helfernetzwerk in Thüringen im Untergrund gelebt.

Dass die rechtsextreme Szene in Kassel gut mit Thüringer Kameraden vernetzt war, als der NSU untertauchte und mordete, ist bekannt. NSU-Untersuchungsausschüsse haben sich mit der Aufarbeitung dieser Verbindungen befasst. So dokumentiert der Abschlussbericht des hessischen Ausschusses gemeinsame rechtsextreme Aufmärsche, Gewalttaten und Feiern mit Saufgelagen. Das in einer Zeit, in der Ernst und auch sein mutmaßlicher Helfer H. in der Kameradschafts-Szene in Kassel aktiv sind, sich darüber auch kennenlernen. In dieser Zeit mordete der NSU aus Thüringen über viele Jahre unerkannt, auch in Kassel.
Hessischer Verfassungsschutz sieht „keine NSU-Bezüge“

Wie nah stand Ernst und auch sein mutmaßlicher Helfer dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ und lebt das Terrornetzwerk bis heute weiter?

Martina Renner, stellvertretende Vorsitzende der Linken und ehemalige Obfrau in NSU-Untersuchungsausschüssen, stellt regelmäßig Anfragen an die Bundesregierung zu Straf- und Gewalttaten mit NSU-Bezug. Die Bundestagsabgeordnete kommt zu dem Ergebnis, dass der NSU auch heute noch ein „wichtiger ideologischer Bezugspunkt“ für die extreme Rechte ist. „Man bezieht sich bei konkreten Straftaten und Gewalttaten als Referenz auf den NSU“, sagt sie.

Der hessische Verfassungsschutz hat eine eindeutige Position. Das Amt konnte bisher auch mit einer eigens eingerichteten sogenannten Sonderauswertungsgruppe „keine NSU-Bezüge der Angeklagten“ feststellen, wie der Verfassungsschutz bereits 2019 bekannt gegeben hatte. Dass diese Einschätzung noch heute gilt, bestätigte das Amt jetzt erneut auf Anfrage gegenüber CORRECTIV.

CORRECTIV-Recherchen ergeben jetzt ein anderes Bild.

CORRECTIV sichtete dutzende, teils geheime Dokumente und Vernehmungsprotokolle sowie Fotos und Recherchen anderer Medien. Sie zeigen in der Zusammenschau: Ernst und auch H. bewegten sich offenbar näher als bisher angenommen im Umfeld der terroristischen Vereinigung.

Das beginnt bei den persönlichen Bekanntschaften von Ernst mit vier Rechtsextremisten, die von der Bundesanwaltschaft als wichtigste Personen in den Ermittlungen zum NSU-Komplex eingestuft wurden. Sie alle stehen auf einer entsprechenden Liste der Bundesanwaltschaft, die CORRECTIV vorliegt und neben dem NSU-Kerntrio insgesamt 35 Personen umfasst, darunter die engsten und teils später verurteilten Unterstützer des Trios.

Unter den NSU-Anschlagsorten ist Kassel die einzige Stadt, aus der Personen auf dieser Liste aufgeführt werden. Die Bundestagsabgeordnete Renner schlussfolgert deshalb, dass die Bundesanwaltschaft „möglicherweise ein sehr viel engeres Verhältnis des NSU nach Kassel als in die neonazistischen Szenen in den anderen Tatorten“ vorausgesetzt habe.
Neben den vier Bekannten und Freunden von Ernst gibt es zu weiteren Personen auf der Liste Verbindungen über Veranstaltungen, Organisationen und Kontakte.
Beispiel Gärtner: Der V-Mann

Der ehemalige V-Mann Benjamin Gärtner mit dem Tarnnamen „Gemüse“ steht auf Platz 11 der Liste zu den NSU-Kontakten. Damit gehört er zu dem Personenkreis, dem die Bundesanwaltschaft eine „besondere Bedeutung“ beimisst. Über die rechtsextreme Kameradschaftsszene in Kassel kennen sich Gärtner und Stephan Ernst persönlich, wie Ernst später vor dem Oberlandesgericht Frankfurt berichtet. Brisant ist der Kontakt zu Gärtner auch, weil dessen V-Mann-Führer Andreas Temme war, ehemaliger Mitarbeiter des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz und am Tatort bei einem der NSU-Morde anwesend. Ernst habe Temme aber nicht gekannt, gab er vor Gericht an.
Dem Spiegel gegenüber teilte ein Anwalt von Ernst jedoch mit, dass in Gesprächen zwischen Gärtner und Ernst auch der Name Temme gefallen sei.

Gespräche von Gärtner und Stephan Ernst über den Verfassungsschützer Temme sind deshalb so brisant, weil Temme und Gärtner später bei dem NSU-Mord in Kassel 2006 noch eine entscheidende Rolle einnehmen werden. Anders als bei den vorherigen Morden des NSU hat die Mordkommission in Kassel schnell einen Tatverdächtigen ermittelt, es ist der Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme. Er hielt sich zum Zeitpunkt des Mordes am Tatort auf, meldete sich aber nicht als Zeuge. Am Tag des Mordes telefonierte er mehrmals mit seinem V-Mann Gärtner, den Ernst kannte. Eines der Gespräche dauerte über elf Minuten. Bei Durchsuchungen im Zuge der Ermittlungen gegen ihn werden neben Schusswaffen auch Nazi-Dokumente wie Auszüge aus „Mein-Kampf“ und ein Buch über Serienmörder bei ihm gefunden.

Vor dem zweiten Untersuchungsausschuss des Bundestages berichtet der damalige Leiter der Ermittlungen zum Kasseler NSU-Mord, dass sie bei den Ermittlungen auch die Hypothese gehabt hätten, dass mit Temme ein „verkappter Rechter“ beim Hessischen Landesamt für Verfassungsschutz tätig sei.

2007 wird das Verfahren gegen Temme eingestellt. Er wechselt ins Regierungspräsidium in Kassel, wo er auch heute noch arbeitet. Es ist die Behörde, dessen oberster Vorsitzender 2009 Walter Lübcke wird. Die Rolle Temmes bei dem Mord in Kassel ist bis heute ungeklärt. Fest steht, Ernst war über den V-Mann „Gemüse“ mit dem Umfeld von Temme verbunden.
Beispiel Heise: Der Neonazi

Der führende Neonazi Thorsten Heise ist die Nummer 10 auf der Liste der Bundesanwaltschaft und gehört damit ebenfalls zum Personenkreis mit „besonderer Bedeutung“. Ihm spricht die Zeitung Welt eine „Art Mentor“-Rolle für Stephan Ernst zu und dokumentiert zahlreiche Zusammenkünfte der beiden Neonazis zwischen 2001 und 2011 unter Berufung auf Unterlagen des Verfassungsschutzes. Vor Gericht berichtet Ernst auch wegen einer „Hausverteidigung“ bei Heise zuhause gewesen zu sein. Es sei damals darum gegangen, Heises Anwesen gegen Linke zu verteidigen.

nsu verbindungen

Thorsten Heise gilt als entscheidender Führungskader der extremen Rechten in Deutschland. Was wusste er über den NSU und die Morde der Terrorbande, bevor diese öffentlich bekannt wurden? Ein verurteilter NSU-Unterstützer sagte nach seiner Verhaftung 2011 aus, er habe mit Heise bei „zwei, drei“ Treffen über eine mögliche Flucht des NSU-Kerntrios ins Ausland gesprochen und Heise habe gesagt, er hätte da jemandem, bei dem die drei auf einer Farm leben könnten. Auch Tino Brandt, ein ehemaliger V-Mann und Anführer des „Thüringer Heimatschutzes“, in dem auch das NSU-Kerntrio Mitglied war, sprach noch 2007 mit Heise über das Trio.

Das geht aus Tonbandaufnahmen hervor, die bei Thorsten Heise sichergestellt wurden. Die Aufnahmen lassen den Verdacht aufkommen, dass Heise zu diesem Zeitpunkt möglicherweise von den Morden des Trios wusste. Heise zweifelt in dem Gespräch jedoch daran, dass die Taten dem Trio zugeordnet werden können. Bis Polizei und Öffentlichkeit erfahren, dass „die drei verschwundenen Jenaer“, über die Heise und Brandt sprechen, für die Morde, Sprengstoffanschläge und Banküberfälle verantwortlich sind, werden noch vier Jahre vergehen, weil fatalerweise genau dieses „zuordnen“, von dem Heise spricht, nicht gelang.

Noch 2011 besuchte Ernst eine von Heise organisierte Sonnenwendfeier in Thüringen. Das belegt ein Foto von der Feier das dem Verfassungsschutz vorliegt und auch Thema im Gerichtsprozess war. Das Foto ordnete der Geheimdienst jedoch nicht Stephan Ernst zu. So kam das Amt 2015 zu der Einschätzung Ernst sei „abgekühlt“, – also nicht mehr in der extremistischen Szene aktiv. Die Beobachtung von Ernst wurde eingestellt, seine Akte gesperrt. Dass diese Einstufung eine Fehleinschätzung war, belegt auf dramatische Weise die Ermordung Lübckes.

In der rechtsextremen Kameradschaftsszene in Kassel war der geständige Lübcke-Mörder Stephan Ernst auch mit zwei weiteren Rechtsextremen bekannt, die ebenfalls auf der NSU-Umfeld-Liste der Bundesanwaltschaft stehen. Einer davon gab bei einer polizeilichen Vernehmung und vor dem hessischen Untersuchungsausschuss an, er glaube Mundlos und Böhnhardt bei einem Konzert im Jahr 2006 gesehen zu haben. Das Konzert sei in Kassel gewesen, vielleicht aber auch in Thüringen.

Noch weitere Hinweise deuten darauf hin, dass die NSU-Terroristen schon vor dem Mord in Kassel waren. Die Kasseler rechtsextreme Kameradschafts-Szene, über die Ernst auch seinen mutmaßlichen Helfer Markus H. kennenlernt, ist in dieser Zeit sehr gut nach Thüringen vernetzt.
Dieselben Namen auf den Todeslisten

Während der NSU in den 2000er-Jahren Anschlagsziele auskundschaftet, Sprengstoffanschläge verübt und mordet, sammelt auch Stephan Ernst Informationen über seine verhassten Feinde und notiert sie als „potenzielle Anschlagsziele“, wie die Bundesanwaltschaft in der Anklageschrift, die CORRECTIV vorliegt, festhält.

Beim NSU tauchte unter den potenziellen Anschlagszielen auch der Name Walter Lübckes auf, den Ernst Jahre später ermordet. Die NSU-Terroristen notierten sich aber für Kassel neben weiteren Adressen auch die der lokalen Jüdischen Gemeinde. Genau zu dieser Adresse besaß auch Stephan Ernst Notizen, die auf das Ausspähen der Synagoge der Gemeinde hindeuten. Ermittler fanden die Notizen, neben Informationen zu rund 60 weiteren Namen und Institutionen, auf einem verschlüsselten USB-Stick, der bei Ernst sichergestellt wurde.
Seltsamer Zufall oder alte Bekannte?

Auch bei der Verteidigung im Mordprozess zum Fall Lübcke gibt es Parallelen zum NSU-Komplex. Markus H., der mutmaßliche Komplize von Ernst, wird vor Gericht von der Anwältin Nicole Schneiders vertreten, die im NSU-Prozess in München Ralf Wohlleben vertrat. Wohlleben war, wie mutmaßlich Markus H. im Mordfall Lübcke, beim NSU in die Beschaffung der Tatwaffe involviert und wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt. Schneiders kannte Wohlleben aus der Jenaer NPD, sie war dort stellvertretende Vorsitzende, als Wohlleben den Posten des Kreisvorsitzenden innehatte. Der zweite Verteidiger von Markus H., Björn Clemens, war 2018 kurzzeitig Wahlverteidiger von André E., der zu der Zeit Angeklagter im NSU-Prozess war.

Stephan Ernst wurde vor Gericht zeitweise von Dirk Waldschmidt vertreten, der im NSU- Prozess als Rechtsbeistand von André K. auftrat. K. hatte dem Trio im Untergrund geholfen. Vor Waldschmidt, ehemals Vize-Chef der hessischen NPD, soll sich Ernst auch selbst mit Wohlleben verglichen haben, wie dieser vor Gericht aussagte.

Ernst und der NSU, Kassel und Thüringen, der Lübcke-Mord und die NSU-Taten: Die Indizien sind erdrückend, dass es sich um dasselbe Umfeld handelte, in dem sich die Mörder radikalisierten. Die Verbindungen zu Personen, die sowohl mit dem NSU-Trio als auch mit Ernst zu tun hatten, und die nun immer mehr ans Licht kommen, zeigen deutlich, wie eng das Netzwerk ist, in dem nach wie vor ungeklärt ist, welche Rolle der Verfassungsschutz spielt.

Nach dem Ende des Gerichtsprozesses gegen Ernst und Markus H. müssen diese Verbindungen weiter aufgeklärt werden. Der Untersuchungsausschuss des Landtages in Hessen kann das angehen.

Wie kam es zu diesen und weiteren Verbindungen von Ernst zum NSU-Umfeld und wie eng waren sie? Wir erzählen im Folgenden die Chronologie einer Radikalisierung. Sie ist zugleich eine Dokumentation über eine stark verwobene rechtsradikale Szene, über Treffpunkte, gemeinsame Sonnenwendfeiern und Besuche zwischen Kassel und dem nahe gelegenen Thüringen.
Chronologie einer Radikalisierung

    Es beginnt mit Rohrbomben
    Die Feindeslisten der Rechtsextremen
    Walter Lübcke als Jugendleiter in Thüringen
    „Nationaler Untergrund“ in Kassel
    Auf einer Hochzeit geht es auch um das NSU-Trio
    Vernetzung der Kasseler Rechtsextremen nach Thüringen
    Sprengstoff, Aufmärsche, Körperverletzung
    Die Verbindungen zum NSU-Mord in Kassel
    Bekannte Namen in Akten, die noch 30 Jahre geheim bleiben sollen
    Brutale Aktionen im Schwalm-Eder-Kreis
    Der „abgekühlte“ Rechtsextremist auf einer Sonnenwendfeier
    Schießtrainings im Wald und in Tschechien
    Der Angriff auf Ahmed I.
    Ernst im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss
    Gelöschte Chats nach der Tat

Es beginnt mit Rohrbomben

Im April 1989 legt der 15-jährige Stephan Ernst Feuer im Keller des Wohnhauses eines türkischen Mitschülers. Drei Jahre später sticht Ernst einem türkischen Imam auf einer Toilette im Wiesbadener Bahnhof mit einem Messer nieder und verletzt den Mann lebensgefährlich.

Ernst interessiert sich in dieser Zeit für die Partei „Die Republikaner“, wie er in der Verhandlung am Oberlandesgericht Frankfurt berichtet. Bei der Kommunalwahl 1989 im Rheingau-Taunus-Kreis, wo Ernst aufwächst, holt die Partei um den ehemaligen und mittlerweile verstorbenen SS-Mann Franz Schönhuber 10,5 Prozent. Und auch mit seiner frühen Gewaltbereitschaft und Affinität zu Waffen ist Ernst nicht alleine. Vor Gericht beschreibt er, wie die rechtsextremen Jugendlichen, mit denen er in dieser Zeit zusammen unterwegs ist, immer Messer dabei gehabt hätten. 1990 hatte der Rechtsextremist Alexander T. bei Koblenz den 17-jährigen Kurden Nihat Yusufoğlu mit einem Messer erstochen. T. zählte damals zum Umfeld der rechten Hooligan-Gruppe Taunusfront.

Mit seinen rechtsextremen Freunden geht Ernst noch einen Schritt weiter, er bastelt mit ihnen an Böllern und Rohrbomben. Eine solche Rohrbombe platziert Ernst 1993 in einem Auto vor einer Unterkunft für Asylsuchende, doch der Anschlag misslingt. Es ist eine Zeit, in der in ganz Deutschland Unterkünfte für Geflüchtete von Rechtsextremen in Brand gesetzt werden. Bei einem dieser Anschläge in Mölln sterben die drei Türkinnen Bahide Arslan, Ayşe Yılmaz und Yeliz Arslan. Die Mädchen Ayşe und Yeliz sind da gerade erst 14 und 10 Jahre alt.

Zwei Jahre nach dem Rohrbombenanschlag von Ernst gründen die späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhard und Beate Zschäpe 1995 zusammen mit Kameraden wie André K., Holger Gerlach und Ralf Wohlleben die Kameradschaft Jena, die sich bald dem Thüringer Heimatschutz (THS) anschließt. Angeführt wird dieser Zusammenschluss von Kameradschaften von dem V-Mann Tino Brandt, der mit dem Trio auch nach deren Untertauchen 1998 in Kontakt stand. Wie Ernst beginnen auch die Jenaer mit dem Basteln von Rohrbomben, zünden sie jedoch nicht, sondern platzieren sie als Attrappen, zum Beispiel vor dem Theaterhaus in Jena.
Die Feindeslisten der Rechtsextremen

Zu Beginn der 1990er-Jahre bewegt sich der mutmaßliche Helfer von Ernst, Markus H., im Umfeld der rechtsextremen „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP). Ein ehemaliger V-Mann beschrieb die Partei als „reine Kopie der NSDAP“, sie wird 1995 verboten.

Ein Jahr zuvor, 1994, sind zwei Parteimitglieder der FAP, Mario S. und Tobias N., bei Markus H. zu Hause in Fuldatal nördlich von Kassel. Zusammen hören sie laut rechtsradikale Musik. Die Polizei rückt daraufhin an und stellt 16 Schallplatten mit rechtsextremer Musik sicher.

Mario S. verantwortet in dieser Zeit im rechtsextremen Thule-Netz die Internet-Mailbox „Steiner BBS“. Das Thule-Netz wird zu der Zeit genutzt, um Adressen von politischen Feinden zu sammeln, Anti-Antifa-Arbeit wie es die Rechtsextremen nennen.

Auch Stephan Ernst wird später, als er in der rechtsextremen Kameradschaftszene aktiv ist, Objekte ausspähen und Listen von Menschen anlegen, gegen die sich sein Hass richtet. Er sammelt Informationen zu Personen jüdischen Glaubens, Politikern, politisch Engagierten und Journalisten. Es ist die Zeit, in der auch der NSU seine Opfer auswählt, auskundschaftet und ermordet. Eine solche „Feindesliste“ mit 200 Personen und Adressen schickt ein V-Mann, Andree Z., Ende der 1990er-Jahre „Zum Verwenden und Verbreiten“ an den verdeckten Ermittler des Verfassungsschutzes und ebenfalls Anti-Antifa-Aktivisten Kai Dalek. Mit der Überschrift „Organisationen gegen Deutschland“ wird diese Liste dann im Thule-Netz veröffentlicht.

Unter den Adressen sind solche, die später auch in den rund 10.000 Einträgen umfassenden Listen des NSU als potenzielle Anschlagsziele geführt wurden, auch die eines Kasseler Lehrers. 2003 wird auf diesen Lehrer in seinem Wohnhaus geschossen, die Kugel verfehlt nur knapp seinen Kopf. Auch auf den Listen von Ernst taucht diese Adresse auf. Ernst beteuert jedoch, dass nicht er auf den Lehrer geschossen habe und dass er den Schützen nicht kenne. Mario S., der Bekannte von Markus H., übernimmt 1997 die Betreuung der „Thule-Netz“-Webseite. Auch danach noch bleibt die Anti-Antifa-Adressliste online.

Wie umfangreich waren die Überschneidungen der NSU-Feindeslisten und der von Ernst gesammelten Adressen? Die jüdische Gemeinde in Kassel notierten die NSU-Terroristen neben weiteren Kasseler Adressen in ihren Listen. Auf dem verschlüsselten USB-Stick mit den Feindeslisten von Ernst finden sich auch Ausspähnotizen zu der Synagoge der Gemeinde an eben jener Adresse. Solche Ausspähnotizen notierte sich auch der NSU zu potenziellen Anschlagszielen. Dort heißt es etwa über einen Kiosk in Dortmund: „Sehr gutes Objekt. Guter Sichtschutz. Person gut, aber alt“.
Auch Walter Lübcke befindet sich unter den tausenden von Namen, die der NSU sammelte. Er ist in den 1990er-Jahren viele Jahre lang Leiter einer Jugendbildungseinrichtung des Landes Thüringen in Ohrdruf im Landkreis Gotha.
Walter Lübcke als Jugendleiter in Thüringen

Auch in der Kleinstadt Ohrdruf gab es damals eine Nazi-Zelle, wie sich Anja Zachow erinnert, die heutige Landesgeschäftsführerin der SPD Thüringen. In der Region bildet sich in dieser Zeit eine Sektion des Thüringer Heimatschutzes (THS) um Patrick W., der heute für die NPD im Stadtrat in Eisenach sitzt. Das „Nationale und soziale Aktionsbündnis Westthüringen“ (NSAW), wie sich die Sektion um W. nennt, soll schwarze Listen von politischen Gegnern angelegt haben und schikanierte diese mit nächtlichen Drohanrufen und E-Mails, unterschrieben waren diese mit „Patrick“, wie sich Zachow erinnert.

Im Sommer 2000 hatte Patrick W. einen Kameraden dazu angestiftet, einen Sprengstoffanschlag auf einen türkischen Imbiss in Eisenach zu verüben. Er wird deshalb zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Nach der Haft ist er in Ohrdruf und Umgebung aktiv. 2005 organisiert er zusammen mit NPD und THS-Kadern eine Kundgebung in der Kleinstadt. Ein Jahr zuvor hatte W. eine Veranstaltung in Gotha angemeldet, zu der auch NSU-Unterstützer Wohlleben gekommen war. Beide kennen sich über die NPD.

Die Veranstaltung in Gotha meldete W. zum Gedenken an Rudolf Heß an. Der einstige Stellvertreter von Adolf Hitler in der NSDAP wird von der Szene als Held verehrt. Bei Märschen anlässlich des Todestages des Nationalsozialisten Heß versammeln sich seit seinem Tod regelmäßig Neonazis und Rechtsextreme. Auch Stephan Ernst nimmt 2002 an einem solchen „Gedenkmarsch“ im bayrischen Wunsiedel teil, wie vor ihm auch 1996 die NSU-Terroristen Zschäpe und Mundlos.

Die Bedrohungen von rechts in Westthüringen richteten sich in den 90ern auch gegen die Junge Union, wie sich Michael Panse, heutiger Stadtrat von Erfurt, erinnert. Panse war damals Vorsitzender der JU und organisierte zusammen mit Walter Lübcke Veranstaltungen in der Jugendbildungsstätte in Ohrdruf. An Bedrohungen gegen Lübcke als Person könne er sich nicht erinnern, aber es gab auch Veranstaltungen mit Security, sagt Panse. Der städtische Jugendclub in Ohrdruf und auch ein anderer Jugendclub in der Region werden hingegen von rechten Jugendlichen brutal angegriffen.

Die Jugendbildungseinrichtung in Ohrdruf, dessen Leiter Lübcke war, wird Ende der 90er-Jahre geschlossen, damit endet seine Tätigkeit in Thüringen. 1999 wird er für die CDU in den hessischen Landtag gewählt. Sein späterer Mörder, Stephan Ernst, wird in der gleichen Zeit aus der Haft entlassen und zieht nach Kassel. Zuvor hatte er noch in der Haft mit einem abgebrochenen Stuhlbein auf einen türkischen Mitgefangenen eingeschlagen. Während der Haft hatte er auch seine Frau kennengelernt.
„Nationaler Untergrund“ in Kassel

Im Gefängnis hatte Ernst einen Leserbrief an die rechtsextreme Zeitschrift „Nation und Europa“ geschrieben. In einem Bericht des bayerischen Verfassungsschutzes aus dem Jahr 2000 wird die Zeitschrift als „eines der wichtigsten rechtsextremistischen Theorie- und Strategieorgane“ bezeichnet. Im Verlag der Zeitschrift arbeitete Tino Brandt. Auch das NSU-Kerntrio bezieht die Broschüre, sie wird 1998 in der Bombenwerkstatt-Garage des Trios gefunden, zusammen mit sechs Rohrbomben und 1,5 kg TNT.

Eine solche Menge an Sprengstoff enthielt etwa auch die Oktoberfest-Bombe. Bei dem Anschlag 1980 sprengte sich der Rechtsextremist Gundolf Köhler am Haupteingang zum Oktoberfest in die Luft. Er riss sich und zwölf weitere Menschen in den Tod, es gab über 200 teils schwer Verletzte. Der Attentäter war Mitglied der rechtsextremen „Wehrsportgruppe Hoffmann“, die den bewaffneten Kampf gegen den Staat trainierte. Zu dem Anführer der 1980 verbotenen Gruppe, Karl-Heinz Hoffmann, hatte auch Stephan Ernst Briefkontakt.

Während 1998 in der Garage die Bomben und das TNT gefunden werden, läuft noch eine weitere Durchsuchung, und zwar bei Familie Böhnhardt. Doch dank diverser desaströser Pannen der Polizei kann Uwe Böhnhardt an diesem Tag vor den Augen der Beamten mit dem Auto davon fahren und taucht ab. Zusammen mit Mundlos und Zschäpe geht er in den „Untergrund“, die ersten Jahre leben sie in Chemnitz. Insgesamt knapp 13 Jahre werden die Bombenbastler und Terroristen nicht gefunden. Zwei Jahre nach der Durchsuchung der Garagen wird der NSU seinen ersten Mord begehen, in Nürnberg bringen sie Enver Şimşek um.

Ende der 1990er-Jahre berichten zwei verschiedene Quellen dem hessischen Verfassungsschutz, dass in Kassel ein „nationaler Untergrund“ existiere. Dass man dabei sei, eine „Untergrundorganisation“ aufzubauen, die früher in Nordhessen ansässig gewesen sei, jetzt aus dem Osten agiere und wichtige Dinge in Kassel geregelt würden. Beide Quellen nennen Dirk W. in diesem Zusammenhang, der zeitweise zur polizeilichen Beobachtung mit dem Vermerk „Terrorist“ ausgeschrieben war. Er war auch stellvertretender hessischer Landesvorsitzender der neonazistischen Partei FAP, mit der auch Markus H. in Verbindung stand. Nach dem Verbot der FAP gründete W. die „Kameradschaft Gau Kurhessen“, die sich laut einem Bericht des BKA aus ehemaligen Mitgliedern der Partei zusammensetzt und in der auch Markus H. Mitglied gewesen sein soll. Die Lebensgefährtin von Dirk W., Corryna G., ist wie W. bestens vernetzt mit führenden Nazi-Kadern in ganz Deutschland. Die gebürtige Thüringerin war laut LKA Thüringen Mitglied im „Thüringer Heimatschutz“.
Auf einer Hochzeit geht es auch um das NSU-Trio

Im Jahr 1999 nimmt Corryna G. an der Hochzeitsfeier des bundesweit bekannten Neonazikaders Thorsten Heise teil. An diesem Abend, dem 12. Juni, versammelt sich bei Heise das Who-is-Who der deutschen Neonaziszene. Der mittlerweile verstorbene ehemalige Bundesvorsitzende der verbotenen FAP, Friedhelm Busse, und Tobias N., ein Bekannter von Markus H., kommen. N. spielt inzwischen als Bassist in der „Blood and Honour“-Band „Hauptkampflinie“. Auch der zeitweise Bundesvorsitzender von „Blood and Honour“ aus Kassel kommt zu der Feier. Er war früher ebenfalls in der FAP und bewegt sich im Kreis von Dirk W.’s Kasseler Kameradschaft „Gau Kurhessen“. Das Unterstützernetzwerk des NSU-Kerntrios bestand zu einem großen Teil aus „Blood and Honour“ Kadern. Ein internationales Netzwerk aus Rechtsextremen und Neonazis, das in Deutschland im Jahr 2000 verboten wird. Neben „Blood and Honour“ Funktionären reist auch Tino Brandt zusammen mit Kameraden des „Thüringer Heimatschutzes“ an. Noch ein weiterer für die Behörden wichtiger V-Mann aus Thüringen ist bei der Feier. Er war wie auch Heise selbst, vor dem Verbot Führungsfunktionär bei der FAP und hatte Kontakte zum Trio.

Auch der verurteilte NSU-Unterstützer Holger Gerlach ist unter den Hochzeitsgästen. Wohlleben hatte ihn zuvor darüber informiert, dass der Kontakt zum Trio wieder hergestellt sei und Thorsten Heise sich bereit erklärt habe, Unterstützung für einen Auslandsaufenthalt des Trios zu leisten, wie V-Mann Tino Brandt dem Verfassungsschutz berichtet. Gerlach berichtet nach seiner Festnahme 2011 in einer Vernehmung, dass Heise ihm an dem Abend gesagt habe, er hätte da jemanden, bei dem die drei auf einer Farm leben könnten. Zur Kontaktaufnahme habe Heise ihm eine Telefonnummer für einen Anschluss in Südafrika gegeben. Es habe „zwei, drei Treffen“ mit ihm und Heise gegeben, aber aus dem Auslandsaufenthalt sei dann nichts geworden, weil es nichts für das NSU-Trio gewesen sei.

Nur wenige Jahre später lernen sich auch Ernst und Heise in Kassel persönlich kennen. Stephan Ernst findet nach der Haft sehr schnell Anschluss an die rechte Szene in Kassel. „National eingestellte“ Mitgefangene aus der Technoszene, wie es Ernst vor Gericht behauptet, hätten ihn auf Partys eingeladen, auf denen er dann auch NPD-Mitglieder kennengelernt habe. Die hätten ihn dann zu ihren Stammtischen mitgenommen. Im Oktober 2000 wird er als Mitglied in die rechtsextreme Partei aufgenommen.

Bei einem Stammtisch des Kasseler Kreisverbandes trifft Ernst im November 2001 auf den führenden NPD-Funktionär Thorsten Heise, wie die Welt unter Berufung auf Unterlagen des Verfassungsschutzes berichtet. Heise war erst kurz zuvor aus der Haft entlassen worden, während der er auch Briefkontakt mit Holger Gerlach hatte. Unter der Überschrift „Haftadressen 3.4.2000“ notierte Heise Gerlachs Namen an erster Stelle in einem schwarzen Notizbuch, das im Rahmen von Durchsuchungen später bei Heise gefunden wird. Gerlach, der mit Heise über die Flucht des NSU-Kerntrios sprach, nahm im Sommer 2002 zweimal an Kameradschaftsabenden von Heise teil. Die beiden Rechtsextremisten waren also bestens vernetzt in der Zeit, in der auch Stephan Ernst immer mehr mit Heise zu tun hat. Erst ein Jahr zuvor, 2001, hatte Gerlach dem Trio in Zwickau seinen Reisepass übergeben und 3000 Euro von den Terroristen erhalten. Im gleichen Zeitraum liefert er im Auftrag von Ralf Wohlleben eine Pistole an das Trio. Bis ins Jahr 2011 übergibt er dem Trio immer wieder Ausweisdokumente von ihm, über die etwa Wohnmobile für die Morde angemietet werden.

Bei einer NPD-Demonstration im Juni 2001 in Göttingen, als Heise noch in Haft saß, liefen hinter dem Transparent „Freiheit für Thorsten Heise“ auch Thüringer Rechtsextreme. Sie hatten ein Transparent des „Nationalen und sozialen Aktionsbündnisses Westthüringen“ dabei, der Sektion um Patrick W. des Thüringer Heimatschutzes. Auch Stephan Ernst nimmt mit Mikes S. zusammen an der Demo teil, wie Bilder des Antifaschistischen Archives Göttingen belegen.

Patrick W. wird 2006, wenige Monate nach dem NSU Mord in Kassel zusammen mit Thorsten Heise den Verein „Deutsch-Russische Friedensbewegung europäischen Geistes“ gründen. Bei dem Gründungstreffen war unter den neun Anwesenden neben weiteren führenden Neonazis auch David P., wie aus dem Protokoll der Versammlung, das CORRECTIV vorliegt, hervorgeht. David P. war verantwortlich für das neonazistische Magazin „Der weiße Wolf“, das 2002 eine Grußbotschaft an den „NSU“ abdruckt, unter einem Vorwort das P. verfasst hatte, wie er Ermittlern erzählt. Auch Heise trat in anderen Ausgaben des Blattes als Autor auf wie auch ein V-Mann und Freund des NSU-Kerntrios.

Einen Monat nach dem Treffen von Heise und Ernst in Kassel, nimmt der Rechtsextremist Maik E. an der Weihnachtsfeier von Thorsten Heise’s Kameradschaft Northeim teil. In den Jahren darauf nimmt Maik E. zusammen mit seinem Zwillingsbruder, dem NSU-Unterstützer André E., mehrfach an Veranstaltungen des rechtsextremen Vereins „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ teil. Dort wird auch Ernst Anfang der 2000er-Jahre Mitglied, wie eine Mitgliederliste des Verfassungsschutzes belegt. Zudem wurden bei Durchsuchungen nach der Ermordung Lübckes bei Ernst mehrere Exemplare der „Nordischen Zeitung“ gefunden, die von der Artgemeinschaft herausgegeben wurde.

Der Waffenbeschaffer des NSU, Ralf Wohlleben, pflegt bis heute engen Kontakt zur „Artgemeinschaft“. Nach seiner Haftentlassung 2018 zog er nach Sachsen-Anhalt und wohnt dort mit dem heutigen Anführer des völkischen Vereins auf einem Hof. Sein Vorgänger, Jürgen Rieger, veranstaltete auf seinem Schulungszentrum in Niedersachsen von 1991 bis 1997 jährlich die „Hetendorfer Tagungswochen“, an denen 1997 auch Zschäpe teilnahm. Mitorganisator der Veranstaltung war die rechtsextreme „Artgemeinschaft“.

Die „Nordische Zeitung“ der „Artgemeinschaft“, die bei Ernst gefunden wurde, ist auch in einen Spendenbrief des NSU verwickelt ,genauso wie die Knastzeitschrift von Ernst, „Nation und Europa“. Den Spendenbrief hatte das Terror-Trio Anfang der 2000er-Jahre verschickt, um Sympathisanten und Kameraden anzuwerben. Das neonazistische Blatt „Der Weiße Wolf“ druckt daraufhin in einer Ausgabe 2002, also ganze neun Jahre vor dem öffentlichen Bekanntwerden der Terrorzelle, folgende Grußbotschaft an den NSU ab: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen 😉 Der Kampf geht weiter…“ Die Terrorbande hatte da bereits vier Menschen umgebracht und den Anschlag in der Probsteigasse in Köln verübt. Eine Ausgabe des Blatts, in dem die Worte abgedruckt wurden, fanden Ermittler auch 1998 in der Bombenwerkstattgarage des Trios.

Bei Veranstaltungen der völkischen „Artgemeinschaft“ wurde auch das Auto des Schwiegervaters von Ernst, das auch er selbst nutzte, Anfang der 2000er-Jahre polizeilich festgestellt, wie bereits die Welt berichtet hatte. Das gleiche betrifft auch Veranstaltungen der neonazistischen Knasthilfe „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ kurz HNG. Zu den Mitgliedern zählen bekannte Rechtsterroristen, Unterstützern des NSU-Kerntrios und Bekannte von Ernst wie auch Thorsten Heise. Auch der NSU-Terrorist Mundlos ließ sich nach Angaben eines verurteilten NSU-Unterstützers regelmäßig die Gefangenenliste der HNG schicken, um die Kameraden im Knast durch Briefkontakt zu unterstützen. Zu dem im Jahr 2011 verbotenen Verein hatte auch Ernst mutmaßlicher Helfer Markus H. nach eigenen Angaben Kontakt. Ernst bestritt vor Gericht Kontakte zur HNG.
Vernetzung der Kasseler Rechtsextremen nach Thüringen

Zwischen dem Kasseler Umfeld von Stephan Ernst und den Westthüringer Nazis besteht in dieser Zeit eine enge Bindung. Im Oktober 2001 werden Kasseler Rechtsextreme aus dem Umfeld von Ernst auf einer Demo in Eisenach kurzfristig festgenommen, wie auch alle anderen Teilnehmer. Die rund 70 rechtsextremen Demonstranten hatten verbotene Parolen gerufen. Zentrale Figur auf der Demo war der NPD-Mann Patrick W., der die Stimmung aufheizt und eine Sitzblockade angezettelt hatte. Es ist der Mann, der später mit Thorsten Heise den oben erwähnten deutsch-russischen Verein gründet. Kurz bevor sich Mundlos und Böhnhardt nach einem Banküberfall in Eisenach selbst erschießen, soll W. Zschäpe in Eisenach Unterschlupf gewährt haben.

Mit dabei ist auf der Demo neben den anderen Kasselern auch der ehemalige V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes, Benjamin Gärtner und weitere rechtsextreme Bekannte von ihm und vom geständigen Lübcke-Mörder Stephan Ernst. Einer davon, Mitglied des „Thüringer Heimatschutzes“, ist mit Patrick W., befreundet und wird mit Gärtner in Kassel wegen Volksverhetzung auffällig, wie Dokumente des hessischen Verfassungsschutzes belegen. Ein anderer ist Mitglied der Kameradschaft Kassel und wird bald in die thüringische Stadt Suhl ziehen, 60 km süd-östlich von Eisenach. Man unterstützt sich nicht nur gegenseitig bei Aufmärschen, auch Geburtstage und Grillpartys mit Saufgelagen veranstalten die Kasseler mit ihren Kameraden aus Thüringen.
Sprengstoff, Aufmärsche, Körperverletzung

Nach dem ersten Mord des NSU im September 2000 verüben die Terroristen im Januar 2001 einen Sprengstoffanschlag in Köln, bei der die 19-jährige Mashia M. äußerst schwer verletzt wird. Die Stichflamme der Bombe verbrennt Gesicht und Unterarme schwer, Splitter bohren sich in ihren Kiefer. Als Bombe diente eine Campinggasflasche, die in einer Christstollendose versteckt war. Drei Jahre nach diesem Anschlag, im Juni 2004, explodiert in Köln eine weitere Bombe des NSU. 22 Menschen werden teilweise schwer verletzt. Die Wucht der Bombe ist so groß, dass Schaufenster und Scheiben von Wohnungen bis in einer Entfernung von 250 Metern zersplittern. Eine mit Schwarzpulver gefüllte Campinggasflasche diente als Bombe. Die hatten die Terroristen zusammen mit 800 Nägeln in einem Koffer auf dem Gepäckträger eines Fahrrades platziert.

Zwischen diesen beiden Anschlägen soll Stephan Ernst 2003 in einem Steinbruch bei Kassel zusammen mit einem Kameraden mit Propangasflasche aufgegriffen worden sein. Was die beiden mit der Gasflasche vorhatten, ist bisher nicht aufgeklärt worden. Im gleichen Jahr wird auch auf den Kasseler Lehrer geschossen, dessen Adresse später bei Ernst gefunden wurde. Wer auf den Lehrer schoss, ist bis heute nicht geklärt. Die Akten zu dem Fall und damit auch das Projektil wurden inzwischen vernichtet.

Im April ist Ernst auf einer Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung in Neumünster. Mal wieder, denn schon in den Jahren zuvor hatte er in Bielefeld oder Leipzig gegen die Ausstellung protestiert. Wie vor ihm auch das NSU-Kerntrio Ende der 90er Jahre in München und Dresden. Bei Ausschreitungen in Neumünster packt er eine Frau am Hals und schleudert sie weg. Wegen Körperverletzung wird er zu einer Geldstrafe verurteilt. Auf der Demo und einem anschließenden Skinhead-Konzert sind auch führende Neonazis von „Blood and Honour“ und „Combat 18“ vertreten und auch NSU-Unterstützer Holger Gerlach.

In den 2000ern reist Ernst zu NPD-Veranstaltungen und Demonstrationen durchs ganze Bundesgebiet. 2003 etwa fährt er, dem Welt-Bericht zufolge, im Bus mit Thorsten Heise zu einer NPD-Demonstration in Berlin. Er bewegt sich inzwischen von der NPD hin zur rechtsextremen Kameradschaftsszene in Kassel. Darüber lernt er Markus H. kennen und auch Temmes V-Mann Benjamin Gärtner. Temme kenne er jedoch nicht persönlich, gab Ernst vor Gericht an. Anführer der Kameradschaft Kassel, in der Ernst aktiv war, ist Gärtners Stiefbruder Christian W., der mit „Blood and Honour“ vernetzt ist. Seinen Wehrdienst hatte W. in Bad Salzungen in Thüringen abgeleistet und sei dort laut Gärtner über andere rechts eingestellte Soldaten in die Szene gekommen.
Die Verbindungen zum NSU-Mord in Kassel

Beate Zschäpe soll 2006 am gleichen Abend wie Benjamin Gärtner auch in der Kasseler Kneipe „Stadt Stockholm“ gewesen sein. Das behauptet jedenfalls die Betreiberin der Kneipe, Gärtner konnte sich an diesen Vorfall nicht erinnern. An dem Abend soll es demnach zu einer Schlägerei gekommen sein, an der auch Stanley R., Michel F. und Bernd T. beteiligt gewesen sein sollen. Ernst kannte neben Gärtner auch die anderen drei Rechtsextremisten, die in der neonazistischen Kasseler Kameradschaft „Sturm 18“ organisiert waren. Michel F. sagte gegenüber CORRECTIV, er habe “seit 20 Jahren keinen Kontakt mehr” zu Stephan Ernst. Ernst war auch selbst in den 2000er-Jahren Gast in der Kneipe wo die Betreiberin Zschäpe gesehen haben will.

Im Jahr 2002 ist Ernst auf Bildern von NSU Watch zusammen mit Stanley R. vor dieser Kneipe zu sehen. Der gilt als wichtige Figur bei „Combat 18“ in Deutschland. Vor Gericht berichtet Ernst, dass er R. kenne, sie seien gemeinsam zu einer Demonstration gefahren. Auch der Neonazi und Gewalttäter Bernd T. habe ihn mal in seinem Auto zu einer Demonstration mitgenommen.

Bernd T. gab bei einer Vernehmung 2012 im Rahmen der Ermittlungen gegen Beate Zschäpe an, er könne Informationen zum NSU liefern. Er habe die beiden rechtsterroristischen Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt persönlich getroffen; die beiden hätten 2006 eine Geburtstagsfeier von Stanley R. besucht, auf der auch die Band Oidoxie gespielt habe. Zwar widerrief Bernd T. später seine Aussagen, doch die Ermittler erhielten Hinweise, die Bernd T.’s ursprüngliche Angaben teilweise stützen. So hätten Zeugen T. nach 2004 „bei diversen Anlässen“ zusammen mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gesehen. Doch es sind nicht die einzigen Hinweise auf eine Existenz des NSU-Kerntrios in Kassel. Auch V-Mann Gärtner sprach 2012 in einer Vernehmung des BKA von einem „Oidoxie“-Konzert in Kassel 2006. Der gebürtige Thüringer Michel F. spricht in einer polizeilichen Zeugenvernehmung ebenfalls von einem Konzert anlässlich des Geburtstages von ihm und Stanley R. im Frühjahr 2006 bei dem er möglicherweise Böhnhardt und Mundlos gesehen habe. Vor dem hessischen NSU-Untersuchungsausschuss sprach F. erneut von einer Konzertveranstaltung im Jahr 2006 in Kassel, möglicherweise aber auch in Thüringen, bei der er Böhnhardt und Mundlos gesehen habe. Das sei zumindest sein Eindruck gewesen als er die Presseberichterstattung nach der Aufdeckung des NSU verfolgt habe. Andere Zeugenaussagen widersprechen den Aussagen von Bernd T.

Der ehemalige V-Mann und Bekannte von Ernst, Benjamin Gärtner, bezeichnete F. in einer Vernehmung vor dem hessischen Untersuchungsausschuss 2016 als seinen „früheren besten Freund“, er steht wie auch Gärtner und Heise auf der eingangs erwähnten NSU-Umfeld-Liste der Bundesanwaltschaft.

Michel F. war wie auch Stanley R. in der „Oidoxie Streetfighting Crew“ aktiv. Eine militante und konspirative Gruppe im Umfeld der Dortmunder „Combat 18“ Band „Oidoxie“. Anhand der Saalschutztruppe zeigen sich die Verbindungen der Kasseler rechtsextremen Szene nach Dortmund. Dort ermordet der NSU am 4. April 2006 Mehmet Kubaşik.

Zwei Tage später, am 6. April, erreicht die Mordserie des NSU Kassel. Der 21-jährige Halit Yozgat wird in seinem Internetcafé erschossen, er ist das 9. Todesopfer. Temme, der V-Mann-Führer Gärtners, ist nur wenige Meter entfernt zum Zeitpunkt des Mordes. Er meldet sich nicht als Zeuge bei der Polizei und gilt auch deshalb zeitweise als Tatverdächtiger. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt, doch nach wie vor ist Temmes Rolle bei dem Mord nicht aufgeklärt und wird deshalb auch im kommenden Lübcke-Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag eine Rolle spielen.
Bekannte Namen in Akten, die noch 30 Jahre geheim bleiben sollen

Wie sehr war Temme in der rechtsextremen Szene in Kassel im Gespräch? Neben Ernst, der mit dem V-Mann Gärtner über Temme gesprochen haben soll, gab auch der rechtsextreme Gewalttäter Bernd T., den Ernst kannte, im NSU-Prozess an, Temme sei ihm aus seiner Zeit bei der Kasseler Kameradschaft „Sturm 18“ bekannt.

In zwei Geheimakten des hessischen Verfassungsschutzes fasst das Amt Erkenntnisse zu Aktivitäten der hessischen Neonaziszene von 1992 bis Juni 2012 und ihre Verbindungen zum NSU zusammen. In einem dieser Berichte aus dem Jahr 2013 taucht der Name Andreas Temme an zwei Stellen auf, in dem Bericht aus dem Jahr 2014 sogar an sechs Stellen.

Auch der Name von Stephan Ernst wird in dem Papier von 2013 genannt, an elf Stellen, um genau zu sein. Laut dem Innenexperten der hessischen Grünen-Landtagsfraktion, Jürgen Frömmrich, stammen die Namensnennungen aus den Jahren 1993 bis 2004. Frömmrich konnte das Dokument einsehen. Der Name Gärtner, Temmes V-Mann, steht sogar an 19 Stellen in dem Dokument, das als Schlüssel zur Aufklärung des NSU-Mordes in Kassel gilt. Trotzdem soll es noch 30 Jahre geheim bleiben. Eine Petition forderte deshalb die Akten jetzt freizugeben. Die Zeitung Welt hatte gerichtlich erstritten, dass die Behörde die Namensnennungen in den Geheimberichten mitteilen muss.

Ernsts mutmaßlicher Helfer Markus H. taucht ebenfalls in den Mordermittlungen zum Kasseler NSU-Mord auf. Er wohnte 2006 im Haus der Familie Karagöz, mit deren Sohn Halit, das Mordopfer, in der Türkei zusammen im Urlaub gewesen war. Wenige Wochen nach der Ermordung von Halit Yozgat wird H. zum Mordfall vernommen. Die Ermittler waren auf ihn gekommen, weil er mehrfach eine speziell eingerichtete Webseite des BKA zur damals noch ungeklärten sogenannten „Ceska-Mordserie“ – benannt nach der verwendeten Mordwaffe – aufgerufen hatte. Gerade mal vier Fragen werden Markus H. gestellt und dass obwohl der sogar berichtet, Halit Yozgat, das Mordopfer, persönlich getroffen zu haben. In dem Vernehmungsprotokoll, das CORRECIV vorliegt, findet sich an keiner Stelle ein Hinweis auf H.’s rechte Gesinnung. Dabei war Markus H. erst kurz zuvor noch polizeilich aufgefallen, weil er in einer Gaststätte in Kassel den Hitlergruß gezeigt hatte.

Auch Corryna G., die Gärtner persönlich kannte und auf Heises Hochzeit zu Gast war, berichtete vor dem hessischen NSU-Untersuchungsausschuss, das Internetcafé Ende 2005 dreimal aus dem offenen Strafvollzug heraus besucht zu haben. Zusammen mit einer Mitgefangenen will sie das Internetcafé besucht haben, diese bestritt jedoch in einer Vernehmung jemals in dem Café gewesen zu sein. Die Mitgefangene sagte jedoch aus, dass sie in direkter Nähe des Internetcafés gewohnt habe und auch während des offenen Strafvollzugs mehrfach mit Corryna G. in der Wohnung gewesen sein. Ein ehemaliger V-Mann mit Kontakten sowohl zum Trio also auch zu G., ist sich sicher, dass Corryna G. auch Kontakt zu den NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt hatte, was sie jedoch bestreitet.
Brutale Aktionen im Schwalm-Eder-Kreis

Ein Jahr nachdem sich Heise mit dem ehemaligen V-Mann Tino Brandt möglicherweise über das NSU-Kerntrio unterhalten hatte, marschiert Thorsten Heise im November 2008 bei einem NPD-Aufmarsch in Fulda mit. Weitere Teilnehmer sind auch Markus H. und ein Alexander S., der später auch mit Markus H. und Ernst zusammen zu einer AfD-Demonstration fahren wird. Der spätere Bekannte von Ernst, Alexander S., ist 2008 bei den „Freien Kräften Schwalm-Eder“ aktiv. Einer Kameradschaft, gegen die bis 2011 allein 97 Ermittlungen, auch wegen Verstößen gegen das Sprengstoffgesetz, liefen. 2008 stehen ihre Mitglieder besonders durch zwei brutale Aktionen in der Öffentlichkeit: Einmal überfällt Kevin S. zusammen mit Kameraden ein Zeltlager der Jugendorganisation „Linksjugend, solid“ von der Partei DIE LINKE. Mit einem Klappspaten und einer leeren Bierflasche schlägt er früh morgens auf Jugendliche ein, die in ihrem Zelt schlafen. Eine 13-Jährige verletzt er lebensbedrohlich. In dem anschließenden Strafverfahren wird Kevin S. von dem Anwalt Dirk Waldschmidt vertreten, der auch Stephan Ernst zeitweise vertrat.

Kevin S. pflegte ab 2007 engeren Kontakt zu den NSU-Unterstützern Ralf Wohlleben und André K.. Vor dem Überfall auf das Zeltlager hatte er eine Zeit lang in deren sogenannten „Braunen Haus“ in Jena gewohnt, einem damals bundesweit bedeutsamen Vernetzungsort der Neonazi-Szene. Auch Kevin S. steht auf der eingangs beschriebenen NSU-Umfeld-Liste der Bundesanwaltschaft.

Bei Durchsuchungen nach den brutalen Aktionen der „Freien Kräfte Schwalm-Eder“ werden bei Alexander S. Anleitungen zum Bombenbau gefunden. Auch auf Ernsts Computer fanden sich bei den Durchsuchungen nach dem Mord an Lübcke solche Anleitungen. Laut H.’s ehemaliger Lebensgefährtin habe dieser auch selbst Sprengstoff hergestellt und Probesprengungen durchgeführt. Auch habe er ihr gegenüber geäußert, dass, sollte er schwer erkranken und daran sterben müssen, er sich vorher einen Sprengstoffgürtel basteln würde um „so viele Kanaken wie möglich“ mit in den Tod zu nehmen.

Der Kasseler Rechtsextremist Mike S., ein enger Weggefährte von Ernst, hat ebenfalls Kontakte in den Schwalm-Eder-Kreis. Mit ihm sind Ernst und Markus H. am 14. Februar 2009 bei einem rechtsextremen Aufmarsch in Dresden, bei dem die Erinnerung an die Alliierten-Bombardements auf Dresden benutzt werden, um geschichtsrevisionistische Erzählungen zur Nazi-Diktatur zu verbreiten. Am 1. Mai im selben Jahr überfallen sie zusammen mit hunderten weiteren Rechtsextremen eine Demo des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Dortmund. Mitinitiator ist Steven H., der früher auch beim Thüringer Heimatschutz aktiv war. Ernst wirft bei den Ausschreitungen einen Stein auf einen Motorradpolizisten, der sich aber noch in Sicherheit bringen kann. Er wird dafür 2010 zu einer siebenmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.

Redaktion: Justus von Daniels, Illustration: Janosch Kunze, Grafik: Benjamin Schubert
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Re: Der Mord an Walter Lübcke
« Antwort #404 am: 21. Januar 2021, 13:23:10 »
Kaplan plädierte für Ernst auf Totschlag: Lübcke sei zum Zeitpunkt des Schusses nicht arglos gewesen, daher keine heimtückische Tat. Und auch keine niedrigen Beweggründe, denn Ernst habe vermeintlich "im Allgemeininteresse" gehandelt.

Sehr gewagte Interpretation. Daraus wird nichts.
Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!
 
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