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Das wirklich Interessante am FPÖ-Skandal um das #strachevideo ist aus meiner Sicht nicht seine Existenz und auch sein Inhalt nur teilweise. Wir wissen längst, dass Rechte und Rechtsextreme keinerlei eigene Moral kennen, auch wenn sie von nichts anderem reden. Die öffentlichen Reaktionen auf die Enthüllung und die Rücktritte aber verraten Erstaunliches. Insbesondere, wenn man die Reaktionen der FPÖ-Fans in sozialen Medien abgleicht - mit der von deutschen Ex-Geheimdienstlern. Die Parallelen sind in jeder rechtsstaatlichen Hinsicht verstörend. Sie sagen viel aus über das Rechts-Problem von BND und Verfassungsschutz und die Weltsicht rechter und rechtsextremer Wähler.
Der ehemalige Vizepräsident des BND, Rudolf Adam, fällt gleich mit der Tür ins antisemitische Haus: "War es der Mossad?" steht über dem Artikel, in dem er genau diese Frage raunt. Und das ohne den geringsten Hinweis, allein mit der Begründung, dass dem "Mossad das zuzutrauen" sei. In den sozialen Medien ist "Mossad" bedeutungsidentisch mit "jüdische Weltverschwörung", und genau mit dieser Intention wird der Artikel des ehemaligen BND-Vizechefs von FPÖ-Fans geteilt.
In einem bizarren Zirkelschluss behauptet Adam, gerade der Antisemitismus der FPÖ könne der Antrieb für den Mossad gewesen sein. In Österreich ist ähnlich wie in Deutschland rechter Antisemitismus virulent, nur wird er dort politisch offensiver instrumentalisiert. Schon vor drei Jahren, im Rahmen einer SPÖ-Affäre um einen jüdischen Berater namens Tal Silberstein, wurden "Mossad-Gerüchte" bis in redaktionelle Medien getragen. Übrigens lässt sich auch die Silberstein-Andeutung von Sebastian Kurz in der Staatskrisen-Rede als antisemitischer Anknüpfungspunkt lesen.
Plötzlich ein Herz für die Privatsphäre
Der frühere BND-Chef August Hanning vertritt die These, die Videoaufzeichnung sei eine "sehr aufwendige Operation, wie wir das eigentlich nur von Nachrichtendiensten kennen". Der Videoclip von Hanning wird auf Facebook als Ergänzung zu Adams Artikel geteilt. Hanning erklärt die Motivation: "Offenkundig wird versucht, Wahlen zu manipulieren." Dann geht er in eine absurde Offensive: "Selbst gravierende Straftaten rechtfertigen keine Wohnraumüberwachung", sagt er, und sorgt sich sehr um die "politische Kultur". Ein Geheimdienstmann, dessen wichtigste Aufgabe sein sollte, Landesverrat zu verhindern und der dafür Abertausende Menschen hat abhören lassen - sorgt sich plötzlich um Wohnraumüberwachung? Exakt als es laut Ex-BND-Vize Adam um ein Verhalten geht, das "halb mafiös, halb landesverräterisch" wirkt?
Ja, tatsächlich - genau in dem Moment, als es wirklich um Landesverrat, um den Ausverkauf von Österreich geht, entdeckt ein ehemaliger BND-Chef sein Herz gegen Überwachung. Ich wette um meinen Irokesenschnitt, dass er linke Verschwörer niemals derart gnädig umpuschelt hätte.
Das kann man nur noch als Schutzhandlung für Strache verstehen. Unter FPÖ-Fans in sozialen Medien wird es jedenfalls so aufgefasst. Denn Hanning lenkt zusätzlich den Fokus weg vom Versuch des Verrats der beiden Rechtsextremen Strache und Gudenus, hin zu den Themen "Wahlbeeinflussung" und "Privatsphäre". Hanning agiert als politischer Kommentator, wie die FPÖ sich strategisch aufstellt: Nicht etwa der versuchte Verrat ist das Problem, sondern der Privatsphärebruch, die angebliche Wahlbeeinflussung und die dunklen Absichten und Mächte dahinter. Es wird komplett ausgeblendet, was der Kern ist: das Sprechen und Handeln der FPÖ-Spitze. Derailing nennt man es übrigens, wenn von offensichtlicher Schuld abgelenkt werden soll.
Essenz des Faschismus
Man muss daran erinnern, dass eine enge Beziehung zwischen deutschen Geheimdiensten und der FPÖ besteht, und zwar in Person von Klaus-Dieter Fritsche. Angela Merkel holt ihn nach den Snowden-Enthüllungen ins Kanzleramt - als Beauftragten für die Nachrichtendienste. Er war auch schon Vizechef des Verfassungsschutzes. Bis März 2018 ist er im deutschen Kanzleramt, ab März 2019 arbeitet er für den rechtsextremen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, und das mit Zustimmung der Bundesregierung. Kickl, der gefährlichste Mann Österreichs, sagte Dinge wie: "Das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht." Das ist quasi die Essenz des Faschismus, weil es die Aufkündigung der Gewaltenteilung, die Vorbereitung des Führerprinzips wie auch eine totalitäre Welthaltung bedeutet.
Zwei Monate nach diesem Satz fängt Fritsche an, für Kickl zu arbeiten. Eine völlig unterskandalisierte Tatsache, denn Fritsche ist in deutschen Geheimdienstkreisen ein gut vernetzter und über Jahre sehr mächtiger Mann. Eigentlich unfassbar. Und trotzdem erwartbar, denn Fritsche sagte 2012 ausgerechnet bei der Aufklärung der NSU-Verbrechen den denkwürdigen Satz: "Das Staatswohl ist wichtiger als parlamentarische Aufklärung!" Mit Fritsches bezahltem Engagement für einen Rechtsextremen bekommt das Zitat einen ganz neuen Klang.
Opferpose samt Täter-Opfer-Umkehr
Auch der rechte Geheimonkel und frühere Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen ist perfekter Stichwortgeber für die FPÖ-Fans in sozialen Medien. Nicht nur, dass er "linke und linksextreme Aktivisten" ins Spiel bringt. Er sieht den eigentlichen Skandal in der "Videofalle" und damit offenbar nicht in den Äußerungen der rechtsextremen FPÖ-Führung. Das bedeutet: Bis letztes Jahr war ein Mann Chef des deutschen Geheimdienstes, für den die Vermutung über eine linke Videofalle größer ist als der nachgewiesene Versuch eines späteren Vizekanzlers, sein Land zu verraten und zu verkaufen. Zusammen mit seiner Einlassung über "linksextreme Kräfte" in der SPD wird hier aus meiner Sicht überdeutlich: Maaßen lehnt die heutige liberale Demokratie ab. Er hätte nie Verfassungsschutzchef sein dürfen, er ist der rechtsextremen FPÖ näher als der harmlosesten Partei Deutschlands (SPD).
Maaßens "Videofalle" wird von den FPÖ-Fans auf Facebook als finaler Beweis verbreitet: Es geht nicht um die lässlichen Ferien-Fehler von Strache und Gudenus, sondern um die Falle. Gudenus, der offenbar fürchtet, dass weitere schwerwiegende Dinge öffentlich werden könnten, bringt vorsorglich "psychotrope Substanzen" ins Spiel, sogar K.o.-Tropfen.
Es ergibt sich, vermischt mit den Entschuldigungen und Ablenkungen der deutschen Ex-Geheimdienstler, eine umfassende Erzählung in Opferpose samt Täter-Opfer-Umkehr. Sie funktioniert in den Köpfen und Social-Media-Accounts der FPÖ-Fans perfekt. Eine Truppe deutscher Ex-Geheimdienstler tänzelt leichtfüßig zwischen Antisemitismusgerüchten und Beschützerinstinkt gegenüber der FPÖ und komplettiert damit - hier muss man leider loben - deren glänzende Verteidigungsstrategie.
Strache - echter, tougher Ehrenmann
Dieser Skandal wird der FPÖ höchstens vorübergehend schaden, am Ende vielleicht sogar nutzen. Mit der Schützenhilfe deutscher Ex-Geheimdienstler, die das rechtsextreme Sentiment mit ihren haarsträubenden Äußerungen offizialisieren. "Jetzt erst recht!", änderte die FPÖ ihren Slogan noch während des Skandals. Er ist perfekt.
Die FPÖ wird, wie die meisten rechten und rechtsextremen Parteien, als rassistischer Tritt in den Arsch des vermeintlichen Establishments gewählt. Kein Gefühl aktiviert FPÖ-Fans in sozialen Medien besser als Trotz. Auch die oft verlachte Entschuldigungsrede des Bauchpolitikers Strache war brillant, weil sie - eine attraktive Frau und Alkohol waren schuld! - für die FPÖ-Klientel sehr gut persönlich nachvollziehbar erscheint.
Der wichtigste Punkt aber sitzt tiefer: Die meisten Rechten und Rechtsextremen begreifen die gesamte Politik als Sphäre der Korruption und Manipulation. Jetzt hat man Strache halt dabei erwischt, was sie ohnehin als Alltag sämtlicher Politiker vermuten. Wenn man so denkt ("Eh alle korrupt!"), dann hält der Ärger über die "besoffene Geschichte" nicht lange an. Schon jetzt wird Strache hoch angerechnet, dass er sich anders als alle anderen ja entschuldigt habe. Auch bei seiner Frau. Ein echter, tougher Ehrenmann also, der wieder aufstehen kann. Geschnitzt - aus Kanzlerholz!
Podcast-Frage:
Warum springen deutsche Ex-Geheimdienstler für die FPÖ in die Bresche?