Sehe ich das richtig, dass "Libertär" ein neues Synomym für rassistische, homophobe Hetzer und/oder NeoNazis ist?
"Libertarians" waren ursprünglich eine bestimmte ökonomisch-politische Schule, zu deren Begründern der Österreicher Ludwig von Mises zählt. Es gibt bis heute ein Mises Institute, das durchaus wissenschaftliche ernst zu nehmen ist.
Die Wurzeln dieser Denkrichtung sind aber älter, man stösst etwa schon bei Max Stirner, der eher dem Anarchismus zuzuordnen ist, auf den Gedanken des "Selbsteigentums".
Die libertäre Schule geht von einigen Grundüberzeugungen aus, vor allem von einem sehr hohen Stellenwert der persönlichen Freiheit. Die libertäre Grundannahme besteht darin, dass jede Beschränkung der persönlichen (Handlungs-)Freiheit einen Menschen unglücklich macht, hingegen Freiheit und freie Wahl den Menschen glücklich oder wenigstens zufrieden machen. Daher ist entscheidend, Zwänge, die die Freiheit eines Menschen beschränken, so weit als möglich zu vermeiden. Dies gilt insbesondere auch für den Staat, der je nach dem auf einen "Minimalstaat", der im Grunde nur noch Faustrecht und Bürgerkrieg verhindern soll, beschränkt oder sogar in einigen Ausformungen ganz abgeschafft werden soll (hier ist die Verwandtschaft mit dem Anarchismus besonders deutlich).
Wirtschaftlich fordert der Libertarismus weitestgehende Freiheit, völlige Vertragsfreiheit, Verzicht auf Formalismus und Bürokratie usw.
In seinen Anfängen war der Libertarismus keine genuin rechte Bewegung, sondern eher links stehend. Es ist sicher kein Zufall, dass mit von Mises einer seiner klassischen Vertreter aus dem kaiserlich-königlichen Österreich-Ungarn stammte. Anders als im Deutschen Reich der 1870er- und 1880er-Jahre wurden z. B. Gesetze eher selten vom Reichstag beschlossen, vielmehr wurde ausgiebig mittels Dekret regiert, der Reichstag war so konstruiert, dass er nach Möglichkeit nicht beschlussfähig sein würde (was tatsächlich gelang).
Der Anarchismus z. B. im zaristischen Russland und der Libertarismus etwa in Österreich-Ungarn wandten sich anfangs gegen einen Staat, der hierarchisch-obrigkeitlich, sogar polizeistaatlich geprägt war.
Dass sich "Libertäre" gegen einen freiheitlich-demokratischen Staat wenden, ist demgegenüber eine historisch relativ junge Entwicklung, ebenso wie eine klare Wendung nach rechts. Namentlich Diffamierung von anders Denkenden oder Handelnden kann aus der ursprünglich libertären Denkweise heraus eigentlich nur kritisiert werden. Nehmen wir etwa Burka, Schleier, Kopftuch u. dgl. rechte Reize: Nach der Grundüberzeugung der ursprünglichen Libertären ist jede Handlungsbeschränkung eines anderen Menschen zu vermeiden, es sei denn, dass eine Handlung klar schädlich für einen Anderen wäre. Kleidervorschriften zu erlassen, wäre einem klassischen Libertären daher ein Gräuel. Daher könnte der klassische Libertäre einem Burka-, Schleier- oder Kopftuchverbot kaum zustimmen.
Dass "libertär" ein Deckname für rassistische, menschenfeindliche rechtsextreme Gesinnungen geworden ist, ist eine historisch junge Erscheinung und etwa im Gleichschritt mit missbräuchlicher Verwendung von Begriffen wie "Patrioten", "Heimat" usw. aufgekommen.