Prozess gegen Adrian Ursache Beweisaufnahme - Das sagen die Polizisten im Zeugenstand
Von Steffen Könau, 07.11.17, 09:35 Uhr
Es ist der der sechste Prozesstag im Verfahren wegen eines Mordversuchs gegen den ehemaligen „Mister Germany“ und späteren „Reichsgründer“ Adrian Ursache aus Reuden im Burgenland.
Und mit kurzer Verspätung erscheint zu Verhandlungsbeginn schon der vierte Verteidiger des Angeklagten. Dirk Magerl aus Potsdam stößt nach dem Sachsen Martin Kohlmann, der bei seinen zwei Auftritten versucht hatte, aus dem Strafverfahren eine Art politischen Prozess zu machen, ein Anwalt hinzu, der eine beruhigende Wirkung auf Adrian Ursache zu haben scheint.
Nach kurzer Diskussion wird der zuletzt wegen ständiger Störversuche durch fortwährend wiederholte Ablehnungsanträge gegen das Gericht von der Verhandlung ausgeschlossene Angeklagte wieder zugelassen. Ursache, der seinem Prozess von Anfang an neben der Anklagebank stehend folgt, wird sogar die obligatorische Fußfessel abgenommen.
Fast wirkt es nun wie ein ganz normaler Prozess, in dem nach der Wahrheit über das gesucht wird, was am 25. August vergangenen in der Poststraße am Ortsrand von Reuden geschehen ist, wo Ursache Anfang 2016 seinen eigenen Staat namens „Reich Ur“ ausgerufen hatte.
Der Fall Adrian Ursache: Um diesen SEK-Einsatz mit Schusswechsel geht es
Sondereinsatzkräfte hatten den Einsatz eines Gerichtsvollziehers absichern sollen, der eine angekündigte Zwangsräumung des zehn Wochen zuvor zwangsversteigertes Hauses durchführen wollte, in dem Adrian Ursache mit seiner Frau Sandra und den beiden halbwüchsigen Söhnen lebt.
Als Ursache das Vordringen der Beamten auf das Grundstück bemerkte, lief er nach eigenen Angaben in ein Nebengelass, holte einen dort verstecke Kleinkaliberrevolver, lud ihn mit drei Patronen und stellte sich den SEK-Männern entgegen.
Dabei soll der 43-Jährige, so zumindest die Anklageschrift, auf einen Beamten geschossen haben. Er habe auf den Kopf des Polizisten gezielt, der Schuss sei allerdings an dessen Helmvisier abgeprallt, so dass der Mann nur leicht am Hals verletzt wurde.
„Volk 'Ur' mit Blut und Eisen verteidigen“ - Das waren die Ziele von Adrian Ursache
Um sich zu verteidigen, hätten die Beamten dann ihrerseits auf Ursache gefeuert, der zuvor angedroht hatte, sein „Volk Ur“ mit „Blut und Eisen zu verteidigen“. Ursache wurde dreimal getroffen und lebensgefährlich verletzt, er lag im Koma und trägt bis heute eine Drahtschiene am Arm, die die von einer Kugel zerschmetterten Knochen richtet.
Schussgeräusche, die auf einer zu Prozessbeginn vorgeführten Videoaufnahme aus der Bodycam eines Beamten zu hören waren, weckten jedoch Zweifel, weil Ursache Kleinkaliber-Revolver später zu feuern scheint als die großkalibrigen Polizeipistolen.
Allerdings hatte der Angeklagte über den gesamten Prozessverlauf verhindert, dass die Schwurgerichtskammer tatsächlich in eine Beweisaufnahme einsteigen konnte – stattdessen erging er sich in langwierigen Ausführungen zum Völkerrecht, zur Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik und zum Geltungsbereich des Grundgesetzes.
Zwischendurch musste fortwährend über seine Ablehnungsanträge entschieden werden. Zuletzt dann sogar durch eine andere Kammer, die erneut entschied, dass es beim Vorsitzenden Richter Jan Stengel, den beiden anderen Berufsrichtern und den beiden Schöffen keinen Anlass zur Besorgnis der Voreingenommenheit gegenüber den Angeklagten gibt.
Adrian Ursache stellt weitere Ablehnungsanträge: Gesuch gegen Schöffen und Richterin
Eine Vorgeschichte, die auch an diesem Morgen über Saal 89 hängt. Ursache ist kaum wieder auf seinem Platz, als er schon zwei weitere Ablehnungsanträge verliest, erneut verfasst von seinem Chemnitzer Anwalt Martin Kohlmann, der selbst erneut nicht anwesend ist.
Diesmal richtet sich das Gesuch gegen die beiden Schöffen, die in einer dienstlichen Stellungnahme Bezug auf ein nicht existierendes Sitzungsprotokoll genommen hätten.
Und gegen eine Richterin, die Ursache in ihrer Stellungnahme einen „sichtlich verärgerten Verurteilten“ genannt habe. Dieser „freudsche Verschreiber“ (Kohlmann) zeige, dass sie seinen Mandanten bereits abgeurteilt habe.
Da solche Anträge nicht sofort beschieden werden müssen, werden die geladenen Zeugen aber heute erstmals nicht wieder weggeschickt. Nachdem Adrian Ursache weitschweifig und mit Gesetzbüchern jonglierend beantragt hat, einen Verfassungsrechtler begutachten zu lassen, ob das Landgericht überhaupt für ihn zuständig sei, nehmen drei Polizisten im Zeugenstand Platz.
Prozess gegen Adrian Ursache: Polizisten im Zeugenstand
Hauptkommissar Uwe a. hat am Tattag die Ermittlungen zu den Schüssen koordiniert, die Verkündung des Haftbefehls gegen Adrian Ursache im Krankenhaus in Leipzig organisiert und dabei, wie er sagt, „den Kollegen in Sachsen gesagt, was auf der politischen Strecke auf sie zukommen könnte“.
Weil der studierte Handelsfachwirt als „Reichsbürger“ galt und im Internet zahlreiche Anhänger hat, fürchtete die Tatortgruppe Komplikationen. „Ich habe die Kollegen vom Staatsschutz am Tatort gesehen“, beschreibt A. den Informationsfluss im Lagezentrum. Weil er unmittelbar danach in den Urlaub gefahren sei, habe er aber „sonst nichts mehr mitbekommen.“
Ähnlich äußern sich auch die beiden Kriminaltechnikerinnen, die nach ihm aussagen. Vor Ort seien Patronenhülsen, ein Geschoss und Ausrüstungsgegenstände der Beamten gesichert worden, im Krankenhaus übergab der operierende Arzt Projektil-Teile, die er aus Adrian Ursache herausgeholt hatte.
Zudem wurde der Helm mit dem angeschossenen Visier sichergestellt und die vermeintliche Einschussstelle markiert. Ob sie diese Stelle selbst gefunden habe oder ein anderer Beamter sie anwies, genau diese Stelle zu kennzeichnen, so Zeugin Ellen J., wisse sie nicht mehr.
Umso genauer erinnert sich Gerichtsvollzieher Steven J., der Adrian Ursache zum ersten Mal vor zehn Jahren begegnete, als Gläubiger des damals noch als Telefonverkäufer tätigen gebürtigen Rumänen versuchten, überfällige Schulden einzutreiben.
Anfangs sei das Verhältnis ganz normal gewesen, schildert J. „Frau Ursache kam auch immer mal und brachte vereinbarte Raten.“ Vor vier Jahren habe das dann aber nicht mehr ausgereicht, Ursache habe einen Offenbarungseid ablegen müssen, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen.
Gerichtsvollzieher beschreibt Radikalisierung Adrian Ursaches
J. erlebte die folgende Radikalisierung des Schönheitskönigs aus nächster Nähe mit. „Als er nach zwei Jahren eine neue Eidesstattliche Versicherung hätte abgeben müssen, erklärte er mir, dass er das nicht tun werde.“
Erstmals äußerte Ursache damals Zweifel an der Legitimität von Gerichtsvollzieher, Gericht und „eigentlich der ganzen Bundesrepublik“. Er habe die Bundesrepublik eine GmbH genannt und behauptet, er, J., sei nur deren Angestellter. In der Folge habe der Angeklagte ihn per Mail und Fax mit umfangreichen Schriftstücken „bombardiert, die ich als sehr wirr empfand“.
Er habe zudem seinen Briefkasten abgeschraubt, um die Zustellung amtlicher Papiere zu verhindern und schließlich begonnen, „mich nicht nur per Mail, sondern auch im Internet öffentlich zu beleidigen und zu bedrohen“.
„In seinem Blut liegenlassen“ - Adrian Ursache drohte Gerichtsvollzieher Gewalt an
So habe er angekündigt, ihn „in seinem Blut liegenzulassen“, wenn er nicht aufhöre, die Forderungen der Gläubiger – darunter eine Krankenkasse, ein Reiseunternehmen und ein Autohaus – durchsetzen zu wollen.
Adrian Ursache selbst relativiert das und versucht mit Nachfragen, die Legitimität des Gerichtsvollziehers in Zweifel zu ziehen. Dessen Vorgehen stehe nicht „auf dem Boden des Grundgesetzes in der genehmigten Fassung von 1949“ wiederholt er mehrfach eine seine Standardformulierungen.
J. darauf kühl: „Das Grundgesetz ist seit 1949 mehrfach geändert worden und mein Handeln steht im Einklang mit dem Grundgesetz, das wir heute haben.“
Ursaches Anwälte aber lassen nicht locker. Minutenlang geht es um den Unterschied zwischen Urkunde, Abschrift und Ausfertigung, der Gerichtsvollzieher sitzt nicht mehr im Zeugenstand, sondern auf dem Grill - aber gar wird er nicht.
Prozess gegen Adrian Ursache: Nächster Verhandlungstermin mit Analyse der Schussfolge
Nein, er habe den Polizeieinsatz nicht geplant, sondern die Polizei nur um Amtshilfe für seine Zwangsvollstreckungsmaßnahme gebeten, „weil ich wusste, das wird keine Räumung“, sagt J.
Schüsse habe er gehört, aber nur aus der Entfernung, weil das SEK erst bestehende Haftbefehle gegen die Familienmitglieder wegen ausstehender Schulden habe vollstrecken sollen, „ehe wir die Räumung durchführen“.
Als Steven J. zum Grundstück kommt, ist Adrian Ursache bereits auf dem Weg ins Krankenhaus. „Dass es so eskaliert, sollte ja gerade verhindert werden.“
Beim nächsten Verhandlungstermin am Donnerstag werden Gutachter gehört, darunter der Experte, der die auf dem Video hörbare Schussfolge analysiert hat. (mz)
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