Wenn auch nur beim EBA.
Spoiler
Von Jan Riebe| 10. Dezember 2020
Noch nicht bei der Konferenz von Jalta, aber zur Gründung der Bundesrepublik hat die US-Regierung einen linksextremen Verfassungsschutz installiert. Das behauptet jedenfalls eine neue "Studie" von rechstaußen.
Es klingt absurd und ist doch gefährlich. Das Ziel des IfS – „institutionalisierte politische Beeinflussung der Öffentlichkeit“, wie es Mitgründer Karl-Heinz Weißmann proklamierte – ist auch 20 Jahre später noch aktuell. Das Institut um Götz Kubitschek, samt Verlag und Zeitschrift, gilt als wichtiges Vernetzungszentrum der rechtsalternativen bis rechtsextremen Szene. Wenn hier eine Studie veröffentlicht wird, in dem als Ist-Zustand die eine Seite nahezu in die Traditionslinie Hitlers, die anderein die des militärischen Widerstands gegen Hitler gestellt wird, ist die Ausgangslage ziemlich eindeutig: Es ist eine ideologische Rechtfertigung für einen gewaltsamen Putsch oder Bürgerkrieg.
Diese aktuelle Veröffentlichung ist die bereits 39. Studie aus Schnellroda. Wie schon schon oft zuvor, ist auch diese Studie in keiner Form wissenschaftlich, sondern es handelt sich vielmehr um eine, teils polemisch, subjektive politische Streitschrift, die in einem antiamerikanisch-verschwörungsideologischen Weltbild verhaftet ist.
Autor der Schrift ist Josef Schüßlburner. Er ist kein Unbekannter in der extremen Rechten, zum Beispiel als Autor des österreichischen rechtsextremen Monatsmagazins „Die Aula“. Seit Mitte der 1980er Jahre ist er im höheren Verwaltungsdienst des Bundes. So hat er unter anderem beim Generalsekretariat der Vereinten Nationen in New York, im Bundesverkehrsministerium und der Europäischen Kommission in Brüssel gearbeitet.
Schüßlburner macht in seiner Schrift zwei Hauptgründe für ein mögliches Scheitern der AfD aus: Den Verfassungsschutz und das Grundgesetz (GG),genauer gesagt, eine von den Alliierten, insbesondere den USA, installierten „Überverfassung“.
Für Schüßlburner ist der „bundesdeutsche ‚Verfassungsschutz‘ ideologiepolitisch ausgerichtet“. So würden Gruppierungen als extremistisch eingestuft, nur weil sie ein „völkisches Staatsverständnis“ hätten, bemängelt er. Zudem werde mit Hilfe des Instruments Verfassungsschutz „mindestens seit 1970 der politische Pluralismus in der Bundesrepublik Deutschland staatlich bekämpft“, so Schüßlburner. Daraus folgert er, ohne Verfassungsschutz bestünde dementsprechend auch keine Existenzbedrohung für die AfD. Aber das „VS -System“, wie er es nennt, gehe weit über die klassischen Tätigkeiten des Verfassungsschutzes hinaus, die ihm sonst zugeschrieben werden: „Aber selbst ein anderer Mechanismus des bundesdeutschen Herrschaftssystems, die Fünfprozentklausel des Wahlrechts, stellt letztlich ein Konnexinstitut des „VS“ –Systems dar“ Denn: „Die Sperrwirkung der Klausel […] kann bei Bedarf durch den Einsatz des Inlandsgeheimdienstes, insbesondere seiner amtlichen Propagandatätigkeit, ins Unüberwindbare erhöht werden“.
Mit dem Verfassungsschutz stelle unmittelbar auch das Grundgesetz mit seinem „Parteienverbotskonzept“ eine Gefahr für die AfD dar. Das Parteiverbot ist nach Meinung von Schüßlburner „wesentliches Instrument einer neuzeitlichen Diktatur“.
Daher sei es ein Problem, dass das Grundgesetz immer noch als die freieste Verfassung der deutschen Geschichte gelte. „Eine allgemein verkündete Auffassung, die sich aufgrund ihrer bundesdeutschen Sozialisierung die AfD-Führungsspitzen unreflektiert zu eigen machen und dabei verkennen, daß sie damit ihrer Partei das Grab auf dem Parteienfriedhof BRD zu schaufeln beginnen“, so die Einschätzung von Schüßlburner. Damit fährt er sehr bewusst einen Frontallangriff auf die aktuelle Strategie der Bundespartei. Sie wirbt derzeit mit der Kampagne „Wir sind Grundgesetz“. Erst neulich saßen alle AfD-Bundestagsabgeordnete mit riesigen Titelbildern des Grundgesetzes im Plenarsaal und auf ihrer Homepage ist zu lesen: „Das Grundgesetz ist die beste Verfassung, die wir Deutschen je hatten“.
Als besonders problematisch bewertet Schüßlburner Art 18 (Grundrechtsverwirkung) und Artikel 21 (Parteien können als verfassungswidrig eingestuft werden): Doch Schüßlburner sieht weniger das problematische in seiner Ansicht nach fragwürdigen und rechtlich unklaren Regelungen, als in der „notwendigerweise mit diesem verbundene (alliierte) Überverfassung“.
Diese „alliierte Überverfassung“ bestand nach Schüßlburner zunächst im US-Bestreben, eine amerikafreundliche Parteienlandschaft im Nachkriegsdeutschland zu etablieren. Die USA habe deshalb darauf hingewirkt „daß die Demokratisierung auf die Stärkung bestimmter Parteien hinauslaufen müsse, die es besonders abzusichern gelte. […] Letztlich richtete sich dies gegen die Parteiformationen, unter derer Hegemonie Deutschland im 19. Jahrhundert zu einer maßgeblichen Macht geworden war, nämlich gegen Nationalliberale und Konservative. […] Damit sollte klar sein, gegen wen sich das alliierte Lizenzierungssystem wirklich gerichtet hat, wenngleich man die Verhinderung eines weiteren Nazismus als Vorwand nahm“, so Schüßlburner. „Zur Sicherstellung der von den USA […] gewünschten demokratiewidrigen Ungleichbehandlung, die durch Parteiverbot und wahlrechtliche Sperrklauseln verankert werden sollte, wurden insbesondere die Verfassungsschutzämter vorgesehen“, so Schüßlburner weiter. Also in Kurzfassung: Die 5%-Sperrklausel, die Möglichkeit verfassungswidrige Parteien zu verbieten und die Etablierung des Verfassungsschutzes hatte nie mit der Angst zu tun, dass sich die ehemaligen Nazis in einer neuen NSDAP formieren, sondern war in der Angst der USA vor Konservativen und Nationalliberalen begründet. Aber Schüßlburner holt noch weiter aus. Die alliierte bzw. US-gesteuerte „Überverfassung“ wurde mit dem 2+4-Vertrag von 1991 zwar formal abgelöst, sie existiere „in zwei inhaltlich verbundene Komponenten fort“: und zwar in der „als wirklich grotesk einzustufenden Bedeutung der Inlandsgeheimdienste und in der Aufwertung des Grundgesetzes zu einem religiösen Dokument“, so der Autor. Diese „Überverfassung“ als ungeschriebener Teil des Grundgesetzes, deformiere dieses und verkehre es unter „der fortwirkenden alliierten Interessenlage entsprechend (fast) ins Gegenteil“, so Schüßlburner. Er hätte gerne andere im Fokus und kritisiert, dass „ein Vorgehen gegen die ‚Mitte‘ – etwa ‚SPD in den VS Bericht!‘, ‚CDU in den VS Bericht!‘ – tabuisiert wird, obwohl diese doch für den illiberalen „VS“ verantwortlich und deshalb demokratiefeindlich ist!“.
Doch warum installierte die USA nach Ansicht von Schüßlburner die bis heute andauernde „Überverfassung“? Zum einen, wie bereits erwähnt, weil sie den Aufstieg konservativer und nationalliberaler Parteien fürchtete, die Deutschland wieder zu einer Macht aufsteigen lassen würden und somit eine unliebsame Konkurrenz werden könnte. Aber auch, so Schüßlburner, weil die USA vor dem offenen Ausbruch des Kalten Krieges die Kommunist*innen begünstigt „und ihnen eine prominente Rolle bei der ‚Demokratisierung‘ der Deutschen zugeschrieben“ hätten. Dies sieht Schüßlburner auch in der Praxis der Parteiverbote gespiegelt. So sei die rechtsextreme Sozialistische Reichspartei innerhalb eines Jahres in einem „kurzen Prozess“ verboten wurden, während das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) von 1951 bis 1956 gedauert habe. Die USA wollten demnach kein KPD-Verbot, da sie das „ursprüngliche Lieblingskind des amerikanischen Besatzungsregimes“ war. Zudem habe die bundesdeutsche Parteienverbotskonzeption einen „latent vorhandenen linksextremen“ und das bundesdeutsche Staatsschutzkonzept einen „extrem linksgerichteten Charakter“, weshalb sich Kommunist*innen immer nur positiv über das Grundgesetz geäußert hätten. Wie er zu dieser Erkenntnis kommt, verschweigt der Autor.
Aber warum haben die Deutschen nichts gegen die dargestellte massive US-Einflussnahme auf das Grundgesetz unternommen? Auch darauf hat Schüßlburner eine Antwort. Schon Tocqueville habe erkannt, „daß die Vaterlandsliebe ‚in einem eroberten Land nicht lange lebendig‘ bleibt, ‚weil die Neigung der Menschen im allgemeinen in die Richtung gehen, in der sich die Macht befindet‘“. Daher wollten die Deutschen auf der Seite der USA sein. Um auf Seite der Kriegsgewinner zu sein, müssten neue Nazis konstruiert werden, gegen die man dann sein könnte. Und daher würden alle Parteien, die nicht links sind, durch die Etablierten mit Nazivorwürfen bekämpft, um dadurch in ihrer „Untertänigkeit ihre Kriegsmitsiegermentalität gutmenschlich auszuleben“, so Schüßlburner.
Zusammengefasst macht er also eine große linksextreme US-amerikanische Verschwörung gegen die AfD und Deutschland aus und stellt fest, Deutschland ist nicht souverän. Soweit nichts Neues aus der extremen Rechten.
Aber was kann die AfD gegen diese ausgemachte US-amerikanische Verschwörung gegen sie und Deutschland unternehmen? Auch hier hat der Autor klare Vorstellungen: „Bei Fragen der Demokratie sollte es in der Tat keine Kompromisse geben. Die Demokratie ist gegen den sogenannten Verfassungsschutz und im Zweifel auch gegen Verfassungsgericht und GG durchzusetzen!“. Das mündet in konkrete Forderungen, wie keine Distanzierungen „von Organisationen wie der Identitären Bewegung“ oder „Aufhebung von Strafvorschriften […] die eine staatsideologische Geschichtspolitik etablieren wollen“. Damit ist unter anderem Paragraf 130 des Strafgesetzbuches gemeint, der Volksverhetzung unter Strafe stellt. Schon früher trat er für eine Wiederzulassung der Hakenkreuzfahne der Nazis und das Recht auf Leugnen des Holocaust ein. Seiner Ansicht nach müsse auch die AfD begreifen, dass „das Grundgesetz zum Zwecke der Demokratieverwirklichung in Deutschland eigentlich ein überflüssiges Verfassungswerk“ darstelle, denn es gebe ja noch die Weimarer Reichsverfassung von 1919, die er für viel demokratischer erachte, da sie eben keine Parteienverbotskonzeption enthielt. Wenn es nicht klappe, diese wieder einzuführen, könnte man auch in Erwägung ziehen, eine Rezeption der Schweizer Verfassung zu verabschieden. Immerhin sei die Schweiz „letztlich eine Fortentwicklung der freien Städte des alten deutschen Reichs“. Schüßlburner hat auch ein einfaches Rezept. eine demokratische Verfassung zu erkennen: „Je normaler eine Demokratie ist, desto eher ist der Erfolg der politischen Rechten gewährleistet!“. Das könnte seine Begeisterung für die Weimarer Reichsverfassung erklären.
Auch in der Außenpolitik hat er Ratschläge an die AfD. Die außenpolitische Einbindung Deutschlands stelle „letztendlich eine Fortsetzung des Besatzungsregimes“ dar, so Schüßlburner. Daher müsse man aus der NATO austreten, konsequenterweise auch aus der EU und nach Schweizer Vorbild neutral werden.
Ein Erfolgsrezept sieht er im Nationalismus. Und so müsse auch Europa (wieder) konzipiert werden: „Die weltgeschichtliche Besonderheit von Europa besteht nämlich im Nationalstaatskonzept und den diesen tragenden Nationalismus“, so der IfS-Autor. Um dann fortzufahren: „Mit dem Nationalismus sind notwendigerweise die Wertschätzung des Eigenen und dessen Schutz verbunden, was schon aufgrund der weltgeschichtlichen Bedeutung des deutschen Genius zu rechtfertigen ist“.
Als letztes gibt er der AfD bzw. jeder anderen Rechtspartei erst einmal ein wenig überraschend mit auf den Weg „daß die bundesdeutsche Staatsideologie der ‚Bewältigung‘ (einer Vergangenheit die nicht vergehen darf) nicht konsequent genug ist“. Dabei beruft er sich auf eine vermeintliche Aussage Hitlers, dass es seine größte Unterlassungssünde gewesen sei, zwar die linken Klassenkämpfer liquidiert zu haben, aber man vergessen habe ein Schlag gegen rechts zu führen. Diesen Fehler würde nunmehr in der BRD „als ‚Kampf gegen rechts‘ korrigiert, was anzeigt, daß die BRD in zentralen Aspekten doch kein ‚Gegenentwurf‘ ist, sondern eine demokratische Fortsetzung, wobei etwa die Bereiche Sozialstaat, Parteiverbot und Strafrecht zu nennen sind“, so der Autor. Der aktuelle Kampf gegen Rechts richte sich „ideologisch-politisch letztlich gegen die Opposition, die dem NS wirklich hätte gefährlich werden können, nämlich die Militäropposition“, zeigt sich Schüßlburner überzeugt. Und da der NS ohne die Ideenströme der Sozialdemokratie nicht verstanden werden könne, sei daher der Sozialismus generell bewältigungsbedürftig
Fazit
Man könnte die „Studie“ als wirr und durch und durch verschwörungsideologisch und zutiefst antiamerikanisch abtun. Aber leider muss man sie ernst nehmen. Sie zeigt zum einen, mitunter auch unfreiwillig, was die extreme Rechte als Hinderniss und Angriffsziel wahrnimmt, um zumindest mehr Einfluss oder gar an die Macht zu kommen. In erster Linie sind es die Gesetze und Maßnahmen, die beschlossen wurden, damit sich die Demokratie nicht mehr wie in der Weimarer Republik so hilflos gegenüber ihren Feinden erweist. Diese Gesetze und Maßnahmen versucht der Autor als undemokratisch zu delegitimieren. Eine altbekannte Methode: Mit den Stilmitteln und Rhetorik der liberalen Demokratie (Pochen auf Meinungsfreiheit, Pluralismus, Versammlungsfreiheit, echte Demokratie) versuchen viele Akteur*innen der extremen Rechten eben diese liberale Demokratie durch ein autoritäres System zu ersetzen. Aber dabei belässt die Studie es nicht. So verortet sich die politische Rechte in der Tradition der militärischen Opposition gegen Hitler, und die Bundesrepublik als in vielen Aspekten (nicht wirklich) „demokratische Fortsetzung“ des Nationalsozialismus. Bei dieser bewusst gewählten Gegenüberstellung bedarf es nicht viel Vorstellungsvermögen um zu erahnen, was daraus für das Hier und Jetzt folgt. Das klingt mehr nach einer Drohung, nach Ankündigung eines Bürgerkrieges oder eines Putsches oder zumindest einer Legitimation für einen solchen. Nicht das erste Mal, dass man solche oder ähnliche Töne aus dem IfS hört. . Erst wenige Wochen vor dieser Studie veröffentlichte der hauseigene Verlag einen Band mit Reden des faschistoiden portugiesischen Diktators Salazar unter dem Titel: „Nationale Revolution und autoritärer Staat“.
Höcke, Kalbitz & Co reden gerne von der AfD als letzter evolutionärer Chance für Deutschland. Kalbitz ergänzte es auch schon mal um den Zusatz: „Danach kommt nur noch ‚Helm auf’“. In Schnellroda scheint dieser Helm schon griffbereit.
Genau dieses Laissez-faire war es, das Deutschland in die Katastrophe geführt hat.
Beginnend bei einem Parlament ohne Sperrklausel. „Ja, mei, kamma machn nix, wenn's die Leut so wollen ...“