Wundersames aus der Sickergrube.
Nicht.
Spoiler
Schnittmenge zu Höcke-Anhängern
Der Analyst Philip Kreißel wertete für tagesschau.de wichtige Twitter-Konten von CDU und FDP in Thüringen sowie der Werteunion aus und stellte fest, von wem die jeweiligen Tweets weiterverbreitet wurden. Dann prüfte er, wie viele der mehr als 400.000 Retweets von Konten stammen, die ebenfalls Beiträge des AfD-Rechtsaußen Björn Höcke teilten.
Die Auswertung zeigt: Von den Profilen, die Tweets der CDU-Fraktion Thüringen teilten, verbreiteten 17 Prozent auch Inhalte von Höcke. Bei der SPD-Fraktion liegt diese Schnittmenge bei lediglich 1,5 Prozent, beim CDU-Landesverband Thüringen bei gut fünf Prozent, bei dem FDP-Politiker Thomas Kemmerich und dem CDU-Politiker Mike Mohring jeweils bei knapp neun Prozent.
Deutlich höhere Überschneidungen gibt es bei Vertretern der Werteunion: 42 Prozent der Retweets von Inhalten des bisherigen Sprechers Ralf Höcker sowie 56 Prozent der Retweets bei Maaßen stammen von Profilen, die auch Inhalte von Höcke teilten. Bei dem rechtsradikalen Aktivisten Martin Sellner liegt diese Übereinstimmung bei 65 Prozent, bei Alice Weidel bei 77 Prozent.
Profil Überschneidung mit Höcke-Tweets
SPD-Fraktion Thüringen 1,5 Prozent
Mike Mohring 8,8 Prozent
Thomas Kemmerich 8,8 Prozent
Friedrich Merz 18 Prozent
Ralf Höcker 42 Prozent
Hans-Georg Maaßen 55 Prozent
Martin Sellner 65 Prozent
Alice Weidel 77 Prozent
Kaum Überschneidungen bei Ramelow-Tweets
Datenspezialist Kreißel überprüfte zudem, welche Überschneidungen es zum bisherigen Ministerpräsidenten Thüringens, Bodo Ramelow, gab. Das Ergebnis: Drei Prozent der Retweets bei Maaßen stammen von Nutzern, die auch Beiträge des Politikers der Linkspartei verbreiteten. Bei der CDU- bzw. FDP-Fraktion Thüringen liegt dieser Wert bei acht bzw. 17 Prozent, bei CDU-Politiker Mohring bei zwölf Prozent.
Zudem wurden als weitere Vergleichsgröße die Retweets des CDU-Politikers Ruprecht Polenz ausgewertet. Polenz ist bei Twitter sehr aktiv und positioniert sich deutlich gegen Werteunion und AfD. Bei Maaßen stammen knapp 16 Prozent der Retweets von Profilen, die ebenfalls Inhalte von Polenz teilten - also deutlich weniger als die 55 Prozent, die Tweets von Höcke teilten.
Bei Mohring liegt der Wert bezogen auf Polenz bei gut 28, bei Paul Ziemiak bei knapp 27 und beim CDU-Landesverband Thüringen bei knapp 23 Prozent. Bei Weidel gibt es eine Überschneidung von acht, bei Martin Sellner von knapp elf Prozent.
Überschneidung mit rechten Retweets
Setzt man die verschiedenen Werte in Relation zueinander, lässt sich eine Skala errechnen, die von -1 bis +1 reicht. Je niedriger der Wert, desto größer ist die Überschneidung der Retweets von Konten, die auch Inhalte von AfD-Rechtsaußen Höcke teilen.
Auf diese Skala bezogen zeigt sich bei Ex-Verfassungsschutzchef Maaßen eine größere Überschneidung mit Höcke als mit Konten von CDU und FDP.
Wert von -1 Wert von +1 Wert für Maaßen
Höcke Thomas Kemmerich -0,68
Höcke Mike Mohring -0,66
Höcke Jens Spahn -0,35
Höcke Paul Ziemiak -0,22
Höcke Friedrich Merz -0,1
Höcke Alice Weidel 0,14
Analysen stimmen überein
Im August waren Analysten bereits zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Sie hatten festgestellt, dass Ex-Verfassungsschutzchef Maaßen auf Twitter eine rechte bis rechtsextreme Followerschaft hat, die fast nie Accounts aus der CDU retweetet.
Maaßens Follower retweeten rechtsradikale Accounts, aber fast nie die CDU
| netzpolitik.org
Andere Analysen und Studien zeigten zudem, dass es eine überschaubare Zahl von äußerst aktiven Konten gibt, die einen relevanten Anteil der Interaktionen in politischen Online-Debatten generieren. Einer Untersuchung der TU München zufolge waren gerade einmal fünf Prozent der Nutzer für mehr als ein Viertel aller Kommentare verantwortlich.
Eine andere Analyse belegte ebenfalls, dass in den Netzwerken eine lautstarke Minderheit agiert. IT-Experte Kreißel hatte in Kooperation mit dem "Institute for Strategic Dialogue" in London Hunderte Diskussionen auf Facebook zu Beiträgen von großen Medien ausgewertet. Ergebnis: Lediglich fünf Prozent der Accounts waren für 50 Prozent der Likes bei Hass-Kommentaren verantwortlich.
Verzerrtes Meinungsbild
Diese äußerst aktive Minderheit kann Stimmungsbilder stark verzerren und eine große Zustimmung simulieren. So erhalten Maaßen und andere Vertreter der Werteunion bei Twitter offenkundig viel Zuspruch von sehr rechten Profilen. Diese teilen mutmaßlich besonders polarisierende Tweets, die somit scheinbar auf eine große Zustimmung stoßen.
Diese scheinbare Popularität kommt aber offenbar zu einem relevanten Anteil aus einem bestimmten politischen Milieu, das sehr zugespitzte Rhetorik honoriert. So könnte bei den Absendern der Eindruck entstehen, besonders radikale Äußerungen würden besonders viel Zustimmung in der Bevölkerung stoßen. Doch Interaktionen in sozialen Medien sind nicht repräsentativ, sondern können durch Gruppen von hyperaktiven Profilen leicht verzerrt werden.
Methodik der Datenanalyse
Für die Datenanalyse wurden für die untersuchten Politiker jeweils maximal die letzten 3200 Tweets heruntergeladen. Davon wurden in der Analyse allerdings nur selbst verfasste Tweets berücksichtigt, also keine Retweets.
Von diesen Original-Tweets der Politiker wurden wiederum insgesamt 412.000 Retweets von 44.000 Accounts analysiert. Hier wurden nur Retweets analysiert und keine "Quotes". Allerdings werden pro Tweet wegen Beschränkungen der Twitter-Schnittstelle lediglich maximal 100 Retweets erfasst. Allerdings weisen 61 Prozent aller erfassten Inhalte weniger als 100 Retweets auf. Da außerdem für jeden Account mehrere Dutzend bis Hunderte Tweets analysiert wurden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die allermeisten Mitglieder der jeweiligen Community erfasst wurden.
Insgesamt unterschätzt die Analyse aber die gemeinsame Community von zwei Politikern etwas. Grundsätzlich sind Twitter-Metriken immer verzerrt und spiegeln nie eine repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung wider.