Er hat es geschafft, daß sich Lars Wienand mit ihm beschäftigt, und das sollten wir in voller Länge würdigen:
Spoiler
Zu den "hartgesottenen Rechtsextremen" gezählt
Die erste vermeintliche Anzeige, mit der er für Aufsehen sorgte, war die gegen Georg Restle, Moderator und Leiter des ARD-Politikmagazins "Monitor". Restle hatte über Lotz auf Twitter geschrieben, man könne ihn "getrost eher zu den hartgesottenen Rechtsextremen zählen". Anlass für Lotz, der sich als "Demokrat" sieht und kein AfD-Mitglied sei, sich in gewohnter Manier empört zu zeigen.
Und um Spenden zu bitten: "Wer meine journalistische Arbeit und meinen Widerstand gegen dieses Unrecht freiwillig finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun". Er habe Restle angezeigt, "weil ich mich von öffentlich-rechtlicher Diffamierung nicht einschüchtern lasse", schrieb Lotz im September. Doch Restle weiß nichts davon: "Es ist nie etwas gekommen." Und Lotz hat danach Nachfragen unbeantwortet gelassen.
Diese Erfahrung machte auch die Kommunalpolitikerin Barbara Domke, Stadtverordnete der Grünen in Cottbus. Als Domke über Lotz sagte, ihm würden "über 80.000 russische Bots" folgen, bildete er mit seinen Fans eine Front: "Lehren wir die Grünen, dass Verleumdung Konsequenzen hat!"
Er könne als junger Mensch ohne politisches Mandat so standhaft sein, "weil ihr hinter mir steht". Es folgt der Spenden-Link. Domke sagt: "Spenden für Rechtsstreit müsste er seinen Leuten eigentlich zurückzahlen, ich habe nichts von der Justiz bekommen." Sie verfolgt nach eigenen Angaben Lotz schon seit einigen Jahren: "Er sucht kreativ Vorwände, um nach Geld zu fragen."
So sieht es auch der Journalist und Medienunternehmer Holger Kreymeier ("Massengeschmack.tv"), der in Videos mehrfach kritisch über Lotz berichtete. Wie t-online jetzt hatte er Lotz angefragt, aber keine Antworten bekommen. Dafür aber später Post von der Medienkanzlei Ralf Höcker. Kreymeier sagt: "Lotz' andauernde Behauptungen, er bekomme Morddrohungen oder Beleidigungen, hat er noch nie belegt. Es liegt der Verdacht nahe, dass er sich das ausdenkt, um Kohle zu machen."
"Er bedient den Wutbürger-Mob"
Kreymeier war einst Initiator einer Kampagne "Dafür zahl' ich nicht" gegen die GEZ und kritisiert häufig die Qualität der öffentlich-rechtlichen Sender. Lotz kann seine Kritik also nicht als "öffentlich-rechtlichen Rufmord" bezeichnen.
Und Kreymeier urteilt vernichtend über Lotz' "journalistische Arbeit": Davon sei nichts zu sehen. "Lotz zitiert Meldungen aus großen Mainstream-Zeitungen, beschimpft diese gleichzeitig als Lügenpresse, der man nicht trauen darf. Fast schon schizophren." Durch die aufmerksamkeitsheischenden Überschriften wecke er Neugier auf seine Videos, "auch wenn dann inhaltlich nicht viel folgt. Er bedient den Wutbürger-Mob, den Pöbel." Werbeclips vorweg hätten Zuschauer dann schon gesehen und ihm Geld eingebracht. Dazu komme "permanente Bettelei in jedem Video und auf Telegram, Twitter und in Infotexten seiner Videos."
Damit garniert Lotz auch den dritten Fall, der viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Es wäre ein kleines Wunder an herausragender Polizeiarbeit, welches sich zwischen dem 22. Dezember 2022 und dem 5. Januar zugetragen haben soll: Aufklärung einer Straftat über die Feiertage in rekordverdächtigem Tempo.
Am 22. Dezember hatte Niklas Lotz auf Twitter und Facebook von Folgen eines "massiven linken Shitstorms" berichtet. Tatsächlich erleben Menschen aller politischer Lager digitale Gewalt, erklärt Anna-Lena von Hodenberg, Geschäftsführerin der Beratungsstelle "Hate Aid". "Hate Aid" helfe überparteiisch jedem, der nicht selbst digitale Gewalt verbreite. Zu Lotz und den Spenden will man sich dort nicht äußern.
Ein besonders massiver Shitstorm lässt sich aber aus Antworten an Lotz nicht nachvollziehen. Er bekommt ständig Gegenwind, "#NikischreibtKacki" ist regelmäßig in den Twitter-Trends. Um zu dokumentieren, wie er den Reibach macht, haben Nutzer auch Fotos von Lotz in diversen Jacken von Designermarken zusammengetragen. Hashtag: "#SchickiNiki".
Als der Shitstorm vor Weihnachten so massiv gewesen sein soll, berichtete Lotz, dass er gerade eine "Morddrohung" angezeigt habe, er solle "vergast" werden. Und er danke allen, die seine "journalistische Arbeit" finanziell unterstützen und somit "trotz all der Angriffe weiter ermöglichen" – und das "zu Weihnachten".
Der Fall war am 5. Januar angeblich gelöst. Lotz dankte mit dem Link zu seinem Spendenkonto wieder jedem, der "trotz all der Angriffe auf mich hinter mir steht" und ihn unterstütze. Die Polizei habe den Klarnamen der Person ermittelt, die ihm die "Vergasen"-Nachricht geschickt habe. "Danke an die Polizei!" Man habe ihm gesagt, er solle vorbeikommen, um einen Strafantrag zu unterschreiben.
Sind so schnelle Fahndungserfolge möglich? Ein Experte ist Benjamin Krause, Sprecher bei der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT), die bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main angesiedelt ist und Ansprechpartner des BKA ist. "Es ist nicht unmöglich, aber schon unrealistisch." So zeitnah einen Verdächtigen zu finden "setzt besondere Umstände und mit der Thematik sehr vertraute Beamte voraus". Es komme auch sehr darauf an, ob die Anzeige direkt an eine zuständige Stelle gehe oder erst einmal weitergeleitet werden müsse.
Niklas Lotz blockiert, wenn Fragen kommen
Nur: Lotz will nicht einmal sagen, welche Polizeistelle ihm geholfen und Lob für schnelle Arbeit verdient habe. Die Dienststelle könnte dann auch auf Nachfrage seine Schilderung bestätigen, der Verdacht einer erfundenen Anzeige wäre aus der Welt. Er blockiert Nutzer, die Zweifel anmeldeten und nachfragten. Auch auf Anfragen von t-online per E-Mail und WhatsApp reagierte er nicht.
Gibt es die Anzeige überhaupt? Lotz wohnt im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Ulm. Nachdem die Pressestelle sich zunächst auf "Datenschutz" berufen hatte, reagierte die Staatsanwaltschaft Ulm. Die Antwort, ob jemand zur Unterzeichnung der Strafanzeige vorgeladen worden sei, habe sich erübrigt: "Eine Anzeige vom 22.12.2022 ist beim Polizeipräsidium Ulm nicht verzeichnet."
Das erklären auch Polizei in Dresden oder Cottbus, wo Lotz Büroadressen im Impressum angab und angibt. Theoretisch könnte Lotz auch überall Anzeige erstattet haben. In diesem Fall würde die Anzeige in der Regel an die Polizeidienststelle am Wohnort des Opfers weitergeleitet, solange der Wohnort des Tatverdächtigen nicht bekannt ist.
Bei einem sogenannten Antragsdelikt wird selten ermittelt, bevor der Betroffene einen Strafantrag gestellt hat. Laut Schilderung von Lotz haben die Ermittler die Vergasungsdrohung "nur" als Beleidigung eingestuft – zu unkonkret, um daraus eine echte Bedrohung abzuleiten. Und Beleidigung ist in der Regel ein solches Antragsdelikt.
Recherchen zu Urhebern oft aufwendig
Dieser Umstand weckt weitere Zweifel: Lotz behauptete, die Polizei habe die Täterin ermittelt und danach den Strafantrag von ihm gewollt. Völlig ausgeschlossen ist das nicht. ZIT-Sprecher Krause erklärt: "Es kann sein, dass sich die Identität nach der Anzeige bei den notwendigen Datensicherungsmaßnahmen ergibt." Dann also, wenn die Identität eigentlich offensichtlich ist – und Lotz sie auch hätte sehen können.
Ob es weitere Postings von einem Account gibt, die aufschlussreich für die Person sind und so vielleicht eine Identifizierung ermöglichen, ist ein Ermittlungsansatz. "Das kann eine aufwendige Internetrecherche sein", sagt Krause. Die andere Variante ist, den Anbieter um Kundendaten für Ermittlungsansätze zu bitten. Dabei ist die Bereitschaft der Plattformen, Daten bei Antragsdelikten herauszugeben, geringer als etwa bei Volksverhetzung.
Die großen Plattformen haben Onlineportale für Anfragen von Ermittlungsbehörden eingerichtet. Liegen dann vom Netzwerk Informationen über Telefonnummer und E-Mail-Adresse vor, können die Ermittlungsbehörden wiederum beim jeweiligen Mobilfunk- oder E-Mail-Provider weitere Daten zur Person anfordern. Das kann allerdings Monate dauern. Eine so schnelle Reaktion wie im Fall Lotz? Fast ausgeschlossen.
Wäre die Anzeige nur erfunden, hätte sich Lotz übrigens nicht strafbar gemacht, erklärt ein Ermittler. Das Erfinden einer Strafanzeige ist zunächst keine Straftat, es wäre nur dann eine, wenn er tatsächlich eine erfundene Straftat anzeigen würde.
Verwendete Quellen
Anfragen an Niklas Lotz, Polizei Ulm, Polizei Cottbus, Polizei Dresden, an die Zentralstelle zur Bekämpfung von Internetkriminalität, an Holger Kreymeyer und Hate Aid