Mittwoch, 19.09.2018
Nationale Front
Auch im Westen gewinnt der völkisch-nationale Flügel der AfD an Akzeptanz. Das zeigt sich am Chemnitzer Schweigemarsch.
Von Ulrich Wolf und Tobias Wolf
Seite an Seite: führende AfD-Mitglieder beim Trauermarsch in Chemnitz.
Seite an Seite: führende AfD-Mitglieder beim Trauermarsch in Chemnitz.
© Paul Sander
Es wäre die Möglichkeit gewesen, sich wieder einmal blicken zu lassen in der Heimat. Dort, wo der Vater Kommandant der Festung Königstein war. Dort, wo er zur Welt gekommen war im Jahr 1941, seine Kindheit und Jugend verbrachte, ehe er 1959 nach dem Abitur das damalige Karl-Marx-Stadt verließ, um als Flüchtling im hessischen Gießen zu stranden. Doch Alexander Gauland, Bundessprecher der AfD und Oppositionsführer im Bundestag, kam nicht nach Chemnitz zum Schweigemarsch an jenem 1. September 2018, zu dem seine sächsischen, thüringischen und brandenburgischen Parteikollegen aufgerufen hatten, gemeinsam mit Pegida.
Überhaupt war niemand da von den Granden aus Berlin. Jörg Meuthen nicht, Alice Weidel nicht, Beatrix von Storch nicht. Nur wenige Tage nach dem Marsch sagte Meuthen im ZDF-Talk bei Dunja Hayali: „Dieser Umgang mit Pegida, der gefällt mir auch nicht richtig. Nein, wir machen mit denen nicht gemeinsame Sache, um das klar zu sagen.“ Der Bundesvorstand legte kurz darauf nach und empfahl, „nur an solchen Kundgebungen teilzunehmen, die ausschließlich von der AfD angemeldet und organisiert worden sind.“
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Die Strategen in der Partei fürchten, mit einer zu großen Annäherung an nationalistische Bewegungen wie Pegida, Pro Chemnitz oder Zukunft Heimat aus Cottbus verschrecke man das bürgerliche Lager, vor allem im Westen. Prompt ruderte etwa der rheinland-pfälzische AfD-Fraktionschef Uwe Junge, der in Chemnitz mit in der ersten Reihe lief, zurück: Von Pegida-Initiator Lutz Bachman distanziere er sich „im äußersten Maße“. Der gemeinsame Aufruf zum Schweigemarsch mit Pegida „sei nicht so schlau“ gewesen. Doch Junge blieb die einzige Distanzierungsstimme aus den alten Ländern von denen, die in Chemnitz dabei waren. Auch im Westen bröckelt offenbar die Scheu, sich mit rigiden Nationalisten auf der Straße zu zeigen. Die SZ-Analyse über die Marschierer der ersten Reihe in Chemnitz zeigt: Die westdeutschen Vertreter stellten die Mehrheit. Fast erdrückend wird sie gar, wenn man auch noch die Heimatorte berücksichtigt wie bei Björn Höcke (Lünen) oder Martin Reichardt (Goslar).
Ein Ost-West--Konflikt liegt offensichtlich nicht vor, eher einer zwischen Parteispitze und Basis. „Die Menschen bei Pegida sind weder Rechtsextremisten noch Nazis“, sagte Sachsens Landeschef Jörg Urban am vorigen Sonnabend beim AfD-Parteitag in Markneukirchen. Sie seien „mutige Bürger“. Die Verbundenheit ist so stark, dass Pegida-Organisatoren sogar als AfD-Kandidaten gehandelt werden: Nach SZ-Informationen soll Lutz Bachmann bei der Europa-Wahl 2019 antreten, sein Vize Siegfried Däbritz bei der Landtagswahl im Kreis Zwickau. Und doch ließ die AfD-Sachsen über ihren Sprecher am Ende des Parteitags verlauten, man habe „mit überwältigender Mehrheit“ einen Schulterschluss mit Pegida abgelehnt. Das allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Die Sprecher des Parteikonvents, Kay-Uwe Gottschalk und Carsten Hütter, hingegen hielten eine Teilnahme am Schweigemarsch „für unbedingt geboten“. Der Brandenburger AfD-Fraktionschef Andreas Kalbitz will sich ebenfalls nicht abgrenzen: „Da engagieren sich Menschen, die unsere Ziele teilen.“ Und so waren sie am Wochenende im sachsen-anhaltinischen Köthen wieder vereint: Pegida, Zukunft Heimat und diverse AfD-Politiker. Von klassischen Rechtsextremen ganz zu schweigen.
(Die Teilnehmer in Bildern:
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AUSSERHALB DER ERSTEN REIHE LIEFEN IN CHEMNITZ WEITERE BEKANNTE AFD-POLITIKER NACHWEISLICH MIT:
AfD Sachsen: Der Bundestagsabgeordnete Detlev Spangenberg, 74, stammt aus Chemnitz. Er wohnt in Radebeul und war Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. Der Betriebswirt war CDU-Mitglied und Ex-Unterstützer der Wählervereinigung Arbeit-Familie-Vater, die 2008 mit dem Slogan „Sachsenmut stoppt Moslemflut“ warb. Die Bundestagsabgeordnete Verena Hartmann, 44, ist gebürtige Lausitzerin. Sie war Polizistin und Unternehmensberaterin. Der stellvertretende Landesvorsitzende Maximilian Krah, 41, hat eine Rechtsanwaltskanzlei in Dresden. Er gehörte der CDU an und ist nun als ein Spitzenkandidat der AfD für die Europawahl im Gespräch. Pegida besuchte er schon im Dezember 2014, gemeinsam mit dem damaligen Welt-Journalisten Matthias Matussek. Der Landtagsabgeordnete Carsten Hütter, 54, ist ein Westfale aus Unna. Er ist Inhaber eines Autohauses und lebt in Marienberg. Er ist einer von zwei Sprechern des AfD-Parteikonvents. Der Landtagsabgeordnete André Barth, 48, ist gebürtiger Dresdner und lebt in Dippoldiswalde.
AfD Baden-Württemberg: Die stellvertretende Landesvorsitzende Christina Baum reiste ebenfalls nach Chemnitz. Die 62-Jährige stammt aus Mühlhausen in Thüringen. Die Zahnärztin reiste 1989 aus der DDR aus. Sie fürchtet einen schleichenden Genozid an der deutschen Bevölkerung.
AfD Sachsen-Anhalt: Mit dabei in Chemnitz war auch der Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider, der verflochten ist mit der Patriotischen Plattform und der Identitären Bewegung.
AfD Nordrhein-Westfalen: Ebenfalls in Chemnitz war der niederrheinische Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk. Beim Neujahrsempfang seines Landesverbands rief er dazu auf, „türkische Geschäfte zu boykottieren“. Aus Westfalen stammt der Landtagsabgeordnete Christian Blex. Am 25. Jahrestag des Brandanschlags von Solingen kritisierte er eine Frau, die beim Anschlag zwei Kinder, zwei Enkel und eine Nichte verlor, weil diese „kaum ein Wort Deutsch spricht“.
Weitere AfD-Landesverbände: Aus Niedersachsen reiste der Bundestagsabgeordnete und Ex-Landeschef Armin-Paul Hampel nach Chemnitz. Der 61-Jährige stammt aus Bielefeld, war einmal Chefreporter des MDR und stand zweimal auf der Nominierungsliste des Tagesthemen-Awards der ARD. Ebenfalls aus Niedersachsen kam der Landtagsabgeordnete Harn Rykena nach Chemnitz. Von Berlin aus machte sich der ehemalige Vizechef der Bild am Sonntag, Nicolaus Fest, auf den Weg nach Chemnitz. Hessen war vertreten durch den Bundestagsabgeordneten und gescheiterten Alterspräsidenten Albrecht Glaser. Aus der Bremischen Bürgerschaft kam der Abgeordnete Alexander Tassis, der auch Vorstandsmitglied und Schriftführer der Patriotischen Plattform in der AfD ist.
Pegida und Umfeld: Pegida-Frontmann Lutz Bachmann drehte in Chemnitz Videos mit seinem Smartphone. Ex-Pegidist und AfD-Mitglied Achim Exner, einst Sicherheitschef bei Dynamo Dresden, organisierte die Ordner beim Schweigemarsch. Ebenfalls aktiv in Chemnitz waren der neurechte Vordenker Götz Kubitschek, der Blogger Michael Stürzenberger sowie Martin Sellner von der Identitären Bewegung.
Noch mehr säch. Staatsvedienstete auf Abwegen (hinter der paywall):
https://m.sz-online.de/nachrichten/staatsdiener-abseits-des-rechten-weges-4016364.htmlMittwoch, 19.09.2018
Staatsdiener abseits des rechten Weges
Gut ein Viertel der Wähler in Sachsen würde derzeit die AfD wählen. Auch im öffentlichen Dienst gibt es Sympathisanten. Doch mancher geht zu weit.
Von Tobias Wolf und Ulrich Wolf
Der „Hutbürger“ Maik G. arbeitet nach dem Vorfall mit dem ZDF-Reporterteam nicht mehr beim Landeskriminalamt. Er wurde wegen seines Auftritts „in gegenseitigem Einvernehmen“ versetzt.
Der „Hutbürger“ Maik G. arbeitet nach dem Vorfall mit dem ZDF-Reporterteam nicht mehr beim Landeskriminalamt. Er wurde wegen seines Auftritts „in gegenseitigem Einvernehmen“ versetzt.
© ZDF-Video
Die Justiz und Henry Bartho: Für Justizminister Sebastian Gemkow war es eine Erfolgsmeldung: Sachsens Grundbuchämter arbeiten nur noch digital. Die Grundbuchakte wird elektronisch, Kaufverträge können per Mausklick übermittelt werden. Als der CDU-Politiker das System im April 2017 vorstellte, ahnte er wohl nicht, dass der Experte neben ihm auf dem Podium ein glühender Pegida-Verehrer war. Und noch ärger: Der Mann namens Henry Bartho, der in der Leitstelle für Informationstechnologie der sächsischen Justiz beschäftigt ist, muss sich derzeit wegen Körperverletzung vor dem Amtsgericht Dresden verantworten. Er soll einen Deutschlandfunk-Reporter bei einer Pegida-Demonstration im Februar 2017 angegriffen haben. Bartho war dort privat und hatte sich als Ordner zur Verfügung gestellt. Als Mitarbeiter der Justiz hingegen ist er verpflichtet, die Grundsätze der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bejahen und sich jederzeit durch sein Verhalten dazu zu bekennen. Das dürfte mindestens zweifelhaft sein.
Bilder aus dem Internet zeigen ihn mit Revolver und Maschinenpistolen. Er zeigt sich als Vertrauter des engsten Pegida-Führungszirkels. Ein Foto etwa zeigt ihn Seite an Seite mit Pegida-Vize Siegfried Däbritz in dessen Weinberg, auf einem anderem, ist er direkt hinter Lutz Bachmann auf der intimen Wahlfeier der einstigen Dresdner Oberbürgermeisterkandidatin von Pegida, Tatjana Festerling, zu sehen. Auf seinem Facebook-Profil äußert er nicht nur Interesse für Technomusik, Wasserpfeifen und teure Autos, sondern auch für Martin Sellner von der rechtsextremen Identitäten Bewegung.
Der Extremist im Finanzministerium: Aufsehen erregt auch der Fall eines Nazi-Hooligans, der sich bei der Fußball-Europameisterschaft 2016 in Frankreich auf einem Foto mit Reichskriegsflagge und dem Banner „Dresden-Ost“ präsentierte. Der Rechtsradikale arbeitete als junger Beamter im sächsischen Finanzministerium. Ausgebildet am Finanzamt Hoyerswerda, wurde er zu Beginn dieses Jahres in eine andere Behörde versetzt. Derzeit ist er vom Dienst freigestellt. Seine Bezüge seien teilweise einbehalten worden, sagte ein Ministeriumssprecher den Dresdner Neueste Nachrichten. Das Disziplinarverfahren rund um seine Person sei ausgeweitet worden, weil sich „weitere Tatsachen für den Verdacht eines Dienstvergehens ergeben“ hätten, heißt es in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen im Landtag.
Der „HutBürger“ aus dem LKA: Im August machte Maik G. Schlagzeilen. Bei Protesten, unter anderem von Pegida und der AfD, gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Dresden hatte sich G., der ein markantes Deutschland-Hütchen trug, lautstark gegen Videoaufnahmen eines ZDF-Teams gewehrt. Er warf den Journalisten vor, eine Straftat zu begehen. Die Reporter hatten das Demo-Geschehen gefilmt. Die Polizei beschäftigte sich zwar rund eine Dreiviertelstunde mit den Reportern und behinderte sie an der Arbeit, von G. nahm sie jedoch nicht einmal die Personalien auf.
Die Aufnahmen lösten eine tagelange Debatte über Pressefreiheit und den sächsischen Behördenapparat aus. Denn nachdem Bilder des Vorfalls veröffentlicht wurden, stellte sich heraus: Maik G. ist Mitarbeiter des Landeskriminalamts Sachsen. Inzwischen wurde er in die Landesdirektion versetzt, wie es hieß, „in gegenseitigem Einvernehmen“.
Der Haftbefehl und Daniel Zabel: Eine unsichere berufliche Zukunft hat auch der suspendierte Justizbeamte Daniel Zabel. Er ist dringend verdächtig, illegalerweise den Haftbefehl gegen zwei Tatverdächtige im Tötungsdelikt von Chemnitz in der Justizvollzugsanstalt Dresden abfotografiert und an teils rechtsextreme Netzwerke weitergegeben zu haben. Infolgedessen ließ die Staatsanwaltschaft Dresden Wohnungen von 18 Justizmitarbeitern durchsuchen. Gegen 15 von ihnen wird nun ermittelt, inwieweit sie an der Veröffentlichung des Haftbefehls beteiligt waren. Ebenso im Fokus steht die nationalistische Bürgerinitiative Pro Chemnitz, die den Haftbefehl über das Internet verbreitet haben soll. Nach SZ-Informationen gehört zu den Verdächtigen außer dem Stadtratsfraktionschef Martin Kohlmann auch Joachim Ziems. Dieser Stadtrat arbeitet als Fachgebietsleiter bei der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, ist also auch im öffentlichen Dienst.
Ein Ex-AfD-Vize und der Verfassungsschutz: Vor drei Jahren tauchte der Verdacht erstmals auf: Der Ex-Vize der AfD in Mittelsachsen und Mitautor des Landesprogramms zur Inneren Sicherheit, Hendrik Seidel, sei Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Die AfD stritt das damals ab. Das Innenministerium will den Fall derzeit weder dementieren noch bestätigen. Der Verfassungsschutz äußert sich zu dem Fall gar nicht. In Chemnitz war Seidel jedenfalls dabei.