Stehaufmännchen: Wer ist der neue Chef der CDU-Fraktion Sachsen?
Stehaufmännchen: Wer ist der neue Chef der CDU-Fraktion Sachsen?Erschienen am 26.09.2018 2 Kommentare
Bereit für den Auftritt in einer neuen Rolle: Christian Hartmann ordnet seine Kleidung für die Fotografen. Der 44-Jährige führt seit Dienstag die CDU-Fraktion. Seine Wahl kam für viele überraschend. Foto: Oliver Killig/dpa
Von Kai Kollenberg und Tino Moritz
Christian Hartmann war bereits politisch abgeschrieben. Nun führt er die sächsische CDU-Fraktion. Und setzt eigene Duftmarken.
Dresden.
Erste Sätze sind wichtig - Politiker wissen das. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer ist endlich, gerade die von Journalisten. Die meisten Politiker kommen deswegen schnell auf den Punkt und präsentieren ihre Botschaft gleich zu Beginn. Christian Hartmann ist kein Neuling. Seit neun Jahren sitzt er im Landtag in Dresden. Dennoch wirken die ersten Sätze, die er in seinem neuen Amt als CDU-Fraktionsvorsitzender an die Presse richtet, vorsichtig und tastend. Es wird nicht ganz klar, ob auch ein wenig Ironie mitschwingt, als er sagt: "Die CDU-Fraktion hat gerade den Vorsitzenden neugewählt. Die Tatsache, dass ich jetzt vor Ihnen stehe, spricht mit einer großen Wahrscheinlichkeit dafür, dass ich also auch von der Fraktion gewählt worden bin."
Christian Hartmann ist am Dienstagnachmittag gegen 15.15 Uhr auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere angekommen. Er hat sich in der Fraktion gegen Geert Mackenroth durchgesetzt, den der Ministerpräsident und CDU-Landeschef Michael Kretschmer als Wunschkandidaten benannt hatte. Applaus brandet in der Fraktion auf. Er ist so laut, dass er auf dem Flur zu hören ist. Hartmann, dem gern eine breitbeinige und kraftmeiernde Art nachgesagt wird, formuliert wenige Minuten später defensiv. Hier präsentiert sich nicht das neue Kraftzentrum der Fraktion. Hier sucht jemand seine Rolle. Denn mit diesem Aufstieg hätte vor wenigen Tagen niemand gerechnet. Vielleicht nicht einmal Hartmann.
Als Fraktionschef ist Hartmann mit einem Schlag so etwas wie ein natürlicher Anwärter auf die Kretschmer-Nachfolge, sollte diese irgendwann anstehen. Und das, obwohl er weder von Ministerpräsident Stanislaw Tillich noch von dessen Nachfolger Kretschmer als ministrabel befunden worden war. Zudem ist es nur zweieinhalb Jahre her, dass Hartmann ein Schicksal als Hinterbänkler drohte: Im Februar 2016 war er am Steuer seines Autos von einer Polizeikontrolle gestoppt worden, der Schnelltest ergab 0,92 Promille. Ins Visier war Hartmann geraten, weil sein Auto zuvor einen Bordstein touchiert hatte. Ein Hinterrad war beschädigt, aber Hartmann fuhr trotzdem weiter. Ausgerechnet er, der innenpolitische Sprecher seiner Fraktion, der ausgebildete Polizist, der Kreisvorsitzende der Dresdner CDU.
Eilig gab er anderntags eine Pressekonferenz und bat Fraktionskollegen und Parteifreunde per Rundmail um Verzeihung. Er sei "ziemlich erschrocken" über sich und wisse: "Ich habe großen Mist gebaut!" Juristisch folgte eine vom Amtsgericht Dresden ohne Hauptverhandlung verhängte Geldstrafe von 35 Tagessätzen à 150 Euro und ein Jahr Führerscheinentzug.
Politisch überstand er seinen Fehltritt, ohne seine Posten als Dresdner CDU-Chef und als innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion zu verlieren. Gerade in letzterer Funktion hatte sich Hartmann fast unverzichtbar gemacht. Wegen einer langwierigen Erkrankung seines Amtsvorgängers füllte er die Position schon lange vor seiner offiziellen Ernennung im Herbst 2014 aus. Oft bot sich ihm dabei die Gelegenheit, sich zu Wort zu melden. Per Interview, Pressemitteilung oder gern auch im Plenum - egal, ob es um fehlende Polizei-Personalstellen, Probleme bei der Flüchtlingsunterbringung, Änderungen in der Sächsischen Gemeindeordnung, das Beamtenrecht oder die Meinungsfreiheit ging. Hartmann schleppte sich selbst dann ans Pult, wenn er eigentlich schwer erkältet war und ins Bett gehört hätte. Die einen nervte dieser Eifer, die anderen beeindruckte er.
Am Mittwochmorgen nimmt Christian Hartmann erstmals auf dem Sitz des Fraktionsvorsitzenden Platz. Den Blick in das Rund des Plenums verstellt nichts, er sitzt in der ersten der fünf CDU-Reihen. Staatskanzleichef Oliver Schenk hält seine Regierungserklärung. Die sächsische Europapolitik soll in den nächsten Minuten verhandelt werden. Ein wichtiges Thema ohne Zweifel, das aber nicht so viel Aufmerksamkeit zu verlangen scheint, als dass Hartmann nicht mit seinem Nebenmann Stephan Meyer die Köpfe zusammensteckt. Wie Hartmann ist Meyer seit 2009 dabei, darüber hinaus seit diesem Januar Parlamentarischer Geschäftsführer - und mit seinen 37 Jahren nochmal sieben Jahre jünger als sein neuer Chef. Hartmann und Meyer sind das neue Spitzenduo der 59-köpfigen Fraktion. Sie verkörpern den Generationenwechsel.
Dass der Umbruch elf Monate vor der Landtagswahl durch die Personalie Hartmann komplettiert wurde, ist durch die Umstände erklärbar, aber dennoch ungewöhnlich. Und mutig. Natürlich spielte das Alter von Hartmanns Gegenkandidaten, dem inzwischen 68 Jahre alten Ex-Justizminister und Sächsischen Ausländerbeauftragten Geert Mackenroth, bei der Wahl in der Fraktion eine Rolle. Doch es ging um mehr: Die CDU-Fraktion, das ist auch am Tag nach der überraschenden Wahl im Landtag zu spüren, will die Koordinaten im Verhältnis zur Landesregierung und innerhalb der schwarz-roten Koalition neu vermessen. Hartmann stellt das Bündnis mit den Sozialdemokraten nicht infrage, aber er wird auf eine eigenständigere Handschrift der Fraktion pochen. Das hat er auch gegenüber den Abgeordneten in seiner Bewerbungsrede versprochen. Die CDU-Fraktion will nicht mehr nur Erfüllungsgehilfe des Ministerpräsidenten sein. Hartmanns Kür ist eine erste Absetzbewegung vom Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten - auch wenn dies in diesen Tagen allerseits dementiert wird. Die Mehrheit der Unionsabgeordneten möchte die Flucht nach vorne antreten. Möchte angesichts der schlechten Umfragewerte mit brutalstmöglicher Wirkung in eigener Sache trommeln. Das wird dem Stehaufmännchen Hartmann zugetraut.
Wie sehr die Entscheidung der CDU-Fraktion die Landespolitik kalt erwischt hat, ist schnell zu spüren. Die SPD ist unsicher, wie sich der neue CDU-Fraktionschef in die Koalition einbringen wird. Zwar beglückwünscht der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Albrecht Pallas, Hartmann nach dessen Pressestatement und schließt ihn in die Arme. Beide kennen sich als Fachpolitiker lange und schätzen sich. Abseits seines Themengebietes Innere Sicherheit haben die Sozialdemokraten Hartmann allerdings eher selten im Landtag wahrgenommen. Ebenso geht es Grünen und Linken. Es herrscht viel Rätselraten im Landtag. Man müsse abwarten, heißt es in vielen Gesprächen. Zumal sich Hartmann gegenüber der AfD nicht eindeutig positioniert.
Wie er es mit der AfD halte, ob er eine Koalition eingehen würde, wird Hartmann beim Pressestatement am Dienstagnachmittag gefragt. Er antwortet ausweichend. Auch am Mittwochmorgen schließt er im Interview mit dem MDR eine schwarz-blaue Koalition nach der Landtagswahl 2019 nicht aus: "Das werden Sie jetzt von mir in der Form auch nicht hören." Die Linken-Chefin Antje Feiks und der Grünen-Fraktionsvorsitzende Wolfram Günther kritisieren ihn dafür. Hartmann, so ist zu hören, will das aushalten. Kollegen, die ihn länger kennen, weisen daraufhin, dass seine Haltung gegenüber der AfD klar sei. Sie zweifeln nicht daran, dass er die AfD inhaltlich stellen wolle. Hartmann wolle sie als normale Partei behandeln, sagen seine Unterstützer. Alles andere mache sie nur zum Märtyrer.
Doch wie verträgt sich diese Taktik mit der Strategie des Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten? Michael Kretschmer will von Bündnissen mit der AfD nichts wissen - und sieht sich von seiner Partei bestärkt: "Es gibt niemanden bei der CDU im Landtag, unter den Kreisvorsitzenden und im Landesvorstand, der das anders sieht." Nun besteht formal ein Dissens zwischen Partei- und Fraktionschef. Dabei hatte Christian Hartmann nach seiner Wahl gesagt: "Ich stehe vor und hinter dem Ministerpräsidenten."
Vielleicht wird die Zeit den Konflikt lösen. Christian Hartmann hat seinen Wahlkreis im Dresdner Norden. Sein Direktmandat gilt als relativ sicher, seine Wiederwahl am 1. September 2019 als nicht gefährdet. Michael Kretschmer will dagegen im kommenden Jahr als Direktkandidat im Landkreis Görlitz antreten. Dort, wo die AfD mittlerweile eine Hausmacht ist.
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Kommentare
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saxon1965
vor 1 Stunde
Der Artikel beschreibt beim Thema AfD ein Dilemma, in dem sich unsere aufrechten Demokraten befinden: Demokratisches Verhalten nur, wenn es uns passt!
Ich sehe die AfD in erster Linie als Protestpartei, mit wenig bis schlechtem Inhalt, fokussiert auf das eine Thema Flüchtlinge. Dennoch kann man nicht pauschal sagen, alles ist falsch, was diese Partei äußert. Noch am ehesten muss man das WIE kritisieren und da sollten sich die anderen Parteien nicht auf das selbe Niveau herablassen. Bei manchen Dingen ist es aber auch die einzige Partei, die Klartext spricht. Dass man dieses der AfD überlässt, ist ein Fehler der Anderen.
Christian Hartmann sieht das wo möglich genau richtig. Die AfD muss man mit Sachthemen stellen (siehe Gauland Sommerinterview) und darf sie nicht zur ausgestoßenem Protestpartei aufwerten. Aber genau das wurde bisher von allen Parteien gemacht. Es gibt nun mal viele in diesem Land, die sich genau so mies behandelt fühlen wie die AfD und sich deshalb mit dieser solidarisierten.
BuboBubo
vor 9 Stunden
Zitat: "Wie er es mit der AfD halte, ob er eine Koalition eingehen würde, wird Hartmann beim Pressestatement am Dienstagnachmittag gefragt. Er antwortet ausweichend. Auch am Mittwochmorgen schließt er im Interview mit dem MDR eine schwarz-blaue Koalition nach der Landtagswahl 2019 nicht aus: "Das werden Sie jetzt von mir in der Form auch nicht hören."
Wie war das damals? Erinnert sich noch wer an den Slogan?
"Wer Hindeburg wählt, wählt Hitler. Wer Hitler wählt, wählt den Krieg."
In diesem Zusammenhang könnte das Studium eine Wikipedia-Artikels den Horizont erweitern:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_von_Hindenburg