Das die Handelskammmer die AFD auslädt ist natürlich zu begrüßen. Auch das die Thematik "Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung durch Hamburger-Kaufleute" aufgearbeitet werden soll, hört sich zunächst gut an. Bleibt nur die Frage, wen die Handelskammer dafür aussucht. Nicht das wieder am Geschichtsmythos gearbeitet wird
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Sorry ist eigentlich Off Topic, aber ich dachte es passt ganz gut zum Artikel der Handelskammer, die sich in Hamburg bei der Aufarbeitung des Kolonalismus und Nationalsozialismus bisher nicht mit Ruhm bekleckert hat.
Spoiler
Schöne Geschichte!
Hamburg hübscht seine Vergangenheit auf: 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs dominiert die Mär von der aufrechten Wirtschaftselite, die den Nazis die Stirn bot. Detlef Garbe und Axel Schildt, zwei der angesehensten Historiker der Stadt, fordern mehr Ehrlichkeit.
Ein Gastbeitrag von Axel Schildt und Detlef Garbe
Einige Historiker können es nicht fassen, aber das städtische Publikum hat den Skandal kaum bemerkt. Im siebzigsten Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Beiträge zur Kapitulation des NS-Regimes in Hamburg vorgelegt, die mehr als peinlich sind. Vor 30 Jahren postulierte der damalige Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi: "Es ist Zeit für die ganze Wahrheit!" Heute meinen manche offenbar wieder, die halbe tue es auch: Zurück in die fünfziger Jahre!
Jahrzehnte intensiver Forschung, Hunderte von Büchern und Aufsätzen werden schlicht ignoriert, um eine altbackene Heldengeschichtsschreibung in neuem Gewand zu kreieren. Sie trägt märchenhafte Züge und lautet sehr simpel: Es war einmal eine böse Naziherrschaft, die dem Hamburger Bürgertum und den militärisch Verantwortlichen herzlich zuwider war. Sie waren bei Kriegsende die Helden, die die Hansestadt vor dem endgültigen Untergang bewahrten. Ihnen gebührt Ruhm und Ehre.
Erstes Beispiel für diese "Geschichtsschreibung" ist der Auftakt einer Serie zum Kriegsende im Hamburger Abendblatt (18. April 2015). Das Stück kennt drei Helden, den "Kampfkommandanten" Alwin Wolz, den Gauleiter Karl Kaufmann und den Generaldirektor der Harburger Phoenix-Werke, Albert Schäfer: Schäfer verhandelte mit den britischen Offizieren über eine Feuerpause und über eine Verschonung seines Werks, das auch als Hilfslazarett diente. Wolz und Kaufmann deckten diese Verhandlungen, die den Weg zur bedingungslosen Kapitulation ebneten. Am 3. Mai konnte Hamburg deshalb kampflos übergeben werden.
Als seine Quelle nennt der Verfasser das Buch Das letzte Kapitel von Archivdirektor Kurt Detlev Möller aus dem Jahr 1947, eine Auftragsarbeit des damaligen Senats, in dem genau diese Gloriole um die Rettung der Stadt ausgebreitet worden war. Was nicht mitgeteilt wird: Dieses Buch führte zum ersten Aufarbeitungsskandal in der Stadt. Abgeordnete aller Fraktionen der Bürgerschaft waren empört über die Dreistigkeit, mit der Granden und Günstlinge des NS-Regimes als Retter der Stadt präsentiert wurden.
Die wichtigste Botschaft des Buches lautete, dass Hamburg durch eine Reihe heldenhafter Retter vor dem Schlimmsten bewahrt worden sei, indem diese Helden der Stadt einen sinnlosen Endkampf ersparten. Das alles wird jetzt wieder aufgetischt.
War aber nicht mit den Bombenangriffen des Sommers 1943, als die Hälfte der Stadt in Trümmer gelegt und 37.000 Menschen getötet wurden, "das Schlimmste" bereits passiert? Lag es nicht im ureigensten egoistischen Interesse der lokalen Führung, zu kapitulieren? Immerhin lebten die "Retter" alle noch Jahrzehnte als angesehene Bürger der Bundesrepublik. Der entscheidende Punkt aber ist, dass nicht gefragt wird, was sie denn in den zwölf braunen Jahren gemacht haben. So war Kaufmann persönlich für die Verfolgung und den Tod von Regimegegnern verantwortlich und in das Holocaust-Verbrechen durch eigene Initiativen verstrickt. Noch vor den ersten Deportationen aus Hamburg war er 1941 "nach einem schweren Luftangriff an den Führer herangetreten mit der Bitte, die Juden evakuieren zu lassen", um ihre Wohnungen Bombengeschädigten zur Verfügung stellen zu können.
Das zweite Beispiel im Gedenkjahr 2015 ist das Buch Hanseaten unter dem Hakenkreuz, eine Auftragsarbeit der Handelskammer, die aus Anlass ihres 350. Jubiläums löblicherweise ihre eigene Geschichte im "Dritten Reich" zu thematisieren wünschte. Doch während es heute zum Standard gehört, dass Ministerien, Behörden und Unternehmen für die Aufarbeitung wissenschaftliche Institute oder unabhängige Historikerkommissionen bestellen, beauftragte die Handelskammer einen Einzelautor, den langjährigen Welt-Journalisten Uwe Bahnsen. Er hatte bereits 1995 zum 50. Jahrestag des Kriegsendes eine Ausstellung Hamburg 1945 in der Handelskammer realisiert.
Das Buch kann hier nicht rezensiert werden. Unzweifelhaft ist nur, dass es, vorsichtig formuliert, nicht in allen Teilen dem aktuellen Forschungsstand entspricht und nur wenige Quellen präsentiert. Es skizziert zwar den Verbrechenskomplex der "Arisierung" auf Basis von Frank Bajohrs Standardwerk, aber insgesamt dominiert eine sehr günstige Bewertung des Verhaltens der Hamburger Wirtschaftselite.
Das eigentliche Ärgernis ist das Vorwort der Handelskammer. Dort heißt es, sie, in jener Zeit Gauwirtschaftskammer, sei "weithin gegen ihren Willen vom NS-Regime in die Rolle eines Vollzugsorgans staatlicher Anordnungen gedrängt worden". Zwar "musste" sie sich 1933 von einem jüdischen Mitarbeiter trennen, doch finanzierte sie ihm "noch 1941" die Reisekosten in die USA; auch die Handelskammer sei so "in einer dunklen Zeit den Geboten der Menschlichkeit" gefolgt. In der Einleitung des Autors wird eingeräumt, dass die Geschichte der Handelskammer in jenen Jahren "bedrückende Beispiele fehlender Zivilcourage" kenne, "aber genauso" gebe es "erhebende Beispiele für Mut und Verantwortungsbewusstsein in schweren Tagen und Stunden". Einleitung und Vorwort wären ein Leckerbissen für Linguisten. Mit dem "aber genauso" wird die wohltätige Unwahrheit einer Ausgeglichenheit von Licht und Dunkel erzeugt, die mit der Kumpanei von NS-Regime und privater Wirtschaft nichts zu tun hat. Sollte die Führung der Handelskammer meinen, mit diesem Buch eine seriöse Aufarbeitung der eigenen Geschichte umgehen zu können, dürfte sie sich auf längere Sicht – hoffentlich – getäuscht haben.
Die Buchvorstellung, zu der die Handelskammer am 23. März eingeladen hatte, war verbunden mit der Preview des Films Hamburg 1945 – Wie die Stadt gerettet wurde. Dies ist das dritte und krasseste Beispiel für Geschichtsklitterung. Bei diesem Film, den der NDR einen Monat später, am 23. April, zur besten Sendezeit ausstrahlte, setzte die Produktionsfirma jumpmedien, die sich bisher in der Sparte Unternehmensfilm profilierte, nicht nur auf originale Filmsequenzen, Zeitzeugen, Spielszenen und mit Hubertus Meyer-Burckhardt auf einen bekannten Moderator, sondern auf eine Geschichtsdeutung, die mit dem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag nichts, aber auch gar nichts gemein hat.
Im Mittelpunkt des Films steht der Einsatz der Parlamentäre Albert Schäfer und des Stabsarztes Professor Hermann Burchard am 29. und 30. April 1945, die sich mit Billigung von Wolz und Kaufmann auf den Weg durch die Linien zu den britischen Truppen begaben, um unter Berufung auf das Schicksal der in den Werkskellern versorgten Kranken, unter ihnen auch britische Kriegsgefangene, eine Aussetzung des Artilleriebeschusses der Phoenix-Werke zu erreichen. Eine solche Kontaktaufnahme barg angesichts der gegenläufigen Hitler-Weisung zur unbedingten Verteidigung Hamburgs zweifellos Risiken, wie die Kinder von Schäfer und Wolz betonen. Überhaupt arbeitet der Film mit Effekten und Gefühlen. Die Spielszenen mit der über das Schicksal ihres Mannes besorgten Elisabeth Schäfer sollen anrühren, auch die Zeitzeugenberichte sind beeindruckend. Doch es sind die Wahrnehmung im Kindesalter, die Nacherzählung der Familienüberlieferung und die nachträgliche Deutung: "So wie ich meinen Vater einschätze, wird er sich in dem Augenblick gedacht haben ..."
Der Kommentar verzichtet weitgehend auf Erläuterungen und Zusammenhänge. Was zuvor geschah, bleibt ausgeklammert. Von den Verbrechen des NS-Regimes ist kaum die Rede. Anders, wenn die britische Kriegsführung geschildert wird. Im einzigen größeren Rückgriff auf das Geschehen vor 1945, der mit langen Originalaufnahmen von brennenden Häusern und entsetzlich zugerichteten Leichen unterlegten Sequenz zu den Luftangriffen des Sommers 1943, wird nichts geschönt: "Und dann ließen sie ihre todbringende Fracht auf die Stadt herabregnen, Operation Gomorrha." Hier wird der Schrecken sichtbar, aber eben nur hier.
Das Grauen, das sich seit 1933 ausgebreitet hatte, Ursachen und Verantwortlichkeiten bleiben so gut wie ungenannt. Weshalb Wolz, noch am 1. August 1944 zum Generalmajor befördert, zum erlesenen Kreis der Träger des von Hitler verliehenen Ritterkreuzes zählte, dass Professor Burchard die Euthanasie befürwortete, dass den Phoenix-Werken acht größere und kleinere Zwangsarbeiterlager zugeordnet waren und Direktor Schäfer 1942 sein Personal unter Hinweis auf eine entsprechende Auflage der Gestapo aufrief, alle Unbotmäßigkeiten der "Ostarbeiter" sofort zu melden, wird verschwiegen.
Gerade vor dem Hintergrund vieler guter zeitgeschichtlicher Formate des NDR breitet sich Fassungslosigkeit aus. Wie kann es sein, dass bei dem Doku-Drama neben Buchautor Bahnsen als historischer Berater mit Jan Heitmann allein der Chefredakteur der von der Landsmannschaft Ostpreußen herausgegebenen, rechtslastigen Preußischen Allgemeinen Zeitung fungiert?
Zwar hat Heitmann schon 1990 ein Buch über das Ende des Zweiten Weltkriegs in Hamburg veröffentlicht, seine Entlastung des Hamburger Gauleiters Kaufmann ist aber atemberaubend, etwa wenn er diesem zubilligt, dass er auch "sehr human denken" konnte.
"Heute wissen wir, es ging gut aus", so stimmt der Film das Publikum zu Beginn ein. Hier, wie bei den anderen erwähnten Beispielen der Wiederbelebung der Rettungslegende, ist zu fragen: Für wen ging es gut aus? So war der 3. Mai 1945 für die Häftlinge des KZs Neuengamme kein guter Tag. Als die Briten in die Stadt einrückten, konnten sie in Neuengamme niemanden mehr befreien. Die Häftlinge, auf deren Fortschaffung die Gauwirtschaftskammer gedrängt hatte, waren auf Todesmärsche getrieben worden, die letzten 10.000 wurden auf die von Karl Kaufmann in seiner Eigenschaft als Reichskommissar für die Seeschifffahrt akquirierte Cap Arcona und weitere Schiffe gepfercht. Durch einen tragischen Irrtum wurden diese am 3. Mai 1945 von britischen Jagdbombern angegriffen. Fast 7000 Häftlinge starben.
Mit der medialen Konzentration auf die vermeintlichen Retter Hamburgs wird ein Blick auf die Vergangenheit erzeugt, der die Frage nach Ursachen, Triebkräften und Verantwortung verstellt. Gauleiter Kaufmann, Kampfkommandant Wolz, Rüstungsminister Speer und schließlich auch der Höhere SS- und Polizeiführer Bassewitz-Behr haben in die von maßgeblichen Vertretern der Hamburger Wirtschaft erwirkte kampflose Übergabe der Stadt eingewilligt, um weitere Zerstörung und weiteren Tod zu vermeiden. Angesichts der Ausweglosigkeit und der absehbaren Verwüstung des Hafens und weiterer Lebensadern der Stadt, die bei Befolgung von Hitlers "Nero-Befehl" vom 19. März 1945 und eines Kampfs "bis zum letzten Mann" drohte, war dies zweifellos das gebotene Handeln der lokalen Entscheidungsträger. Aber mit Blick auf die von ihnen in den zwölf Jahren zuvor zu verantwortenden Gewaltmaßnahmen waren diese Männer, wie ihr Handeln und Leugnen nach 1945 zeigt, ohne Einsicht. So konnte der ersten eine "zweite Schuld" folgen.
Das Schlusskapitel im Mai 1945 eignet sich nicht für Heldengeschichten, auch nicht in Form der Erzählung vom "ehrbaren Kaufmann".
Hier eine "wunderbare Hamburgensie" zu sehen, so der verantwortliche Redakteur, und von den "stillen Helden" zu sprechen – ein Begriff, der sonst für Judenretter und den Widerstand reserviert ist – bedarf dringend der Korrektur. Lichtgestalten der Hamburger Zeitgeschichte waren andere, Widerstandskämpfer wie Hans Leipelt und Helmuth Hübener, Lisbeth Bruhn und Marta Damkowski, Walter Schmedemann und Elisabeth Flügge. Sie und viele andere wollten Hamburg vom Nazi-Unheil erretten. Aber wer kennt heute noch ihre Namen?
Dr. Detlef Garbe ist Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Prof. Axel Schildt lehrt Neuere Geschichte an der Universität Hamburg und ist Direktor der Forschungsstelle für Zeitgeschichte.
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