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Jensen ist Hochschullehrer mit einem Schwerpunkt auf deutsch-jüdischer Geschichte am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU-Berlin. Borrmann wiederum ist Berufsschullehrer am Berliner Oberstufenzentrum OSZ KIM (Kommunikations-, Informations- und Medientechnik) und positioniert sich seit Beginn der Corona-Pandemie regelmäßig öffentlich als Gegner des Infektionsschutzes.
Historiker sieht inhaltlich Volksverhetzung
Auf seinem Youtube-Kanal diffamiert der angestellte Berufsschullehrer Deutschland aktuell als "Diktatur", und erklärt Regierungspolitiker zu "Neo-Faschisten". Nachdem seine Dienstherrin, die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD), zuletzt angekündigt hatte, Schülern an Oberschulen ein Impfangebot zu machen, stellte Impfgegner Borrmann ein Video mit einer Fotomontage ins Netz. In Anlehnung an die Nazi-Formulierung "Arbeit macht frei" heißt es bei Borrmann "Impfung macht frei".
Historiker Jensen sieht darin eine Gleichsetzung der heutigen Situation in der Pandemie "mit dem System der Konzentrationslager im Nationalsozialismus". Damit würden die mörderischen Unrechtstaten des Nationalsozialismus verharmlost. Das sei inhaltlich Volksverhetzung, stellt der Fachmann fest. Ganz unabhängig von der juristischen Bewertung eines möglichen Straftatbestands der Volksverhetzung, über den im Zweifel ein Gericht entscheiden müsse, so Jensen.
Schulaufsicht forderte von Lehrer bereits Mäßigung
Ihn erinnere der Fall Borrmann an einen anderen, ehemaligen, Berliner Lehrer: Den verurteilten Volksverhetzer und Rechtsextremisten Nikolai Nerling, der unter dem Pseudonym "Der Volkslehrer" bekannt wurde. Die Bildungsverwaltung hatte den Grundschullehrer 2018 fristlos entlassen. Seither arbeitet er vor allem als Videoblogger für seine eigenen Kanäle - seit dem vergangenen Jahr mit hoher Reichweite in der Szene der Corona-Leugner und Querdenker. Auch innerhalb der Bildungsverwaltung und unter Beobachtern, die mit dem Fall Nerling betraut waren, werden immer wieder Parallelen zu Borrmann gezogen, zumindest informell. Nerling hatte gegen seine Kündigung geklagt, am Ende erfolglos.
Eine Kündigung von Rüdiger Borrmann wurde zum vergangenen Jahreswechsel ernsthaft in Erwägung gezogen, betrieben - dem Vernehmen nach - durch die Behördenleitung selbst. Nach eingehender juristischer Prüfung blieb es Ende Januar dann doch bei einer Abmahnung für Borrmann. Auch der Personalrat hatte sich gegen seine Kündigung ausgesprochen.
Dem Lehrer wurde angelastet, dass er seine Schüler – auch im Unterricht – agitierte. "Maske tragen ist dumm", sagte er in einem seiner Videos an die Adresse seiner Schüler, und leugnete das Virus: "Es gibt hier weit und breit kein Virus, vor was wollen Sie sich schützen?" Außerdem sei die Maske ein "modernes Hakenkreuz". Nach diesem NS-Vergleich auf Youtube forderte die Schulaufsicht ihn auf, sich als Lehrer in der Öffentlichkeit zu mäßigen.
Lehrergewerkschaft bezeichnet Verhalten als gefährlich
Einer Aufforderung, der Borrmann auch nach seiner Abmahnung nicht nachkommt und gegen die er immer wieder verstößt. In der vergangenen Woche nun polemisierte er gegen einen Vorschlag von Senatorin Scheeres. "Mobile Impfstationen werden in Kürze in der Schule antreten, um Impfwillige Schülerinnen und Schüler zu piksen", sagt er auf Youtube. "Ich habe an der Lippe gleich ein Herpes bekommen. Und ich sage Euch: Diese Impfstationen haben in der Schule nichts, aber auch gar nichts, verloren."
Für den Landesvorsitzenden der größten Lehrergewerkschaft, der Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft (GEW), Tom Erdmann, ist es "total unpädagogisch und gefährlich", das Impfangebot der Bildungsverwaltung dermaßen zu hintertreiben. Zudem sei Borrmanns jüngster NS-vergleich "Impfung macht frei" seinem Eindruck nach "strafrechtlich relevant". Zusätzlich verweist Erdmann auf das Schulgesetz, nach dem "Bildung im Lichte der Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus stattzufinden hat".
Wegen seiner öffentlichen Ausfälle, seinem Verhalten den Schülern gegenüber in der Pandemie und der Medienberichterstattung darüber, wurde Berufsschullehrer Borrmann für mehrerer Wochen vom Dienst freigestellt. Schließlich erteilte er für mehrere Monate keinen Unterricht mehr vor Schulklassen in Präsenz.
Was macht Borrmann im neuen Schuljahr?
Vor einer Woche nun wurde jedoch mehreren Lehrern an der Schule schriftlich mitgeteilt, dass Rüdiger Borrmann zum neuen Schuljahr als Klassenlehrer minderjähriger Auszubildender eingesetzt werden soll, für angehende Medienassistenten. Diese E-Mail und der entsprechende Stundenplan liegen rbb24 Recherche vor.
Aus dem Lehrerzimmer ist am ersten Schultag nach den Sommerferien zu erfahren, dass Borrmann an diesem Tag auch ganz normal unterrichtet haben soll. Damit konfrontiert, antwortet die Bildungsverwaltung schriftlich, "dass besagter Lehrer zum neuen Schuljahr nicht direkt mit Schülerinnen und Schülern arbeiten wird. So ist das zwischen Schulaufsicht und Schule abgestimmt. Das entspricht dem Vorgehen aus dem vergangenen Schuljahr".
Für Regina Kittler, bildungspolitische Sprecherin der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, ist Borrmanns "aktives Eintreten gegen den Gesundheitsschutz" verbunden mit seiner Holocaustverharmlosung Anlass dafür, "diesen Mann aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Das kann ein Lehrer in unseren Schulen nicht machen". Sie verweist auf die Abmahnung, "die ja damit verbunden gewesen ist sich zu mäßigen, und sich entsprechend der Beschlüsse zu verhalten, die im Land Berlin gelten".
Was Borrmann nun im neuen Schuljahr genau in der Schule macht, bleibt unklar. Die Aussagen aus dem Kollegium und die Planungsunterlagen der Schule stehen im Widerspruch mit der Antwort der Bildungsverwaltung, dass er nicht unterrichten würde. Nach dieser Antwort taucht der Name Borrmann im Stundeplan der Schule nicht mehr auf. Rüdiger Borrmann selbst hat auf Anfragen nicht geantwortet.