Fleckfieber - lebensbedrohliche Krankheit
Nur eine beständige Reinigung der Baracken, Auskochen der Gefangenen-Kleidung sowie regelmäßiges Waschen der Gefangenen hätte die bakterielle Infektion eindämmen können, sagte Tappe und ergänzte: "Unter den gegebenen hygienischen Bedingungen war es nur eine Frage der Zeit, bis sich alle Menschen ansteckten." Fleckfieber werde von Kleiderläusen übertragen. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch sei nicht möglich, so der Epidemiologe. Bei der lebensbedrohlichen Krankheit bekommen Menschen hohes Fieber, das mehrere Tage anhält, starke Kopfschmerzen, und sie können sich aufgrund eines "umnebelten Wesens" nicht mehr selbst versorgen, so Tappe. Die erkrankten Gefangenen in Stutthof wurden in den jeweiligen Baracken sich selbst überlassen.
Schilderungen zum Tod durch Vergasen
Im Anschluss klärte der Rechtsmediziner Sven Anders vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) über den Tod durch Vergasen und durch Hunger auf. Er schilderte die Folgen des Vergasens durch Blausäure. Der Tod sei je nach Konzentration in der Luft vermutlich binnen Sekunden eingetreten. Sei die Konzentration - etwa in einem sogenannten Gas-Waggon, der nicht luftdicht abgedichtet war - geringer gewesen, hätten die Menschen vermutlich eine starke Reizung der Schleimhäute und des Halses sowie Schwindel gespürt. Auf Krampfanfälle sei dann Atemstillstand und der Tod gefolgt.
Prozess unter Hygienemaßnahmen
Der Verhandlungstag fand erneut unter besonderen Schutzvorkehrungen statt. Der Angeklagte wurde auf dem Weg ins Gericht und zurück von medizinisch geschultem Personal mit Schutzausrüstung begleitet und vollständig abgeschirmt. Auch für das Transportfahrzeug und innerhalb des Gerichtsgebäudes wurden besondere Hygienevorkehrungen und Abstandsregeln getroffen. Alle Prozessbeteiligten trugen zudem Mund-Nase-Schutzmasken. Pressevertreter konnten die Verhandlung nur von einem anderen Raum über eine Audio-Übertragung verfolgen.
Vorwurf: Beihilfe zum Mord in mehr als 5.000 Fällen
Bruno D. war als 17-Jähriger Wachmann im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig. Ihm wird Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen vorgeworfen. Er soll laut Anklage "die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt" haben. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolte und Befreiung von Gefangenen zu verhindern. Der Fall wird vor der Jugendstrafkammer verhandelt, weil der Beschuldigte zur Tatzeit zwischen 17 und 18 Jahren alt war.
Warum so spät?
Der Prozess gegen Bruno D. hat 74 Jahre nach den Mordtaten im KZ Stutthof begonnen. Hintergrund ist eine Änderung in der Rechtsprechung bezüglich NS-Verbrechern. 2011 wurde John Demjanjuk, ein ehemaliger Wachmann im deutschen Vernichtungslager Sobibor, wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 28.000 Fällen verurteilt - ohne dass ihm eigenhändige Mordtaten nachgewiesen werden konnten. Seither ermittelt die deutsche Justiz auch gegen Angehörige der Wachmannschaften anderer Konzentrations- und Vernichtungslager, auch wenn sie nicht persönlich für einzelne Tötungen verantwortlich sind.
Hintergrund ist, dass die Wachleute durch ihren Dienst auch die Mord- und Vernichtungsaktionen in den Lagern unterstützt haben. Die Staatsanwaltschaft Hamburg wirft Bruno D. deshalb vor, als "Rädchen der Mordmaschinerie" dazu beigetragen zu haben, dass die von der Nazi-Führung angeordnete "Endlösung der Judenfrage" im KZ Stutthof umgesetzt werden konnte.
https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Stutthof-Prozess-Mediziner-erlaeutern-Gutachten,stutthof180.html