Auch wenn vor einer Jugendkammer verhandelt wird?
Ja - der Mann ist doch schon lange erwachsen. § 48 Abs. 3 JGG
Ich muss jetzt doch noch mal darauf eingehen.
Da steht: "Sind in dem Verfahren auch Heranwachsende oder Erwachsene angeklagt, so ist die Verhandlung öffentlich."
Auch … also für mich liest sich das so, daß wenn nach Jugendstrafrecht verhandelt wird und es nur einen Angeklagten gibt, egal wie alt, die Verhandlung nicht öffentlich sein muss.
Wenn es auch noch weitere erwachsene Angeklagte gibt, dann sieht die Sache anders aus.
Aber das ist eine Frage der Semantik, wie man "auch" zu deuten hat. Für mich heißt es so viel wie "neben/zusätzlich zu der nach Jugenstrafrecht angeklagten Person". Aber wie gesagt, IANAL. Und sprachlich lebe ich eh in einer anderen Welt …
Edit: Obwohl, er ist nach Jugendstrafrecht angeklat und auch Erwachsener … hmmmm.
Ich glaube, ich erkenne meinen Denkfehler.
Wieso Denkfehler, geschätzte @theodoravontane? Deine erste Herleitung mit dem "zusätzlich" erscheint mir auch richtig und logisch. Nur ist es im Sinne der Rechtgelehrten logisch? Ein bissle anders denken ja schon, gelle.
Das ganze Verfahren folgt der Vorstellung, dass der 93jährige Jugendlicher zum Zeitpunkt der Tat war. Aus diesem Grund wird das Verfahren am Jugendgericht nach Jugendstrafrecht verhandelt.
Nur er ist angeklagt und keine zusätzliche Person, die Zeitpunkt der Tat Heranwachsene oder Erwachsene waren.
Mit der Interpretation auf Juristen-Art ist das ja zugegeben so eine Sache. Nicht nur darüber, was denn die richtige Interpretation zu irgendwelchen Sachen ist, sondern auch wie man überhaupt richtig zu diesen richtigen Ergebnissen (die sich dann auch noch zum Teil gegenseitig widersprechen) werden ja Bücher geschrieben.
Der deutsche Jurist kennt vier grundlegende Auslegungsregeln (es gibt noch ein paar mehr, aber die erspare ich uns der Einfachheit halber), die wohl auf einen gewissen Herrn
Savigny zurückgehen.
Da ist zunächst die
Wortlautauslegung, an der sich die geschätzte Kollegin
@theodoravontane in der Sache ja schon mit einigem (aber m.E. nicht durchschlagenden) Erfolg versucht hat. Sie wird auch als grammatische Auslegung bezeichnet und fragt danach, was die Worte bedeuten, die da stehen. So weit, so simpel.
Manchmal aber lässt sich allein aus einer geschriebenen Regel ihr Gehalt nicht erfassen, etwa wenn der Inhalt zu unbestimmt ist oder aber zu Verwechslungen führen kann oder aber es andere Regeln gibt, die vielleicht etwas anderes sagen (bzw. zu sagen scheinen). Daher gibt es dann die drei weiteren, die auf der Basis des Wortlauts aufbauen, aber auch vom Wortlaut begrenzt werden. Während die Wortlautauslegung die wichtigste ist, stehen die anderen Regeln gleichberechtigt nebeneinander. Sie können auch manchmal den Wortlaut reduzieren oder erweitern; der Wortlaut ist also nicht immer die absolute Grenze. Aber meistens, und deshalb belasse ich es erstmal dabei.
Es gibt weiterhin noch die
systematische Auslegung, also die Auslegung nach dem Zusammenhang einer Norm. Hier lautet die Frage, wie sich eine Regel in das Geflecht anderer Regeln einfügt. Wenn also beispielhaft
§ 27 Abs. 1 StGB für das Hilfeleisten bei einer "rechtswidrigen Tat" eines anderen Strafe androht, dann wissen wir durch einen Blick in
§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB und systematische Auslegung, dass "rechtswidrige Tat" in diesem Zusammenhang nicht irgendetwas verbotenes, sondern etwas durch ein Strafgesetz verbotenes sein muss.
Dann gibt es die
historische Auslegung. Die fragt einerseits nach der Entstehungsgeschichte der Regel (Wer hat sich diese Regel warum ausgedacht?) und dann nach Veränderungen (Wie lautete die Regel früher und wann hat man sie warum wozu verändert?).
Und es gibt die sog.
teleologische Auslegung. Wer Griechisch kann: telos. Wer nicht: Das ist die Auslegung nach dem Sinn und Zweck einer Regel, also die Antwort auf die Frage, was die Regel eigentlich soll.
Und das ist der Punkt, den der Kollege
@Rabenaas ansprach: Sinn und Zweck der Norm ist der Schutz der Jugendlichen vor einem öffentlichen Pranger. Und in der Betrachtung des Gesamtsystems ist festzuhalten, dass das JGG davon ausgeht, dass vorwiegend Jugendliche vor Gericht stehen. Es ist gerade nicht der Regelfall, dass sich ein über 90-Jähriger vor einer Jugendkammer verantwortet. Daher ist das "auch" in der zitierten Regel wohl eher als "(auch)" zu lesen.
Und ansonsten hilft eine genaue Lektüre des Abs. 2 weiter. Da steht nämlich drin, wer bei ansonsten nichtöffentlicher Verhandlung ausnahmsweise zugelassen werden darf. Presse gehört nicht dazu. Mit anderen Worten: Bereits dass bislang immer Presse im Gericht saß, zeigt deutlich, wie die Regel auszulegen ist. Ansonsten hätte nämlich das Gericht bislang die Rechte des Angeklagten gravierend verletzt. Das nennt sich dann übrigens "Umkehrschluss", ist hier aber dadurch verkompliziert, dass das eigentlich ein naturalistischer Fehlschluss, da Schluss vom Sein aufs Sollen darstellt. Das Argument daher nur am Rande und mit der weiteren Voraussetzung garniert, dass das Gericht es bislang alles richtig gemacht hat.