Er hat da einen raffinierten Plan ...
Spoiler
Die "Atomwaffentaktik" der britischen Regierung im Brexit-Poker
So könne man die bereits laufenden Verhandlungen über den nächsten Siebenjahreshaushalt der EU torpedieren und einen Brexit-Hardliner als Kommissar nach Brüssel schicken - vielleicht sogar den EU-Hasser Nigel Farage. Das wäre, als feuere man "eine Atomwaffe in das Herz eines Asteroiden", soll der ehemalige Brexit-Minister Steve Baker geprahlt haben.
Am Montag dann veröffentlichte der konservative "Spectator" eine ausführliche Textnachricht, die von einem ranghohen Regierungsmitarbeiter stammen soll. Demnach versucht die britische Regierung gleich mit drei Drohungen, die anderen EU-Länder gegen sich aufzubringen:
Im Falle eines Brexit-Aufschubs werde man der restlichen EU klar machen, dass die britische Regierung nicht weiterverhandeln werde und die Verlängerung deshalb "vollkommen sinnlos" wäre. Die Position der EU lautet bisher, dass man einer Verlängerung nur zustimmen werde, wenn es konkrete Hoffnung auf Fortschritte gebe.
Man werde öffentlich und hinter den Kulissen klarmachen, dass Großbritannien jene EU-Länder, die gegen eine Verlängerung waren, nach dem Brexit bevorzugen werde. Alle anderen würden in Fragen der künftigen Zusammenarbeit "ans Ende der Schlange" rutschen - ein offensichtlicher Versuch, die EU zu spalten.
Die in den EU-Verträgen festgelegte Pflicht zur "loyalen Zusammenarbeit", die bis zum Brexit auch Großbritannien erfüllen müsste, "würde in der Toilette landen", heißt es in dem Schreiben. Womit die Drohung mit der Sabotage des EU-Betriebs wiederholt wäre.
Der aggressive Duktus der Nachricht führte prompt zu Spekulationen, dass der Autor kein Geringerer sei als Johnsons Topberater Dominic Cummings. Andernfalls, sagte etwa die ehemalige konservative Innen- und Arbeitsministerin Amber Rudd, inzwischen Johnson-Kritikerin, "wären Köpfe gerollt".
Merkel soll Kompromiss von Johnson verlangt haben
Am Dienstag gab es dann den nächsten Versuch, die EU in eine Ablehnung der Brexit-Verlängerung zu treiben. Am frühen Morgen hatte Johnson mit Bundeskanzlerin Angela Merkel telefoniert - eigentlich vertraulich. Doch schon am Vormittag berichteten britische Medien und Nachrichtenagenturen ausführlich über die Inhalte des Gesprächs.
Merkel habe Johnson unmissverständlich klargemacht, dass Nordirland gemeinsam mit der Republik Irland in der EU-Zollunion bleiben müsse, hieß es unter Berufung auf britische Regierungsvertreter.
Sonst entstehe eine Zollgrenze zwischen beiden Landesteilen, was für die EU inakzeptabel sei.
Sollte Johnson seine jüngsten Vorschläge nicht entsprechend anpassen, sei ein Brexit-Abkommen "extrem unwahrscheinlich", soll Merkel gesagt haben.
Ob das stimmt, blieb offen. Regierungssprecher Steffen Seibert bestätigte dem SPIEGEL lediglich, dass das Telefonat stattgefunden hat. "Wie üblich berichten wir aus solchen vertraulichen Gesprächen nicht", so Seibert.
In britischen Medien hieß es dagegen, das Gespräch sei ein "Moment der Klarheit" gewesen: Sollte Merkel es ernst meinen, sei ein Abkommen "prinzipiell unmöglich, nicht nur jetzt, sondern immer", zitiert der TV-Sender Sky einen britischen Beamten.
Tusk wirft Johnson "dummes Schwarzer-Peter-Spiel" vor
Das wäre nicht nur ein weiterer Grund für die EU, einen Brexit-Aufschub abzulehnen. Es ist auch bereits Teil des blame game, jenes Spiels um die Schuldfrage, sollte es tatsächlich zum No-Deal kommen. Das versetzt Donald Tusk in Rage. "Es geht um die Zukunft Europas und Großbritanniens sowie um die Sicherheit und die Interessen unserer Bürger", schrieb der EU-Ratspräsident auf Twitter. "Es geht nicht darum, ein dummes Schwarzer-Peter-Spiel zu gewinnen."
Ansonsten gibt man sich in Brüssel gelassen. Die Position der EU-Kommission ist und bleibt, dass ein Abkommen das Entstehen einer neuen harten Grenze auf der irischen Insel zuverlässig verhindern müsse. Diese Bedingung sei durch Johnsons Vorschläge bisher nicht erfüllt.
Am Montag hat die britische Regierung in Brüssel neue Dokumente eingereicht. Über den genauen Inhalt wurde zunächst nichts bekannt, doch ein Durchbruch ist nach Angaben von Diplomaten nicht in Sicht.