« Antwort #783 am: 3. November 2022, 18:33:19 »
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Endstation Rechts berichtet vom Prozess:
Von „Nichtbeheimateten“ und „Lebendurkunden“
Da sie gegen das Vereinigungsverbot verstoßen haben soll, muss sich Heike Werding seit heute vor dem Landgericht Lüneburg verantworten. Die selbsternannte Generalbevollmächtigte war Kopf der im Jahr 2020 verbotenen Reichsbürger-Gruppierung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“. Seit Mai sitzt sie in U-Haft.
Die 61-jährige „Generalbevollmächtigte“ steht seit Donnerstagmorgen vor dem Landgericht Lüneburg, dort wird ihr ein Verstoß gegen das Vereinigungsverbot sowie das Verwenden und Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Missbrauchs von Berufsbezeichnungen vorgeworfen.
Die Staatsanwaltschaft Lüneburg wirft Heike Werding vor, seit Mai 2020 den organisatorischen Zusammenhalt des Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ in ideologischer, finanzieller und personeller Hinsicht gefördert zu haben mit dem Ziel, ein eigenes staatliches System zu errichten. Die Gruppierung war im März 2020 verboten worden, bei 21 führenden Mitgliedern kam es in zehn Bundesländern zu Hausdurchsuchungen.
Bürgermeister zu Rückzug drängen?
Die 61-Jährige soll jedoch auch nach dem Verbot weiter aktiv gewesen sein. Auf Telegram, Instagram und YouTube habe sie laut Anklageschrift der Staatsanwaltschaft weiter Vereinsideologie und Propagandamaterial verbreitet. Auf zwei eigens eingerichteten Internetseiten soll sie zudem Flyer und Broschüren zum Verkauf angeboten haben. „Impffrei!“ und „Bürgermeister haften“ lauteten zwei der Titel. Zu letztgenannter Broschüre heißt es auf dem Telegram-Kanal: „Aus unserer Erfahrung führt das bei ca. 25% der angeschriebenen zur Niederlegung ihres Amtes in den nächsten Monaten. Bitte fragt bei größeren Mengen einen Preis bei uns an.“
Zudem seien beispielsweise Menschen jüdischen Glaubens oder Muslimen das Existenzrecht abgesprochen worden. Jene Gruppen, die „Nichtbeheimatete“ genannt wurden und seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, hätten das Land wieder zu verlassen. „Beheimatete“ hingegen seien nur deutschsprachige Menschen mit deutschstämmigen Ahnen.
Ordnungsgeld
„Ich gebe Ihnen hier keine Plattform für politische Ansichten“, erklärte der Richter direkt nach Verlesung der Anklage und bevor er Werding das Wort gab. Er sollte Recht behalten mit seiner Befürchtung. Die seit Mai in U-Haft sitzende Werding verstieg sich direkt in krude Reichsbürger-Argumentationen, für Außenstehende eine schwer nachvollziehbare Aneinanderreihung verschiedener Themen ohne Bezug zur Anklageschrift. Nach kurzer Zeit wurde der ehemaligen Chefin der „Geeinten deutschen Völker und Stämme“ dann das Wort entzogen. „Fühlen Sie sich gesund“, fragte der Richter.
Nur wenige Sympathisanten hatten sich am Donnerstag im Zuschauerbereich eingefunden, unter ihnen zwei ehemalige NPD-Politiker aus dem vorpommerschen Löcknitz. Dirk Bahlmann, der bereits seit einigen Jahren dem Reichsbürger-Milieu zuzurechnen ist, war dem Richter mehrfach ins Wort gefallen und dafür mit einem Ordnungsgeld in Höhe von 300 Euro belegt worden. Bereits am Einlass gab es strenge Sicherheitsvorkehrungen und -kontrollen, denen sich Zuschauer und Medienvertreter unterziehen mussten.
Unter falschem Namen ausgegeben
Schließlich konnte Werdings Anwalt Norbert Lösing den Richter nach einer Sitzungsunterbrechung davon überzeugen, seine Mandantin erneut zu Wort kommen zu lassen. Und es ging weiter wie zuvor: Die 61-Jährige sprang von einem Thema zum nächsten. Es ging um Grund und Boden-Debatten, um Gerichte, die angeblich durch internationale Konzerne gelenkt würden und Aussagen wie „Die Bundesrepublik ist eine Wirtschaftsverwaltung.“ Schließlich thematisierte sie Kinder, um wenige Sekunden später auf Tesla zu sprechen zu kommen und dann über Windenergieanlagen zu referieren.
Zwei anschließend geladene Zeugen wurden zur Vermietung eines Objektes befragt. Werding habe die Wohnung unter einem falschen Namen, den sie auch in anderen Zusammenhängen immer wieder nutzte, angemietet. Auch dafür hatte Werding eine Antwort parat: Sie habe die „Nutzungsrechte“ an dem Namen, für den sie laut Eigenaussage das Einverständnis von einer älteren Dame mit dem Namen bekommen habe.
„Rechts denkende“ Anhängerschaft
Bei dem letzten Zeuges des Tages handelte es sich um einen früheren Sympathisanten der „Geeinten deutschen Völker und Stämme“, der laut Eigenaussage vieles seitdem jedoch kritisch sehe. Der 37-Jährige, der vor allem über seine Ex-Partnerin und deren Vater erste Kontakte in das Reichsbürger-Spektrum knüpfte, berichtete ausführlich über seine Erfahrungen.
So erzählte der Mann von den zahlreichen Vorträgen Werdings, für die sie bis zu ihrer Inhaftierung immer wieder eingeladen hatte und die durchschnittlich von rund 15 bis 25 Personen besucht würden. Zwischen 30 und 50 Euro Teilnahmegebühr wurden dafür fällig. Werding ergänzt zu dem Punkt später, dass sie dadurch angeblich keinen Gewinn einfahre, sondern vor allem Fahrtkosten und Ähnliches abgedeckt würden. Das Publikum beschreibt der Zeuge als eher „rechts denkend“ und „esoterisch“, häufig werde in dem Kreis auch Unmut über Ausländer geäußert.
Lebendurkunden
Interesse zeigt der Richter auch an sogenannten Lebendurkunden, die zwischen 250 und 500 Euro kosten und in dem Milieu als Alternative zu Personalausweisen gelten, die Unterschrift erfolgt per Daumenabdruck. Laut Aussage von Werding würden diese auch an Flughäfen akzeptiert, was beim Richter für sichtliche Verwunderung sorgte.
Nach derzeitigem Stand sind drei weitere Verhandlungstage bis kurz vor Weihnachten angesetzt.
Sebastian Leber über Rüdi: Hoffmanns Beweisführung ist, freundlich ausgedrückt, unorthodox. Es geht in seinen Filmen drunter und drüber wie bei einem Diavortrag, bei dem der Vortragende kurz vor Beginn ausgerutscht ist und alle Dias wild durcheinander auf den Boden flogen.