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FRANKFURT, 8. April. Als vergangenen Mittwoch bekannt wurde, dass seit über einem Jahr gegen die Aktivisten des „Zentrums für politische Schönheit“ wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wird, wurden Fragen nach politischen Motiven der Ermittler laut. Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping nannte den zuständigen Staatsanwalt Martin Zschächner auf Twitter einen „Staatsanwalt, der’s Rechten recht macht“. Schließlich habe er ein Verfahren gegen einen AfD-Politiker eingestellt, der Kipping übel beschimpft habe und „am Spieß“ habe braten wollen. Selbst Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) schaltete sich ein. Das Verfahren gegen die umstrittenen Kunstaktivisten nannte er „seltsam“.
Zschächner hatte am 29. November 2017 von Amts wegen ein Verfahren gegen das „Zentrum für politische Schönheit“ eingeleitet. Eine Woche zuvor hatten die Aktivisten vor dem Grundstück des thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke eine Attrappe des Berliner Denkmals für die ermordeten Juden Europas installiert, um dessen Rede vom „Denkmal der Schande“ zu kontern. Zudem hatten sie eine Überwachung von Höckes Privatleben angekündigt. Auch die Staatsanwaltschaft Mühlhausen eröffnete damals ein Verfahren wegen des Verdachts der gemeinschaftlichen Nötigung. Besteht der Verdacht einer Straftat, sind Staatsanwaltschaften zu Ermittlungen verpflichtet.
Spätestens Anfang Dezember 2017 entpuppte sich die Spähaktion jedoch als Satire, woraufhin in Mühlhausen die Ermittlungen eingestellt wurden. In Gera liefen sie 16 Monate lang weiter, wie durch eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Steffen Dittes (Linke) bekannt wurde. Anfang März gab das Landesjustizministerium bekannt, dass dort wegen Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung unter anderem gegen mutmaßliche Holocaust-Leugner, Mitglieder des „Islamischen Staates“ – und eine „Gruppierung von Aktionskünstlern“ ermittelt werde.
Philipp Ruch vom „Zentrum für Politische Schönheit“: Staatsanwalt Zschächner hatte ein Verfahren gegen die Künstlergruppe eingeleitet, wegen Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung.
Philipp Ruch vom „Zentrum für Politische Schönheit“: Staatsanwalt Zschächner hatte ein Verfahren gegen die Künstlergruppe eingeleitet, wegen Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung. dpa
Das Verbot der Bildung einer inländischen kriminellen Vereinigung hat heute kaum noch Relevanz – Anklagen und Verurteilungen sind Ausnahmen. Als bedeutsamer gelten die verdeckten Ermittlungsmaßnahmen, die in diesem Zusammenhang erlaubt sind, etwa die Wohnraumüberwachung. Die Vorschrift gilt deshalb als „Ausforschungsparagraph“. Es ist kein Fall bekannt, in dem derartige Ermittlungen schon einmal gegen eine Künstlergruppe geführt wurden. Auch deshalb wurden Fragen nach den Motiven Martin Zschächners laut, der als Staatsanwalt zu Neutralität verpflichtet ist. Sie stellen sich auch mit Blick auf frühere Verfahren.
Im September 2017 demonstrierte die AfD in Jena, es kam zu einem Gegenaufzug der evangelischen Jugend „Junge Gemeinde Stadtmitte“. An diese Gegendemonstranten gerichtet, sangen Teilnehmer der AfD-Demonstration „Eine U-Bahn, eine U-Bahn bauen wir – von der JG (Junge Gemeinde, Anm. d. Red.) bis nach Auschwitz“. Da die Sänger nicht auf Anhieb identifiziert werden konnten, erstatteten der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Jena und die Jüdische Landesgemeinde Thüringen Anzeige gegen unbekannt. Der zuständige Staatsanwalt Zschächner befand, dass das Verhalten in keiner Hinsicht strafbar sei, und stellte die Ermittlungen ein. In Unterlagen, die dieser Zeitung vorliegen, argumentiert er gegen das Vorliegen einer strafbaren Beleidigung und führt stattdessen die Meinungsfreiheit an – die gelte insbesondere in Wahlkampfauseinandersetzungen. Da die Junge Gemeinde die AfD im Vorfeld als „faschistisch“ bezeichnet und sich damit im Zuge der aktiven Teilnahme am Wahlkampf in polemisierender Weise geäußert habe, habe sie „derbe und unter Umständen gerade auch auf diese Zuschreibungen anspielende Äußerungen“ hinnehmen müssen.
Auch eine Anklage wegen Volksverhetzung lehnte Zschächner ab. Er argumentierte, der Text lasse sich durchaus so verstehen, dass die gänzliche Vernichtung der „Jungen Gemeinde“ im übertragenen politischen Sinne gemeint sei. Das Wort „Auschwitz“ sei inhaltlich im Sinne einer Metapher „nicht wesentlich anders“ verwendet worden als das Wort „Waterloo“, das als „sinnbildliche Bezeichnung einer vernichtenden Niederlage“ geläufig sei. „Durchgreifende Anhaltspunkte, dass das Lied in einem anderen Sinne gemeint gewesen sein könnte, gibt es – über rein spekulative Annahmen hinaus – nicht“, schreibt Zschächner. Weiter heißt es, mit einer solchen „sogar naheliegenden Deutung“ lasse sich ein Bagatellisieren, Gutheißen oder gar Leugnen der Geschehnisse im Vernichtungslager Auschwitz nicht vereinbaren. Allein aus der Verwendung „der Ortsbezeichnung ,Auschwitz‘ für den historischen Gesamtzusammenhang“ ergebe sich jedenfalls keine Zustimmung. Zugunsten der Beschuldigten argumentiert der Staatsanwalt schließlich: Eine Billigung der NS-Herrschaft ergebe sich auch nicht dadurch, dass einem Gegner ein vergleichbares Schicksal gewünscht werde. „Vielmehr setzt dieser Wunsch, bei dem es sich letztlich um einen Akt der Verfluchung handelt, gerade voraus, dass die dem Gegner angesonnene Unbill als Übel begriffen und mithin zumindest grundsätzlich abgelehnt wird.“
Die Jenaer Anwältin Kristin Pietrzyk hat gegen die Einstellung des Verfahrens Beschwerde erhoben. Inzwischen wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Pietrzyk hat zudem eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Staatsanwalt erhoben, über die noch nicht entschieden wurde. Sie berichtet, dass Zschächner im Ermittlungsverfahren keine Anstrengungen unternommen habe, die Beschuldigten zu identifizieren, obwohl die Anzeigeerstatter Aufnahmen der Demonstration übermittelt hätten. Zschächner habe auch keine Zeugen vernommen, obwohl sie in der Anzeige benannt worden seien.
Vergangenen Herbst stellte der Staatsanwalt ein Volksverhetzungs-Verfahren gegen den Mitarbeiter eines damaligen AfD-Landtagsabgeordneten ein. Es ging um Äußerungen auf Twitter. Der Beschuldigte soll „Afros“ als „Urmenschen“ bezeichnet haben, die „in eine Zivilisation hineingezwungen“ worden seien. Zschächner bezeichnete die Aussagen als weder „beschimpfend noch böswillig verächtlich machend“. In seinen Augen handelte es sich vielmehr um eine „wertende Äußerung zur menschlichen Kultur- und Zivilisationsgeschichte“, die von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Eine andere Äußerung des Beschuldigten, wonach Deutschland aufgrund der „Übernahme durch den Islam“ sterbe, bewertete er als „harmlose“ Meinungsäußerung, die auf die „unstreitbar vorhandenen Bevölkerungsentwicklungen in Deutschland“ Bezug nehme.
Entschiedener ging Zschächner gegen den Jugendpfarrer Lothar König vor. Der Gründer der „Jungen Gemeinde“ Jena war von zwei Männern wegen Beleidigung angezeigt worden. Sie warfen König vor, er habe sie als „Nazis“ bezeichnet. Zschächner erhob Anklage, das Amtsgericht Jena lehnte es jedoch ab, die Hauptverhandlung zu eröffnen. Dagegen legte der Staatsanwalt Beschwerde ein, erstinstanzlich wurde König zu einer Geldstrafe verurteilt. In zweiter Instanz kam es zu einem Freispruch. Ohne die Urteilsgründe abzuwarten, legte Zschächner Revision ein und nahm sie zurück, als das schriftliche Urteil vorlag. Der Freispruch ist seitdem rechtskräftig. In einem anderen Fall war Lothar König fälschlicherweise beschuldigt worden, bei einer Demonstration einen Polizisten angefahren zu haben. Der Geraer Staatsanwalt veranlasste eine Durchsuchung – mit dem Ziel, entlastendes Videomaterial sicherzustellen.
„Sofern es um Vorwürfe gegen links geht, lehnt er Einstellungen ab“, sagt die Anwältin Pietrzyk. Da wolle er alles „durchentschieden haben“. Ein Mandant von ihr habe AfD-Mitgliedern, die ihn fotografiert hätten, den Mittelfinger gezeigt. Zschächner ermittelte deshalb wegen Beleidigung. Für straflos hielt er dagegen die Aussage eines Mannes gegenüber Studenten der Uni Köln: „Da sag ich doch glatt mal ,Fickt euch‘ (. . .) und beschmeiße euch mit bösen, bösen Symbolen. (. . .) ,88‘ (. . .) ,HH‘“. Die Verfahrenseinstellung schaffte es in die NDR-Satiresendung „Extra 3“.
Auch aus Zschächners Studienzeit gibt es Anekdoten, die aus heutiger Sicht bemerkenswert sind. Heiko Schnabel, der eigentlich anders heißt, und mit Zschächner in Heidelberg studierte, berichtete dieser Zeitung, dass Zschächner stets im Stil der zwanziger und dreißiger Jahre gekleidet gewesen sei und sich als „Kaisertreuer“ bezeichnet habe. Der heutige Staatsanwalt habe sich damit gebrüstet, den Sedantag zu feiern, mit dem das Kaiserreich die Kapitulation der Franzosen zelebrierte. „Wir haben den als Spinner abgetan, der damit angab, Sütterlin lesen zu können, Wagner-Opern pfeifend durch die Gänge zog und Kautabak kaute“, sagte Schnabel. Wegen seiner rechten Einstellungen sei es aber auch zu Konflikten mit Professoren gekommen. Einmal sei Zschächner des Hörsaals verwiesen worden. Allen sei „sonnenklar gewesen“, dass er „rechtsaußen“ stand. „Mit Staatsmacht ausgestattet, ist der eine Gefahr“, meint Schnabel, der heute Richter in Baden-Württemberg ist und sich selbst als konservativ bezeichnet. Er könne nicht fassen, dass so jemand durch das Raster rutsche und Staatsanwalt werden könne. Zschächner selbst äußerte sich auf mehrfache Anfrage dieser Zeitung nicht zu den Vorwürfen.
Die Aktivisten des „Zentrums für politische Schönheit“ verstehen es derweil, ihre Lage medial auszukosten. Nach Bekanntwerden der Ermittlungen riefen sie auf ihrer Internetseite Unterstützer dazu auf, mit jährlich 100 Euro „Komplize“ zu werden. Auf Twitter veröffentlichten sie ungeschwärzte Ermittlungsdokumente, aus denen persönliche Angaben von Beschuldigten hervorgingen.
Am Montagnachmittag wurde bekannt, dass die Ermittlungen gegen das „Zentrum für politische Schönheit“ eingestellt werden sollen. Darauf habe man sich mit der Staatsanwaltschaft Gera und der thüringischen Generalstaatsanwaltschaft geeinigt, heißt es in einer Mitteilung des Landesjustizministeriums. „Ich begrüße ausdrücklich die übereinstimmende rechtliche Auffassung von Staatsanwaltschaft, Generalstaatsanwaltschaft und Ministerium in der heutigen Sitzung“, sagte Justizminister Dieter Lauinger (Grüne). Mit Zschächner habe man sich außerdem darauf geeinigt, ihn bis zur endgültigen Klärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe mit anderen Aufgaben in der Staatsanwaltschaft Gera zu betrauen. Welche das sind, ist noch unklar. Auch, ob er die Abteilung wechseln werde, sagte Oberstaatsanwalt Steffen Flieger dieser Zeitung. Bislang war Zschächner in der Abteilung für politische Strafsachen tätig.