a) muss auch bei Notwehr die Menge an Gewalt angemessen sein
Ja, kommt drauf an, aber eine Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne gibt es nicht.
Notwehr kennt keine enge "Verhältnismäßigkeit"
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-10/notwehr-strafrecht-fischer-im-rechtOb die Verteidigungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich ist, hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Dabei darf sich der Angegriffene grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Das schließt auch den Einsatz lebensgefährlicher Mittel ein. Zwar kann dieser nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf auch nur das letzte Mittel der Verteidigung sein; doch ist der Angegriffene nicht genötigt, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang braucht er sich nicht einzulassen (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2002, 140 m.w.N.).“
1 StR 99/05
https://openjur.de/u/346897.htmlKommt auch drauf an, ob sich die Polizei als Polizei zu erkennen gibt. Im von Fischer zitierten (und 2011 als VR zu vertretenden Urteil) gab sich die Polizei nicht als solche zu erkennen, weshalb der 2. Senat auf Putativnotwehr erkannte.
Spoiler
High Noon
Ein Super-Aufreger des Bundesgerichtshofs im Jahr 2011 (2. Strafsenat, Aktenzeichen 2 StR 375/11 [lies: 375 aus 11]). Sachverhalt: Deutschland, sechs Uhr morgens. Es ist noch düster. Die Vögel zwitschern. Durch die Grünanlage schleichen heran: ein Staatsanwalt, ein Sondereinsatzkommando. Weiträumige Absicherung des Einsatzes durch Schutzpolizei.
Einsatzziel: Festnahme des Bürgers A: "Sergeant at Arms" beim örtlichen Unterverein eines Clubs namens "Hell’s Angels" (Höllenengel!). Supercool. Ehrenkodex: Nie mit der Polizei kooperieren. Im Inneren: Spießigkeit in reinster Form; Männerehre: Niemand fasst meine Frau an oder meinen Zylinderkopf! Man fährt den Zweizylinder aus Milwaukee; vorne der Road Captain (Navi unterm Wehrmachtshelm), es folgen "President", "Sergeant at Arms" und "Vize President". Es gibt Members, Prospects, Supporters. Prospects müssen den Members jeden Gefallen tun (Auto Waschen, auf die Karre aufpassen, Frau bewachen, Zigaretten holen), und kriegen trotzdem eins aufs Maul, damit sie später wissen, wie schön es ist, mal nicht aufs Maul zu kriegen. Die Ernennung zum Member garantiert das Schikanierungsrecht gegenüber Prospects und eine Teilhabe am Gewinn der gemeinsamen Geschäfte. Der President ist eine Mischung aus Pate, Weihbischof und Majestix. Insgesamt: Kindlich, übersichtlich, aber effektiv. Business: Security, Türsteherei, Drogenhandel und Zuhälterei. Schutzgeld geht auch, Eisdiele nicht. Super spannende Sachen also, die den Normalbürger gruseln machen.
Die Polizei steht auf Höllenengel jeder Art. Das Schöne an ihnen ist: Ihre Tarnung ist systembedingt unzureichend. Man trägt "Kutten", also eine Uniformweste, auf der mit glitzernden Buchstaben geschrieben steht: "Panzerknacker AG, Mitglied Nr. 524". Das ist eine klare Ansage. Solche Feinde lieben Dagobert Duck und seine Freunde: Sie sagen So oder So; sie tragen Uniform; sie sind für oder gegen die Guten. Deshalb mag die Polizei die faschistischen Kameradschaften so gern, dass sie sie mit V-Leuten vollständig durchseuchen kann, ohne aufzufallen. Das ist ein psychologisches Phänomen, das der Erforschung durch die Wissenschaft noch bedarf.
Zurück zum Fall: Unser "Sergeant at Arms" (von Beruf Konditor) schlummert mit seiner derzeit Verlobten im Obergeschoss des umstellten Häuschens. Kürzlich hat man ihm ausgerichtet: Er solle umgebracht werden von Mitgliedern eines konkurrierenden Clubs gleicher Machart.
Die Polizei hat den Verdacht, der Sergeant könnte vor geraumer Zeit eine versuchte (!) Nötigung begangen haben. Das bietet Anlass, der Sache einmal in Mannschaftsstärke auf den Grund zu gehen. Anstatt mit dem Zugriff abzuwarten bis Herr A, wie jeden Morgen, aus seinem Haus auf die Straße tritt, oder einfach zu klingeln (Guten Morgen, Polizei) möchte man ihn mit einem Sondereinsatzkommando im Bett überrumpeln: Für was sonst hat man die Jungs? Man weiß, dass A mehrere von der Polizeibehörde genehmigte Waffen hat.
Schluss mit John Wayne und seinen albernen Regeln
A erwacht durch Geräusche an der Eingangstür. Er nimmt seine Pistole und schleicht zur Treppe. Seiner Verlobten sagt er, sie solle telefonisch Alarm schlagen, weil er überfallen werde. Er schaltet das Licht im Treppenhaus ein und ruft: "Verpisst Euch!", denn er ist der Überzeugung, "Killer" machten sich an seiner Tür zu schaffen. Draußen bohrt das SEK-Mitglied X an der Tür herum, hinten stehen die Kollegen mit einer Ramme, der Staatsanwalt wartet in sicherer Entfernung. Auch als im Haus das Licht angeht und ihm das mitgeteilt wird, bohrt X weiter; drei von vier Riegeln hat er schon geknackt.
A denkt: Jede Sekunde kann die Tür aufgebohrt sein, dann dringen schwerbewaffnete Banditen herein, um mich zu töten. Also schießt er. Er zielt auf die Milchglasscheibe der Eingangstür, hinter der er einen Schatten sieht; die Folgen sind ihm egal. Polizist X, der in diesem Moment den Arm hebt, wird durch den Armausschnitt seiner Schutzweste zufällig tödlich ins Herz getroffen. Jetzt (!) rufen die anderen Beamten: "Polizei! Aufhören zu schießen!" A öffnet das Fenster, wirft seine Pistole heraus und ruft: "Seid ihr verrückt? Warum gebt ihr euch nicht zu erkennen?"
Dies – nach den Feststellungen eines deutschen Landgerichts – waren die Tatsachen. Ob sie genau so stimmen: Der Kolumnist weiß das so wenig wie alle anderen, die nicht dabei waren, aber eine "Rechtsmeinung" zu diesem Fall haben. Das Gericht, das über die Anklage wegen Totschlags gegen A entscheiden musste, hat sie so festgestellt.
Und das Landgericht hat gemeint: A sei zwar objektiv nicht in einer Notwehrlage gewesen, habe eine solche aber irrtümlich angenommen. Allerdings hätte er sich so verhalten müssen, wie diese fälschlich angenommene Notwehrlage es von ihm verlangt hätte: Er hätte zumindest zunächst einen Warnschuss abgeben müssen. Ergebnis: Verurteilung wegen vorsätzlichen Totschlags. Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Angeklagten das Urteil aufhoben und den Angeklagten wegen Notwehr freigesprochen (2 StR 375/11, Urteil vom 2. Nov. 2011). Die Entscheidung hat, nicht nur unter Polizeibeamten, für Widerspruch und Empörung gesorgt.
auch
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bgh-spricht-hells-angel-frei-toedlicher-irrtum-ohne-strafe/Man ist jedenfalls in Deutschland entgegen der Darstellung der Kundschaft nicht wehrlos, wie der Fall des jugendlichen Einbrechers bei einem Jäger im Sauerland zeigt, der wegen der vermeintlichen Notwehr straflos blieb (nicht jedoch wegen nichtgesetzeskonformer Aufbewahrung der Waffe), obwohl der jugendliche Schwarze nur einen Schlüssel in der Hand hielt.
Gegen Räuber darf man sich sowieso mit tödlicher Gewalt wehren, auch, wenn man über eine waffenrechtliche Erlaubnis verfügt wie der Juwelier aus Celle.
Was die Kundschaft regelmäßig meint, ist das völlig anlaßlose Abknallen von Menschen unter einem Vorwand wie „auf der Flucht erschossen“ oder was sonst sich diese Herrschaften einfallen lassen, wenn sie an einen entsprechenden Posten kämen.
Liegt tatsächlich Notwehr vor, so erkennen die Gerichte tatsächlich auf Notwehr (auch, wenn man manchmal bis zum BGH gehen muß).