Sind diese sich martialisch gebenden, großen Jungs aber letztlich harmlos? Nein. Verschiedene Verfassungsschutzämter stufen sie als
rechtsextremistisch ein.
Die jeweils nur veranstaltungsgebundene Verbandelung der SoO/WEG mit anderen rechten Gruppen - z.B. den Hoffmannschen 'Gelbwesten' - gehört zu ihrer Strategie.
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RECHTE BÜRGERWEHR
"Soldiers of Odin" bei Gießener Gelbwesten
Neue Vorwürfe gegen die Gießener Gelbwesten: In der Gruppe mischt ein Anhänger der rechtsextremen Bürgerwehr "Soldiers of Odin" mit. Bei der Polizei ist er als Gewalttäter bekannt.
Sie betreiben Germanenkult, sympathisieren mit dem Dritten Reich und treten im Stil einer Bürgerwehr auf. In Bayern, wo sie im Februar mit einem Fackelzug zum Nürnberger Reichstagsgelände für Schlagzeilen sorgten, werden sie vom Verfassungsschutz beobachtet und als gewaltaffin eingeschätzt. Die Rede ist von der rechtsextremistischen Gruppierung "Wodans Erben", die bis letztes Jahr als "Soldiers of Odin" bekannt war. Nicht nur in Bayern sucht diese Bewegung Anschluss an die Bewegung der Gelbwesten. Nach Recherchen der GAZ mischt auch bei den Gießener Gelbwesten ein Anhänger von "Wodans Erben" mit.
Schlagkraftverstärkende Handschuhe bei Demo
Der Mann hatte am vergangenen Samstag an der Demo der Gelbwesten teilgenommen und war im Anschluss am Berliner Platz von der Polizei durchsucht worden. Grund: Die Beamten hatten gesehen, dass der Demo-Teilnehmer schlagkraftverstärkende Quarzsandhandschuhe trug, was bei Demonstrationen verboten ist. Wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz werde gegen "einen 53-jährigen polizeibekannten Mann aus dem Main-Kinzig-Kreis", ermittelt, teilte Polizeisprecherin Sabine Richter auf Anfrage mit. Der 53-Jährige sei in der Vergangenheit vor allem durch Körperverletzungsdelikte auffällig geworden, erklärte Richter.
Nach Recherchen der Gießener Allgemeinen nimmt der Mann an Aktionen von "Wodans Erben" teil. Vor einem Jahr – das geht aus der Facebookseite von "Wodans Erben" hervor – war er an einer Bestreifung der Marburger Innenstadt beteiligt; auf mehreren Gruppenfotos ist der 53-Jährige zu sehen. Die Teilnehmer des Rundgangs tragen Jacken mit der Aufschrift "Soldiers of Odin Germany" und Aufnäher "Division Hessen".
Gelbwesten-Admin bei Schießübung
Bei den Gießener Gelbwesten ist der Mann aus dem Main-Kinzig-Kreis keinesfalls nur Mitläufer. Er fungierte zu Wochenbeginn kurzzeitig als Moderator der mittlerweile geschlossenen Facebook-Gruppe. Auch ein Administrator dieser Gruppe soll sich in rechtsextremistischen Kreisen in der Wetterau tummeln; auf seiner Facebookseite zeigt er sich unter anderem mit einer Pistole bei einer Schießübung in einem Hinterhof.
Das alles steht im Widerspruch zu den Bekundungen von Ronny Böhm, dem Initiator der Gießener Gelbwesten, der sich in einer Erklärung, die er zu Wochenbeginn auf seiner privaten Facebookseite veröffentlicht hat, von Gewalt distanziert hatte. Böhm beteuerte in dieser – mittlerweile gelöschten – Erklärung erneut, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, dass hinter der von ihm zu den Demos eingeladenen Aktion "Schutzzone" die rechtsextreme NPD steht. Seinen Kommentar auf der Facebookseite der "Schutzone" ("gern könnt ihr bei uns samstags mitlaufen") hat Böhm noch nicht gelöscht.
Großes Polizeiaufgebot erwartet
Wie am vergangenen Samstag, als ihr Marsch zum Elefantenklo im Seltersweg gestoppt wurde, müssen sich die Gelbwesten auch am morgigen Samstag auf Gegenproteste einstellen. Ein Bündnis aus linken Parteien und Gruppen ruft ab 14.30 Uhr zur Gegendemo in der Neuen Bäue auf und will mit bunten Westen "ein Zeichen gegen Rechts" setzen. Denn die Ursprungsidee der französischen Gelbwesten, die sich "klar gegen Sexismus, Rassismus und Homophobie" stellten, werde durch die Teilnahme von Faschisten an den Demos der Gießener Gelbwesten "ad absurdum" geführt, heißt es in dem Aufruf. Böhm hatte angekündigt, dass seine Gruppe auf dem Rathausplatz bleibt und auf einen Marsch durch die Innenstadt verzichtet. Die Polizei wird mit einem im Vergleich zur Vorwoche erhöhten Aufgebot vor Ort sein. Schon am vergangenen Wochenende waren rund 30 Personen der Bereitschaftspolizei anwesend.
Quelle:
https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/soldiers-odin-giessener-gelbwesten-12153370.html, Gießener Allgemeine/Burkhard Möller, 15. März 2019
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Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz stuft Soldiers of Odin Germany Division Bayern als rechtsextremistische Gruppierung ein
Pressemitteilung
Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Soldiers of Odin Germany Division Bayern (SOO) ab sofort als rechtsextremistische Bestrebung. Die Gruppierung wird dem subkulturell geprägten Rechtsextremismus zugeordnet.
Bei der Gruppe Soldiers of Odin handelt es sich um eine internationale Gruppierung, die im Oktober 2015 in Finnland gegründet wurde. Mittlerweile existieren in zahlreichen Ländern Ableger mit entsprechenden Untergruppierungen. Aktivisten der Soldiers of Odin bezeichnen sich als "Nachbarschaftshilfe", reklamieren für sich selbst, Schwachen und Schutzsuchenden zu helfen und distanzieren sich davon, eine Bürgerwehr oder rassistisch zu sein. Faktisch betätigen sich die SOO jedoch wie eine Bürgerwehr. Mit ihren als „Spaziergängen“ bezeichneten Streifen will die Gruppierung das staatliche Gewaltmonopol in Frage stellen und den staatlichen Organen generell die Legitimität absprechen. Es soll suggeriert werden, der Staat sei nicht mehr in der Lage, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.
Die Gruppe lief bereits in mehreren bayerischen Städten wie Donauwörth, München Regensburg und Würzburg „Streife“. Die Teilnehmer sind dabei in der Regel einheitlich schwarz gekleidet, auf ihren Jacken ist das Logo der Gruppierung aufgedruckt – ein Vikingerkopf, der mit einer deutschen Fahne vermummt ist. Teilweise wird dabei neben der Farben der Bundesflagge auch die bei Rechtsextremisten beliebte Farbkombination der Reichsflagge (Schwarz - Weiß - Rot) verwendet. Die mit Logos versehene Kleidung erinnert in ihrer Aufmachung an das Auftreten bekannter Rockergruppierungen, von denen sich die Gruppe aber distanziert. Verbindungen in die bayerische Rockerszene sind bislang nicht bekannt geworden.
Bei den SOO sind Ideologiefragmente festgestellt worden, die dem Rechtsextremismus zuzuordnen sind. So wurde beispielsweise über das Facebook-Profil der Gruppierung ein Video verbreitet, das den in der rechtsextremistischen Szene verbreiteten Volkstodgedanken erläutert: Für den vermeintlichen Volkstod macht der Ersteller des Videos die regierenden Politiker in Deutschland verantwortlich. Der Volkstodgedanke basiert auf der völkisch-biologistischen Ideologie des Rechtsextremismus, Volkszugehörigkeit wird dabei festgemacht an genetischen Merkmalen.
Die SOO betreiben auch ein Facebookprofil, das regelmäßig aktualisiert wird und auf dem vorwiegend Meldungen über Straftaten verbreitet werden, die mutmaßlich von Personen mit Migrationshintergrund begangen wurden. Dadurch werden Ängste geschürt und verstärkt.
Bislang liegen zwar keine Hinweise auf ein gewalttätiges Vorgehen der SOO vor. Es ist jedoch feststellbar, dass in den Reihen der Gruppierung zumindest verbal aggressive Äußerungen kursieren und die Agitation von Fremdenfeindlichkeit geprägt ist. Die vordergründige Distanzierung von Rassismus und eine vorgebliche unpolitische Grundhaltung der Gruppierung sind als Schutzbehauptungen zu betrachten. Unter den Aktivisten der SOO sind mehrere Personen, die dem Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz bereits aus anderen rechtsextremistischen Zusammenhängen bekannt sind.
Die Gruppierung steht in Bayern erst am Anfang ihrer Entwicklung. Derzeit lässt sich eine räumliche Ausdehnung ihrer Aktivitäten in Bayern beobachten. Ein regionaler Schwerpunkt ist in Würzburg erkennbar.
Quelle:
https://www.verfassungsschutz.bayern.de/ueberuns/medien/aktuelle_meldungen/bayerisches-landesamt-fur-verfassungsschutz-stuft-soldiers-of-odin-germany-division-bayern-als-rechtsextremistische-gruppierung-ein/, Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz, Stand 10. September 2019
Der folgende Text beleuchtet einen Ursachen-Komplex für die Flucht von männlichen Zeitgenossen in nationalistische Tendenzen (
Kursivdruck von
x).
Altes Problem
Nationalismus und Gender: der Siegertext des Sylke Tempel Essaypreises
28. August 2019 - 0:00 | von Annabelle Chapman
Internationale Politik 5, September/Oktober 2019, S. 122-127
Kategorie: Staat und Gesellschaft, Weltweit
Der Nationalismus ist wieder da, von den Vereinigten Staaten bis nach Russland und in vielen Ländern der Europäischen Union. Er wurde bereits aus vielen Perspektiven heraus analysiert, doch ein zentraler Aspekt ist bislang zu wenig untersucht worden: die Gender-Dimension. Der populistische Nationalismus von heute, von Männern für Männer erfunden, bietet simple Lösungen für komplexe Probleme, vom wirtschaftlichen Wandel bis zur Migration. Implizit ist seine Botschaft die folgende: Männer müssen ihr Land gegen Bedrohungen verteidigen, ob echt oder eingebildet. Frauen sollen unterdessen die nächste Generation von Kindern produzieren, um das Überleben der Nation sicherzustellen. Außenseiter sind nicht willkommen.
In der wissenschaftlichen Literatur gibt es seit einigen Jahren ein gewisses Maß an Interesse an Gender und Nationalismus. 2018 erschien Gendering Nationalism, herausgegeben von Jon Mulholland, Nicola Montagna und Erin Sanders-McDonagh. In Fallstudien aus der ganzen Welt werden dort die Schnittstellen von Nation, Gender und Sexualität untersucht. Auch andere Wissenschaftler haben die historische Verbindung zwischen Männlichkeit und nationaler Identität erforscht, in der Männer als Verteidiger des Vaterlands gelten und Frauen zu Muttergestalten verklärt werden, die der Nation dienen.
In der Berichterstattung über den neuen populistischen Nationalismus in Europa und den USA spielt die Gender-Dimension dennoch kaum eine Rolle. Von den vielen Artikeln der internationalen Presse über den Nationalismus von heute gehen nur wenige auf seine besondere Anziehungskraft auf Männer ein. Noch seltener vergleichen sie die Einstellungen von Nationalisten verschiedener Länder zu Frauenrechten und Mutterschaft. Dieser Essay argumentiert, dass sich mit der Gender-Dimension zwar nicht alles erklären lässt, sie aber trotzdem unverzichtbar ist, um das Wiederaufleben des Nationalismus in unseren Gesellschaften zu erforschen, zu verstehen und darauf zu reagieren.
Dabei wird der Begriff Nationalismus gebraucht, um sowohl rechtsextreme, nationalistische Bewegungen als auch etablierte Volksparteien mit nationalistischen Elementen wie die ungarische Regierungspartei Fidesz zu beschreiben. Nationalismus ist keine Randerscheinung der europäischen oder amerikanischen Politik mehr; er gehört dazu und ist zur Normalität geworden.
Männer dominieren die politische Rechte
Am 11. November 2018 beging Polen den 100. Jahrestag der Wiedererlangung seiner Unabhängigkeit. Nationalistische Gruppierungen, die Parolen gegen Einwanderer brüllten, nahmen auf Einladung der Regierung an einem Jubiläumsmarsch in der polnischen Hauptstadt teil. Über der Menschenmenge wurden rote Leuchtraketen abgeschossen. Obwohl auch Frauen an dem Marsch teilnahmen, waren Ton und Bildsprache auf aggressive Art männlich. Die polnische Hundertjahrfeier war mehr nationalistische Machtdemonstration als ein Fest polnischer Errungenschaften in Bereichen wie Bildung oder Wissenschaft. Im Gegensatz dazu feierte Finnland den 100. Jahrestag seiner Unabhängigkeit 2017 mit der Eröffnung einer neuen öffentlichen Bibliothek in Helsinki.
2018 stellte der niederländische Wissenschaftler Cas Mudde, der sich auf politischen Extremismus in Europa und den USA spezialisiert hat, in einem Artikel im Guardian die einfache Frage: „Warum wird die extreme Rechte von Männern dominiert?“ Die Vorherrschaft der Männer zeigt sich bei nationalistischen Veranstaltungen vom Marsch in Warschau bis zur „Unite the Right“-Demonstration in Charlottesville 2017 in den USA. In Polen sind Männer die wichtigsten Unterstützer der extremen Rechten – junge Männer, um genauer zu sein. Vor Kurzem wurde eine Umfrage veröffentlicht, nach der fast 30 Prozent aller polnischen Männer im Alter zwischen 18 und 30 die nationalistische extreme Rechte unterstützen. Dies unterscheidet sich markant von den politischen Einstellungen der Frauen im selben Alter, von denen die meisten für die Linke oder das politische Zentrum sind. Bei den Europawahlen im Mai 2019 zeigten die Exit Polls bei den Unterstützern der nationalistischen Allianz Konfederacja ein vergleichbares Muster. Das ist kein Zufall. Wie der Leiter eines polnischen Umfrageinstituts formulierte, zielen die Politiker der Konfederacja auf Männer, „die skeptisch gegenüber Frauen sind“.
Dass der Nationalismus Männer anzieht und nicht Frauen, hängt offenbar weniger mit wirtschaftlichen Problemen zusammen als mit den sich verändernden kulturellen Normen. Er bietet ihnen das Gefühl, dass sie dazugehören in einer sich rasch verändernden, globalisierten Welt, in der sie sich ihres Platzes nicht sicher sind – weder als Einwohner einer Kleinstadt in South Carolina oder Sachsen noch als Männer. In vielen Ländern ist die traditionelle männliche Rolle entwertet worden. Dank ihrer wirtschaftlichen Emanzipation und oft besseren Bildung sind Frauen nicht mehr auf Männer angewiesen, um gut leben und sogar Kinder haben zu können. Dies hat zu einer Gegenreaktion geführt, in der Nationalismus und Männlichkeit eng verflochten sind. In Russland, wo nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die traditionellen männlichen Rollen entwertet wurden, kam es unter Wladimir Putin in den vergangenen Jahren zu etwas, das die Journalistin Natalia Antonowa die „neue russische Männlichkeit“ nennt. Geschürt wurde es durch die Annexion der Krim 2014. Auch in den USA, Deutschland und Schweden bedienen sich weiße nationalistische Bewegungen solcher Männlichkeitsideale, um Mitglieder zu werben, wie der amerikanische Soziologe Michael Kimmel in seinem Buch „Healing from Hate“ nachweist.
Die Nation vor äußeren Bedrohungen schützen
Die Nationalisten von heute behaupten, dass sie ihre Länder gegen Bedrohungen schützen, ob real oder eingebildet. Manche Anführer, wie Donald Trump oder Viktor Orbán in Ungarn, stellen sich selbst als Verteidiger der „westlichen“ oder der „europäischen Zivilisation“ dar. Sie mobilisieren ihre Unterstützer, indem sie die Angst vor Außenseitern schüren. Je nach Land können das Flüchtlinge sein, Wirtschaftsmigranten, Menschen anderer Hautfarbe, Juden, Muslime, Feministen, Homosexuelle oder EU-Bürokraten.
Nationalistische Anführer sind geschickt darin, Stimmungen gegen Flüchtlinge oder Einwanderer zu schüren und sich selbst als die einzigen darzustellen, die dieser unkontrollierbaren Welle von Ausländern Einhalt gebieten können. Trump hat dies mit der Exekutiv-Order 13769 getan, dem Einreiseverbot für Menschen aus mehreren muslimischen Ländern; außerdem mit seinem Versprechen, eine Mauer entlang der Grenze zu Mexiko zu bauen. In Großbritannien war es zum Teil die Wut über Einwanderer aus anderen EU-Ländern, aus der heraus Menschen für den Brexit stimmten. In Ungarn und Polen verbreiten Politiker Angst vor Flüchtlingen aus dem Nahen Osten. Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), warnte, Migranten würden „Parasiten und Protozoen“ einschleppen.
Diese allgemeinen Botschaften enthalten einen Gender-Untertext: Sie appellieren unausgesprochen an ein traditionelles Rollenverständnis von Männern als Beschützer und Versorger. Die unterschwellige Botschaft ist: Wenn dir ein Ausländer deinen Job wegnimmt, wirst du deine Familie nicht mehr ernähren können. Schlimmer noch: Wenn die Flüchtlinge hierherkommen und uns unsere Frauen wegnehmen, wird es dir nicht gelingen, überhaupt noch eine Frau zu finden (man achte auf den fragwürdigen Verweis auf „unsere“ Frauen als eine Art Eigentum). Diese Bildsprache war in der Berichterstattung der Rechten über die Einwanderung nach Europa sehr präsent, vor allem nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015 in Köln. Wenige Wochen später zeigte das Titelblatt von wSieci, einer regierungsnahen polnischen Zeitschrift, die „Islamische Vergewaltigung Europas“: eine weiße Frau, die von allen Seiten von dunklen Männerarmen festgehalten wird. Aus solchen Bildern spricht nicht die Sorge um das Wohlergehen von Frauen. Vielmehr richten sie sich an Männer, um deren Anspruch auf die Frauen in ihrem Land zu bekräftigen. Eine polnische Journalistin, die über Flüchtlinge schrieb, berichtete, dass ihr Männer über die sozialen Medien Drohbotschaften mit dem Tenor „Dich sollte ein Flüchtling vergewaltigen“ schickten. Leider ist diese Kombination von einwanderungsfeindlichem Nationalismus und verbaler Gewalt gegen Frauen keine Seltenheit.
Wenn sie erst das Bedrohungsgefühl geschürt haben, appellieren nationalistische Politiker an die Männer, ihre Nation zu schützen. Dies beinhaltet das, was feministische Wissenschaftlerinnen „militarisierte Männlichkeit“ nennen: die Vorstellung, dass echte Männer diejenigen sind, die das Vaterland verteidigen. Jedes Land hat seine eigenen Beispiele, aber allen gemein ist die Fixierung auf militärisches Heldentum und nationale Virilität. In Russland fachte Putin den Militarismus wieder an. In Finnland wurde eine rechtsextreme Gruppe mit dem Namen „Odins Soldaten“ dabei gefasst, wie sie Einwanderer einschüchterte. In Polen, der Slowakei und Ungarn machten investigative Journalisten auf die „Militarisierung des Patriotismus“ in ihren Gesellschaften durch nationalistische, paramilitärische Gruppen und durch historische Rekonstruktionen aufmerksam. In Polen unterstützt die offizielle Geschichtspolitik der Regierung die „militarisierte Männlichkeit“. Dazu gehört die Verehrung der sogenannten „verfluchten Soldaten“, überwiegend männlicher, antikommunistischer Widerstandskämpfer der 1940er Jahre, die jungen Polen als Vorbild geschildert werden, dem sie nacheifern sollen.
Die Nation auf Dauer erhalten
Zu Jahresbeginn kündigte der ungarische Ministerpräsident Orbán zinsvergünstigte Kredite von bis zu zehn Millionen Forint (etwa 30 000 Euro) für Frauen unter 40 an, die das erste Mal heiraten. Mütter von mindestens vier Kindern würden von der Einkommenssteuer befreit. Ziel dieser Maßnahmen, erklärte Orbán, sei es, „das Überleben der ungarischen Nation zu sichern“.
Ist es aus der Perspektive der Nationalisten die Rolle der Männer, die Nation zu schützen, so haben die Frauen die Aufgabe, sie zu perpetuieren. Angesichts der niedrigen Geburtenraten in Europa haben manche Regierungen Anreize für ihre Bürger geschaffen, Kinder zu bekommen. In Ländern wie Ungarn, wo die Bevölkerung altert und die Geburtenrate noch unter dem EU-Durchschnitt von 1,59 Kindern je Frau liegt, macht eine Politik, die Menschen dabei unterstützt, Kinder zu haben (wenn sie das wünschen), möglicherweise Sinn. In Polen, das ebenfalls eine niedrige Geburtenrate hat, verbindet die PiS-Regierung schon seit Beginn ihrer Regierungszeit 2015 die Förderung von Kinderreichtum mit großzügiger Sozialfürsorge. Ihr Vorzeigeprojekt ist das Kindergeld von 500 Zloty (etwa 120 Euro) im Monat für jedes Kind. „Kinder und Familie sind das Fundament Polens“, sagte die stellvertretende Ministerpräsidentin Beata Szydlo, als sie im Jahr 2018 weitere Maßnahmen ankündigte, um Frauen zu ermutigen, Kinder zu haben. „Wir müssen sicherstellen […] dass in Polen mehr und mehr Kinder geboren werden.“
Das Problem mit dieser Rhetorik ist, dass die Entscheidung, Kinder zu haben, in den Kontext des Überlebens der Nation gestellt wird, statt dass es um die Rechte, Wahlmöglichkeiten und Ziele von Frauen geht. Im schlimmsten Fall werden Frauen auf die Rolle von Werkzeugen zur Erzeugung der nächsten Generation reduziert. Frauen, die mindestens vier Kinder haben, werden für ihren heldenhaften Einsatz „belohnt“ – in Ungarn mit der Steuersubvention, in Polen mit einer staatlichen Rente. Zugleich fehlt aber eine ernsthafte Debatte über die Verantwortung von Männern als Väter oder wie die Regierung ihre Bürger tatsächlich dabei unterstützen kann, eine erfüllende Berufskarriere mit ihrer Elternrolle zu vereinen.
Die Förderung von Kinderreichtum wird von sozialem Konservatismus getragen, ob es um das Recht von Frauen auf eine sichere Abtreibung oder um das Rollenverhalten der Geschlechter geht. Das jüngste Beispiel gab der US-Bundesstaat Alabama, als er im Mai ein Abtreibungsverbot verabschiedete, das auch für Fälle von Vergewaltigung und Inzucht gilt. Unter dem Druck der Katholischen Kirche erwog auch die polnische Regierungspartei eine solche Verschärfung der Abtreibungsgesetze. Nachdem zahlreiche Frauen gegen die Pläne protestierten, machte sie aber zunächst einen Rückzieher. Zur gleichen Zeit stellte die PiS-Regierung die öffentliche Finanzierung von künstlichen Befruchtungen ein. Sie unterstützt Familien, aber nur traditionelle. In Deutschland stellt sich die AfD gegen eine solche Politik, die sie als „gender mainstreaming“ bezeichnet, also Politik, die ihrer Einschätzung nach die „traditionellen Geschlechterrollen“ untergräbt. Die religiöse Rechte in Polen betrachtet das englische Wort „Gender“ schon lange mit Misstrauen und benutzt es für alles vom Feminismus bis zu Schwulenrechten. Vor den Europawahlen in diesem Jahr versuchte die regierende PiS, die Wähler zu mobilisieren, indem sie Homosexuelle als Bedrohung der Familie darstellte.
Das Leitmotiv in den Einstellungen nationalistischer Populisten gegenüber Frauen ist die Kontrolle über ihre Körper, die auch nicht auf das Kinderkriegen beschränkt ist. Trotz aller öffentlichen Empörung haben Trumps Bemerkungen über Frauen („Grab them by the pussy“) die in manchen Kreisen üblichen frauenfeindlichen und lüsternen Einstellungen legitimiert. Verbale Gewalt gegen Frauen führt leicht zu physischer Gewalt. Doch Gewalt gegen Frauen, vor allem innerhalb der eigenen vier Wände, stößt oft auf Schweigen. 2017 entkriminalisierte Russland häusliche Gewalt. Auf Prügel, die „geringen Schaden“ anrichtet, steht seither keine Gefängnisstrafe mehr. In Polen haben Politiker der PiS die Europaratskonvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt kritisiert, die der vorherige polnische Präsident 2015 in Kraft gesetzt hatte.
Schlussfolgerung: Was getan werden kann
Der von Männlichkeit besessene nationalistische Populismus hat eine Gegenreaktion heraufbeschworen. Daneben hat sich die #MeToo-Bewegung über die Vereinigten Staaten hinaus ausgebreitet. In Polen stoppten die Massenproteste von Frauen das Vorhaben der konservativen Rechten, die Abtreibungsgesetze zu verschärfen. Allmählich kristallisiert sich eine neue Generation progressiver Politikerinnen heraus, von Alexandria Ocasio Cortez in den USA bis zu Zuzanna Caputova, die im März zur Präsidentin der Slowakei gewählt wurde.
Ungeachtet solcher Erfolge erfordert der Nationalismus aber eine umfassendere Antwort, die seine besondere Anziehungskraft für bestimmte Gruppen berücksichtigt, vor allem für junge Männer. Den simplen Antworten der Nationalisten auf globale wirtschaftliche, soziale und demografische Herausforderungen lässt sich nicht mit schlagfertigen Einzeilern auf Twitter begegnen. Genauso wenig darf man die Ängste der Bürger abtun, denn auch wenn sie von nationalistischen Anführern benutzt werden, spiegelt ein Teil von ihnen doch echte Sorgen wider. Stattdessen gilt es, den Herausforderungen selbst zu begegnen, auf lokaler, nationaler und, wo angemessen, auch auf europäischer Ebene.
Zwischen Nationalismus und Gender besteht eine komplexe Beziehung. Dieses wichtige Thema verdient, von Soziologen, Psychologen und Ökonomen durch datengestützte Untersuchungen einzelner Länder genauer erforscht zu werden. Schon jetzt aber gibt es drei Bereiche, in denen Regierungen und, wo notwendig, auch Nichtregierungsorganisationen handeln sollten:
Erstens sollten Frauenrechte geschützt werden, wo immer sie von nationalistisch eingestellten Politikern und Politiken bedroht werden. Es sollte eine persönliche Entscheidung sein, Kinder zu bekommen, und nicht die Erfüllung einer nationalen Pflicht, die von Frauen erwartet wird.
Zweitens sollte zur demokratischen Teilhabe aller Mitglieder der Gesellschaft ermutigt werden, mit einem besonderen Schwerpunkt bei jungen Leuten, auch bei jungen Männern aus sozial schwierigen Gegenden. Dies würde dazu beitragen, dass sie sich auf öffentlichen Kanälen und bei demokratischen Wahlen Gehör verschaffen können – und es verringert die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich aggressiven, vielleicht sogar verbotenen nationalistischen Organisationen anschließen. Kinder sollten lernen, dass es viele Wege gibt, ein guter Bürger zu sein, angefangen damit, dass man anderen hilft, oder auch einmal den Müll im Park einsammelt. Sich als Soldat zu verkleiden oder nationalistische Slogans zu brüllen, gehört nicht dazu.
Drittens müssen die eigentlichen Ursachen des Nationalismus bekämpft werden – auf ruhige, ernsthafte Weise. Es gibt keine einfachen Lösungen, aber zum Beispiel sollte man versuchen, die Auswirkungen des wirtschaftlichen und demografischen Wandels in Europa und den USA abzumildern. Besondere Aufmerksamkeit sollte dabei den besonders gefährdeten Gruppen gelten. Zu ihnen gehören junge Männer, die versucht sein könnten, Zuflucht im Nationalismus zu suchen.
Letztlich ist dies kein Kampf zwischen Nationalisten und ihren Gegnern oder zwischen Männern und Frauen. Es geht darum, Gesellschaften zu schaffen, in denen sich alle Menschen sicher und willkommen fühlen können und in denen der Nationalismus seine Anziehungskraft verliert.
Annabelle Chapman schreibt für den Economist und Monocle über Polen. Sie veröffentlichte u.a. in Foreign Affairs, Politico Europe, der Financial Times und dem Berlin Policy Journal.
Der Preis wurde 2019 erstmals vom Netzwerk Women in International Security (WIIS) und der IP ausgelobt. Er erinnert an die Journalistin, Publizistin und Mentorin Sylke Tempel (1963 –2017). Die Ausschreibung richtete sich an Frauen unter 35.
Jury: Judith Hart (Vors.), Martin Bialecki, Florence Gaub, Daniela Schadt, Katrin Suder und Rachel Tausendfreund
Quelle:
https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/aktuelle-ausgabe/altes-problem, Deutsche Gesellschaft
für Auswärtige Politik e.V./Annabelle Chapman, 28. August 2019