Eine Wiederholung des NPD-Verbotsverfahrens darf es nicht geben. Die Frage ist: Ist der Verfassungsschutz überhaupt in der Lage rechtsextreme Strukturen wirklich zu erkennen und diese auch auszuspähen? Wenn er dazu in der Lage ist: Ist er auch Willens das zu tun. Besser als seinerzeit bei der NPD?
Warum greift man nicht schon "eine Stufe darunter" durch? Verbietet z.B. die ganzen, zur AfD gehörenden rechtsextremen Vereine bzw. geht gegen diese vor? Warum interessieren sich die Finanzämter so wenig für die "Spenden" und Geldflüsse bei der AfD? Warum werden bestehende Gesetze (nicht nur zum Thema Volksverhetzung) nicht konsequenter oder auch mal "oberhalb der Mindeststrafe" angewandt?
Lippenbekenntnisse in diese Richtung gibt es viele. Passiert ist (und das nicht erst seit der AfD) seitdem weniger bis weniger als gar nichts. Deshalb sitzen zwischenzeitlich nicht nur "Reichsbürger", sondern Rechtsextreme und Rechtsterroristen im Bundestag bzw. arbeiten dort bei der AfD und gehen somit auch im Reichstag ein und aus.
Haldewang wird die Versäumnisse der letzten 70 Jahre so wenig "heilen" können, wie er es schon bei denen seines Vorgängers nicht wird "heilen" können.
Spoiler
Geheimdienst:Schwer zu fassen
Welche Folgen eine Observation der Partei durch den Verfassungsschutz haben könnte.
Von Ronen Steinke
Was bringt's? Wem nützt es, die AfD stärker vom Verfassungsschutz durchleuchten zu lassen? Das ist eine Frage, die Verfassungsschutzbeamte sich eigentlich nicht stellen dürfen. Denn die Entscheidung, ob die Partei vom Verfassungsschutz beobachtet, ob sie zu einem sogenannten Verdachtsfall hochgestuft oder sogar ein Verbotsverfahren gegen sie eingeleitet werden soll, darf allein nach Recht und Gesetz fallen, nicht nach Nützlichkeitserwägungen. Aktuell steht diese Entscheidung bevor. Seit Januar 2019 gilt die AfD als sogenannter Prüffall des Rechtsextremismus. Das ist die erste Verdachtsstufe. Mit der Entscheidung, wie es jetzt weitergehen soll, wird für Januar gerechnet. Und natürlich steht damit auch die Frage im Raum: Was bringt es? Oder schadet es womöglich, die derzeit größte Oppositionspartei im Bund mit diesen Methoden in die Zange zu nehmen? Zwei Hauptvarianten sind denkbar, beide haben Vor- und Nachteile.
Erste Variante: die Heraufstufung der AfD zum sogenannten Verdachtsfall. Das würde bedeuten, der Verfassungsschutz schaltet vom ersten Gang hoch in den zweiten. Das dürfte nach Lage der Dinge ein ziemlich wahrscheinliches Szenario sein. Als Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang im Januar 2019 erklärte, er wolle die Gesamt-AfD daraufhin "prüfen" lassen, ob rechtsextreme Tendenzen für sie bestimmend geworden seien, da übersetzte er dies sogleich: Die Partei sei "auf Bewährung". Eine solche Bewährungsphase darf nicht ewig dauern, die Rechtsprechung pocht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf eine Entscheidung binnen zwei Jahren. Es hätte handfeste Folgen, wenn Haldenwang nun verkünden würde, die Bewährungsprobe sei nicht bestanden. Seine Agenten dürften die Partei mit den speziellen Instrumenten des Inlandsnachrichtendienstes ausforschen, mit heimlicher Überwachung, auch mit Insider-Informanten, sogenannten V-Leuten.
Ein Vorteil könnte sein, dass innerparteiliche Entwicklungen dem Staat nicht verborgen bleiben. Allerdings, so richtig heimlich agiert die AfD schon bisher nicht. Wer sich über innerparteiliche Entwicklungen auf dem Laufenden halten wollte, der hatte es mit dieser teils chaotischen, vielerorts zerstrittenen Partei viel leichter als etwa bei einer diszipliniert-verschworenen Kaderorganisation. Andererseits gibt es einen klaren Nachteil, sollte Haldenwang die AfD schärfer ins Visier nehmen lassen. Sie wird sich als Märtyrerin stilisieren können. Auch wegen des Zeitpunkts: Januar 2021, das ist der Auftakt zu einem Wahljahr. Aus diesem Grund hatten die Verfassungsschützer sich eigentlich fest vorgenommen, eine Entscheidung noch in diesem Jahr zu treffen. Es sollte nicht der Eindruck entstehen oder verstärkt werden, dass die Regierung mit Hilfe des Verfassungsschutzes politische Konkurrenz in einem Wahljahr bekämpft.
Ein Verbotsverfahren wäre sehr riskant
Zweite Variante: Parteiverbotsverfahren. Den Gedanken hat kürzlich Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) in den Raum gestellt. Natürlich gäbe es die Möglichkeit. Das Verbotsverfahren gegen die NPD liegt noch nicht lange zurück; darin entwickelte das Bundesverfassungsgericht 2017 ein Argument, das lautet: Rassismus ist demokratiefeindlich. Genauer, auch Leute, die demokratische Institution nutzen und sogar mehr Volksentscheide einführen wollen, können trotzdem Demokratiefeinde sein, wenn sie einen Teil der Bevölkerung davon ausschließen wollen. Auf dieses Argument hat sich der Inlandsnachrichtendienst ausdrücklich berufen, als er die AfD 2019 zum Prüffall machte.
Aber das Beispiel NPD mahnt auch. Am Ende hat es bei der NPD nicht für ein Verbot in Karlsruhe gereicht. Das Gericht befand, die NPD sei zu schwach, um ernsthaft eine Gefahr darzustellen. Davon kann bei der AfD nicht die Rede sein. Aber beim derzeitigen Stand wäre ein potenziell Jahre dauerndes Verbotsverfahren gegen eine junge Partei, die sich an vielen Stellen noch sortiert, sehr riskant und wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt. Die AfD könnte triumphieren und behaupten, mit höchsten juristischen Weihen für unbedenklich erklärt worden zu sein.
Hängen bleiben könnte zudem der Eindruck einer kraftlosen Demokratie. Das Grundgesetz, so hat es das Bundesverfassungsgericht in seiner NPD-Entscheidung formuliert, setzt auf die demokratische Auseinandersetzung, es "vertraut auf die Kraft dieser Auseinandersetzung als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien". Und das heißt: nicht in erster Linie auf Geheimdienst oder Verbot.