Autor Thema: Abstruse Auslegung von Gesetzen - Reichsbürger und das Youtube-Jura-Studium  (Gelesen 6731 mal)

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Offline Bessawissa94

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Ich finde es immer wieder erschreckend, wie leicht Menschen Reichsbürger-Argumentation Glauben schenken und deren Interpretationen, insbesondere von BVerfG-Urteilen und Gesetzestexten, für bare Münze nehmen. Ich will hier in dem Thread besonders abstruse Rechtsansichten sammeln und dazu die richtige Interpretation auffinden bzw. erarbeiten. Das soll nicht als Argumentationshilfe gegen Reichsbürger taugen (die sind eh beratungsresistent), sondern Erklärungshilfe für von Reichsbürgern verunsicherte Personen sein.

Ein Musterbeispiel von Verschwurbelung findet sich z. B. hier: http://grundrechteforum.de/191

Da will uns die Grundrechtepartei weismachen, dass das UStG sowie die AO nichtig seien, weil sie gegen Zitiergebot aus Art. 19 I 1 GG verstießen.

- zuerst einmal: Die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes stellt das BVerfG fest. Diese vermeintliche Erkenntnis ist also eh für die Katz, solange man keine Verfassungsklage anstrebt. :clap:
- zum zweiten ist die Argumentation, durch die Nichtnennung des Art. 14 GG verstoße die AO gegen das Zitiergebot schlicht falsch, weil schon ein Blick in die Wikipedia uns die Antwort liefert, warum es Quatsch ist: https://de.wikipedia.org/wiki/Zitiergebot#Nicht_zitierpflichtige_Einschr.C3.A4nkungen
"Es gilt auch dann nicht, wenn es zur bloßen Förmelei erstarren würde, weil die Warnfunktion ins Leere laufen würde, so z. B. bei der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), die durch jedes gesetzliche Ver- oder Gebot tangiert wird. Schließlich hat das BVerfG in der im vorigen Abschnitt zitierten Entscheidung vom 30. Mai 1973 einen Hinweis auf die Grundrechtsbeschränkung auch für entbehrlich gehalten, weil der Grundrechtseingriff offenkundig gewesen sei."
Die Grundrechtler verkennen auch, dass es bei der Nennung der Grundrechte in der AO wohl eher weniger um die Steuerpflicht gehen dürfte (die ja eh offenkundig ist), sondern es dort eher um Zwangsmaßnahmen nach § 328 ff. AO gehen dürfte. Mit der Ersatzzwanghaft nach § 334 AO dürften wohl auch diverse Reichsbürger schon einmal Bekanntschaft gemacht haben ;D.

Zuletzt geben die "Grundrechtler" noch einen Einblick in ihre Auslegungsmethode (kann man da von Methode sprechen?):
"Auch das Bundesverfassungsgericht ist als Verfassungsorgan an das Grundgesetz und seine Buchstaben zwingend gebunden."
Eine sehr eingeschränkte und unwissenschaftliche Sichtweise. Wer allein dem Wortlaut des GG folgt, wie es die Grundrechtler für sich beanspruchen, wird schnell erkennen, dass man damit nicht weit kommen kann. Gerade Verfassungstexte sind einfach gehalten und verzichten auf lange Ausnahmenkataloge, um sie nicht aufzublähen und weil sie gar nicht alles erfassen könnten. Sie bedürfen daher ständiger Auslegung und Interpretation insbesondere in die Richtung, was der Verfassungsgeber eigentlich erreichen wollte. Die wörtliche Auslegung ist zwar eine anerkannte Methode, aber auch die schwächste von allen und beim GG im Gegensatz zu einigen Gesetzen vollkommen nutzlos. Den systematischen, historischen und teleologischen Auslegunsmethoden kommt hierbei ein viel größeres Gewicht zu.

Ich bin auf weitere Schwurbeleien gespannt  ;D
 
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Offline hair mess

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Bestenswissa, bravo, so einfach kann es sein und so einfach ist es.
Aber unsere Klientel wird eben das nicht verstehen.
Wie oft hab ich überlegt denen das oder anderes zu erklären!
Doch meist funktioniert genau das nicht.
Weil es nicht funktionieren darf.
Sobald das funktioniert, sobald der RD das versteht und akzeptiert, muss er sich wieder der Verantwortung für sein Leben stellen. Ab sofort wäre es nicht mehr das System, das es falsch macht.
Doch rechtzeitig erwischt kann man einem RD-Anfänger erklären, wer solche Typen sind und ihn fragen ob er den Rest des Lebens nicht nur zu den Versagern sondern zu den Vollversagern gehören will.
Machen wir uns hierzu auf.
Damit es gut werde.
Fällt Dir nur Unsinn ein und immer,
erzähle nichts, sonst wird es schlimmer.
 

Offline Happy Hater

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Guter Thread, könnte ganz interessant und spannend werden. Dein erstes "Danke" und dein erstes Karma von mir dafür.  ;D
 

Offline Gutemine

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Zu dem Thema müssten wir hier eigentlich schon einen (oder mehr) Fäden haben.

Stichworte: Ingemar Vetter, Helmut Samjeske, Causa Lenninger etc.pp.

Man muss dazu sagen, dass bei denen wirklich ein ehemaliger Richter mitmacht.

Samjekse hat ja seinen "Mandanten" Lenninger letztendlich in den absoluten Ruin getrieben und sich selbst ein Berufsverbot eingehandelt. Seine (und das findet man noch heute so bei den "Expertisen" der "Partei") Meinung ist: Das GG steht über jedem Gesetz. Kein anderes Gesetz ist irgendwie gültig und somit wird bei jedem Owi-Verfahren, Steuern, Strafverfahren etc.pp. natürlich das GG verletzt, warum Urteile auch nichtig sind.

Er hat im GG den Artikel bezüglich "Freiheit der Kunst" gefunden und bei Lenninger dann argumentiert, dass man für "Kunst" (Lenniger machte Dokus und andere Filme) eben keinerlei Steuern zahlen muss. Die AO verstößt insgesamt gegen die "Freiheit der Kunst", im Grundgesetz steht ja "Kunst ist frei", also auch frei von Steuern.

Irgendwann haben dann die vier "Obergscheitle" eine Partei gegründet um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen. Also Ingmar Vetter, Samjeske, Lenninger und der ehemalige Richter Plath. In der "Causa Lenninger" (die kann man sich ruhig mal googlen und durchlesen....aber vorher PC und Umgebung weiträumig sichern) haben sich zwischenzeitlich auch alle eigene Verfahren wegen Beleidigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt u.ä. eingehandelt. Plath war sogar mal ein paar Tage in "Vorführungshaft".

Vetter hat bei der Anhörung zur EU-Wahl einen erstklassigen Auftritt hingelegt.

Ach, das sind alles richtige "Schätzchen.

Vor 2 oder 3 Jahren hat man auch die Seite "Rundfunksbeitragsklage" gegründet, mit entsprechender FB-Seite uvm. Man wollte 10.000 Leute sammeln um eine "Sammelklage" einzureichen. Bei FB wurde immer wieder mal von Kritikern angebracht, dass das gar nicht möglich wäre, es der "Grundrechtepartei" hier an allen Möglichkeiten letztendlich fehlen würde (Verbandsklage oder ähnliches). Egal, man hat "Mitglieder" gesammelt und für die zu erwartenden Prozesskosten durfte jeder 10 Euronen/Monat abdrücken. Letztes Jahr hatten sie endlich mal die 5.000 geschafft. Aber irgendwie lief das nicht so, deshalb hat man jetzt flugs ein neues Projekt gestartet und nennt es "Grundrechteunion". Selbes Spiel, selber Schwachsinn.

Samjeske schreibt auf seinem FB-Account als "Werbung":

Zitat
Ein Sturm der Entrüstung geht durch das Land. Ein Großteil der Bundesrepublikanischen Bevölkerung hat sich der Rundfunkbeitragsklage der Grundrechtepartei angeschlossen. Nahezu 42.500.000 Haushalte des Bundesgebietes werden das erforderliche Rechtsmittel einlegen. Fast alle Haushalte haben erkannt, daß das Wort "ungehindert" in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG der Schlüssel gegen den verfassungskriminellen Terror ist. Die sogenannte Bundesregierung sieht sich außerstande, diesem Ansturm standzuhalten. Sie hat die Europäische Union gebeten, Amtshilfe zu leisten, die diese jedoch abgelehnt hat.

Alle Manipulationsversuche der Gerichte sind als Rechtsbeugung und als verfassungskriminelles Handeln erkannt. Herr Sürmeli steht mit seinem eigens dafür eingerichteten Gerichtshof zur Aburteilung der Täter bereit. Gladio unterstützt die Bevölkerung zur Durchsetzung deren GRundrechte. Eine Verhaftungswelle läuft durch das Land.

Die Grundrechtepartei sucht dringend Mitarbeiter, die die 35.000.000 Beitrittsanträge bearbeiten. Bis dieses Problem gelöst ist, werden weitere Beitrittsanträge nicht angenommen.

Anstatt "Rundfunkbeitrag zu zahlen" leisten die Mesnchen in der Bundesrepublik Deutschland freiwillig monatliche Spenden in Höhe von 50 % der Rundfunkbeitragsforderung an die Grundrechtepartei.

Vetter ist auch schon ein paar Mal bei SSL aufgeschlagen, ich glaube sogar schon hier im Forum, auf jeden Fall aber auf der FB-Seite.

Den Auftritt von Vetter vor dem Wahlausschuss kann man hier ab ca. Minute 22 ansehen

http://www.bundestag.de/mediathek/?action=search&contentArea=details&offsetStart=0&id=3271468&&instance=m187&categorie=Ausschusssitzungen&mask=search&destination=search

(Da treten aber noch andere Gestalten auf, bei ca. 2.35.30 tretten dann die Helden vom DPFW (vormals DPHW) auf. :D

Bei SSL

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Der beste "Coup" von Samjeske und Co ist aber der mit dem 30.000.000.000 Streitwert.


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Davon hat man seitdem kein Wort mehr gehört.  >:D

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(Mehr finde ich grad nicht auf die Schnelle).


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Offline Adler

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Hier nochmal die offizielle Vorlage für die Urkunde:



Quelle: Museum für verkommene Kunst
https://plus.google.com/communities/114648023978410505618
 
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Offline Bessawissa94

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Gerne noch eine weitere bekannte Reichsdeppen-Meinung:

Reichsbürger behauptet: Das Ermächtigungsgesetz verstieß gegen die Weimarer Reichsverfassung, sodass alle Gesetze des nationalsozialistischen Deutschlands ungültig sind.
Immer wieder kommt diese Argumentation auf. Sie knüpft geschickt an die Debatten um den Mord-Paragraphen oder andere Gesetze an, die nationalsozialistisch vorbelastet sind und soll Menschen suggerieren, Reichsdeppen kämpften für eine gute Sache. Der Grund, warum die Gesetze der nationalsozialistischen Ära erst von den Alliiierten für ungültig erklärt werden mussten und nicht wegen eines Verstoßes gegen die Reichsverfassung Unrecht und damit nichtig waren, geht auf einen Makel der Weimarer Verfassung zurück, der im GG behoben wurde. Ich zitiere hier daher die beiden einschlägigen Artikel einmal.
Zitat
Art. 76 WRV:
(1) Die Verfassung kann im Wege der Gesetzgebung geändert werden. Jedoch kommen Beschlüsse des Reichstags auf Abänderung der Verfassung nur zustande, wenn zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl anwesend sind und wenigstens zwei Drittel der Anwesenden zustimmen.
[...]

Zitat
Art. 79 GG:
(1) Das Grundgesetz kann nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes ausdrücklich ändert oder ergänzt. Bei völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik zu dienen bestimmt sind, genügt zur Klarstellung, daß die Bestimmungen des Grundgesetzes dem Abschluß und dem Inkraftsetzen der Verträge nicht entgegenstehen, eine Ergänzung des Wortlautes des Grundgesetzes, die sich auf diese Klarstellung beschränkt.
(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages [...]

Der GG-Artikel macht sehr deutlich, warum das Ermächtigungsgesetz und die nationalsozialistische Machtergreifung im Allgemeinen eben kein Verstoß gegen die Reichsverfassung darstellte: Die WRV konnte im Wege der einfachen Gesetzgebung geändert werden. (Dazu bedurfte es auch nur zwei Drittel der Stimmen von zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages, während das GG zwei Drittel der Bundestagsmitglieder fordert.) Gemäß dem Grundsatz, dass neues Recht alles überlagert und daher vorzuziehen ist, konnte Hitler somit das Ermächtigungsgesetz vom Reichstag beschließen lassen, ohne dass dies gegen die Reichsverassung verstieß. Genau aus diesem Grund verlangt das GG eine konkrete Wortlautänderung des Grundgesetzes: Es soll verhindert werden, dass durch einfachgesetzliche Akte Nebenverfassungsrecht entsteht, dass dem Wortlaut des GG zuwiderläuft.
Damit einhergeht auch die traurige Erkenntnis, dass die Machtergreifung der Nazis rechtlich in keiner Form zu beanstanden war. Daraus folgt aber auch logischerweise, dass alle Gesetze und Rechtsgrundlagen, die die Nazis während der Zeit ihres unrühmlichen Treibens erschufen, auch verfassungsgemäß zustande gekommen sind und damit rechtmäßig waren. Die Alliierten haben nach dem Untergang des Dritten Reiches zahlreiche Nazi-Gesetze wieder aufgehoben, aber eben nicht alle. Von daher ist auch Nazi-Gesetzgebung, die sich im Rahmen des GG bewegt, selbstverständlich gültig. Die Reichsdeppen-Auffassung fußt lediglich auf einer mangelnden Lektüre der Weimarer Reichsverfassung.

Sehr empfehlenswerte Literatur dazu, warum die WRV dies ermöglichte, sind die Kommentare und Staatsrechtsbücher von Gerhard Anschütz und Carl Schmitt. Insbesondere Schmitt hat (m. E. etwas zu Unrecht) einen sehr berüchtigten Ruf. Die damalige Staatsrechtslehre darf aber nicht pauschal als Wegbereitung des Nationalsozialismus verstanden werden. Hier muss der Satz auch gelten: Im Nachhinein ist man immer schlauer.
« Letzte Änderung: 9. März 2016, 17:40:20 von Bessawissa94 »
 
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Offline Pantotheus

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Hüstel, da muss ich leider auch meinen Senf dazu geben:
Das Ermächtigungsgesetz von 1933 ist zweifellos nicht rechtens zustande gekommen. Dafür gibt es durchaus mehrere Argumente, die sich in einschlägigen Untersuchungen finden:
- Ein Teil der Abgeordneten des Reichstages wurde rechtswidrig von der Sitzung ausgeschlossen oder ferngehalten.
- Der Sitzungssaal war von SA umringt, es wurde offen Druck auf die Abgeordneten ausgeübt, die daher in ihrer Entscheidung nicht mehr frei waren.
- Der Reichsrat war fehlerhaft besetzt, denn viele Länder waren nicht durch Vertreter ihrer Regierungen, sondern nur durch Reichskommissare vertreten.
Zu diesem letzten Punkt gibt es ein Urteil des Staatsgerichtshofs von 1932, der die Vertretung eines Landes durch einen Reichskommissar oder einen durch einen solchen eingesetzten Vertreter ausdrücklich untersagt.
Somit ist das Ermächtigungsgesetz auf eine fehlerhafte Weise beschlossen worden. Zumindest wäre es anfechtbar gewesen.
Vom Zustandekommen eines Rechtserlasses ist aber dessen Gültigkeit zu unterscheiden:
War das Zustandekommen mindestens anfechtbar, so wurde das Gesetz damals nicht angefochten. (Nun gut, wer hätte sich überhaupt getraut?) Vielmehr ist es bis zur Aufhebung durch den Kontrollrat immer als gültig angesehen und gehandelt worden, selbst der Kontrollrat hat sich ja die Mühe, dieses und andere NS-Gesetze aufzuheben, nicht nur der deklaratorischen Wirkung wegen gemacht, sondern weil er davon ausging, dass diese Gesetze tatsächlich galten.
Nochmals ein anderes Problem ist, wie es um die Gültigkeit eines Gesetzes steht, das von Anfang an nichtig war oder das nachträglich für verfassungswidrig erklärt wird. Das gilt etwa für die NS-Rassengesetze: Wer durch eines dieser Gesetze die deutsche Staatsangehörigkeit verlor und sich eben deswegen um die Einbürgerung in einem anderen Staat bewarb, hat eben auf der Grundlage gehandelt, dass diese Gesetze damals tatsächlich angewendet wurden. Sie wurden also vollzogen. (Das ist gerade der fundamentale Unterschied zur RD-"Logik", dass es Gesetze gebe, die zwar gälten, aber vergessen gegangen seien und daher faktisch nicht vollzogen würden.)
Das BVerfG hat in einigen solcher Fälle entschieden, dass eine nachträgliche Nichtigerklärung dieser Gesetze nicht automatisch und zwingend dazu führt, dass diejenigen, die damals ausgebürgert wurden, ausnahmslos wieder deutsche Staatsbürger werden müssten, sondern dass im Einzelfall die Entscheidung eines Betroffenen zu achten sei, der damals eine andere Staatsbürgerschaft annahm und die deutsche gar nicht zurückhaben wolle. Somit können selbst Gesetze, die von Anfang an nichtig waren, rechtliche Auswirkungen haben.
Es ist auch ein Fehler zu meinen, dass alle NS-Gesetze auf dem Ermächtigungsgesetz ruhten. In den ersten Jahren wurden durchaus noch Gesetze vom Reichstag beschlossen (wobei dies Formsache war, man spräche besser von "Akklamation"), z. B. die bereits genannten Rassegesetze. Wie immer man sich zu solchen Gesetzen des Reichstages verhält, ist doch klar, dass sie nicht vom Ermächtigungsgesetz abhängen. Weiter wurde anfangs auch einige Mal auf einen Volksentscheid zurück gegriffen. 1934 wurde so z. B. das Gesetz über das Staatsoberhaupt durch Volksabstimmung abgesegnet, nachdem es zuvor von der Regierung nach dem Ermächtigungsgesetz beschlossen worden war. Dieses Gesetz hat Hitler erst die absolute Verfügungsgewalt über die Regierung und die Reichswehr gegeben, vorher stand da immer noch Hindenburg im Weg.
Im Umgang mit NS-Gesetzen hat sich übrigens weitgehend die "Radbruch'sche Formel" durchgesetzt, dass Recht, auch wenn es anfechtbar ist, erst einmal gilt, schon allein um der Rechtssicherheit willen, dass es aber dann, wenn es gar nicht mehr dem Ziel der Gerechtigkeit dient (was etwa für die NS-Rassengesetze gilt), als Unrecht und somit ungültig anzusehen ist.

Dies nur als etwas "Senf" aufs Wurstbrötchen.
« Letzte Änderung: 9. März 2016, 22:30:33 von Pantotheus »
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Offline kairo

Am besten liest man sich mal das "Reichskonkordats-Urteil" des BVerfG durch. Da steht, dass durch das Ermächtigungsgesetz eine neue Rechtsordnung in Deutschland eingeführt wurde, die sowohl nach innen funktionierte als auch von der Außenwelt anerkannt wurde. Dass dabei die Verfassung gebrochen wurde, trifft zu, aber gültig war die neue Ordnung dennoch.

Außer Kraft getreten ist das Ermächtigungsgesetz übrigens nach seinem Absatz 5 Anfang Mai 1945, als der Reichskanzler tot war und der Rest der Regierung zurücktrat, spätestens aber, als der Kontrollrat die Macht in Deutschland übernahm.
 
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Offline Bessawissa94

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Zu zwei Deiner Punkte möchte ich noch was anmerken. Dass die Abgeordneten gezielt unter Druck gesetzt wurden, stimmt. Allerdings hätte das auch keinerlei Auswirkungen gehabt, da soetwas wie ein Organstreitverfahren vor dem Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich gar nicht möglich war. Effektiven Rechtsschutz hätte es somit eh nicht geben können.
Der Ausschluss der KPD-Mitglieder basiert auf der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, die sich auf Art. 48 II WRV beruft. Nach damaliger herrschender Meinung war das Regieren aufgrund von Notverordnungen rechtmäßig und stellte keinen Verstoß gegen die Verfassung dar (welch ein Irrtum...). Und auch hier hätte sich das selbe Problem wie oben ergeben, dass Rechtsschutz nicht erreichbar gewesen wäre, selbst wenn es versucht hätte.
 

Offline Gutemine

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Läuft perfekt bei den Berufsquerulanten der "Grundrechtepartei".

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Syssi

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Es bleibt noch zu ergänzen, dass es sogar "normale" Gesetzgebung gab, beispielsweise im Zivil- und Straßenverkehrsrecht.
 

Offline Gutemine

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Die Anhänger von der "Grundrechtepartei" sind jetzt völlig durchgedreht.

Stolz wie sie sind, haben sie die Urteile selbst veröffentlicht. Ich rate aber nicht den Link zur "Grundrechtepartei" zu nutzen, da gibt es außer Mimimi und Expertisen eigentlich nichts zu lesen. Die Urteilsbegründung ist gut...auch die vom BGH.

Ich hänge sie aber auch mal als Datei an.

http://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=BGH&Datum=25.03.2015&Aktenzeichen=2%20ARs%2096/15


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Nur 50 Tacken Tagessatz für nen ehemaligen Richter? Ist die Pension echt so niedrig wie seine Gesinnung?
Jungs, das mag in eurem Kopf Sinn ergeben aber wir sind hier draußen!