Dass die Herausbildung und Verbreitung wahnhafter Verschwörungstheorien kein erst in jüngster Zeit entstandenes Phänomen ist, wissen wir ja (und ich wäre nicht überrascht, wenn man bei künftigen Ausgrabungen in Pompeji die Behauptung
imperium romanum non est an eine Wand gekritzelt findet), wenn auch das Internet die Verkündung derartiger Ideen bzw. das Zusammenfinden der davon Besessenen in nie dagewesener Weise fördert. Noch vor 15 Jahren hatten es Wissende und Eingeweihte, die ihre Mitmenschen über die geheimen finsteren Machenschaften der Herrschenden aufklären wollten, ungleich schwerer. Als einsame Streiter, da sie noch kaum eine Möglichkeit hatten, von der Existenz Gleichgesinnter zu erfahren, brachten sie die Wahrheit mittels Schreibmaschine zu Papier und fertigten in mühevoller Arbeit Fotokopien an, die sie sodann beispielsweise in Fußgängerzonen an die nichtsahnenden Massen verteilten. Manche von uns dürften sich noch vage an kuriose Gestalten erinnern, die versuchten, ihre Zettel unters Volk zu bringen. Aber wer hat ihre Pamphlete jemals gelesen? Das Wissen um Inhalte und Ausdrucksformen der Prä-Web-Spinnerei ist verblasst.
Glücklicherweise finden sich gelegentlich wertvolle Artefakte aus dem Neolithikum der Verschwörungstheorien. Vor Jahren gab es eine unterhaltsame Webseite mit dem Titel "Die Akte S". Der Betreiber stellte dort "seltsame Dokumente" vor, die ihm zufällig in die Finger geraten waren. Darunter befand sich auch das "Frankfurter Flugblatt" eines unbekannten Verfassers, das aus heutiger Sicht wie eine Art hochkomprimierter VT-Urschlamm erscheint. In dieser Wundertüte voll verworrenen Unfugs finden sich die Keime für so vieles, das uns mittlerweile nur allzu vertraut ist. Unter anderem wird kühn enthüllt, dass es nie ein Heilmittel gegen AIDS geben wird, weil die Krankheit zur Gewinnmaximierung für die Kondomindustrie dient (an den angeblichen Motiven der bösen Verschwörer musste man halt noch ein wenig arbeiten). Man muss es lesen, um es zu glauben.
Leider existiert die Seite "Akte S" nicht mehr - doch das Internet Archive schafft Abhilfe:
https://web.archive.org/web/20041210025146/http://sites.inka.de/sites/gromit/akte/frankfurt.htmlDie Lektüre lohnt sich - wärmstens empfohlen für jeden, der ein wenig Retro-Feeling zu schätzen weiß.
Hier eine Kostprobe des insgesamt drei eng beschriebene, teilweise illustrierte Seiten umfassenden Zeitdokuments: