Spoiler
Ganser vergleicht sich mit Sophie Scholl und Galileo Galilei
Ganser inszeniert sich bei seinen Auftritten oft und gerne als Opfer der von ihm so bezeichneten "Mainstreammedien". Dabei scheut er keinen Vergleich. So sieht er sich in der Tradition der berühmten Geschwister Hans und Sophie Scholl, die durch den Widerstand der Weißen Rose gegen das NS-Regime bekannt sind – und die im Kampf für den Frieden ihr Leben verloren.
Quotation Mark
"Sie können uns gar nicht mehr alle umbringen, wir sind zu viele."
DANIELE GANSER
2017 sagte er dem Verschwörungs-Blog "Nachdenkseiten": "Friedensforscher und Friedensaktivisten" – und damit meint Ganser auch sich selbst – "die sich aktiv gegen Gewalt und Kriegspropaganda aussprachen, wurden immer wieder angegriffen. Hans und Sophie Scholl von der Friedensbewegung Weiße Rose wurden enthauptet. Warum? Weil sie 1943 in der Universität München Flugblätter gegen die Hitler-Diktatur und gegen den Krieg verteilten."
So schlimm sei es heute aber nicht mehr, so Ganser: "Jemand, der auch in der Friedensforschung aktiv ist, hat mir kürzlich gesagt: 'Weißt Du, sie können uns gar nicht mehr alle umbringen, wir sind zu viele.' Sie können uns jetzt nur noch diffamieren, und auch dieses Spiel wird immer mehr durchschaut." Wie er darauf kommt, dass irgendwer ein Interesse haben könnte, Friedensaktivisten zu töten? Diese Antwort bleibt Daniele Ganser schuldig, der Blogger hakt auch nicht mehr nach.
In einem aktuellen Video vom 8. Februar auf "Mutigmacher TV" wiederholt er den Scholl-Vergleich. Und damit nicht genug: In seinen Vorträgen vergleicht er sich gern mit Galileo Galilei, weil auch dieser verfolgt wurde, weil auch seine Forschung unterdrückt wurde, nur weil er die Wahrheit über Erde und Sonne herausgefunden habe. Selbst Martin Luther King muss für seine Vergleiche herhalten: Weil er erschossen wurde, nachdem auch er nur die Wahrheit gesagt hatte.
Alternative Theorien zu 9/11
Daniele Ganser bezeichnet sich selbst als "Friedensforscher", hat aber als solcher nie einen wissenschaftlichen Beitrag geleistet. Überhaupt hat er durch die Verschwörungserzählungen, die er gerne und zahlreich verbreitet, seine wissenschaftliche Reputation komplett zerstört. Begonnen habe sein Wandel vom talentierten Historiker zum Outlaw mit den Anschlägen auf das World Trade Center in New York 2001, schrieb die "Welt" 2018.
Quotation Mark
"Ich konnte nicht akzeptieren, dass jemand, der in meinem Institut arbeitete, solch unsinnige Verschwörungstheorien verbreitet."
KURT SPILLMANN, PROFESSOR AN DER ETH ZÜRICH
In seinem Buch "Imperium USA: Die skrupellose Weltmacht" verdreht Ganser die Fakten so, dass der Eindruck entsteht, ein Nebengebäude des World Trade Centers, das WTC 7, sei am 11. September durch eine gezielte Sprengung eingestürzt – nicht durch die übergreifenden Flammen. Ganser veröffentlichte einen Artikel im "Tages-Anzeiger", in dem er die offizielle Geschichte des 11. September infrage stellte.
Das kostete ihn seinen Job an der ETH Zürich: "Ich konnte nicht akzeptieren, dass jemand, der wissenschaftlich in meinem Institut arbeitete, solch unsinnige Verschwörungstheorien verbreitet", sagte sein damaliger Chef Kurt Spillmann, Professor für Sicherheitspolitik und Konfliktforschung, der "Berner Zeitung" damals.
Gansers Rausschmiss aus der Wissenschaft
Schon in seiner Doktorarbeit 2001 an der Universität Basel hatte er sich mit den dunklen Machenschaften der Mächtigen beschäftigt. Genau genommen untersuchte er darin die Geheimarmeen in Europa nach 1945. Die Doktorarbeit und die von Ganser darin angewandten Methoden waren und sind im wissenschaftlichen Diskurs umstritten, dennoch erlangte er die Doktorwürde. Seine Habilitationsschrift zum globalen Kampf ums Erdöl wurde allerdings nicht angenommen – sie sei nicht wissenschaftlich genug.
Dieser Vorwurf zieht sich wie ein roter Faden durch Gansers Laufbahn. "Ganser arbeitet nicht wissenschaftlich. Er publiziert nicht in Zeitschriften mit wissenschaftlicher Qualitätskontrolle. Er stellt seine Methoden nicht zur Diskussion. Und er mischt seriöse und unseriöse Quellen", schrieb 2018 auch die "Aargauer Zeitung", als er nach heftigen Diskussionen um seine öffentlichen Auftritte seinen letzten Lehrauftrag an einer Hochschule verlor – offiziell war allerdings nicht Ganser selbst der Grund dafür, sondern eine Umstrukturierung des Studienangebots.
Mehrere Professoren hatten ihm schon zuvor die Unterstützung verweigert, auch sein ehemaliger Doktorvater distanzierte sich von ihm. Seitdem hat er sich – wohl nicht ganz freiwillig – vollständig aus der Wissenschaft zurückgezogen. Er arbeitete fortan nur noch als Autor und verdiente mit Vorträgen sein Geld.
Antisemitismusbeauftragte kritisieren Ganser
Dieses Geschäftsmodell kritisiert der Antisemitismusbeauftragte von Baden-Württemberg, Michael Blume: "Ich halte Daniele Ganser für einen antiwestlichen Verschwörungsunternehmer, der mit der Verbreitung von Verschwörungsmythen seit Jahren Geld verdient", sagt er zu t-online. "Zudem verharmlost er durch Gleichsetzungen mit der Covid-19-Pandemie auch den Holocaust und verhöhnt damit die Ermordeten", so Blume weiter.
Der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle pflichtet Blume bei. "Verschwörungsideologen (wie Ganser) verfolgen nur das eine Ziel, die Gesellschaft zu spalten, um schlussendlich die Demokratie zu zerstören", sagte er den Nürnberger Nachrichten.
"Daniele Ganser ist ein Nicht-Experte, der sein Geld damit verdient, Vorträge zu verschiedenen Themen der Weltpolitik zu halten und dabei Verschwörungsfantasien zu verbreiten", sagt auch von Julia Obertreis, Professorin für Osteuropäische Geschichte an der Universität Erlangen.
Daniele Ganser und der Krieg in der Ukraine
Seine kritische Haltung gegenüber der Nato und insbesondere den USA wird auch deutlich, wenn er zu Waffenlieferungen für die von Russland angegriffene Ukraine Position bezieht. Den Angriff Russlands verurteilt er. Er betont allerdings immer wieder, dass der Krieg nicht 2022 ausgebrochen sei, sondern schon 2014. Schuld aus Gansers Sicht damals: "Die Amerikaner". Die seien in den Putsch auf dem Maidan involviert gewesen und hätten die damalige ukrainische Regierung und Präsident Wiktor Janukowytsch gestürzt, indem sie den Protest finanziert und die Demonstranten bezahlt hätten.
Nach Ganser war der Euromaidan keine demokratische Bewegung – die Osteuropawissenschaften sind hier anderer Meinung. "Die Begründungen, die Daniele Ganser für seine Behauptungen zum Maidan liefert, sind ausgesprochen fragwürdig und verzerrt", schreibt der Watchblog "Verschwörungstheorien.info".
Immer wieder verbreitet er auch das russische Narrativ, die Nato hätte durch die Osterweiterung Russland unter Druck gesetzt – und damit das Versprechen gebrochen, auf eben jene zu verzichten. Das wird von Putin zwar gerne behauptet, ist von Historikern jedoch längst widerlegt.
Ganser ist der Meinung, den Konflikt Russlands mit der Ukraine könnten nur Moskau und Washington lösen. "Was man uns erzählt, 90 Leopardpanzer schicken und dann ist der Konflikt gelöst, das stimmt so nicht", sagte er vor ein paar Tagen dem Youtube-Kanal "RTV Regionalfernsehen". Dabei hat das kein Experte jemals behauptet.
Quotation Mark
"Ganser ist brandgefährlich, weil er demokratieskeptische Milieus durchdringt und so immer weiter vom demokratischen Diskurs entfremdet."
KLAUS GESTWA, PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT TÜBINGEN
Die Ukraine indes scheint für Ganser nur Verhandlungsmasse oder ein Mittel zu sein, um höhere Interessen durchzusetzen. Das Leid der Menschen in der Ukraine, die mutmaßlichen Völkerrechtsverbrechen – all das spielt bei Ganser nur eine Nebenrolle, wenn überhaupt. Stattdessen redet er lieber von der "Menschenfamilie". Und bleibt damit reichlich unkonkret, wen er damit genau meint. Klar scheint für ihn jedoch zu sein: Die USA und Großbritannien haben die Friedensverhandlungen Russlands mit der Ukraine sabotiert. Dafür gibt es jedoch keine Belege. Im Gegenteil.
Warum halten Experten Ganser für "brandgefährlich"?
Genau diese verzerrte Darstellung von Russland und des Krieges in der Ukraine machen Ganser aus Sicht des Tübinger Osteuropa-Forsches so gefährlich. Laut Gestwa seien die "russischsprachigen Milieus in Deutschland" sehr anfällig "für die russische Staatspropaganda und demagogische Inhalte von Rechtsaußen". Das habe 2015 der "Fall Lisa" gezeigt. Die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung würden versuchen, diese Milieus gezielt zu erreichen.
Doch Gansers Aussagen und Auftritte stünden dem entgegen. "Ich denke, dass Ganser 'brandgefährlich' ist, weil er mit einer Demagogie und Desinformationsarbeit demokratieskeptische Milieus durchdringt und sich so immer weiter vom demokratischen Diskurs entfremdet", so Gestwa, der Ganser für ähnlich gefährlich hält wie die ehemalige Moskau-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz.
In Telegramkanälen mit verschwörungstheoretischen, demokratiefeindlichen und coronaskeptischen Inhalten seien Gansers Inhalte jedenfalls weit verbreitet. Auch die ultrarechte russische Organisation "Nationale Befreiungsbewegung NOD" gehört zu diesen Gruppen. Sie ist Teil der russischen Propaganda in Deutschland. Um diese Gruppen noch besser zu erreichen, wurden sogar einzelne Interviewauftritte von ihm ins Russische übersetzt. Etwa ein Gespräch mit dem Verschwörungsideologen Ken Jebsen, der mitunter vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft wurde.
Die Methode Ganser
Dabei wird es Ganser nicht gerecht, ihn als bloßen Verschwörungstheoretiker abzustempeln. Dazu ist seine Masche – die "Methode Ganser", wie der Tübinger Wissenschaftler Michael Butter sie nennt – zu komplex. Butter, der an der Universität Tübingen als Professor für American Studies lehrt und forscht, beschreibt Daniele Ganser "als Prototyp desjenigen Verschwörungstheoretikers, der vorgibt, nur Fragen zu stellen, implizit aber eine Verschwörungstheorie entwirft".
Quotation Mark
"Er stellt Suggestivfragen, reißt Zitate und Bildquellen aus dem Zusammenhang und verschweigt alles, was nicht zu seinen Argumenten passt."
MICHAEL BUTTER, PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT TÜBINGEN
Auch wenn Ganser selbst darauf bestehe, nur Ungereimtheiten in den öffentlichen Erzählungen aufzuzeigen, stellt er laut Butter "Suggestivfragen, reißt Zitate und Bildquellen aus dem Zusammenhang und verschweigt alles, was nicht zu seinen Argumenten passt". So ließen seine Ausführungen im Grunde nur den Schluss zu, dass die US-Regierung oder ein Teil von ihr hinter den Anschlägen stecke. Gansers Argumentation sei "weder wissenschaftlich noch offen, sondern hochgradig manipulativ. Es geht nicht um offene Fragen, sondern um eine Verschwörungstheorie", lautet Butters Fazit.
Ähnlich wie mit 9/11 hielt es Ganser mit anderen Verschwörungstheorien: Er behauptet, der Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" könnte eine "False flag"-Operation westlicher Geheimdienste gewesen sein – also einer, dem man den Islamisten nur in die Schuhe schiebt. Und er hat angedeutet, auch der versuchte Putsch in der Türkei könnte – wie der Euromaidan – von den USA initiiert worden sein. Gegen kritische Berichterstattung müsse er sich dagegen selten wehren, so Butter. Das erledigten dann seine Fans für ihn.
Struktureller Antisemitismus in Gansers Interviews
Apropos Verschwörungstheorien: Glaubt man Daniele Ganser, so ist die Corona-Pandemie eine Krise, die von einer kleinen Gruppe sehr mächtiger Menschen erschaffen oder erfunden wurde, um die Gesellschaft zu töten, zu kontrollieren, unterwerfen und gefügig zu machen: mit Angst und einer Impfung etwa.
Das sei nicht nur widersprüchlich – weil eine Gesellschaft nicht gleichzeitig getötet und gefügig gemacht werden kann –, sondern auch struktureller Antisemitismus, weil diese Erzählung das antisemitische Narrativ der "Neuen Weltordnung" bediene, schreibt beispielsweise der BR. Also die Erzählung einer jüdischen Weltverschwörung.
Gansers Holocaust-Relativierung
Wenn Ganser behaupte, die Corona-Pandemie sei "weltweiter Wahnsinn", während er die Politik der Nazis und die Verfolgung der Juden als "lokalen Wahnsinn" bezeichnet, sei das "geschichtsrevisionistisch und holocaust-verharmlosend", sagte die Antisemitismus-Forscherin Pia Lamberty dem BR. "Und das ist eine Form des Antisemitismus", so die Co-Geschäftsführerin des gemeinnützigen Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) weiter.
"Indem Ganser sagt, die Schoah sei lokal gewesen, verharmlost er sie." Denn das sei sie keineswegs gewesen. "Die Logik seiner Aussagen lautet, wenn man es zu Ende denkt: Die Ungeimpften sind die neuen Juden. Solche Aussagen waren auch bei vielen 'Querdenker'-Veranstaltungen zu hören."
Der Autor hat sich richtig Mühe gegeben.