Aufmerksamkeit
Querdenken kämpft mit Anwalt um den goldenen AluhutDer „Goldene Aluhut“ hat „Querdenken“ wegen mutmaßlicher Unregelmäßigkeiten von der Abstimmung ausgeschlossen. Der Gründer der Initiative fordert einen Sieg jetzt per Anwalt ein. Dabei müsste er vor einem Gerichtsverfahren wohl zunächst wesentliche Fragen zu seiner Organisation beantworten – auch zu deren Finanzen.
16.10.2020 um 11:10 Uhr - Daniel Laufer - in Demokratie - keine Ergänzungen
Michael Ballweg
Querdenken-Initiator Michael Ballweg bei einer Demonstration im September Alle Rechte vorbehalten imago images / ZUMA Wire | Bearbeitung: netzpolitik.org
Michael Ballweg habe Scheinspenden eingeworben, heißt es auf der Website. Bei seinen „Querdenken“-Demonstrationen habe er sich zudem auf falsche und teilweise bewusst gefälschte Informationen gestützt. Solche Vorwürfe, wie sie als Begründung für seine Nominierung für den „Goldenen Aluhut“ genannt werden, wiegen üblicherweise schwer. Eine gemeinnützige Organisation vergibt den Preis seit 2015 jährlich an Verschwörungsideolog:innen, die besonders negativ aufgefallen sein sollen.
Michael Ballweg und „Querdenken-711“ aus Stuttgart wollen diesen Preis trotzdem unbedingt gewinnen. So sehr, dass sie versuchen, einen Sieg juristisch durchzusetzen. Das geht aus einem anwaltlichen Schreiben hervor, das netzpolitik.org vorliegt [PDF]. Zieht die Initiative wirklich vor Gericht, könnte sie jedoch gezwungen sein, ihre Organisationsstrukturen offenzulegen und damit unter Umständen auch, wie sie Geld einnimmt.
„Der Goldene Aluhut“ hat Ballweg sowie weitere Akteure aus dem Umfeld der „Querdenken“-Bewegung von der Preisvergabe ausgeschlossen. Bei einer Publikumsabstimmung im Netz will die den Preis ausrichtende Organisation Unregelmäßigkeiten festgestellt haben. Ein Cyberangriff habe zudem zeitweise ihre Website lahmgelegt, teilt sie mit.
Das Berliner Landeskriminalamt (LKA) nimmt den Fall unseren Recherchen zufolge so ernst, dass der Staatsschutz Ermittlungen aufgenommen hat. Er geht dem Verdacht nach, die mutmaßliche DDoS-Attacke könnte politisch motiviert gewesen sein. Über einen Zusammenhang zwischen dem Angriff und„Querdenken-711“ ist nichts bekannt.
Stimmen aus Litauen und Malaysia
Obwohl der „Goldene Aluhut“ eigentlich ein Negativpreis ist, ringen immer wieder Verschwörungsideolog:innen um die Aufmerksamkeit, die er mit sich bringt. Jedes Jahr komme es bei der öffentlichen Abstimmung zu Betrugsversuchen, sagt Giulia Silberberger, die den „Goldenen Aluhut“ leitet. Mithilfe von Computerskripten würden die Stimmen Einzelner künstlich in die Höhe getrieben.
Gleich fünf Nominierungen seien nach Einschätzung der Organisation bei der Endrunde vergangene Woche von solchen Manipulationen betroffen gewesen, darunter Michael Ballweg – nominiert in der Kategorie „Verschwörungstheorien allgemein“ – und Ballwegs „Querdenken-711“ – nominiert in der Kategorie „Politik“. Das Umfeld der „Querdenken“-Bewegung hatte im Vorfeld seine Kanäle genutzt, um für die Abstimmung zu werben.
Technische Merkmale können Hinweise darauf liefern, ob es sich bei einem Seitenbesucher um einen echten Menschen handelt oder bloß um ein Computerskript, das gezielt bestimmte Elemente einer Website ansteuert. Silberberger berichtet, eine Vielzahl von Stimmen für „Querdenken-711“ und dessen Umfeld sei IP-Adressen zufolge aus Ländern wie Litauen und Malaysia eingegangen. Nach eigenen Angaben bereinigt „Der goldene Aluhut“ solche Stimmen normalerweise bei der Endauswertung. Doch so weit sei es in diesem Jahr gar nicht gekommen.
DDoS-Attacke führt zum vorläufigen Ende der Abstimmung
Inmitten der Abstimmung sei die Website am Freitagnachmittag zusammengebrochen – Silberberger zufolge ausgelöst durch einen sogenannten DDoS-Angriff. Bei einem solchen wird ein Ziel aus unterschiedlichen Quellen mit so vielen Anfragen bombardiert, bis irgendwann schlichtweg die Leitung dicht ist oder der Server durch besonders rechenintensive Anfragen überlastet wird.
„Querdenken-711“ und Akteure aus dem Umfeld der Bewegung lagen zu jenem Zeitpunkt offenbar in allen fünf Kategorien vorne. Wie „Der goldene Aluhut“ mitteilt, sei die Website bis zum Samstagabend wegen technischer Probleme nicht erreichbar gewesen. Als sie wieder ans Netz ging, hätten die Angriffe aufs Neue begonnen.
Silberberger betont, sie unterstelle „Querdenken-711“ nicht, selbst an den dubiosen Vorgängen beteiligt gewesen zu sein. Die Werbung auf den Kanälen der Initiative habe aber womöglich diejenigen motiviert, die dahinterstecken.
„Zeitweise hatten wir selbst keinen Zugriff mehr auf den Server“, sagt Silberberger. „Wir hatten keine andere Wahl, wir mussten in der Nacht noch die Ergebnisse bekanntgeben.“ Die Organisation erklärte die Stimmen für das „Querdenken“-Umfeld für ungültig und den jeweils Zweitplatzierten zum Sieger.
Gegen diese Entscheidung geht Ballweg jetzt vor. Der Leipziger Anwalt Ralf Ludwig fordert den „Goldenen Aluhut“ auf, mitzuteilen, dass Ballweg und „Querdenken-711“ ihnen angeblich zustehende Preise doch noch erhalten würden. Sollte dies nicht erfolgen, würden rechtliche Schritte eingeleitet.
Einen Anspruch auf solche Preise spricht der „Der goldene Aluhut“ dem „Querdenken“-Umfeld indes ab. Die Preisträger:innen hätten weder Bedingungen erfüllen, noch eine Leistung erbringen müssen. „Sie haben sich nicht beworben, sondern wurden von Dritten nominiert“, sagt Chan-jo Jun gegenüber netzpolitik.org. „Das ist im Grunde wie bei den Musikcharts.“ Der Würzburger Anwalt hatte einst für Aufsehen gesorgt, weil es ihm als Erster gelungen war, Facebook in Deutschland vor Gericht zu bringen. Jetzt vertritt er den „Goldenen Aluhut“.
In dem von Ludwig am Mittwoch verfassten Schreiben sieht Jun aber eine ganz andere Angriffsfläche. Darin heißt es, Ludwig vertrete Ballweg sowie die von diesem „vertretene Organisation Querdenken-711“. Es könnte sein, dass sich ausgerechnet diese Formulierung als taktischer Fehler herausstellen wird.
Anwaltsschreiben von Ralf Ludwig an den Goldenen AluhutAnwaltsschreiben von Ralf Ludwig an den Goldenen Aluhut Alle Rechte vorbehalten Ralf Ludwig | Bearbeitung: netzpolitik.org
Überweisungen aufs Privatkonto
Bislang ist die Rechtsform von „Querdenken-711“ ungeklärt. Fragen zu der Organisation kamen bereits im September auf, als wir zu den fragwürdigen Spenden-Tricks im Umfeld der Bewegung recherchiert hatten. Ballweg wollte uns damals nicht antworten – etwa, wie Spendentransparenz und Verteilung der Spenden bei „Querdenken-711“ gewährleistet würden. Erst nach unserer Veröffentlichung äußerte er sich teilweise vage zu den entsprechenden Punkten. Ein Reporter des ARD-Magazins Kontraste hatte Ballweg vor laufender Kamera mit den Recherchen von netzpolitik.org konfrontiert.
Er habe unsere Fragen „etwas seltsam“ gefunden, sagte Ballweg in dem Interview. Zugleich gab er an, überhaupt keine Spenden zu sammeln. „Bei uns steht auf der Website, dass wir nur Schenkungen akzeptieren, weil ich’s als Einzelperson mache – als Privatperson.“ Ein ausdrücklicher Verwendungszweck für entsprechende Überweisungen wird auf der Website nicht vorgeschlagen. Geld, das für „Querdenken-711“ bestimmt sei, geht Ballweg zufolge auf seinem Privatkonto bei der Volksbank ein.
Worum handelt es sich also bei der Organisation, deren Vertreter Ballweg dem Anwaltsschreiben zufolge ist? Eingetragen ist „Querdenken-711“ weder im Vereins-, noch im Handelsregister. Auch eine Anmeldung der Wortmarke führt nur zu der Privatperson Michael Ballweg.
Wer und was ist „Querdenken-711“?
Sollte Ludwig tatsächlich vor Gericht gegen den „Goldenen Aluhut“ vorgehen, will dieser zunächst einmal klären lassen welche Rechtsform „Querdenken-711“ hat. Davon hänge schließlich ab, ob Ballweg die Organisation in rechtlicher Sicht überhaupt vertreten könne, sagt Chan-jo Jun. Genau das wolle er bei einem Verfahren in Frage stellen.
Denkbar ist ihm zufolge, dass „Querdenken-711“ ein sogenannter nicht rechtsfähiger Verein ist. Um vor Gericht Ansprüche geltend machen zu können, benötige dieser ein Mindestmaß an organisatorischer Struktur, zum Beispiel eine demokratische Wahl von Organen und Vertreter:innen. Womöglich handele es sich bei der Organisation auch um eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Ballwegs eigenen Äußerungen ist zu entnehmen, dass er „Querdenken-711“ nicht als Alleingang zu verstehen scheint. Bei einer GbR wäre nach Ansicht von Jun zu klären, ob Ballweg Beschlüsse alleine oder mit anderen trifft, die dann womöglich ebenfalls Gesellschafter:innen sein könnten und persönlich mit ihrem Privatvermögen haften müssten.
„Würden sie vor Gericht gehen, müssten sie das offenlegen“, teilt Jun mit. „Mich interessiert vor allem, womit diese Organisation ihr Geld verdient oder welche Einnahmen und Ausgaben sie hat.“ Je nachdem, welche Art von Organisation „Querdenken-711“ ist, könnten demnach auch die auf der Organisationswebsite erbetenen „Schenkungen“ an die Privatperson Michael Ballweg pikant sein. Jun sagt: „Das müssten ja eigentlich gewerbliche Einkünfte sein, die er dann wiederum ausgibt.“Ballweg sät Zweifel an DDoS-Angriff
Wir haben die Anwaltskanzlei, für die Ralf Ludwig im Namen von Ballweg und „Querdenken-711“ tätig ist, am Donnerstag kontaktiert und angeboten, sich zu den Forderungen gegenüber dem „Goldenen Aluhut“ zu äußern und am Freitagnachmittag mit ihm gesprochen. Ludwig bestätigte, dass „Querdenken-711“ derzeit keine Rechtspersönlichkeit hat, wodurch die Organisation wohl tatsächlich gar nicht rechtsfähig ist. Sein Mandant Ballweg habe ihm mitgeteilt, er wolle vor diesem Hintergrund kommende Woche mit seinem Steuerbrater sprechen. „Ob wir das gerichtlich im Namen von ‚Querdenken-711‘ geltend machen oder nur im Namen von Michael Ballweg als Privatperson, werden wir nochmal prüfen“, sagt Ludwig. Er kündigt zugleich an, einen entsprechenden Antrag beim Gericht einzureichen.
Bereits am Dienstag hatten Ballweg und Ludwig in einem Video auf YouTube ihrem Ärger über den „Goldenen Aluhut“ Luft gemacht. In der rund 21-minütigen Aufnahme sitzen die beiden in weißen „Querdenken-711“-Hoodies neben einem Heizpilz und lesen Fragen vor, die ihnen Journalist:innen des RBB zu der Causa geschickt hätten. Von der Auszeichnung erhoffen sie sich wohl in erster Linie Aufmerksamkeit.
„Wir haben uns natürlich drauf gefreut, dass es einen Preis gibt, bei dem wir gewinnen“, sagt Ballweg. Es sei ihnen wichtig, dass ein „so wichtiger Preis wie der Goldene Aluhut nicht entwertet wird“, sagt Ludwig. Er wolle den Preis gewinnen, um einen Debattenraum zu öffnen, sagt Ballweg. „Es sind Regeln aufgestellt worden, wir haben uns an diese Regeln gehalten, und dann sind kurzfristig diese Regeln umgeworfen worden“, sagt Ludwig.
In dem Video weist Ballweg zudem einen Verdacht zurück, mögliche Manipulationen der Abstimmung ständen im Zusammenhang mit seiner Initiative. Er zweifelt auch an, dass es tatsächlich einen DDoS-Angriff auf die Website des „Goldenen Aluhut“ gegeben hat. Eine Beurteilung, die wohl das LKA überprüfen wird.
Polizeischutz für die Preisverleihung
Verliehen wird der „Goldene Aluhut“ am 30. Oktober auf einer Veranstaltung in Berlin. Bereits in der Vergangenheit benötigte die Organisation Medienberichten zufolge Polizeischutz. In diesem Jahr scheint die Stimmung besonders aufgeheizt zu sein.
„Ich möchte mich wirklich davon distanzieren, dass ich Ballweg und ‚Querdenken-711‘ den Preis nicht gegönnt hätte“, so Giulia Silberberger. Sie habe selbst für die beiden Nominierungen gestimmt. Aber nun erhalte sie Nachrichten, in denen ihr gewünscht werde, dass sie am Coronavirus erkranke und sterbe.
Michael Ballweg sagt im Video auf YouTube, ihm tue das Leid. Er glaube jedoch nicht, dass diese Nachrichten tatsächlich von „Querdenken“-Anhänger:innen stammen. „Wir stehen ja für Liebe, Freiheit, Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und sind sehr friedlich.“
Für den Abend der Preisverleihung hat er nach eigenen Angaben in unmittelbarer Nähe des Veranstaltungsorts eine Versammlung angemeldet.
Aktualisierung: Wir haben den Artikel am Freitagabend um 18.10 Uhr um eine Stellungnahme von Michael Ballwegs Anwalt Ralf Ludwig ergänzt, der sich nach der Veröffentlichung bei uns gemeldet hat. Zudem haben wir nun Ludwigs Anwaltsschreiben an den „Goldenen Aluhut“ veröffentlicht.