n-tv hat einen schönen Artikel geschrieben. Das Mimimi wird hart sein.
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Politik
Montag, 04. Mai 2020
Partei der Corona-Leugner? Was sich hinter "Widerstand2020" verbirgt
Von Benjamin Konietzny
Die Corona-Krise erlebt ihre erste Parteigründung: Den bisher losen Protest gegen die Pandemie-Maßnahmen will die Partei "Widerstand2020" kanalisieren. Vieles erinnert an die frühen Jahre der AfD. Die Rechtspopulisten dürfte das Projekt nervös machen.
Erneut haben in den vergangenen Tagen viele Menschen in Deutschland gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung und der Länder protestiert. In Stuttgart versammelten sich nach Polizeiangaben Tausende Kritiker, auf dem Berliner Rosa-Luxemburg-Platz demonstrierten bei der sogenannten Hygiene-Demo erneut Hunderte und auch in kleineren Städten wie Halle gab es Kundgebungen mit mehreren Dutzend Protestierenden. Auffällig war bisher: Die Teilnehmer ließen sich pauschal nicht in parteipolitische Muster einsortieren. In Berlin etwa protestierten Linke, Rechte - auch Neonazis -, Christen, Impfgegner und Anhänger der "Q-Anon"-Verschwörungstheorie. Ein neues politisches Projekt schickt sich nun an, das zu ändern. Widerstand2020 heißt die neue Partei und will nach eigenen Angaben bereits mehr Mitglieder haben als AfD, Linke oder FDP.
Gründer sind nach Angaben von Widerstand2020 der HNO-Arzt Bodo Schiffmann, der Rechtsanwalt Ralf Ludwig und Victoria Hamm, die sich auf der Homepage als "nur ein Mensch" bezeichnet. Schiffmann unterhält einen Youtube-Kanal, auf dem er seine Meinung zur Pandemie verbreitet. In einem gestern veröffentlichten Beitrag behauptet er, die Bundesregierung wolle "am Ende einer Welle gegen eine Erkrankung impfen, die es faktisch nicht mehr gibt". Er konstatiert: "Das ist Körperverletzung." Seine Videos wurden teils hunderttausendfach aufgerufen.
Bereits in seinem ersten Beiträge berichtet er Ende März von "geringen Sterberaten" bei Covid-19-Patienten, davon, dass bei über 80-jährigen Patienten Sterbehilfe geleistet würde und von einer "Massenpanik", die der Charité-Chefvirologe Christian Drosten ausgelöst hätte. Covid-19 sei nicht gefährlicher als eine gewöhnliche Grippe. Neben eigenen Videos verbreitet er auf seinem Kanal auch Beiträge des Verschwörungstheoretikers Ken Jebsen oder Filme mit Titeln wie "20 AUFGEFLOGEN! Die WAHREN Mächte Volksverrat schnell gucken".
Ko-Parteigründer und Rechtsanwalt Ludwig war einer der Redner bei der Demonstration in Stuttgart. Dabei griff er die Debatte um den von Gesundheitsminister Jens Spahn vorgeschlagenen Immunitätsausweis auf und behauptete, dies sei nur ein "Feigenblatt, um die Impfbescheinigung zum einzig zulässigen Dokument zu erklären".
Hamm ist offenbar nebenbei Beziehungscoach und unterhält die Webseite Liebeskummerbox.de, über die sie Paarberatung anbietet. Auf ihrem Facebook-Profil zeigt sie sich in einer mit "The Matrix" betitelten Bildmontage vor dem Hintergrund der herunterstürzenden Schriftzeichen aus dem gleichnamigen Science-Fiction-Film und spekuliert über die wahren Hintergründe der Corona-Maßnahmen. Ihre in dem sozialen Netzwerk angegeben Interessen gelten unter anderem dem FPÖ-Politiker Herbert Kickl, der verschwörungstheoretischen Webseite Jebsens, KenFM, und der Video-Plattform "Klagemauer TV" des Schweizer Sekten-Predigers Ivo Sasek.
"Typische populistische Denkfiguren"
In den sozialen Netzwerken feiert sich Widerstand2020 bereits für schier unglaubliche Mitgliedszahlen. Angeblich sind bereits mehr als 100.000 Menschen der Partei beigetreten. Damit würde sie schon jetzt zu den fünf größten Parteien Deutschlands gehören. Das wäre eine zweifellos beeindruckende Bilanz für eine Partei, die erst am 21. April dieses Jahres ihre Satzung beschlossen hat.
Viel spricht jedoch dafür, dass die Zahlen wenig mit der Realität zu tun haben. Die Identität der neuen Parteimitglieder wird offenbar nicht überprüft. Zudem ist ein Mitgliedsbeitrag nicht fällig. Ein AfD-Politiker aus Baden-Württemberg hat sich den Spaß erlaubt und seinen Hahn "Blacky" erfolgreich als Parteimitglied registriert. Möglicherweise werden Besucher der Internetseite automatisch als Parteimitglieder gezählt. Auffällig ist auch, dass die Partei auf ihrer Webseite aktiv damit wirbt, sich ausschließlich aus anonymen Parteispenden finanzieren zu wollen - was in Deutschland verboten ist.
Nach Ansicht des Politikberaters Johannes Hillje scheint sich in der neuen Partei der Widerstand zu formieren, der bisher Parteilager-übergreifend auf der Straße zu sehen war. "Das, was sich in manchen Teilen der Gesellschaft schon gegen die Corona-Maßnahmen aufgelehnt hat, manifestiert sich dort", sagt er ntv.de. Die auf der Internetseite aufgeführten Ideen - ein Parteiprogramm gibt es noch nicht - , bedienten bekannte Muster.
"Es wird etwa gefordert, eine 'wahrhaftige Demokratie' zu schaffen. Die Texte unterstellen, der Wille des Volkes werde unterdrückt und es müsse eine neue Kraft geben, damit der Volkswille eine neue Stimme bekomme und das Volk seine Rechte wiederbekommt. Das sind typische populistische Denkfiguren", sagt er. Begriffe wie "Corona", "Pandemie" oder "Covid-19" sind auf der Seite allerdings kaum zu lesen, was erstaunlich ist für eine Partei, die sich vor dem Hintergrund dieser Schlagworte gegründet hat. "Dadurch, dass von Freiheitsentzung die Rede ist, wird der Bezug zu Corona schon deutlich hergestellt", glaubt Hillje. "Die Gründungsmotivation erwächst aus der Corona-Politik." Vieles erinnere an die Gründungszeit der AfD. "Dass Meinungen unterdrückt würden, Unrecht und Geld regiere, die etablierten Parteien von den vermeintlichen Normalbürgern entkoppelt seien - das steckt hier alles drin", sagt Hillje.
Für die AfD komme die Neugründung der Partei zur Unzeit. Die Partei stecke in ihrer ersten Krise seit der Bundestagswahl 2017, das mache sie nervös. Tatsächlich hatte die AfD anfangs Schwierigkeiten, eine Position in der Corona-Krise zu finden. Während Spitzenpolitiker wie Fraktionschefin Alice Weidel der Regierung vorwarfen, zu wenig zu unternehmen, gab es von anderen Vertretern wie Ko-Fraktionschef Alexander Gauland oder dem Höcke-Vertrauten Jürgen Pohl sogar Lob für die Regierung. Zwar ist die AfD inzwischen wieder auf den Kurs der Fundamentalopposition eingeschwenkt und fordert ein sofortiges Ende der Corona-Einschränkungen. Doch möglicherweise hat sie Vertrauen verspielt. "Es ist erstaunlich, dass sich hinsichtlich einiger Grundannahmen eine Kopie der AfD versucht zu gründen. Es gibt Menschen, die fühlen sich scheinbar nicht mehr von Partei repräsentiert", sagt Hillje. "Für neue Parteien braucht es einen Gründungsimpuls. Was die Eurokrise für die AfD war, ist die Coronakrise für diese Menschen."
Corona hat ein rechtes Bündnis erschüttert
Problematisch für die AfD, so Politikberater Hillje weiter, könne auch sein, dass die Partei in Alternativen Medien beim Thema Corona schlecht durchdrungen hat, was sonst eines ihrer Alleinstellungsmerkmale gewesen ist. "Das ist für die Partei gefährlich", sagt er. Der Kurs, mit der Regierung konform zu sein, habe von Beginn an im Kontrast zu Medien wie "KenFM" oder "PI News" gestanden. "Zum ersten Mal bröckelt diese Rechtsaußen-Allianz. Die AfD hat mit rechten Alternativmedien immer in eine Richtung gestoßen. Corona hat dieses Bündnis erschüttert und das erklärt auch, warum es eine neue Parteigründung gibt: Die AfD konnte das verschwörungstheoretische Milieu nicht ausreichend bedienen."
Könnte es die AfD also mit einer freundlichen Übernahme versuchen? "Fundamentalopposition ist in der Coronakrise für die AfD Risiko und Chance zugleich." Denn daraus könnten sich erhebliche Konflikte ergeben. Die AfD versuche derzeit gezielt, das bürgerliche Milieu anzusprechen. Das könne durch die neue Klientel bei den Verschwörungstheoretikern jedoch abgeschreckt werden. "Entweder man bedient ein relativ überschaubares, verschwörungstheoretisches Milieu oder eben das rechts-bürgerliche Milieu. Je lauter aber der Protest gegen die Krisenpolitik der Regierung aus dem konservativen Spektrum kommt, desto eher kann die AfD hier ein Angebot machen", sagt Hillje.
Bezüglich mancher Positionen scheint eine Zusammenarbeit aber nahezu ausgeschlossen. Zum Thema Migration sagte Widerstand2020-Gründer Schiffmann etwa: "Wenn wir alle Einwohner von Afrika in ein Bundesland von uns setzen würden, hätten wir anschließend noch Platz." Eine Forderung, die bei der AfD Entsetzen auslösen dürfte. Hillje glaubt zudem, dass die neue Partei möglicherweise nur eine kurze Lebenszeit hat: "Diese Bewegung kann schnell wieder verschwinden, wenn die Corona-Beschränkungen aufgehoben werden. Derzeit sieht es nach einer Eintagsfliege aus, die von den situativen Protesten gegen die Corona-Politik lebt."
https://www.n-tv.de/politik/Was-sich-hinter-Widerstand2020-verbirgt-article21757351.html?utm_source=pocket-newtab_____________
Auf jeden Fall bekommen sie jetzt so richtig ihr "15-Minuten"-Aufmerksamkeit. Der DLF hat auch einen schönen Artikel
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Die Gruppierung "Widerstand 2020" hat nach eigenen Angaben über 100.000 Mitglieder. Sie wäre damit quasi über Nacht die viertgrößte Partei
Deutschlands. Aber wer wie ein richtiges Mitglied wird, ist nicht klar. Willkommen sind auf jeden Fall alle, die die Beschränkungen in der
aktuellen Coronakrise ablehnen. Das zieht unterschiedlichste Menschen an, so Isabel Reifenrathaus aus dem ARD-Hauptstadtstudio.
Die Gruppierung "Widerstand 2020" sei ein diffuses Sammelbecken, so der Soziologe Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft. Ihr gehören Verschwörungstheoretiker, Rechtspopulisten, linksesoterische Impfgegner, aber auch verunsicherte Bürger und Bürgerinnen an. Diese Mischung sei gefährlich.
Gefährliche Mischung von Ansichten
Auf der Webseite der Protestgruppe finden sich Kommentare mit rechtspopulistischen Ansichten, so Isabel Reifenrathaus aus dem ARD-Hauptstadtstudio. Unterstützung bekomme "Widerstand 2020" auch von der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreich. Ihr Sprecher, Martin Sellner, hat in einem Video dazu aufgerufen, die Gruppierung zu unterstützen. Damit werden rechte Strömungen innerhalb der Gruppierung deutlich, so die Journalistin.
"Es gibt in dieser Partei jetzt schon Strömungen von rechts."
Isabel Reifenrathaus, ARD-Hauptstadtstudio
Die gemeinsame Agenda des Sammelbeckens "Widerstand 2020" ist die Kritik an der Einschränkung der Freiheitsrechte im Zuge des Ausbruchs des neuartigen Coronavirus. Aber es gehe um noch mehr, so Isabel Reifenrathaus. Ähnlich wie bei der AfD wolle man sich gegen "die Medien" stellen, gegen das politische System und bei "Widerstand 2020" auch gezielt gegen das Robert-Koch-Institut. Dieser Protest soll basisdemokratisch sein: Jeder und jede soll auf der Webseite der Gruppe am Parteiprogramm mitschreiben dürfen.
"Im Prinzip kritisiert 'Widerstand 2020' die Einschränkungen der Freiheitsrechte. Aber es geht auch darum, sich gegen 'das System' zu stellen."
Isabel Reifenrathaus, ARD-Hauptstadtstudio
Einer der Gründer von "Widerstand 2020" ist der Hals-Nasen-Ohren-Arzt Bodo Schiffmann. Auf Youtube kritisiert er die Beschränkungen im Zuge der Coronapandemie von Mitte März. Die Kontaktbeschränkungen und
Ausgangssperren in einzelnen Bundesländern seien zu diesem Zeitpunkt nicht mehr nötig gewesen.
Bei einem Protest in München trägt jemand ein Schild mit sich mit dem Hinweis auf Widerstand2020 (02.05.2020)
Zum Gründungsteam gehören auch der Rechtsanwalt Ralf Ludwig aus Leipzig sowie Victoria Hamm, die sich um die Webseite von "Widerstand 2020" kümmert.
An der Zahl der Mitglieder gibt es Zweifel
Nach eigenen Angaben will "Widerstand 2020" bereits über 100.000 Mitglieder haben. Daran gibt es jedoch Zweifel. Zum Beispiel von dem Parteienforscher Hendrik Träger von der Universität Leipzig. Noch nie habe es bei einer Partei eine solche Eintrittswelle gegeben. Außerdem sei nicht klar, ob "Widerstand 2020" tatsächlich eine Partei entsprechend des Parteiengesetzes sei. Denn dafür braucht es ein Programm. Aber an dem wird zurzeit vermutlich noch gemeinsam geschrieben.
"Mit ihren 100.000 Mitgliedern greift 'Widerstand 2020' ziemlich hoch."
Isabel Reifenrathaus, ARD-Hauptstadtstudio
Als Isabel Reifenrathaus am 4. Mai die Webseite von "Widerstand 2020" besucht, wird ihr der Hinweis angezeigt, dass sie das 100.001 Mitglied sei. Ohne der Partei offizielle beigetreten zu sein oder Mitgliedsbeitrag gezahlt zu haben. Später war die Webseite offline gewesen. Als die Journalistin die Seite wieder aufrufen konnte, musste sie ihre Daten angeben und die Parteisatzung anerkennen. Wie die Partei Mitglieder definiert und zählt, bleibt erst einmal unklar.
https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/protest-gegen-corona-ma%C3%9Fnahmen-widerstand-2020-versammelt-esoteriker-impfgegner-und-rechtspopulisten____________________
Und die Heidelberger Nachrichten beschäftigen sich mit dem "Schwindelarzt".
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Sinsheim
Wie der HNO-Arzt Bodo Schiffmann zum YouTube-Star wurde
Tausende folgen Schiffmanns Corona-Videos, einige halten ihn für einen geistigen Brandstifter - "Partei" gibt es formal noch nicht
Von Christian Beck, Tim Kegel und Berthold Jürriens
Sinsheim. Sein Youtube-Kanal hat über 130.000 Abonnenten, seine Videos werden innerhalb eines Tages teilweise 200.000 Mal aufgerufen. Seit einigen Wochen macht der Arzt Bodo Schiffmann mit Äußerungen zum Thema Corona auf sich aufmerksam, die die Kollegen der Süddeutschen Zeitung zuletzt einen "blühenden Unsinn" nannten. Schiffmann ist zudem Mitbegründer der Partei "Widerstand 2020". Durch dies alles rückte auch Sinsheim in den Blick einer großen Öffentlichkeit. Nach zahlreichen Anfragen gelang es der RNZ, mit Schiffmann zu sprechen. Ein Überblick:
Was sagt Schiffmann? Er kritisiert die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen der Bundes- und Landesregierungen im Umgang mit Covid-19. Konkret fordert er unter anderem die sofortige Aufhebung des "Lockdowns", das Ende der Maskenpflicht, den Rücktritt von Gesundheitsminister Jens Spahn und die Beendigung dessen, was er als Panikmache versteht. Sollte ein Impfstoff gefunden werden, sei eine Massenimpfung fragwürdig, das Virus könnte wieder mutiert sein, wie bei Grippeviren. Er vertritt die Auffassung, dass das Corona-Virus nicht schlimmer als eine klassische Grippe und die Sterblichkeitsrate nicht höher sei: "Das Virus ist durch." Das "gut aufgestellte Gesundheitssystem" könne "seine normale Arbeit aufnehmen". Schiffmann fürchtet die "Zerstörung der Grundrechte", warnt vor psychischen und wirtschaftlichen Schäden, die seiner Meinung nach Folgen der Beschränkungen sein würden. Als "neuer Denker" bemängelt er, dass kritische Stimmen nicht erwünscht seien.
Wie argumentiert er? Im Gespräch mit der RNZ bezieht sich der Arzt auf Studien von Universitäten und Interviews mit Experten. So verweist er unter anderem auf Zahlen und epidemiologische Bulletins, am gestrigen Dienstag bezog er sich in einem Video auch auf das Dashboard des Robert-Koch-Instituts und Aussagen vom Charité-Virologe Christian Drosten. "Schon vor dem ,Shutdown‘ am 23. März war die Reproduktionszahl auf unter eins gesunken. Dieser Wert hat sich während der Maßnahme kaum geändert." Das zeige, dass die Einschränkungen nichts gebracht, sondern der Wirtschaft und Bevölkerung unnötig geschadet hätten.
Wie viele andere Gegner des "Shutdowns" führt auch Schiffmann Schweden als Positivbeispiel an, weil dort an die Eigenverantwortung der Bevölkerung appelliert werde und nur Teile des gesellschaftlichen Lebens eingestellt worden seien. Darüber hinaus stellt er gerne Fragen wie: "Wieso darf ich mit sechs Menschen auf der Baustelle arbeiten, aber abends mit ihnen kein Bier gemeinsam trinken?" Auch durch die Ergebnisse der Heinsberg-Studie fühlt sich Schiffmann neuerlich in seinen Ansichten bestätigt.
Wer ist Schiffmann? Der Familienvater ist der ärztliche Leiter der eigenen Schwindelambulanz in Sinsheim. Der Hals-Nasen-Ohren-Arzt hat sich unter anderem auf seltenere und bislang nicht erkannte Ursachen für Schwindelerkrankungen spezialisiert. Schiffmann ist ausgebildeter Rettungssanitäter und wurde mehrfach in jährlich veröffentlichten Ärzterankings gelistet und ausgezeichnet.
Wie kam es zu seinen Videos? "Mitarbeiterinnen meiner Praxis waren besorgt, als sie im Februar Bilder aus dem chinesischen Wuhan über die tödliche Grippe gesehen hatten. Dann habe ich das versucht, intern aufzuarbeiten", erzählt Schiffmann. Seit Jahren pflegt er einen YouTube-Kanal, der sich der Thematik "Schwindel" widmet. Am 14. März startete Schiffmann die Corona-Reihe. Titel des ersten Videos: "Ein objektiver Blick auf Corona – mal ohne Panik". Schließlich hätten die Videos eine Eigendynamik entwickelt. Er vermutet, dass ihm die Aussagen sicher mehr schaden als helfen würden. "Ich brauche die Aufmerksamkeit nicht. Aber ich sehe darin eine Verantwortung, dass die Menschen sich ein eigenes Bild machen können."
Wie fallen die Reaktionen aus? In zahlreichen Kommentaren wird Schiffmann für seine Aussagen gelobt. Follower sehen in ihm einen Kämpfer für Freiheit und gegen Bevormundung. Andere Kommentatoren werfen ihm vor, die Fakten ungenügend zu checken. Es gibt die Ansicht, dass Schiffmanns Ansatz verantwortungslos sei, da einige der Aussagen nur von Fachleuten in den nötigen Kontext eingeordnet werden könnten.
Was sagen Ärzte dazu? Nicht viel. "Wir distanzieren uns in aller Deutlichkeit von den Äußerungen in seinen Youtube-Videos im Zusammenhang mit der Coronakrise", lautet die offizielle Stellungnahme des GRN-Klinikums in Sinsheim. Es wird betont, dass "kein Kooperationsverhältnis" mehr bestehe. Inhaltlich will man sich nicht äußern. Schiffmann war am Klinikum früher als Belegarzt tätig, seine Schwindelambulanz befindet sich in einem Anbau der Klinik. Die RNZ stellte außerdem eine Anfrage an das Uniklinikum Heidelberg. Doch auch dort wollte man sich zu Schiffmanns Aussagen nicht äußern. Bei weiteren Ärzten und Pflegern gehen die Meinungen zu Schiffmanns Äußerungen auseinander: Sie reichen von latenter Zustimmung bis zum Vorwurf einer gezielten Verunsicherung aus dem Munde eines Arztes, der kein Virologe ist.
Was hat es mit der Partei auf sich? Schiffmann ist Mitbegründer von "Widerstand 2020". Diesen Schritt bezeichnet er gegenüber der RNZ als "Notwehr". Das Projekt geht auf Viktoria Hamm zurück, eine 36-Jährige, gebürtig in Leipzig, die sich als "nur ein Mensch" bezeichnet und unter anderem eine Online-Beratung bei Liebeskummer betreibt. Gemeinsam mit dem Leipziger Rechtsanwalt Ralf Ludwig hat sie das Bündnis gegründet und Schiffmann nach eigener Aussage gegenüber dem ZDF als "prominenten Kopf" gewonnen.
Binnen weniger Tage konnte das Projekt über 100.000 Sympathisanten generieren, ob jeder davon jedoch als "Mitglied" gezählt werden kann, ist allerdings fraglich: Mitgliedsbeiträge werden keine erhoben, ein Beitritt ist via Internet ohne genauere Identitätsprüfung möglich. Die Bewegung gibt sich basisdemokratisch, unterhält aber auch einen Onlineshop mit Werbemitteln, darunter sogenannte "Demokratur-T-Shirts". Im Lauf der vergangenen Tage waren beide Internetseiten wiederholt offline – nach Schiffmanns Auslegung gab es Hacker-Angriffe. Tatsache ist auch, dass das für Parteigründungen zuständige Büro des Bundeswahlbeauftragten zurzeit keine Kenntnis von einer solchen hat: Dort hieß es zuletzt auf Nachfrage, dass "keine Unterlagen einer politischen Vereinigung/Partei mit dem Namen Widerstand 2020 eingereicht" worden seien
Wer springt auf den Zug auf? Schiffmann wird oft als "Corona-Leugner" bezeichnet, was nicht korrekt ist, da er die Krankheit und deren Folgen nicht leugnet. Das staatliche und mediale Handeln hinterfragt er, weil kritische Stimmen und Ansätze im Diskurs seiner Meinung nach zu wenig Gehör finden. So generiert er Anhänger aus allen Teilen der Gesellschaft, Hausfrauen-Gymnastikgruppen teilen seine Positionen genauso wie Impfgegner und esoterische Linke bis hin zur "Neuen Rechten". Diese Breitenwirkung, oft unreflektiert, halten Kritiker für gefährlich, auch weil viele Anhänger von Verschwörungstheorien Beifall klatschen. Auch Martin Sellner, Kopf der rechtsradikalen Identitären Bewegung aus Wien, machte Schiffmann Avancen. Aus Sellners Interview-Anfrage an den nach eigener Aussage bekennenden Christen und Verfechter des Asylrechts Schiffmann wurde jedoch nichts. Rede und Antwort stand der Sinsheimer allerdings dem Kanal von Ken Jebsen; der freie Journalist und Blogger aus Berlin gilt als Provokateur und wurde in jüngerer Vergangenheit regelmäßig mit der Neuen Rechten in Verbindung gebracht. Der "Tagesspiegel" ordnet Jebsen einem "Netzwerk für Putin und Pegida" zu.
https://www.rnz.de/nachrichten/sinsheim_artikel,-sinsheim-wie-der-hno-arzt-bodo-schiffmann-zum-youtube-star-wurde-_arid,512979.html