dabei.
Spoiler
Der Schwindel-Arzt
Er war ein gefragter Mediziner aus Sinsheim. Wie wurde Bodo Schiffmann zu einer Leitfigur der Corona-Verschwörungstheoretiker? Unser Reporter hat ihn in seiner Praxis besucht.
Von Maik Großekathöfer
03.09.2020, 15.10 Uhr
Mediziner Schiffmann auf einer "Querdenken"-Demonstration in Hamburg
Mediziner Schiffmann auf einer "Querdenken"-Demonstration in Hamburg Foto: Achim Duwentäster / teamwork / imago images
Zu Hause kann man ihn nicht besuchen, seine Privatadresse soll privat bleiben. Wer Bodo Schiffmann treffen will, muss in seine Praxis nach Sinsheim kommen, in die "Schwindelambulanz", Alte Waibstadter Straße 2c, Termine nach Vereinbarung. Hier behandelt er Menschen, die an Gleichgewichtsstörungen oder Schwindel leiden. Von hier aus organisiert er seinen Widerstand gegen die Corona-Politik der Bundesregierung. Als das Virus Anfang des Jahres nach Deutschland kam, war Schiffmann vor allem Arzt, heute ist er einer der Anführer der Corona-Proteste.
Er hält sich nicht für einen Verschwörungstheoretiker. Er benutzt das Wort nur, um sich ironisch von den Leuten abzugrenzen, die seiner Meinung nach nicht begreifen, was gerade wirklich geschieht. Er bezeichnet sich als "neuen Denker".
Am Empfang reicht die Sprechstundenhilfe ein Dokument, das normalerweise die Patienten erhalten - mit der Bitte um Ankreuzen und Unterschrift: "Hiermit erkläre ich an Eides statt, dass ich beim Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung unter folgenden Symptomen leide: Panikattacken. Herzrasen. Atemnot. Sonstiges."
Gut 150 Filme gegen eine angeblich "faschistoide Gesundheitsdiktatur"
Bodo Schiffmann denkt über die Maske wie über die Burka: Er hat nichts dagegen, wenn sie jemand freiwillig trägt. Aber für ihn ist sie ein Symbol der Unterdrückung, wenn man dazu gezwungen wird.
Dann führt er in ein Behandlungszimmer. Es ist der zweite Besuch in drei Wochen. Schiffmann trägt an diesem Donnerstag im Juli eine weiße Hose und einen weißen Kapuzenpullover, ein schmaler Mann, 52 Jahre alt, verheiratet, Vater von zwei Kindern. Auf dem Schreibtisch liegen Puppen, Ernie und Bert, mit denen erklärt er den Patienten physiotherapeutische Übungen.
DER SPIEGEL 37/2020
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An dem Computer in diesem Zimmer sind die meisten Videos entstanden, die Schiffmann auf YouTube hochgeladen hat. Er hat drei Kanäle eingerichtet, einer heißt "Alles Ausser Mainstream". Gut 150 Filme hat er veröffentlicht, in denen er gegen eine angeblich "faschistoide Gesundheitsdiktatur" anredet.
Jeder fünfte im Alter von 18 bis 34 glaubt, es bestehe ein Zusammenhang zwischen der Pandemie und dem Ausbau des 5G-Netzes
Er hat fast 300.000 Abonnenten auf YouTube. Im Messengerdienst Telegram folgen ihm gut 98.000 Leute.
Naturwissenschaftliche Erkenntnisse müssten für Schiffmann eigentlich eine große Rolle spielen, er ist Mediziner. Doch als Corona-Kritiker verknüpft er Tatsachen mit Halbwahrheiten, Fehlinterpretationen und absurden Gedanken.
Laut einer Umfrage der Friedrich-Naumann-Stiftung denkt jeder vierte Deutsche, das Coronavirus sei in einem chinesischen Labor gezüchtet worden. Und jeder fünfte im Alter von 18 bis 34 glaubt, es bestehe ein Zusammenhang zwischen der Pandemie und dem Ausbau des 5G-Netzes.
Eine Bewegung, die sich von Fakten und Vernunft entfernt, ist gefährlich, weil sie die Gesellschaft zersetzen kann. Sie ist empfänglich für Extremismus und im äußersten Fall auch für Gewaltbereitschaft.
Schiffmann ist ein freundlicher Mann und lebhafter Gesprächspartner. Er springt von Thema zu Thema, von Behauptung zu Behauptung. Er widerspricht sich. Weist man ihn darauf hin, ignoriert er das oft.
Der Staat bezahle Trolle, die über ihn herziehen
Er leugnet nicht, dass es Corona gibt, aber er hält Corona für harmlos. Gut 9000 Covid-19-Tote in Deutschland seit Beginn der Pandemie findet er nicht der Rede wert. Dann kommt er zu wilderen Thesen, hinter den Corona-Maßnahmen stecke nämlich der Plan, den Geldmarkt neu zu ordnen.
Er sagt: "Ich habe keinen Bock auf einen Neofeudalismus mit Bill Gates als Kaiser und Angela Merkel als Königin für das Reich Deutschland." Die Corona-Warn-App vergleicht er mit dem Judenstern.
Er meint, dass Microsoft-Gründer Bill Gates mit Impfungen gegen das Coronavirus die Weltbevölkerung reduzieren wolle. Möglicherweise mache eine künftige Impfung unfruchtbar, sagt er. "Man könnte auch einen Chip implantieren, der alle persönlichen Daten enthält, und wenn man der Regierung nicht mehr passt, werden die Daten gelöscht, man existiert quasi nicht mehr."
"Viele wollen nach der Behandlung ein Autogramm von mir."
Bodo Schiffmann
Alte Freunde haben sich von ihm abgewendet, dafür hat er neue gefunden. Es kämen nicht weniger Patienten als früher, aber andere. Er sagt: "Viele wollen nach der Behandlung ein Autogramm von mir."
Verschwörungstheorien gehen von drei Grundannahmen aus: Nichts geschieht zufällig; nichts ist, wie es scheint; alles ist miteinander verbunden.
In einem Ton, als würde er eine Gebrauchsanweisung vorlesen, trägt Schiffmann seine Sicht auf die Welt vor. Er glaubt, der Staat bezahle Trolle, die im Internet über ihn herziehen. Er befürchtet, in Deutschland würden Betriebe erst verstaatlicht und anschließend neu privatisiert. Mittelständische Unternehmen würden dann für "einen Apfel und ein Ei" an andere Länder verkauft. Er sagt, man habe erkannt, dass man vielleicht die Gelegenheit nutzen sollte, "in Anlehnung an das Event 201" die Wirtschaft zu sanieren. Wer "man" sein soll, sagt er nicht.
Beim "Event 201" haben die Bill & Melinda Gates Foundation, das Weltwirtschaftsforum und das Johns Hopkins Center for Health Security im Oktober 2019 – also kurz vor Corona – eine globale Pandemie simuliert. Dabei wollten sie zeigen, wie Regierungen, Behörden und Unternehmen am besten zusammenarbeiten. Auslöser der Übungspandemie war ein fiktives Coronavirus.
Zum Prinzip der Verschwörungstheorie gehört, mit dem Mittel der Behauptung einen Schuldigen zu benennen, ein gemeinsames Feindbild zu finden. Psychologen sagen, dass die Anhänger damit ein Gefühl von Kontrollverlust kompensieren wollen.
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Schiffmann hat im Mai den Verein "Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie" mitgegründet, im Juni dann die Partei WIR2020. Die fordert "die Rücknahme sämtlicher Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit der sogenannten Covid-19-Pandemie" und das Einsetzen eines außerparlamentarischen Untersuchungsausschusses.
Dass Menschen, die er zum Mainstream zählt, ihn komplett irre finden, verbucht Schiffmann als Bestätigung. Es passt zur Opferrolle, die er einnimmt: wir hier unten gegen die da oben.
"Ich bin ein Arzt, der in der Lage ist, Daten in Relation zu setzen."
Bodo Schiffmann
Wieso er für eine Führungsrolle taugt?
"Ich bin ein Arzt, der in der Lage ist, Daten in Relation zu setzen."
Fast jedes Wochenende spricht er inzwischen auf einer Kundgebung. In Ulm sagte einer der Veranstalter: "Lieber Bodo, wir danken Gott, dass es dich gibt." An Schiffmanns Hemdkragen baumelte eine Kugel aus Aluminiumpapier, ein sogenannter Querdenker-Bommel. Es gibt Menschen, die meinen, der Bommel schütze sie vor Strahlung oder Gedankenkontrolle durch finstere Mächte. Für Schiffmann ist er ein Hinweis, dass "man mitdenkt und nicht mitläuft".
Anfang August steht er in Berlin-Tiergarten nachmittags um halb vier neben einer Bühne auf der Straße des 17. Juni. Es ist die erste große Corona-Demo. Knapp 20.000 Leute haben sich laut Polizei versammelt. Da sind junge Eltern mit Kinderwagen, Reichsbürger, Rentner, Esoteriker, Normalos; ein Querschnitt durch alle Schichten. Niemand trägt eine Maske.
"Mahatma Gandhi wäre stolz auf uns."
Bodo Schiffmann
Schiffmann sagt: "Ist das nicht schön? Das sind 1,3 Millionen Menschen. Das ist die kritische Masse." Eine ältere Dame nähert sich, gibt ihm die Hand und sagt, sie schließe ihn in ihre Gebete ein.
Am frühen Abend soll er reden, aber dazu kommt es nicht. Die Polizei löst die Veranstaltung auf, weil die Demonstranten die Abstands- und Hygieneregeln missachten. "Wir bleiben hier!", rufen die Menschen. Schiffmann hockt sich im Schneidersitz auf einen Lautsprecher. Auch auf den anderen Boxen sitzen Demonstranten. Mehr als zwei Stunden harren sie aus. Schiffmann kippt sich in der Hitze eine Flasche Wasser über den Kopf. Als die Polizisten die ersten Menschen wegtragen, legt er die Hand aufs Herz und singt die Nationalhymne. Er faltet die Hände, spricht das Vaterunser. Irgendwann steht er auf und geht.
Kurz darauf steht er in der Menge, jemand drückt ihm ein Megafon in die Hand.
"Was sind wir?", ruft er. "Wir sind?"
"Viele!"
"Ah, das tut so gut."
Die Demonstranten hätten gezeigt, sagt er, dass sie "für Frieden" stünden, für "Liebe". Er sagt: "Mahatma Gandhi wäre stolz auf uns." Gandhi und Gates, Pol und Gegenpol von Bodo Schiffmann.
Am nächsten Morgen macht er sich auf den Heimweg. Er fährt mit dem Auto, weil er im Zug eine Maske tragen müsste.
Später berichtet Schiffmann, er sei kurz hinter Berlin liegen geblieben, mit einem Platten vorne rechts.
Wie das alles anfing? Wenn er davon erzählt, spricht er von Neo, dem Helden aus dem Film »Matrix«. Neo werden zwei Pillen angeboten, eine blaue und eine rote. Schluckt er die blaue Pille, kehrt er zurück in seine Traumwelt. Schluckt er die rote, erkennt er die Wahrheit. Schiffmann sagt, er habe wie Neo die rote Pille genommen.
Vieles, was er sagt, lässt sich nicht überprüfen, es basiert allein auf seiner Schilderung.
Bodo Schiffmann ist in Lampertheim in Hessen aufgewachsen, er hat einen Bruder, seine Mutter war Sekretärin, sein Vater arbeitete bei Daimler-Benz. Als Kind habe er Prospekte für die CDU ausgetragen. Er ging in Worms auf das Gauß-Gymnasium, habe im Schülerrat gesessen.
"Ich habe mich nie davor gescheut, mich mit anderen anzulegen", sagt er.
Schiffmann mit Polizisten bei Corona-Protesten in Berlin am 1. August
Schiffmann mit Polizisten bei Corona-Protesten in Berlin am 1. August Foto: Lutz Jaekel / laif
Er habe den Wehrdienst verweigert, weil ihn bei der Musterung "ein Oberstabsfeldwebel behandelt hat, als wäre ich schon sein Soldat". Den Zivildienst leistete er beim Roten Kreuz in Worms. Später nahm er einen Job als Rettungssanitäter an.
Weil er gesehen habe, was für Fehler manche Ärzte bei Einsätzen machen würden, habe er begonnen, Medizin zu studieren. "Irgendwann habe ich mich so geärgert, dass ich mir gesagt habe: Das kannst du besser."
Während des Studiums spielte er Theater und trat als Zauberkünstler auf. 2002 promovierte er an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.
Im Februar war er im Skiurlaub in Kitzbühel. Eine Mitarbeiterin aus der Praxis schickte ihm über WhatsApp ein Video. Es zeigte Chinesen, die angeblich in Wuhan an einer Bushaltestelle stehen und plötzlich tot umfallen.
"Der Film war Comedy", sagt Schiffmann, aber die Kollegin habe sich Sorgen gemacht.
Er habe verhindern wollten, dass Leute aus Angst Symptome entwickeln
Als er wieder in Sinsheim war, habe er die Belegschaft versammelt und Grafiken von der Johns Hopkins University gezeigt. Gesagt, dass die Kurve der Geheilten bald die Kurve der Erkrankten überschneiden werde; alles halb so schlimm. Dem Robert Koch-Institut habe er da noch vertraut.
Am 14. März veröffentlichte Schiffmann sein erstes Corona-Video auf dem YouTube-Kanal seiner Praxis, wo er sonst über Themen wie die Anatomie des Innenohrs referierte. Das Video trägt den Titel "Ein objektiver Blick auf Corona – mal ohne Panik". Darin redet er von einer "Erkältungswelle", er rät den Zuschauern, Ruhe zu bewahren, sie sollten sich vernünftig die Hände waschen und mit den Hamsterkäufen aufhören. Zum Ende hin sagt er: "Ich verspreche, ich werde mich hier jetzt zu diesem Thema nicht mehr äußern."
Schiffmann sagt, er habe verhindern wollen, dass die Leute allein aus Angst vor dem Erreger Symptome entwickeln und das Gesundheitssystem deswegen überlasten würden.
Am 16. März meldete das Robert Koch-Institut 6012 laborbestätigte Corona-Infektionen in Deutschland, 13 Menschen waren an Covid-19 gestorben. Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten beschlossen, das öffentliche Leben herunterzufahren: Theater mussten schließen, Kneipen, Schwimmbäder, Schulen, Kinos. In Bayern rief Markus Söder den Katastrophenfall aus. In einer Videobotschaft wandte sich der Bundespräsident ans Volk: "Bleiben Sie zu Hause. Meiden Sie den Nahkontakt."
An diesem Tag begann Schiffmanns Verwandlung. Aus dem Hals-Nasen-Ohren-Arzt wurde ein Wanderprediger. Fragt man Schiffmann, was er gegen Beschränkungen einzuwenden habe, die verhindert hätten, dass sich das Virus weiter ausbreite, verdreht er die Augen. Das macht er manchmal, wenn er den Eindruck hat, jemand kapiere es einfach nicht.
Radikalisiert hat ihn, dass sein Video gelöscht wurde
Bis heute ist er davon überzeugt, dass die Infektionszahlen das Ausmaß der Beschränkungen nicht rechtfertigt haben. "Hier wurde bewusst eskaliert, um eine Massenpanik zu schüren", sagt er. In der Folge sei "die Grundstruktur unserer Demokratie zerstört" worden, die Bundesregierung habe ein Ermächtigungsgesetz erlassen – wie der Reichstag 1933.
Der Lockdown hat ihn politisiert. Radikalisiert hat ihn, dass sein Video "Corona 11" auf YouTube gelöscht wurde.
In dem Video präsentiert Schiffmann ein Papier des Deutschen Instituts für Katastrophenmedizin. Darin steht, am Universitätsklinikum Straßburg in Frankreich würden Patienten über 80 Jahre nicht mehr beatmet, für sie werde eine Sterbebegleitung durch Opiate und Schlafmittel empfohlen. "Das nennt man Euthanasie", sagt Schiffmann in dem Video, "das ist das, was der Tierarzt macht."
Die sogenannte Triage gibt den Ärzten Handlungsempfehlungen, wenn die Zahl der Kranken nicht mehr zu bewältigen ist. Tatsächlich hatten die Corona-Maßnahmen der Regierung das Ziel, eine Überlastung der Krankenhäuser zu vermeiden, damit kein Mediziner in Deutschland entscheiden muss, wer behandelt und wer eventuell dem Tod überlassen wird.
Schiffmann sagt, er habe gedacht, dass er wegen des Videos verhaftet werde. Dass es aus dem Netz genommen wird, damit habe er nicht gerechnet. "Ich habe bis zu dem Zeitpunkt nicht geglaubt, dass wir in Deutschland Zensur haben."
Das sei seine rote Pille gewesen.
Bei YouTube heißt es, es sei falsch gewesen, das Video zu löschen. Inzwischen ist es wieder zu sehen.
Schiffmann sagt, er habe damals in einer Woche zehn Kilogramm abgenommen, gezittert, sei mit den Nerven am Ende gewesen. Dann habe er sich in die Badewanne gelegt, Musik des christlichen Liedermachers Manfred Siebald gehört und Gott um Hilfe gebeten. Als er aus der Wanne stieg, sei er wie ausgewechselt gewesen.
Er erzählt jetzt von seinem Großvater mütterlicherseits. Bei dem habe ein Exemplar von Hitlers "Mein Kampf" im Regal gestanden. Das Buch sei ein Mahnmal gewesen, sagt Schiffmann. Seine Großeltern hätten im Zweiten Weltkrieg dem Widerstand angehört, und sein Opa habe ihm eingebläut: Wenn eure Meinungsfreiheit, eure Pressefreiheit eingeschränkt wird, dann passt auf, hier passiert was. Das sei seine Motivation, sagt Schiffmann.
Wahrheit? Oder Schwindel?
Schiffmann wendete sich denen zu, die dachten wie er und die hören wollten, was er zu sagen hat. Sucharit Bhakdi, Mikrobiologe aus Kiel, Autor des Bestsellers "Corona Fehlalarm?". Wolfgang Wodarg, Pneumologe und langjähriger Leiter des Gesundheitsamts in Flensburg, und Michael Ballweg, Initiator der Demos in Berlin. Schiffmann gab den alternativen Medien "Rubikon" und "KenFM" Interviews.
Seine Frau kommt ins Besprechungszimmer und hört eine Weile zu. Sie ist auch HNO-Ärztin, die beiden haben sich im Studium kennengelernt.
Schiffmann sagt, es habe keinen Corona-Ausbruch in der Schlachterei von Tönnies gegeben: Der Test sei auf ein anderes Coronavirus angesprungen, das in Rindern vorkomme und das die Arbeiter beim Zerlegen eingeatmet hätten.
Er sagt, es gebe keine zweite Welle. Die Zahlen würden steigen, weil häufiger getestet werde und mehr Ergebnisse falsch positiv ausfielen.
Bodo Schiffmann sitzt in seiner Praxis und öffnet ein Video auf seinem Computer. "Kennen Sie den Ausschnitt?" Zu sehen sind Bill Gates und seine Frau bei einem Interview. Bill Gates sagt: "Wir müssen uns auf die nächste Pandemie vorbereiten. Die wird Aufmerksamkeit erhalten."
Schiffmann guckt fragend. "Was weiß der, was wir nicht wissen?"
Was Gates meint, und das wird deutlich, wenn man sich das ganze Interview anschaut, ist Folgendes: Corona sei anfangs unterschätzt worden, man habe sich zu wenige Gedanken gemacht, wie man auf eine Pandemie reagieren müsse, beim nächsten Mal werde das nicht passieren.
Schiffmann macht daraus: Bei diesem Virus haben die Menschen noch Glück gehabt, aber das nächste Virus, das wird richtig gefährlich.
In einem Video fragt er später, was wäre, wenn mit dem zweiten Virus die Impfung gemeint sei, denn mit der könnte man genau steuern, wie viel Prozent der Menschen auf diesem Planten bleiben sollten.
Welches Interesse sollte Gates daran haben?
"Kennen Sie Dagobert Duck? Klaas Klever? Die zwei haben ein Problem. Beide wollen gerne der Reichste sein. Gates ist nicht der Reichste. Er war es."
Wie ernst muss man einen wie Schiffmann nehmen?
Er hat behauptet, es gebe Gesundheitsämter, die wollten Kinder, die sich möglicherweise angesteckt haben, aus ihren Familien holen, um sie in der Quarantäne zu überwachen. Die Diakonie Michaelshoven in Köln suche dafür eine pädagogische Fachkraft. Die Diakonie erhielt Hassmails und Morddrohungen. In Wahrheit suchte sie einen Betreuer für Kinder, die in einer Jugendhilfeeinrichtung leben, weil sie in ihren Familien gefährdet sind und bei denen der Verdacht besteht, dass sie sich mit Corona infiziert haben.
Richtiggestellt hat er den Fall nicht.
Mit seiner Rede ist er nach acht Minuten fertig
Mitte August läuft Schiffmann in Hamburg über den Rathausmarkt. Er hat sich ein Oberhemd gekauft, weil er stark schwitzt. Gleich ist wieder Kundgebung. In einem Café bestellt er laktosefreien Latte macchiato.
Um 15 Uhr steht er an der Absperrung vor der Bühne. Ständig kommen Leute, die ein Selfie mit ihm machen wollen. Man sieht ihm an, dass er die Aufmerksamkeit genießt.
Zu Beginn der Demo tritt ein Typ im Supermann-Kostüm auf. Fräulein Menke, eine Künstlerin der Neuen Deutschen Welle aus den Achtzigerjahren, singt »Die Gedanken sind frei«. Es ist wie im Karneval.
Dann ist Schiffmann dran. Er hat keine Rede vorbereitet. Weil am Rand ein paar Dutzend Gegendemonstranten stehen und in Trillerpfeifen blasen, fordert er »den Sprecher der Antifa« auf, zu ihm auf die Bühne zu kommen. »Ihr habt hier die Möglichkeit, auf einer Querdenken-Demo mit mir zu sprechen.« Niemand will.
Schiffmann warnt vor einem zweiten Lockdown, lobt den schwedischen Weg. Maximal 20 Minuten sollte er reden, nach acht Minuten ist er fertig.
Fünf Tage darauf tritt er als Vorsitzender seiner Partei zurück. Er habe zu viele Termine, reise künftig auch zu Demonstrationen und Filmaufnahmen ins Ausland. Doch WIR2020 werde weiterwachsen, am 3. Oktober sei ein Parteitag geplant.
Bei dem Gespräch in seiner Praxis sagt Schiffmann, man wolle in Regierungsstärke in den Bundestag einziehen. »Wir haben eine große Wählerschaft, die von den Bestandsparteien enttäuscht ist. Ich glaube, wir werden einen Erdrutschsieg davontragen.«
Auf der Homepage der Partei wurden bis diesen Dienstag die Mitgliedsanträge gezählt. Es waren knapp 10.000.