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Samia Suluhu Hassan steigt in Fußstapfen, die noch nicht allzu tief sind. Vier weibliche Regierungschefs hatten afrikanische Staaten bisher, zwei davon nur in Übergangswürden. Die Frau, die vor zwei Wochen das höchste Amt im ostafrikanischen Staat Tansania übernommen hat, fiel die Führungsposition ebenfalls eher zufällig zu. Und dennoch ist es eine symbolhafte Sache. Präsident John Magufuli, bekannt dafür, schwangeren Mädchen Bildung zu verweigern, die Corona-Pandemie zu leugnen und christlichen Fundamentalismus zu fördern, starb überraschend im Amt – allen Anzeichen nach an Covid-19.
Weil in Tansania erst vor einem halben Jahr gewählt wurde, wird die 61-jährige muslimische Politikerin nun viereinhalb Jahre lang die Geschicke ihrer Heimat bestimmen können. Nicht nur, weil sie eine Frau ist, sondern auch, weil sie die Nachfolge eines der umstrittensten Staatschefs des Kontinents übernimmt, sind nun alle Augen auf die Politikerin aus Sansibar gerichtet.
Ungleiches einstiges Duo
Viel mehr, als dass sie dort weitermachen werde, wo ihr Vorgänger aufhören musste, verriet Samia über ihren künftigen Kurs einige Tage lang nicht – nun signalisierte sie aber doch einige Änderungen. Es sei "nicht korrekt", die Corona-Pandemie weiterhin zu leugnen, sagte sie am Mittwoch. Erstmals soll sich in dem ostafrikanischen Land, dessen Präsident stolz auf die Bestellung von Impfstoff verzichtet hatte, eine Corona-Taskforce eingerichtet werden. Außerdem ließ Samia einige regierungskritische Medien wieder öffnen, die ihr Vorgänger hatte schließen lassen.
Klar ist dennoch: Die Präsidentin braucht Zeit, um ihre Macht zu konsolidieren. Die studierte Entwicklungsökonomin gehört zwar der seit 44 Jahren regierenden Chama Cha Mapinduzi (Partei der Revolution) an. Sie kommt jedoch vom Inselteilstaat Sansibar, der seit ewigen Zeiten ein gebrochenes Verhältnis zum Festland hat. Die Stellvertreterin sei Magufuli von seiner Partei aus Proporzgründen aufgezwungen worden, wird in Tansania erzählt. Das ungleiche Duo räumte später sogar öffentlich Differenzen ein.
Besuch beim Oppositionschef
Zumindest ihrem Stil nach könnten die beiden Politiker gar nicht unterschiedlicher sein. Der in aller Welt als starrsinniger Covid-Leugner berüchtigte Magufuli war zu Hause als der "Bulldozer" bekannt. Und zwar nicht nur, weil er den Bau zahlreicher Infrastrukturprojekte angeregt hatte – er pflegte auch seine politischen Gegner dem Erdboden gleichzumachen. Der neuen Präsidentin werden dagegen Einfühlungsvermögen, Ruhe und Besonnenheit nachgesagt – offenbar nicht nur, weil es dem Geschlechterklischee entspricht. Immerhin besuchte die damalige Vizepräsidentin einst Oppositionsführer Tundu Lissu im Krankenhaus, in das er nach einem angeblich von höchster Stelle angeordneten Mordanschlag schwer verletzt eingeliefert worden war.
Mit der Aufhebung aller Entscheidungen ihres Vorgängers wäre es für Tansanias erste Präsidentin allerdings nicht getan. Magufuli hatte seine Amtszeit auch mit einigen echten Errungenschaften begonnen: Er feuerte unfähige Staatsdiener, sagte der Korruption den Kampf an und handelte mit ausländischen Minenkonzernen bessere Verträge für sein Land aus. Von den Mehreinnahmen ließ er Krankenhäuser und Schulen bauen. Dass er gleichzeitig mit Kritikern immer schonungsloser umging, nahm die Mehrheit der Tansanier in Kauf. Doch dann kam die Corona-Pandemie – und Magufulis absurder Versuch, sie aus der Welt zu beten. Vermutlich fiel der wiedererweckte Christ der tragischen Posse selbst zum Opfer.
Jeder Tag zählt
Samia pflegt bei öffentlichen Auftritten ebenfalls keinen Mundschutz zu tragen. Allerdings setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass ein Kurswechsel dringend nötig ist: In tansanischen Reisenden wurden Corona-Viren mit der weltweit höchsten Mutationszahl festgestellt. Trotzdem hat die Regierung noch keine einzige Dosis Impfstoff bestellt. Noch immer werden auch keine Zahlen über die Ausbreitung der Pandemie an die Weltgesundheitsorganisation weitergegeben.
Dass die neue Präsidentin auf die Schnelle weitere richtungsweisende Entscheidungen treffen wird, halten Beobachter für unwahrscheinlich. Erst einmal müsse sie ihre Hausmacht aufbauen, heißt es. Für die Korrektur vieler umstrittener Initiativen ihres Vorgängers – etwa des Schulverbots für schwangere Mädchen oder der unzähligen Maulkorberlasse – mag der besonnenen Regierungschefin tatsächlich noch Zeit bleiben. Doch für Magufulis Kardinalsünde, die Leugnung der Pandemie, gilt das nicht. Da hat jeder weitere verzögerte Tag tödliche Folgen. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 7.4.2021)