Rebellen kommen ja beim Volk immer gut an.
Aber 30 € TS? Hier scheint einer wirtschaftlich nicht ganz so erfolgreich zu sein?
Spoiler
Die Sachlage ist klar: "Ham’s des g’schrieben?", fragt Amtsrichterin Ingrid Götte den Kirchberger Arzt Jörg Schüren (65). Von dem kommt ein deutliches "Ja". Wegen des Geschriebenen steht Schüren vor dem Amtsgericht Viechtach. Er hatte Einspruch gegen den Strafbefehl wegen Beleidigung eingelegt, den Ingrid Götte am 19. Juli 2021 unterschrieben hatte.
Geschrieben hat der Mediziner einen Artikel im Anzeigenblatt "Schaufenster". Es ging darin über ein Telefonat mit einer Juristin des Landratsamts Regen. Mit deren Haltung zu den Corona-Regeln war Schüren nicht so recht einverstanden. Denn in dem Artikel empfahl er, solche Fachleute wie die Juristin in die erste Impfkategorie aufzunehmen, und problemlos sei der Impfstoff von Astra Zeneca zu empfehlen. "Man könnte vermuten, dass Thrombose der Hirnvenen als seltene Komplikation mangels Masse hier nicht zu befürchten sind", schrieb Schüren. Und als er der Juristin den Schaufenster-Text per Brief zuschickte, versah er ihn noch mit dem Satz: "Ich bewundere die Menschen, die es schaffen beim Blick in den Spiegel, nicht ins Waschbecken zu vomitieren" (Kommasetzung im Original). Den Ausdruck "vomitieren" übersetzte Richterin Götte schön ins Bairische: "Speibm miassn."
Schüren verteidigt "ironischen Stil"
Wie Staatsanwältin Julia Wipplinger sagte, wollte Schüren mit dem Artikel und mit dem Brief seine Missachtung zum Ausdruck bringen, es handle sich deshalb aus Sicht der Staatsanwaltschaft um eine Beleidigung in zwei Fällen.
Schüren dagegen bestand darauf, dass es sich um eine "ironischen Stil" handle, dass es nicht seine Absicht gewesen sei, die Juristin zu beleidigen, er kenne sie überhaupt nicht. Aber sie sei Teil eines Systems, und er wollte mit seiner politischen Meinungsäußerung auf die Widersprüchlichkeit der Regeln hinweisen.
Schüren hat Erfahrung mit Beleidigungsklagen. Im Sommer ist er am Amtsgericht Deggendorf in einem Beleidigungsverfahren freigesprochen worden. Er hatte eine Mitarbeiterin des Landratsamts als "Landratsamts-Tussi" bezeichnet. Schürens Vermutung, dass die Staatsanwaltschaft das aktuelle Verfahren wegen eines Briefs von Landrätin Rita Röhrl wieder eröffnet hat, wiesen Staatsanwältin Wipplinger und Richterin Götte ("Ja wo samma denn, mich interessiert nicht, was die Frau Röhrl schreibt.") einigermaßen empört zurück. Und Wipplinger erklärte Schüren und seinem Anwalt Alois Fuggenthaler, dass das Beleidigungsverfahren so lange ruhte, bis das Deggendorfer Verfahren abgeschlossen war. Erst nach seinem Freispruch vor dem Amtsgericht Deggendorf sei es wieder aufgenommen worden. "Von einem Brief der Landrätin weiß ich nichts, davon habe ich nichts in meiner Handakte", sagte Wipplinger. Die Beweisanträge von Fuggenthaler, Landrätin Röhrl und die betroffene Juristin als Zeugen zu laden, wies das Gericht ab.
"Das hat mit freier Meinungsäußerung nichts zu tun"
In ihrem Plädoyer sah die Staatsanwältin den Vorwurf der Beleidigung in zwei Fällen bestätigt, "Das hat mit freier Meinungsäußerung nichts zu tun", so Wipplinger, es handle sich um eine Beleidigung eines öffentlichen Amtsträgers. Sie forderte eine Geldstrafe von 65 Tagessätzen à 30 Euro.
Verteidiger Alois Fuggenthaler verwies in seinem Plädoyer auf den Artikel 5 des Grundgesetzes, in dem die Recht auf freie Meinungsäußerung festgeschrieben ist. "Die Pressefreiheit genießt Vorrang, solange die Grenze zur Schmähkritik nicht überschritten wird", so Fuggenthaler, der diese Grenze nicht überschritten sah. Es handle sich nicht um eine direkte Beleidigung der Beamtin, so der Anwalt, und: "Im Meinungskampf darf man etwas anprangern." Sein Antrag lautete: Freispruch.
"Die Würde der Verwaltung steht über der Würde des Menschen", sagte Schüren in seinem vier DIN A4-Seiten langen Schlusswort. Er wehre sich in seinen Aussagen gegen unsinnige Corona-Vorschriften, er habe damit Missfallen erregt, deswegen werde er diskreditiert, er fühle sich durch Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme von Patientenakten und Sanktionen verfolgt. Bei ihm stelle sich das Gefühl ein, "Mittelpunkt einer konzertierten Aktion zu sein". Schüren sieht in seinen veröffentlichten Schreiben keine Beleidigungen, sondern "politische Aussagen". Und er vergleicht sich mit keinem geringeren als mit dem Journalisten, Schriftsteller und Satiriker Kurt Tucholsky, der wegen seiner kritischen Äußerungen massiven Angriffen ausgesetzt war. Im Gerichtssaal waren auch 20 Anhänger Schürens, die seine Verteidigung mit Applaus bedachten.
Arzt will in Berufung gehen
"Der Vergleich mit Tucholsky ist mutig", meinte Richterin Ingrid Götte eingangs ihres Urteilsspruchs. Und sie bekannte auch, dass sie ein großes Herz für Satire habe. Aber die Äußerungen von Schüren gingen über die Presse- und Meinungsfreiheit hinaus, die Grenzen des guten Geschmacks und der guten Umgangsformen seien überschritten. "Die Äußerungen im persönlichen Brief sind glasklar, sie haben mit der öffentlichen Auseinandersetzungen nichts zu tun, sie waren privat", so die Richterin, und: "Solche Dinge muss man sich nicht sagen lassen, sie gehen gegen die Menschenwürde." Nicht ganz so eindeutig sei die "Sache mit der mangelnden Gehirnmasse". Trotzdem sah die Richterin den Tatbestand der Beleidigung erfüllt und folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Jörg Schüren wurde zu einer Geldstrafe von 65 Tagessätzen à 30 Euro verurteilt.
Wie er am Dienstag mitgeteilt hat, wird er das Urteil nicht akzeptieren, sondern Berufung einlegen.