"Einige Leute sind einfach verloren, aber..."
SPIEGEL: Herr Schroeder, die Veranstalter von "Querdenken" haben Ihren Auftritt vom Samstag als "mutig" gelobt. Brauchten Sie Mut, um in Stuttgart aufzutreten?
Schroeder: Mut wäre nicht der Begriff, den ich benutzen würde. Aber es war eine Herausforderung. Ich wusste, dass das ein Auftritt werden würde, der nicht so enden würde wie gewöhnlich - also mit Gegenwehr statt Applaus. Da ich in einen Dialog eintreten wollte, und es mich einfach interessiert hat, wie das ablaufen würde, habe ich zugesagt.
SPIEGEL: Was war Ihre erste Reaktion, als Sie die Einladung als Redner erhielten? Sie erfolgte offensichtlich, weil die Veranstalter eine Sendung von Ihnen für den NDR, in der Sie einen Verschwörungsideologen karikieren, missverstanden hatten und dachten, sie würden mit Ihnen einen "Systemkritiker" einladen.
Schroeder: Tatsächlich haben viele Leute aus dem verschwörungsideologischen Umfeld die Ausschnitte, die von meinem Auftritt im NDR auf YouTube gepostet wurden, ernst genommen - unter anderem die Veranstalter von Querdenken, die mich zunächst für den 1. August in Berlin anfragten. Sie dachten wirklich, da sei jetzt jemand, der dem Mainstream den Rücken zugekehrt hat. Den Eindruck habe ich dann nicht korrigiert, sondern nur gesagt, dass ich mir solch einen Auftritt vorstellen könnte. Mit Berlin hat es aus terminlichen Gründen nicht geklappt, deshalb wurde es dann Stuttgart.
SPIEGEL: Ihr Auftritt gelingt vor allem, weil Sie die Reaktionen des Publikums sehr genau erahnen und darauf Ihre Pointen und Argumentationen ausrichten. Wie haben Sie sich vorbereitet?
Schroeder: Ich beschäftige mich seit Monaten mit dem Thema Verschwörungsideologien. Insofern war ich schon länger Beobachter der Szene. Den Text selbst habe ich dann intensiver vorbereitet, weil er eine bestimmte Dramaturgie haben sollte - ich wollte ja nicht nur sagen: "Eure Meinung ist nicht meine" oder die Anwesenden beleidigen. Es sollte vielmehr ein satirisches Spiel mit Begriffen wie Meinungs-und Pressefreiheit sein.
SPIEGEL: Im letzten Drittel wechseln Sie vom satirischen Sprechen zum eigentlichen Sprechen: Sie sagen mehrfach geradeheraus, dass Sie Corona für eine sehr gefährliche Krankheit halten sowie Masketragen und Abstandhalten für wichtige Maßnahmen erachten. Warum sind Sie am Ende so eindeutig geworden?
Schroeder: Das hat mit der Tatsache zu tun, dass Dinge häufiger aus dem Zusammenhang gerissen werden. Das ging mir selbst ja mit dem NDR-Auftritt schon so - da dachten Tausende von Leuten, ich sei Verschwörungsideologe, endlich "erwacht" und "erleuchtet". Obwohl ich mich noch wenige Sekunden vorher über genau diese Leute lustig gemacht hatte, im selben Programm! Ich dachte, ich hätte ihnen eigentlich jede Vorlage für eine Instrumentalisierung genommen. Aber da heute so schnell ohne Zusammenhang zitiert wird, zwei Sätze für sich stehen sollen, ohne dass jemand fragt, wie sie gemeint sein könnten, musste ich reagieren und habe auf der Demo direkt gesprochen. Auf einer satirischen Bühne würde ich das nicht machen, da bliebe ich bildhafter, uneigentlicher. Aber Demo ist weder Theater, noch Stadthalle, Demo ist auch keine Fernsehsendung, da steht nicht das Label Comedy drüber.
SPIEGEL: Beobachten Sie es auch sonst in Ihrer Arbeit, dass Satire – siehe etwa die Aufregung um den "Umweltsau"-Song – nicht mehr verstanden wird und ohne Kontext bewertet wird?
Schroeder: Ja, absolut. Wobei es nicht nur die Satire betrifft, sondern viele Kunstformen und Menschen, die öffentlich sprechen. Wenn ich mal bei meinem Genre bleibe: Die Fähigkeit, Anführungszeichen zu lesen, ist in einem Maß zurückgegangen, das mich wirklich entsetzt. Dabei war das mal eine Konstante der Moderne - die Menschheit hat Jahrtausende gebraucht, um vom Reflex auf Reflexion umzustellen. Nun schaffen wir es, innerhalb von wenigen Sekunden und Zeichen von Reflexion wieder auf Reflex zurückzustellen. Und das mit einer Gnadenlosigkeit und Härte, die manchmal barbarische Züge hat. Viele Menschen fragen sich offenbar nur noch: Sagt jemand das, was ich hören will oder nicht?
SPIEGEL: Was heißt das für den Diskurs: die reflexhaften Reaktionen ernst nehmen oder ignorieren?
Schroeder: Die Leute auf den Querdenken-Demos - über die man sich sehr leicht lustig machen kann, halte ich manchmal für den Zerrspiegel unserer gesamten Gesellschaft. Dieses Bedürfnis, bedingungslose Selbstbestätigung zu bekommen und sich über einen angeblichen Feind zu definieren, wirft ein Licht zurück auf ein allgemeineres Phänomen. Verschwörungsideologen verkörpern es nur besonders drastisch, sie sind die bibeltreuen Christen der Gegenwart, da sie bedingungslos an das Alternative glauben.
SPIEGEL: Im Mittelpunkt dieser Kontroversen stehen die traditionellen Medien, denen von Verschwörungsideologen vorgeworfen wird, die Meinungsvielfalt zu unterdrücken. Auch Sie haben sich mit den Worten "Ich komme aus dem Mainstream" in Stuttgart vorgestellt. Was ist Ihrer Meinung nach die beste Strategie für Medien, um gegen Verschwörungsglauben anzuwirken?
Schroeder: Ich glaube, es geht nur über den Versuch eines Nahekommens an diese Welt, ohne sich von ihr vereinnahmen zu lassen, aber auch ohne sich ausschließlich arrogant über sie hinweg zu setzen. Einige Leute, glaube ich, sind einfach verloren. Aber es gibt eine große verunsicherte Gruppe, die am Rand der Bewegung, dort wo sie auf den sogenannten Mainstream trifft, steht. Die kann man womöglich zurückgewinnen.
SPIEGEL: Eine Kommentatorin hat unter dem YouTube-Mitschnitt geschrieben: "Wir werden nicht noch einmal 300 Kilometer zu einer Demo fahren, um uns von einem GEZ-Systemling, wie Schroeder es ist, belehren zu lassen." Haben Sie da über Umwege ein Ziel erreicht?
Schroeder: (lacht) Ja, das ist beste Dialektik - und antithetisch ist erreicht, was ich wollte: Zumindest geht womöglich einer weniger das nächste Mal hin.