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Das „Killer-Virus“
Der Kieler Internist Claus K. bestreitet in der Broschüre vehement, dass Sars-Cov-2 ein „Killer-Virus“ sei. In Norditalien habe es im Februar 2020 eine Übersterblichkeit gegeben, und Claus K. weiß, woran es lag: „klinische Fehlbehandlung“. Es ist gut, dass wir K. haben. Leider arbeitet er nicht auf einer Intensivstation und hat wohl auch lange keine mehr von innen gesehen.
Er könnte mal einen Fachmann fragen, etwa Tim Lange, Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin an den Städtischen Kliniken in Mönchengladbach. Lange hat viele Patienten über Wochen leiden, einige auch sterben sehen und sagt über Covid noch heute: „Das ist ein beeindruckendes Krankheitsbild mit teilweise erschreckenden Verläufen, in jedem Fall systemisch, weil es oft mehrere Organe befällt.“
Vor allem verändere sich der Zustand manchmal abrupt. Dann stabilisiere sich ein Patient scheinbar, doch zwei Tage später sei er tot: „Das ist das Tückische an Sars-Cov-2.“ Eine französische Studie aus dem Universitätsklinikum Dijon hat jedenfalls vor einiger Zeit mit riesiger Datenmenge festgestellt: Corona ist dreimal so gefährlich wie Influenza.
Woran die Patienten sterben
Lange sagt, dass die allermeisten seiner Fälle mit den typischen Corona-Zeichen auf die Intensivstation gekommen seien, nicht primär wegen ihrer Vorerkrankungen; die hätten die Entwicklung nur begünstigt. Deshalb stimme die relativierende Formulierung „mit Corona gestorben“ in der Regel nicht. Dies bestätigt auch der Bundesverband der deutschen Pathologen; sie haben bei fast allen Obduktionen typische Merkmale des Covid-Vollbilds gefunden.
Was wirklich hilft
Die Ärztin Maria H. weiß angeblich, wie es geht, zu ihrem Bedauern hört niemand auf sie. Sie sagt in der Broschüre: „Covid-19-Infektionen sind besonders zu Beginn sehr gut behandelbar, aber die Therapiemöglichkeiten werden trotz guter Wirksamkeit weltweit nicht anerkannt.“ Eine einsame Ruferin in der Wüste, die das Wundermittel in der Tasche hat? Hoppla, sie dürfte es gar nicht mehr anwenden, denn die Ärztekammer Steiermark hat ein Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet. Vorsorglich hat sie eine Ausbildung zur Kräuterpädagogin gemacht.
Der Selbstangriff
Der Allgemeinmediziner Christian F. wartet in der Broschüre mit einer weiteren steilen These auf. Die mRNA-Impfung bringe „das menschliche Immunsystem dazu, den eigenen Körper anzugreifen“. Das ist eine schmissige Theorie, aber Blödsinn. Die Impfung mit Biontech oder Moderna erzieht den Körper vielmehr dazu, einen genetischen, nicht-infektiösen Schnipsel des Virus zu vervielfältigen, damit der Körper anschließend Antikörper bildet. Leider erklärt F. nicht weiter, was er meint. Vermutlich verwechselt er etwas. Die Covid-Infektion kann nämlich den „Zytokinsturm“ auslösen, eine überschießende Autoimmunreaktion, bei der das Immunsystem sozusagen auf alles einschlägt – leider auch auf gesunde Zellen. Die Impfung verhindert genau das.
Mutation nach Impfung
Ein anderer Versuch der Desinformation stammt von Peter K., Hausarzt in einer niederrheinischen Großstadt. Er spricht in einer Mail an die Redaktion von Erkenntnissen, dass die Impfstoffe angeblich selbst Mutationen hervorriefen. Bei Corona verfängt dieser Versuch nicht, denn alle älteren Mutanten, die sich bisher in irgendeinem Land durchsetzen konnten, waren bereits vor Beginn der Impfungen entstanden. Sowohl von Alpha als auch von Beta, Gamma und Delta sind die ersten Nachweise bereits Ende 2020 belegt; zu diesem Zeitpunkt war noch kein einziges Vakzin im Einsatz. Und die Impfquote in Südafrika war zu gering, als dass dies einen Selektionsdruck auf das Virus hätte ausüben und die Omikron-Variante entstehen lassen.
Das „Shedding-Phänomen“
Weiterhin äußert sich Hausarzt K. zum „Shedding-Phänomen“. Er schreibt: „Auch scheint es möglich, dass frisch Geimpfte die von ihnen produzierten Spike-Proteine in den ersten zwei bis drei Wochen auf Ungeimpfte übertragen können, was zu Krankheitssymptomen führen kann (sogenanntes Shedding-Phänomen).“ Diese Theorie, die aus dem Waffenschrank der Corona-Leugner stammt, ist irrelevant. Sie ist in etwa so plausibel wie die These, dass ein notorischer Trinker mit Leberzirrhose einem anderen Menschen durch eine Berührung eine Alkoholvergiftung zufügen kann.
Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), für die Erfassung und Bewertung möglicher Nebenwirkungen der Corona-Impfungen zuständig, sagt auf die Frage, ob Geimpfte tatsächlich Spike-Proteine ausstoßen können, die dann Ungeimpfte gefährden: „Dieses Gerücht, wie so viele andere Gerüchte zu den Covid-19-Impfstoffen, entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage.”
Folgen der Impfung
Weiterhin stellt K. fest, dass er „unüblicherweise schon seit August eine sehr hohe Zahl an grippalen Infekten bei doppelt geimpften Patienten“ gesehen habe, „was zumindest auf ein gestörtes Immunsystem hinweist“. K. sagt nicht, wie klein oder groß der zeitliche Abstand zwischen Impfung und Infekt war; möglicherweise war der Infekt auch nur eine übliche Impfreaktion.
Einzelfall-Prosa
Wenn viele Menschen geimpft werden, bedeutet das natürlich nicht, dass sie in dieser Zeit von ihren anderen Krankheiten suspendiert oder gar erlöst sind. Hausarzt K. konstruiert nun Zusammenhänge zwischen den Impfungen und „3 x Schlaganfällen“, „3 x Gürtelrose“, „2 x plötzliche Bewusstlosigkeit ohne Erklärung“ und „2 Todesfälle (unter Vorbehalt)“. Hat Herr K.das eigentlich dem Paul-Ehrlich-Institut gemeldet? Davon schreibt er nichts. Er verbreitet lieber Einzelfall-Prosa per Internet.
Der ungenaue PCR-Test
Herr K. glaubt noch weitere Waffen in der Tasche zu haben – etwa den angeblich unsicheren PCR-Test. Der könne, warnt der Hausarzt, „auch bei einem guten Dutzend anderer Viren positiv sein“. Nein, kann er nicht. Er ist sehr scharf auf Sars-Cov-2 geeicht. Entweder Herr K. irrt, oder er weiß es besser, will aber, dass wir uns irren.
Es ist jedenfalls der reine Irrsinn.