Das Kürzel "a. F." bedeutet "alte Fassung" und wird dann verwendet, wenn auf eine Bestimmung Bezug genommen wird, die inzwischen geändert wurde, also eine neue Fassung erhalten hat. Gibt es mehr als zwei Fassungen, wird meist "i. d. F." = "in der Fassung" mit Angabe des Datums des Erlasses der gemeinten Fassung oder des Änderungsgesetzes verwendet.
Von Artikel 146 des Grundgesetzes gib es aber nur zwei Fassungen, die erste, ursprüngliche von 1949, die bis zur Wiedervereinigung 1990 galt:
Art. 146. Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
Durch Artikel 4 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 erhielt der Artikel mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 folgenden Wortlaut:
]Art. 146. Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
Der von mir fett hervorgehobene Zusatz wurde also in den bestehenden Wortlaut eingefügt.
Eine inhaltliche Änderung dürfte damit nicht verbunden sein, obwohl es Leute gibt (auch Juristen), die meinen, damit sei nun nur noch eine Verfassungsänderung nach Artikel 79 GG möglich. Wenn dem so wäre, darf man aber fragen, wozu Artikel 146 noch gut sein soll. Er wäre dann schlicht überflüssig.
So weit ich sehe, herrscht Einigkeit darüber, dass die oben fett hervorgehobene Ergänzung im Wesentlichen deklaratorischer Natur ist, also etwas klarstellen soll. Dies sind die folgenden Punkte:
- Mit der Wiedervereinigung der damaligen BRD mit der ehemaligen DDR zur (neuen) BRD ist die Wiedervereinigung vollendet.
- Die (neue, vereinigte) BRD erhebt keine Ansprüche auf Gebiete, die nicht zu ihrem gegenwärtigen Staatsgebiet gehören.
- Als das deutsche Volk im Sinne der einschlägigen Bezugnahmen im Grundgesetz und der sonstigen Gesetzgebung gilt die deutsche Wohnbevölkerung des gegenwärtigen Staatsgebietes.
Mit dem so genannten "2+4-Vertrag" hatten sich die damalige BRD und die DDR auch dazu verpflichtet, diese Klarstellungen in Verfassungs- bzw. Gesetzesform umzusetzen. Dieser Verpflichtung wurde durch Änderung der Präambel und des Artikels 146 sowie durch Streichung von Artikel 23 (a. F. - heute steht als n. F. der "Europaartikel" dort) im Grunde mit minimalen Textredaktionen nachgekommen.
Was bedeutet Artikel 146 heute bzw. hat er früher bedeutet?
Im Grunde drückt er eine Binsenweisheit aus: Jedes geltende Recht kann irgendwann aufgehoben und ersetzt werden, wenn es die "Rechtsgemeinschaft", also z. B. das deutsche Volk, wirklich will. Auch das Grundgesetz kann durch eine andere Verfassung abgelöst werden. Strittig ist eigentlich nur die Frage, ob und falls ja welche formalen Vorgaben der Artikel einer Verfassungsablösung macht. Ist z. B. "vom deutschen Volke in freier Entscheidung" so zu deuten, dass eine Verfassung, die das Grundgesetz als ganzes ablöst bzw. ersetzt durch Volksentscheid beschlossen werden müsse? Diese Meinung wird von Einigen vertreten, aber "freie Entscheidung des Volkes" kann doch auch bedeuten, dass eine "Nationalversammlung", eine verfassunggebende Versammlung o. dgl. stellvertretend für das Volk entscheidet. Man wird also weiter darüber debattieren können, was genau nun für ein Verfahren zur Ablösung oder "Rundumerneuerung" der Verfassung anzuwenden sei.
Historisch mag es stimmen, dass ursprünglich daran gedacht war, dass nach dem baldigen Beitritt der SBZ zum Geltungsbereich des Grundgesetzes und Aufhebung der Besatzung eine neue Verfassung erlassen werde bzw. werden sollte. Doch die Wiedervereinigung erfolgte nicht so bald, wie man es sich gewünscht hatte.
Als sich dann 1990 abzeichnete, dass eine Wiedervereinigung nun doch möglich werde, drängte plötzlich die Zeit. Daher erklärte die Volkskammer einseitig den Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Damit war ein Vorgehen der Art, dass ein gemeinsamer Verfassungsausschuss oder eine verfassunggebende Versammlung gewählt würde, über dessen bzw. deren Entwurf dann in beiden deutschen Staaten abgestimmt würde und eine Wiedervereinigung erst mit Inkrafttreten der neuen gemeinsamen Verfassung erfolge, gar nicht möglich.
Nach der Wiedervereinigung wurden zwar Änderungen des Grundgesetzes erwogen, aber die Lage sah dann doch so aus, dass die "alte" BRD sich inzwischen sehr gut ans Grundgesetz gewöhnt hatte und keine andere Verfassung wünschte, dass in den neuen Bundesländern aber auch eine Mehrheit keine Verfassung nach DDR-Muster wünschte, sodass am Ende nur einige wenige Änderungen am Grundgesetz vorgenommen wurden, mit denen beide Seiten leben konnten.
Ein Gebot zur Verfassungsgebung bzw -Erneuerung statuierte Artikel 146 GG nie, somit bestand und besteht auch bis heute kein Zwang, das Grundgesetz durch eine neue Verfassung zu ersetzen. Vielleicht wäre es "nett" gewesen, eine neue Verfassung für das vereinigte Deutschland zu schaffen, aber es bestand einfach kein Bedarf.
Einige Utopisten in der DDR schufen 1990 einen vollständigen Verfassungsentwurf für eine weiter bestehende DDR, der aber in weiten Teilen eng ans Grundgesetz angelehnt ist. Die Unterschiede im Wortlaut und in den staatlichen Strukturen sind minimal. Der Entwurf ist veröffentlicht worden und kann nachgelesen werden.
Was nun das Pochen auf Begrifflichkeiten wie "Deutschland", "Deutsches Reich", "Bundesrepublik Deutschland", "vereintes Deutschland" usw. angeht, handelt es sich um RD-typische Wortklauberei. Es gibt nur ein Deutschland, und das ist der gegenwärtige deutsche Staat mit dem offiziellen Staatsnamen "Bundesrepublik Deutschland". Dass dies dasselbe Völkerrechtssubjekt wie das Deutsche Reich ist, wurde vom Bundeverfassungsgericht schon vor vielen Jahren ausdrücklich festgehalten. Natürlich steht es Deutschland frei, den Namen zu wechseln. Wenn sich eine verfassungsändernde Mehrheit findet, kann der Staatsname im Grundgesetz natürlich geändert werden.
Auch das Herumreiten auf Begriffen wie "Germany" bringt nichts. Frankreich zum Beispiel ist die im Deutschen übliche Bezeichnung der "République Française" bzw. von "la Françe". Im Französischen fehlt also das "Reich". Ebenso nennt man die USA auch "Vereinigte Staaten" o. dgl., obwohl dies natürlich nur im Deutschen so ist. Deswegen existieren diese beiden Staaten nun aber nicht nicht oder doppelt oder was auch immer. Es ist einfach nur eine fremdsprachige Bezeichnung.