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Mit einer gelben Akte schützt Bruno D. sein Gesicht vor dem Fotografen. Nur ein Mann mit Kamera ist gekommen – das mediale Interesse an dem Prozess gegen den früheren SS-Wachmann am Landgericht Hamburg hat merklich nachgelassen. "Heute Morgen wird nur fotografiert, nicht gefilmt. Das ist ja was!", sagt die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring überrascht. Dann wird das Verfahren fortgesetzt – in gemäßigtem Tempo.
Heute befragt die Richterin wieder Bruno D. selbst, nachdem in den vergangenen Wochen einige Zeugen das Wort bekamen. Darunter ein Mann, der zur Tatzeit gerade erst geboren worden war. Er umarmte den Angeklagten und verzieh ihm. Zu den konkreten Taten, die Bruno D. selbst begangen hatte, konnte jener Mann aber genauso wenig sagen wie zuvor schon einige andere Zeugen. Doch für die Richter, die Ankläger und die Nebenkläger geht es in diesem Verfahren nicht nur darum, einen früheren SS-Mann zu einer hohen Strafe zu bringen: Den KZ-Opfern soll die Möglichkeit gegeben werden, öffentlich über ihr Leiden zu sprechen.
Bruno D. hat bereits gestanden, als SS-Wachmann auf dem Wachturm gestanden zu haben. Er habe beobachtet, wie Menschen in die Gaskammer gebracht wurden. Er bestreitet allerdings, jemals selbst geschossen oder Gewalt gegen Gefangene verübt zu haben. "Auf dem Turm ging es darum, den Zaun zu bewachen, es ging um die Sicherheit des Lagers", sagt er. Der Angeklagte beruft sich auf den Befehlsnotstand, behauptet aber, dass er sich einer verbrecherischen Order, jemanden zu erschießen, schlicht verweigert hätte.
An diesem Montag befragt die Richterin Bruno D. zu seinen Kontakten zu seiner Familie, zu den Freizeitbeschäftigungen der SS-Männer, zu Freundschaften. "Herr D., Weihnachten ist ja bald. Erinnern Sie sich noch an das Weihnachtsfest 1944 in Stutthof?", will die Juristin wissen. "Nein", antwortet der Angeklagte. Und erklärt auf Nachfrage: "Ich habe keine Feier in Stutthof mitgemacht." Die Richterin daraufhin: "Wir haben einen Kommandanturbefehl in der Akte, dass eine Jul-Feier stattgefunden hat." Doch Bruno D. erinnert sich nicht an ein solches Fest. Nur einmal sei er im Kino gewesen, mit Kameraden.
"Mein Vater hat mich einmal besucht, dort im Lager", sagt er. Wenige Stunden seien sie spazieren gewesen, außerhalb des Lagers. Ansonsten habe er keinen persönlichen Kontakt zur Familie gehabt. Das hatte er bereits zu Beginn des Verfahrens erklärt, im Oktober. Seither sind einige Wochen vergangen – aber viele neue Erkenntnisse über die Zeit von Bruno D. in Stutthof hat das Verfahren nicht gebracht.
"Ich war vom Herzen aus kein SS-Mann", sagt D. "Ich bin übernommen worden, ohne gefragt worden zu sein." Auch das hatte Bruno D. zuvor bereits einmal erklärt. Die Richterin wiegelt ab: "Ich weiß, ich weiß."
Die Befragung ist noch lange nicht vorbei
Der Prozess wegen Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen kommt kaum voran. Ursprünglich waren Termine bis zum Dienstag vom Gericht angesetzt worden. Ein Urteil wäre demnach am 18. Dezember gefallen. Ein Zeitplan, der sich schon bald als sehr optimistisch erwies: Mittlerweile sind zehn weitere Verhandlungstage bis Ende Februar angesetzt. Weitere Zeugen und Nebenkläger sowie ein historischer Sachverständiger sollen bis dahin angehört werden. Auch die Befragung von Bruno D. ist lange noch nicht vorbei.
"Wie fanden Sie es, SS-Mann zu sein? Fanden Sie das nicht auch schick?", fragt die Richterin.
Der Angeklagte lacht verächtlich, ruft: "Nee."
Die Richterin: "Das hat Ihnen nichts bedeutet?" Bruno D.s Antwort: "Nein."
Eine halbe Stunde ist zu diesem Zeitpunkt bereits vergangen. Länger als zwei Stunden tagt die Kammer nie, um den Angeklagten nicht zu sehr zu belasten. Immer gibt es Pausen, nie sind mehr als zwei Verhandlungstage pro Woche angesetzt. Wegen seines hohen Alters und seines schlechten Gesundheitsstandes könnte es jederzeit passieren, dass Bruno D. plötzlich nicht mehr verhandlungsfähig ist. Andere Prozesse gegen frühere SS-Männer mussten aus diesem Grund bereits eingestellt werden.
Seine Antworten werden aggressiver, aber nicht deutlicher
Energisch wird die Richterin, als sie nach der Zahl der Häftlinge fragt, die in das KZ gebracht wurden, während Bruno D. dort Wache hielt. Er erinnere sich nicht, sagt der Angeklagte.
"Ich kann das nicht glauben", die Vorsitzende. Es gehe immerhin um 50.000 Neuankömmlinge.
Doch Bruno D. sagt nur: "Ich habe das nicht mitbekommen, ich weiß das nicht."
"Entweder Sie lügen uns an oder es sind Bilder, die so schrecklich waren, dass Sie sie verdrängt haben", sagt die Vorsitzende. Oder sei etwas anderes passiert, dass er verschweigen möchte? Ob sein Gewehr womöglich doch zum Einsatz gekommen sei? Bruno D. verneint. Er bleibt meistens ruhig, antwortet in der Regel sehr kurz. "Was konnte ich denn dagegen machen", sagt er. "Ich konnte das Leid nicht mindern." Immer wieder hakt Meier-Göring nach, sie fragt, ob Bruno D. es denn "okay" gefunden habe, auf dem Turm gestanden zu haben. In Ordnung sei das nicht gewesen, erwidert D. Seine Antworten klingen nun lauter, aggressiver – doch seine Aussagen werden nicht klarer.
"Haben Sie sich in die Bequemlichkeit des Gehorsams geflüchtet?", fragt die Juristin. "Ich habe niemandem etwas getan", sagt der Angeklagte.
Er habe nicht das Gefühl gehabt, jemanden retten zu können. Wenn er nicht Wache gestanden hätte, dann wäre ein anderer an seine Stelle getreten. "Was sollte ich da machen?"
Vergeblich versucht Meier-Göring, Bruno D. zu einem klaren Schuldeingeständnis zu bewegen. Sie ist Jugendrichterin und scheint auch diesen Angeklagten bessern, läutern zu wollen. Doch bei Bruno D. kommt sie damit nicht weiter.
Warum er sich nicht habe versetzen lassen? "Ich kann dazu nichts mehr sagen", sagt Bruno D. müde. "Ich sehe keine Schuld bei mir." Er glaube nicht, dass alle SS-Männer Verbrecher gewesen seien. Auch diese Haltung hatte er schon während der ersten Prozesstage an den Tag gelegt.
Morgen, am Dienstag, steht der letzte Verhandlungstermin in diesem Jahr an. Der Inhalt von vier Aktenordnern soll verlesen werden, zwar nur die Titel der Dokumente, den Rest bekommen die Verfahrensbeteiligten zum Selbststudium. Doch allein das Einführen der Dokumente werde lange dauern, kündigt die Vorsitzende an.
Den Prozessbeteiligten steht also ein weiterer zäher Verhandlungstag bevor. Ob Ende Februar tatsächlich mit einem Urteil zu rechnen ist? Sicher ist das nicht, das Verfahren könnte sich durchaus noch länger hinziehen. Die Kammer geht damit ein hohes Risiko ein: Der Gesundheitszustand von Bruno D. ist weiterhin schlecht. Sein Anwalt bittet darum, seinen Mandanten am Dienstag nicht weiter aussagen zu lassen: "Die Aussicht, dass er an zwei Tagen am Stück aussagt, würde ihm sehr belasten." Auch der elfte Tag im Saal 300 des Landgerichts dürfte das Verfahren also nicht wesentlich weiterbringen.
liegt der Angeklagte vollkommen auf der nationalsozialistischen Argumentationsschiene.
Das ist jedem klar, der die Ausführungen Thomas Fischers zur Beihilfe und den Ansichten dazu auch noch nach dem Krieg gelesen hat.
Der Angeklagte hätte also bei den Nazis nur sagen müssen, er habe die Tat ja gar nicht gewollt und keine böse Absicht gehabt. Und wäre damit durchgekommen
Ob der Anwalt des Angeklagten ihm erklärt hat, daß diese Masche seit 2010 nicht mehr zieht?