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Allein die letzten Worte von zwei der drei Angeklagten dauerten mit Unterbrechungen, Beratungen und wiederholten Plädoyers am Dienstag, dem inzwischen 105. Sitzungstag, mehr als fünf Stunden. Doch auch das ist überstanden. Am Donnerstag will die Kammer ihr Urteil verkünden.
Im Januar dieses Jahres hat eine Staatsschutzkammer des Landgerichts Dresden die Hauptbeschuldigten der rechtsextremen „Freien Kameradschaft Dresden“ (FKD) zu teilweise langen Haftstrafen zwischen zwei Jahren zehn Monaten und bis zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Prozess dauerte zwei Jahre und vier Monate, insgesamt 115 Verhandlungstage, die meisten Urteile sind noch nicht rechtskräftig.
Im aktuellen Prozess müssen sich drei weitere Komplizen dafür verantworten, Mitglieder beziehungsweise Unterstützer der kriminellen Vereinigung FKD gewesen zu sein und sich an einer ganzen Reihe Gewalttaten beteiligt zu haben. Dieser Prozess begann im November 2018 vor einer anderen Staatsschutzkammer des Landgerichts und dürfte für alle Beteiligten nicht weniger aufwendig sein.
Wieder geht es um die Krawalle vor einer improvisierten Flüchtlingsunterkunft an zwei aufeinanderfolgenden Nächten in Heidenau im August 2015, Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Dresden ebenfalls im August 2015, den nächtlichen Überfall auf ein alternatives Wohnprojekt in Dresden-Übigau, den Rechtsterroristen der „Gruppe Freital“ von langer Hand geplant hatten. Und nicht zuletzt haben sich auch zwei der drei Angeklagten an den Ausschreitungen von weit über 200 Hooligans und Neonazis im Leipziger Stadtteil Connewitz am 11. Januar 2016 beteiligt.
Krawalle und Sprengstoffanschläge
Es ist ein in jeder Hinsicht spektakuläres Verfahren gegen Dresdner Neonazis, über deren Beteiligungen an weiteren Strafverfahren einiges zu sagen ist, um das Bild zu vervollständigen. Die beiden Hauptangeklagten René H. (34) und Christian L. (31) sind seit September 2019 auch Angeklagte in einem zweiten Prozess am Landgericht Dresden. Dort wird ihnen vorgeworfen, beim Dresdner Stadtfest im August 2016 gemeinsam mit Dutzenden weiteren dunkel gekleideten und teilweise vermummten Tätern ohne Grund gezielt Jagd auf Flüchtlinge gemacht und sie zusammengeschlagen zu haben.
Die Täter waren damals als „kleine Bürgerwehr“ auf dem Stadtfest unterwegs, das nur wenige Wochen nach dem Terroranschlag eines Islamisten in Nizza unter verschärften Sicherheitsbedingungen veranstaltet worden war – mit verstärkten Sicherheitskontrollen, Lkw-Sperren und Wachtürmen.
Etwa zehn Menschen wurden mit massiven Tritten gegen den Kopf zum Teil lebensbedrohlich verletzt, darunter auch ein Schwerbehinderter. Es war die mit Abstand folgenschwerste Tat, was die Verletzungsfolgen angeht. Der Generalstaatsanwalt hatte Christian L. sogar wegen versuchten Mordes angeklagt, doch die für Tötungsdelikte zuständige Schwurgerichtskammer war dem nicht gefolgt.
Einschlägig als Gewalttäter bekannt
L. ist mehrfach einschlägig wegen politisch motivierter Gewalttaten vorbestraft. Zurzeit sitzt er in Strafhaft für einen Überfall auf Andersdenkende am Rande einer rechtsextremen Demo am 1. Mai 2015 in Saalfeld/Thüringen. Dorthin soll er mit der sogenannten „Reisegruppe 44“ gefahren sein – eine Gruppe von Freunden und Mitarbeitern René H.s. Die „44“ steht für den vierten Buchstaben im Alphabet – also „DD“ für Dresden.
René H. ist nicht vorbestraft und saß von Ende 2017 bis Juli dieses Jahres in Untersuchungshaft. Davor war er Chef einer eigenen Sicherheitsfirma mit angeblich bis zu 20 Mitarbeitern und war Subunternehmer in der Security-Firma seines Verteidigers Thomas Moschke – eine zumindest nicht alltägliche Konstellation, die einen seltsamen Beigeschmack hat.
Einer der Gründe: Einige Gewalttaten, für die andere Mitglieder der kriminellen Vereinigung FKD längst verurteilt wurden, fanden im Herbst 2015 auf dem Rummelplatz in der Pieschener Allee statt – wo Wachmänner des Anwalts Moschke eingesetzt waren.
Polizist wegen Chat-Beleidigung suspendiert
Delikat war ein bekanntgewordener Chat, in dem sich Security-Kumpels von René H. im Juni 2018 und Verteidiger Moschke unterhielten. Es ging um den Staatsanwalt, der H. verhaftet hatte, und nun in einem Fitnessstudio erkannt worden war. Natürlich schimpften die Muskelmänner auf den Mann, fantasierten, was sie am liebsten mit dem Staatsanwalt anstellen würden. Ausgerechnet ein Pirnaer Polizist, der früher in Moschkes Security-Unternehmung gejobbt hatte, nannte den Ermittler „Zeckenstaatsanwalt“.
Auch Anwalt Moschke sprach nicht gerade freundlich über den Staatsanwalt, sagte jedoch auch, René H. – im Chat hat er den Spitznamen „Porno“ – trage zu 70 Prozent selbst Schuld an seiner Verhaftung. Und er schrieb weiter: „Na, dass das FKD-Böller-Kommando schlimmer bestraft wird als die RAF, ist nicht Pornos Verschulden“. Moschke war der Chat sichtlich peinlich, für den Polizisten hat er sogar Konsequenzen. Er sei suspendiert, es laufe ein Disziplinarverfahren, hieß es am Rande des Prozesses. „Zecke“ ist ein Schimpfwort der rechtsextremen Szene für Linke oder Andersdenkende.
Peter Fricke, H.s zweiter Verteidiger, ist auch nicht unumstritten. Er verteidigte einen Täter, der im März 2018 am Landgericht Dresden wegen seiner Beteiligung an den Stadtfest-Überfällen verurteilt wurde, und nun als Zeuge im Stadtfest-Prozess gegen H. und L. aussagen soll. Allerdings wird H. im Stadtfest-Prozess nicht auch noch von Fricke vertreten.
Hohe Strafanträge
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat vergangene Woche hohe Strafen beantragt. René H. soll vier Jahre und neun Monate in Haft. Das ist fünf Jahre nach der Tat keine milde Strafe. Der Staatsanwalt ist überzeugt, dass H. an den Ausschreitungen in Heidenau und am Angriff in Übigau mitgewirkt habe, wo rund 20 Täter das Wohnprojekt „Mangelwirtschaft“ von zwei Seiten mit Steinen und Böllern bewarfen.
Für Christian L. fordert der Staatsanwalt nach einer Verfahrensverständigung eine Gesamtfreiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren, in der die Verurteilung für Saalfeld enthalten ist, die L. bereits verbüßt. Der 31-Jährige habe sich an den Ausschreitungen in Connewitz beteiligt, wo er festgenommen wurde. Mehr sei ihm nicht nachzuweisen, so der Staatsanwalt.
Für René V. (35) wurden zwei Jahre und neun Monate Haft gefordert. Er zähle zum engeren Kreis der FKD und sei ebenfalls in Connewitz gestellt worden.
Der Hauptangeklagte René H. bestreitet, die FKD unterstützt zu haben und seine Mitwirkung an Gewalttaten. Seine Verteidiger argumentierten zuletzt etwa, ihr Mandant sei von Rico K. angeschwärzt worden. Der bereits verurteilte Freitaler Rechtsterrorist K. habe sich in seinem Prozess Ende 2017 durch seine Aussage eine mildere Strafe versprochen, so die Verteidiger. Damals war es um einen unbekannten Verdächtigen gegangen, der als „der große Leubener“ bezeichnet worden war – Rene H. wurde wenige Wochen später verhaftet.
Verteidiger fordern Freispruch für Hauptangeklagten
Während H.s Verteidiger Fricke in den vergangenen Tagen mehrfach theatralisch den Gerichtssaal verließ, wenn Opferanwälte das Wort hatten, argumentierte Verteidiger Moschke am Montag ausführlich, warum sein Mandant keine der ihm vorgeworfenen Taten begangen haben könne. Er setzte sich mit der Videoauswertung von Heidenau auseinander, wertete Zeugenaussagen und Handyverbindungen.
Darüber hinaus sagte er, bei den Taten, die seinem Mandanten vorgeworfen werden, sei nur ein geringer Schaden verursacht worden. Er sprach von zwei verletzten Polizisten in Heidenau und einem leicht verletzten Bewohner des alternativen Projekts. Zum Schluss sagte Moschke gleich zweimal: "H. ist ein guter Mensch."
Worauf der Verteidiger jedoch nicht einging, war etwa das Agieren der Verteidigung und des Angeklagten selbst in dieser langen Beweisaufnahme. Nur scheibchenweise hat H. mehrfach einzelne Punkte der Beweiskette im Fall der Mangelwirtschaft einräumen müssen, die er zuvor vehement dementiert hatte.
Pizza-Alibi geplatzt
Eine von der Verteidigung angeführte Pizza-Bestellung anlässlich einer Geburtstagsfeier, die H. angeblich am Abend des Angriffs auf die "Mangelwirtschaft" besucht hatte, entpuppte sich als eher belastend. Denn die Pizza wurde bereits gegen 20 Uhr geliefert, wie die Ermittlungen ergaben - lange vor dem Überfall.
Das Aussage-Verhalten sei nicht glaubwürdig, hielten ihm die Anwälte der Geschädigten vor. Zudem habe es sich der Verteidiger zu einfach mit der Beweiswürdigung gemacht, und einiges unter den Tisch fallen lassen. Auch das Gericht scheint wenig von H.s vorgegebenem Alibi gehalten zu haben, denn es lehnte mehr als zwei Jahre lang Haftbeschwerden der Verteidiger ab.
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Christian L. erklärte in seinem langen letzten Wort, er sei jetzt Vater. Mit der Geburt seiner Tochter habe das Leben für ihn einen völlig neuen Sinn. Er habe mit seiner Vergangenheit abgeschlossen. Dann wiederum bezichtigte er die Geschädigten des Übigauer Wohnprojekts, sie seien Leute, von denen Menschen wie er ausgespäht und als Nazis bezeichnet werde. Er habe sich 2015 aus Idealismus gegen die Flüchtlingspolitik eingesetzt. „Das war kein Idealismus“, konterte Opfer-Anwalt Oliver Nießing, „das war Fremdenfeindlichkeit“.