Um zum Beginn dieses Fadens zurückzukommen: Der von Hannig vertretene Justizbeamte, der den Chemnitzer Haftbefehl geleakt hatte, wird jetzt von Hannig beschäftigt (ob´s da eine Nebentätigkeitsgenehmigung gibt?) und hat am Tatort des Lübckemords herumgeschnüffelt.
Spoiler
Prozess im Mordfall Walter Lübcke
»Der Ernst sagt, er war nicht alleine am Tatort«
Für den mutmaßlichen Mörder Walter Lübckes wird es eng: Seine Version, nicht allein am Tatort gewesen zu sein, hat das Gericht bislang nicht überzeugt. Sein Verteidiger setzte nun auf die Befragung eines Privatermittlers.
Walter Lübcke hatte keine Angst. Am späten Abend des 1. Juni 2019 saß er auf der Terrasse seines Hauses im hessischen Wolfhagen-Istha, ungeschützt, aus der Ferne sichtbar. Er saß auf seinem Lieblingsplatz, in einem Gartenstuhl, eine Zigarette in der einen, sein Smartphone in der anderen Hand auf der Suche nach einem Ziel für einen Kurztrip mit seiner Frau. Bis sich Stephan Ernst über die angrenzende Pferdekoppel heranpirschte und dem Kasseler Regierungspräsidenten in den Kopf schoss.
Nach 33 Verhandlungstagen im Prozess gegen Stephan Ernst sind das die Fakten, die sich bestätigt haben. Ungeklärt ist noch immer: War Markus H. mit am Tatort, wie Ernst behauptet? Was genau spielte sich auf der Terrasse ab: Gab es ein Gespräch zwischen den Männern? Wehrte sich Walter Lübcke? Erhob er sich aus dem Sessel?
Die Familie des Politikers hofft, durch Antworten auf diese Fragen zurück ins Leben zu finden, auch wenn es ohne den Ehemann, ohne den Vater, ohne den Großvater ein anderes sein wird.
Die Wahrheit, sagen die Angehörigen, sei für sie lebenswichtig.
Die Wahrheit, sagt Stephan Ernst, sei, dass er an jenem Abend nicht allein war; dass Markus H. an der Tat beteiligt war; dass es einen kurzen Wortwechsel gab und Walter Lübcke vor seinem Tod zu H. blickte, während Ernst mit dem Rossi-Revolver Kaliber .38 auf ihn zielte und abdrückte. Doch für diese Version gibt es keine Indizien.
Ernsts Verteidiger Mustafa Kaplan hat deshalb beantragt, Daniel Zabel als Zeugen zu laden. Er soll die Version des Mittäters bestätigen. Zabel arbeitet für Frank Hannig, Ernsts ehemaligen Anwalt: Zabel kennt die Ermittlungsakte, und er kennt die Aussagen, die Ernst Hannig gegenüber machte. In Hannigs Auftrag spionierte und schnüffelte Zabel am Tatort herum, rekonstruierte Ernsts Angaben zum Tatablauf und verglich sie mit der Spurenlage.
Wer brachte Markus H. ins Gespräch?
Ein drahtiger Mann, 41 Jahre alt, mit dunklen Haaren, im dunklen Anzug und hellblauer Krawatte betritt den Gerichtssaal. Noch ist Zabel Justizbeamter, allerdings suspendiert, weil er nach dem Tod des Daniel Hillig in Chemnitz den Haftbefehl eines vorläufig festgenommenen Irakers verbreitete. Bei der Kommunalwahl im Frühjahr ließ er sich in Dresden für die AfD aufstellen, inzwischen ist er Mitglied im sächsischen Landesvorstand.
Ernst hat Hannig in bestimmten Punkten von seiner Verschwiegenheitsverpflichtung entbunden. Dies gilt nun auch für Zabel, Fragen zum Tathergang auf der Terrasse darf er beantworten. Der Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel nennt ihn einen »Gehilfen von Herrn Hannig« und fragt: Was hat Ernst seinem ehemaligen Anwalt erzählt? Wer brachte Markus H. ins Gespräch? Von wem stammt die Geschichte, dass H. sogar geschossen habe?
Zabel behält die Ruhe. Er habe Hannig zur Justizvollzugsanstalt chauffiert und im Wagen gewartet, während dieser mit dem inhaftierten Ernst gesprochen habe. Nach dem dritten oder vierten Besuch dort sei Hannig ins Auto gestiegen: »Das glaubste nicht: Der Ernst sagt, er war nicht alleine am Tatort!« Das sei im August gewesen.
Rechtsanwalt Hannig habe ein »persönliches Tagebuch« geführt: Nach den Gesprächen mit Ernst im Gefängnis habe er auf der Autofahrt seine Eindrücke dokumentiert, aufgezeichnet und mit Zabel erörtert. Dabei sei es auch darum gegangen, dass sich Ernst »in Widersprüche verstrickt« habe.
Ernst habe ein Interesse daran gehabt, dass H.s Tatbeteiligung öffentlich bekannt werde; deshalb habe Hannig Anfang Januar eine Pressekonferenz organisiert. Dort hatte der Anwalt damals erklärt, Ernst habe gestanden, gemeinsam mit Markus H. auf der Terrasse des Regierungspräsidenten gewesen zu sein. Man habe dem CDU-Politiker eine »Abreibung« verpassen wollen. Versehentlich habe Markus H. Walter Lübcke erschossen. »Da gingen bei mir die Alarmglocken an«, räumt Zabel ein.
Im Gericht hat Ernst ausgesagt, Hannig habe sich diese Variante ausgedacht. Zabel widerspricht. Die Version stamme von Ernst, so habe es Hannig ihm geschildert und ihn beauftragt zu überprüfen, ob seine Angaben stimmen könnten. »Wir hatten den Eindruck, dass Ernst mit uns spielt.« Der Name Markus H. sei immer mehr in den Fokus gerückt, sagt Zabel. »So habe ich dann auch ermittelt.«
Nachdem Zabel den Saal verlassen hat, gibt Björn Clemens, der Markus H. verteidigt, eine Erklärung ab. Zabels Aussagen hätten widerlegt, was Kaplan mit dessen Befragung habe beweisen wollen: nämlich dass Ernst Hannig bereits zu Beginn des Mandats Markus H. als Mittäter genannt hatte. Zudem habe sich mit Zabels Aussage einmal mehr bestätigt, dass Ernst sein Aussageverhalten anpasse.
Kaplan kommentierte die Erklärung im Gericht nicht. Dem SPIEGEL sagt er: »Herrn Ernst geht es im Prozess zur Tötung von Dr. Lübcke darum, für Aufklärung zu sorgen. Mit der partiellen Entbindung von der Schweigepflicht von Rechtsanwalt Hannig und dessen Gehilfen Zabel hat mein Mandant die Familie Lübcke, den Senat, aber auch die Bundesanwaltschaft in die Lage versetzt, die Tötung des Dr. Lübcke weiter aufzuklären.« Dadurch habe Ernst sein Versprechen eingelöst, dazu beizutragen, dass die Fragen der Familie Lübcke »umfassend beantwortet werden. Er wird diesen Weg konsequent weitergehen.«
Am nächsten Donnerstag wolle sein Mandant die vielen Fragen, die Walter Lübckes Frau bei ihrer Befragung im Gericht an ihn gestellt habe, »abarbeiten«. Auch wolle sich Ernst zu seinen Plänen, aus der rechten Szene auszusteigen, äußern.
»Schwerer Rückschlag für die Familie«
Der 5. Strafsenat lehnt an diesem Tag die Anträge der Nebenklage, wie beispielsweise die Beschlagnahme der Dokumente aus dem Besitz des ehemaligen Verteidigers – trotz Rückendeckung der Vertreter der Bundesanwaltschaft und Ernsts Verteidgung – ab. »Vollkommen überraschend, überhaupt nicht nachvollziehbar und für die Familie ein ganz schwerer Rückschlag«, kommentiert Dirk Metz, Sprecher der Familie, die Entscheidung des Gerichts im Gespräch mit dem SPIEGEL.
Kein Thema an diesem Verhandlungstag ist der Überfall auf Frank Hannig am Abend zuvor.
Der Dresdner Rechtsanwalt war nach Informationen des SPIEGEL mit seinem Wagen unterwegs. Als das Fahrzeug Kühlmittel verlor, hielt Hannig an einer Tankstelle in Döbeln in Mittelsachsen. Ein Unbekannter schlug Hannig dort krankenhausreif. Die Polizei schließt einen gezielten Angriff nicht aus, das Auto wurde sichergestellt und auf Manipulationen untersucht. Eigentlich hatte Zabel damit nach Frankfurt zum Gericht fahren wollen.